S 12 KA 136/17 WA

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 136/17 WA
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Ein Einlesen und Speichern der Daten der Krankenversichertenkarte vor Erbringung einer Leistung (Vorabeinlesung) im Rahmen einer Praxisgemeinschaft ist, wenn es nicht nur in ganz vereinzelten Fällen vorkommt, ein deutliches und kaum zu widerlegendes Indiz für das Vorliegen einer tatsächlichen Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis).
2. Es kann offenbleiben, ob mit LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 -, Umdruck S. 25, es ausreicht, dass die Kassenärztliche Vereinigung in ihre Ermessenserwägungen bei einer Honorarberichtigung im Rahmen einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung von unter 10% im Fachgruppendurchschnitt in Hessen einstellt und dieser Wert mit der Kürzung nicht unterschritten wird. Jedenfalls dann, wenn wie hier Vertretungen bei stundenweiser Abwesenheit des Gemeinschaftspraxispartners und insb. in größerem Umfang Vorabeinlesungen erfolgt sind, kann ein Schätzungsermessen auch unter die Grenze von 20 % gemeinsamer Fälle ausgeübt werden.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 12.426,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Honorarrückforderungen in Höhe von 12.426,00 EUR aufgrund von patientenbezogenen Plausibilitätsprüfungen der Honorarabrechnungen der zwei Quartale IV/10 und I/11, die die Beklagte insb. mit Hilfe eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft des Klägers mit Herrn Dr. C. mit einem Anteil gemeinsamer Patienten von 25,95 % und 27,43 % durchgeführt hat.

Der Kläger ist als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde seit 1990 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, zugelassen. Herr Dr. C. ist ebf. als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am gleichen Praxissitz zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führen eine Praxisgemeinschaft.

In den Quartalen I/08 bis II/11 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers wie folgt fest:
Quartal I/08 II/08 III/08 IV/08
Honorar PK/EK/SKT in EUR 63.01.434 54.610,98 59.526,53 53.994,73
Fallzahl 1.434 1.202 1.370 1.219

Quartal I/09 II/09 III/09 IV/09
Honorar PK/EK/SKT in EUR 67.403,22 68.850,68 57.358,90 44.680,57
Fallzahl 1.345 1.108 1.173 907

Quartal I/10 II/10 III/10 IV/10
Honorar PK/EK/SKT in EUR 74.278,29 93.740,17 75.609,06 82.828,69
Fallzahl 1.153 1.328 1.355 1.183

Quartal I/11 II/11
Honorar PK/EK/SKT in EUR 71.155,47 73.292,84
Fallzahl 1.371 1.175

Die Beklagte forderte den Kläger unter Datum vom 23.03.2012 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale I/08 bis I/11 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung des Klägers zusammen mit der Honorarabrechnung der Praxis Dr. med. C. in A-Stadt, mit der der Kläger eine Praxisgemeinschaft bilde, einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Ferner fügte sie eine Patientenliste mit je 7 Patientennamen für die Quartale I/08, I/09, II/10 und I/11 bei.

Der Kläger trug unter Datum vom 29.05.2012 vor, es handele sich bei der Praxisgemeinschaft mit seinem Partner C. nicht um eine versorgungsbereichsidentische Praxisgemeinschaft im engeren Sinne, da die vier Facharzt-Zusatzbezeichnungen klar differierten und keine Schnittmengen aufwiesen. So besitze Herr C. die Teilgebiets-Zusatzbezeichnung "Stimm- und Sprachstörungen", die bis auf den pädaudiologischen Bereich mit dem "Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie" quasi identisch sei. Des Weiteren besitze Herr C. die Zusatzbezeichnung "Plastische Operationen". Zudem habe er sich auf den für das HNO-Fachgebiet so wichtigen Neubereich der GERD (gastroösophagische Refluxerkrankungen) subspezialisiert. Er besitze hingegen die Teilgebiets-Zusatzbezeichnungen "Allergologie" sowie "Umweltmedizin". Allein diese deutlichen Differenzen der Subspezialisierungen bewirke einen zusätzlichen Anstieg von identischen Fällen über den Wert von 20 % hinaus. Die Erhöhung der Zahl identischer Patienten folge aus der Abklärung von Fragestellungen in den jeweiligen Teilgebietsbereichen. Da eine bis zu 20 %-ige Patientenidentität bei versorgungsbereichsidentischen Praxisgemeinschaften nicht implausibel sei, erkläre allein dieser Umstand schon Werte von bis zu 30 % gleicher Patienten. Die Quartale, in denen sich Werte knapp über 30 % ergäben, beruhten auf zeitversetzten Urlauben, auch auf zeitversetzten Abwesenheiten an Einzeltagen, z. B. bedingt dadurch, dass an einem Tag in jeder Woche ein Partner OP-bedingt ganztägig nicht in den Praxisräumen anwesend sei. Auch in den übrigen Quartalen seien Vertretungsbehandlungen erforderlich gewesen. Gerade die HNO-Erkrankungen erforderten oftmals eine sofortige ärztliche Behandlung. Aus den Behandlungsscheinen sei zu ersehen, dass im Quartal zwischen 40 % und im Extremfall bis zu 72 % eine der beiden Praxen geschlossen gewesen sei. Sie hätten nicht "hin- und hergeschoben", sonst wäre der Prozentwert gemeinsamer Patienten noch wesentlich höher ausgefallen. Ferner nahm er zu 6 Patientenfällen im Einzelnen Stellung.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 06.08.2012 die strittigen Honorarrückforderungen für die Quartale IV/10 und I/11 fest. Im Einzelnen entfielen auf die streitbefangenen Quartale folgende Honorarrückforderungen:

Quartal Honorar in EUR
IV/10 6.301,80
I/11 6.124,20

Die Honorarbescheide für die Quartale I/08 bis III/10 blieben von einer Honorarkürzung unberührt, da der Kläger auf Grund eines "Hinweises" bzgl. der Vorverfahren erst ab dem 3. Quartal 2010 Kenntnis von den Aufgreifkriterien bei einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung haben könne. Zur Begründung der Honorarkürzungen führte sie aus, die Abrechnungen von Ärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft verbunden seien, könnten unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten worden seien. Die Anzahl der doppelt abgerechneten Patienten sei ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei bei 20% Patientenidentität - auf die abrechnenden Praxen bezogen - bei versorgungsbereichsidentischen Praxen zu vermuten. Die Berechnungsergebnisse hätten für die Praxis des Klägers folgende Werte ergeben:

Quartal Dr. med. A. Fallzahl (inkl. SKT) Gemeinsame Patienten Prozent
I/08 1434 414 28,87
II/08 1202 361 30,03
III/08 1370 390 28,47
IV/08 1219 329 26,99
I/09 1345 413 30,71
II/09 1108 251 22,65
III/09 1173 337 28,73
IV/09 907 247 27,23
I/10 1153 360 31,22
II/10 1328 366 27,56
III/10 1355 365 26,94
IV/10 1183 307 25,95
I/11 1371 376 27,43

Bei einer Praxisgemeinschaft handele es sich um eine Organisationseinheit, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten diene. Mit ihr werde vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen, angestrebt. Es verbleibe bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei. Die nach außen gewählte Rechtsform einer Praxisgemeinschaft müsse auch im Praxisalltag transparent realisiert werden; andernfalls liege ein Gestaltungsmissbrauch vor. Bei einer derart hohen Praxisidentität müsse das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation voraussetze. Eine Vertretung sei nur zulässig, wenn der vertretene Vertragsarzt sich im Urlaub befinde, erkrankt sei oder an einer Fortbildung oder Wehrübung teilnehme. Eine Vertretung liege nur dann vor, wenn der Arzt zumindest einen Tag abwesend sei, so dass die Praxis insgesamt geschlossen bleibe. Von indizieller Bedeutung sei insoweit bereits die ungewöhnlich hohe Anzahl von Vertreterfällen, die nicht in allen Fällen plausibel erklärt werden könne. Von indizieller Bedeutung sei die ungewöhnlich hohe Anzahl von Vertreterfällen in der Praxis, die nicht in allen Fällen plausibel erklärt werden könne. Ein Großteil der Vertreterscheine entfalle auf eine nur stundenweise Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners. In der Praxis C. würden ambulante Scheine angelegt werden, in der Praxis des Klägers komme es dann im Laufe des Quartals zu den Vertretungen, obwohl in der zu vertretenden Praxis am Vertretungstag Leistungen bei anderen Patienten erbracht werden. Die Vertreterfälle der Praxis C wiesen den gleichen Sachverhalt auf. Der andere Partner der Praxisgemeinschaft wäre verpflichtet gewesen, die Patienten auf der Rückkehr des erstbehandelnden Arztes zu verweisen. Hierzu werden verschiedene Behandlungsfälle in den Quartalen I/08 und I/09 angeführt. Ähnlich verhalte es sich bei anderen Urlaubs- und Krankheitsvertretungsfällen. Die Überprüfung des Quartals I/08 habe ergeben, dass von 50 überprüften Doppelfällen 21 auf Urlaubs- und Krankheitsvertretungen beruhten. Im Quartal I/09 seien 16 von 50 überprüften Fällen Urlaubs- und Krankheitsvertretungsfälle für den Kollegen C. In Quartal II/10 seien es 14 Urlaubs- und Krankheitsvertretungsfälle und im Quartal I/08 20 Urlaubs- und Krankheitsvertretungsfälle. Letztlich räume der Kläger selbst ein, dass unzulässigerweise Vertretungsfälle vorliegen, indem er vortrage, dass die Patienten um sofortige Behandlung gebeten hätten und diese wegen terminlicher Auslastung oder zeitlicher Nichtanwesenheit in der einen Praxis nur in der anderen Praxis habe erfolgen können. Es lägen die Voraussetzungen für eine missbräuchliche Nutzung der Rechtsform der Praxisgemeinschaft vor. Die ärztliche Kooperation gehe über eine reine Organisationsgemeinschaft hinaus. Dies führe zu einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen und damit verbunden zu einer erheblichen Steigerung des Honorars, ohne dass dies durch die Morbidität der Klientel begründet werden könne. Allein die Nutzung eines eigenen Briefkopfes erwecke nach außen hin den Eindruck einer Berufsausübungsgemeinschaft und nicht, wie es der gewählten Organisationsform entsprechen sollte, um den Zusammenschluss zweier selbstständiger Praxen einer Praxisgemeinschaft. Als entlastend seien die Überweisungsfälle auf Grund der Spezialisierung in den beiden Praxen gewertet worden. Eine so regelhafte gegenseitige Vertretung entspreche auch nicht einer Praxisgemeinschaft. Der prozentuale Anteil an Vertretungsfällen liege hessenweit unter 10 %. Ein Arzt habe auch innerhalb der angegebenen Sprechstundenzeiten den Patienten regelmäßig zur Verfügung zu stehen. 10 % der gemeinsamen Patienten seien auf Grund einiger als plausibel bewerteten Überweisungen und Vertretungen anerkannt. Darüber hinaus werde ein weiterer Abschlag von den errechneten plausiblen Fällen in Höhe von 30 % vorgenommen. Die Korrekturhöhe pro Behandlungsfall errechne sich aus dem quotierten Nettofalldurchschnittswert aus allen Behandlungsfällen der Praxis, multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfälle.

Hiergegen legte der Kläger am 08.08.2012 Widerspruch ein. Er trug mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 20.11.2012 vor, es sei bereits zweifelhaft, ob die Beklagte unter datenschutzrechtlichen Bestimmungen des SGB V berechtigt gewesen sei, versichertenbezogene Daten im Rahmen der Plausibilitätsprüfung zusammenzuführen. Der D. Datenschutzbeauftragte teile diese Rechtsauffassung, wozu er auch dessen beigefügtes Schreiben vom 20.05.2011 verweise. Ein konkreter Vortrag sei daher nicht möglich. Aus Gründen des Sozialdatenschutzes dürfen die für eine fiktive Wahrung des Rechtsschutzes nötigen Informationen über die konkreten Behandlungsfälle nicht an ihn übermittelt werden. Der Kläger führte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 14.11.2013 weiter aus, er habe keine nichtgenehmigte Gemeinschaftspraxis zu einer treuwidrigen Herbeiführung einer Fallzahlsteigerung und zu einer Steigerung der Honorare betrieben. Der maßgebliche Anteil angeblich gemeinsam behandelter Patienten betrage nicht mehr als 20 %. Die Beklagte gehe nach Abzug der plausiblen Vertreterfälle und dem Abzug von 30 % noch von 181 bzw. 238 implausiblen Fällen in den Quartalen IV/10 und I/11 aus. Der Anteil an der Fallzahl von 1.183 bzw. 1.371 belaufe sich dann auf 15,3 % bzw. 17,3 %. Es reiche nicht aus, wenn die Beklagte stichprobenartig gemeinsame Patienten aus den Quartalen auswerte, die nicht einmal streitgegenständlich seien. Zudem lasse die Beklagte es offen, auf welche Weise die Stichproben genommen worden seien. Er behandle in keiner Form mit seinem Praxisgemeinschaftspartner Patienten gemeinschaftlich wie in einer Berufsausübungsgemeinschaft. Es erkläre sich nicht, wie die Beklagte auf den Abzug von 49 Patienten im Quartal IV/10 und 38 Patienten im Quartal I/11 gekommen sei. Eine "derart hohe Patientenidentität" liege erst bei einer Patientenidentität von mehr als 50 % vor. Er wende sich auch gegen die Höhe der Kürzungssumme, konkret gegen die Berechnung der zugrunde gelegten Fallwerte in Höhe von 70,02 EUR bzw. 51,90 EUR. Die Höhe der Fallwerte resultiere in einem erheblichen Maße aus seiner Operationstätigkeit. Diese stehe aber in keinem Zusammenhang mit den hier streitgegenständlichen Vorwürfen. Treffe es zu, dass die Fallwerte der Fachgruppe unter seinen lägen, müssten diese herangezogen werden.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Gegenüberstellung der Patientendaten sei nicht zu beanstanden. Der Vergleich der Patientendaten verstoße nicht gegen § 285 SGB V i. V. m. § 83 Abs. 2 SGB V. Eine Verarbeitung und Nutzung der Sozialdaten sei nach § 285 Abs. 3 S. 1 SGB V zulässig, ohne dass hierfür eine weitere Erlaubnis durch Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuches nötig wäre. Maßgeblich sei der Grenzwert von 20 %, da es sich um eine fachgleiche Gemeinschaftspraxis handele. Sie legte ferner erneut dar, dass bereits am eigenen Vortrag des Klägers deutlich werde, dass die Praxisführung zusammen mit dem Kollegen faktisch einer Berufsausübungsgemeinschaft entspreche. Entsprechende Beispielsfälle für Vertretungen bei höchstens stundenweiser Abwesenheit des Partners fänden sich zahlreiche auch in den streitgegenständlichen Quartalen IV/10 und I/11. Die Analyse der Abrechnungsdaten zeige zudem, dass auch das Argument einer schwerpunktorientierten Behandlung in den beiden Praxen nicht zutreffe. So finde man etwa vielfach Behandlungsfälle, in denen eine Hyposensibilisierung des Patienten abwechselnd von beiden Ärzten abgerechnet worden sei, obwohl der Kläger seine Schwerpunkte in der Allergologiebehandlung sehe und die jeweils andere Praxis geöffnet gehabt habe. Auch die für Herrn C. angegebenen Schwerpunkte bei Stimm- und Sprachstörungen hätten keinen Einfluss auf die Höhe der Patientenidentitäten. Die insoweit relevanten Leistungspositionen Nr. 09330 bis 09333 EBM 2010, die spezielle Untersuchungen der Stimme beinhalteten, seien im Quartal IV/10 nur in insgesamt 24 der Doppelfälle abgerechnet worden, wobei die Zusatzpauschale nach Nr. 09332 sogar häufiger vom Kläger in Ansatz gebracht worden sei. Es fänden sich häufiger Konstellationen, dass einem der Praxis-Partner von einem dritten Arzt Patienten zur Mit-/Weiterbehandlung überwiesen worden sei, die dann – teilweise am selben Tag – auch in der zweiten Praxis behandelt worden seien. In Fällen einer Abwesenheit von wenigen Stunden oder für einen halben Tag handele es sich – abgesehen von Notfällen – nicht um zulässige Vertretungen. Ein weiteres Indiz für die fehlende Trennung der Praxen sei, dass die Patientenkartei nicht getrennt geführt würde. Die gemeinsame Nutzung der Patientendaten sei in einer Praxisgemeinschaft nicht zulässig. So ergebe die Auswertung der 307 Doppelfälle in Quartal IV/10, dass hierbei in 112 Fällen die Krankenversichertenkarte am selben Tag eingelesen worden sei. Allerdings seien nur in 25 dieser Fälle auch tatsächlich am Einlesetag Untersuchungen in beiden Praxen vorgenommen worden. Für das Quartal I/11 ergäben sich ähnliche Werte. In den Prüfquartalen finde man zudem zahlreiche Fälle, in denen für denselben Patienten in den eigenständigen Praxen jeweils ein Originalschein angelegt worden sei. Hier sei nicht darauf geachtet worden, dass die Patienten nur einen bestimmten HNO-Arzt besuchten. Damit entspreche die Praxisorganisation eher einer Berufsausübungsgemeinschaft, in der die Patienten gemeinschaftlich von jeweils dem Arzt, der in einer Praxis anwesend sei, behandelt würden. Es sei auch nicht glaubhaft, dass in jedem Quartal zwischen 307 und 376 Patienten einen wichtigen Grund hätten, den Arzt zu wechseln oder Notfälle gewesen seien. Wenn die gesamte Organisation darauf ausgerichtet sei, dass jeweils ein Arzt den anderen regelmäßig vertrete, dann werde die regelmäßige, gegenseitige Mitbehandlung der Patienten der anderen Praxis in Kauf genommen. Die erhöhte Fallzahl der Praxis führe zu Vorteilen bei Budgetierungsregelungen, die den Budgetrahmen anhand der Zahl der Behandlungsfälle berechneten. Hierzu gehöre beispielsweise das Regelleistungsvolumen, Laborkostenbudget und der Wirtschaftlichkeitsbonus. Bei der Berechnung der Rückzahlungsforderung habe nicht berücksichtigt werden müssen, dass ein Teil des Honorars aus der Operationstätigkeit herrühre und die Fallwerte ohne Operationsleistungen niedriger ausfielen. So regele § 106a Abs. 2 Satz 6 SGB V sogar, dass bei der Plausibilitätsprüfung von dem durch den Vertragsarzt angeforderten Punktzahlvolumen unabhängig von honorarwirksamen Begrenzungsregelungen auszugehen sei. Daraus leite die Rechtsprechung ab, dass auch die Honorarkürzung-/rückforderung anhand des zur Abrechnung vorgelegten Leistungsvolumens bestimmt werden dürfe. Dagegen stelle die vorliegende Rückforderungsberechnung bereits zu Gunsten der geprüften Ärzte auf das im Honorarbescheid ausgewiesene Gesamthonorar nach der Durchführung von Budgetierungen ab.

Hiergegen hat der Kläger am 24.02.2014 zum Az.: S 12 KA 103/14 die Klage erhoben. Auf Antrag der Beteiligten hat die Kammer mit Beschluss vom 09.10.2014 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Kammer hat am 08.02.2017 das Verfahren von Amts wegen wieder aufgerufen.

Der Kläger trägt unter weitgehender Wiederholung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren ergänzend vor, er könne weiterhin nicht nachvollziehen, um welche Fälle es sich bei den Doppelbehandlungen handle. Die Beklagte habe Ermessenserwägungen im Hinblick auf die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung im Fachgruppendurchschnitt für die Fachärzte für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde nicht angestellt bzw. dazu offensichtlich keine Zahlen ermittelt. Im Übrigen ließen sich die Ausführungen von LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 – L 4 KA 22/14 – im Hinblick auf das Hausarztkonzept nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen. Hier gehe es um gemeinsame Patienten von zwei Fachärzten mit unterschiedlichen Zusatzqualifikationen. Sie hätten, wovon auch die Beklagte ausgehe, weitgehend identische Praxisöffnungszeiten. Dies spreche gegen einen Formenmissbrauch, da gerade "verschobene" Praxisöffnungszeiten einen Wechsel der Patienten begünstigten. Die Patientenakten würden in der Praxisgemeinschaft strikt getrennt geführt werden. Eine Einsicht oder ein Zugreifen auf die Kartei des Kollegen sei nicht möglich. Dies schon deshalb, da die Dokumentation ausschließlich elektronisch erfolge und nicht über Karteikarten. Ferner hat er Stellung genommen zu den einzelnen beanstandeten Patientenbehandlungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 06.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2014 aufzuheben,
hilfsweise
die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2014 zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers vom 08.08.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Der Kläger habe in der Klagebegründung keine wesentlich weitergehenden Argumente vorgetragen. Ergänzend trägt sie vor, bei der Grenze von 20 % handele es sich um ein Aufgreifkriterium. Bei diesen 20 % seien die tatsächlich vorliegenden Fälle und nicht die gemeinsamen Fälle nach Bereinigung von Vertretungsfällen zu berücksichtigen. Für den Kläger sei aufgrund der Ausführungen in dem Ausgangsbescheid und auch in dem Widerspruchsbescheid ersichtlich, dass der Anteil an nichtplausiblen und plausiblen Fällen so ermittelt worden sei, indem der prozentuale Durchschnitt plausibler Fälle aus vier Prüfquartalen errechnet worden und dieser Durchschnittswert bei den hier streitigen verbliebenen Quartalen berücksichtigt worden sei. Im Übrigen sei es auf Grund des erbrachten Indizienbeweises an dem Kläger, diesen zu erschüttern. Nur weil das Aufgreifkriterium von 20 % nach Abzug der berechtigten Vertreterfälle und unter Berücksichtig eines Sicherheitsabschlages unter 20 % sinke, bedeute dies nicht, dass eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform nicht vorliege. Der Missbrauch werde durch die weiteren Auffälligkeiten belegt. Sie habe im Rahmen der weiteren Prüfung festgestellt, dass der Kläger Patienten von Herrn C behandelt habe, wenn dieser nicht mehr in der Praxis anwesend gewesen sei, wenn dieser wegen hohem Patientenaufkommen nicht zur Verfügung gestanden habe, wenn er nur stundenweise in der Praxis anwesend gewesen sei, oder wenn die Wartezeit bei ihm länger gewesen wäre. Es seien auch die Versichertenkarten von Patienten an beiden Tagen am gleichen Tag eingelesen worden. Es sei auch klare Aufgabe des Arztes, auf die bestehende Kooperationsform hinzuweisen. Nach dem Urteil des LSG Hessen, dessen Ausführungen sie sich zu Eigen mache, werde ihre Verfahrensweise im Rahmen von Plausibilitätsprüfungen nicht beanstandet. Das Urteil sei auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Im Ergebnis habe sie jeweils über 40 % der Doppelfälle als plausibel anerkannt. Die dann verbleibenden Fälle seien auf beide Praxen aufgeteilt und hieraus sei die Rückforderung berechnet worden, sodass im Ergebnis sogar noch mehr als 40 % der gemeinsamen Patienten anerkannt worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 10.07.2017 angehört. Ein Einverständnis der Beteiligten hierzu wird vom Gesetz nicht verlangt. Die Kammer hat bereits mehrfach über vergleichbare Sachverhalte entschieden, so mit Urt. vom 02.04.2014 - S 12 KA 634/12 -; Urt. vom 29.01.2014 S 12 KA 359/12 u. S 12 KA 360/12 - Berufung durch LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 - entschieden (Klageabweisung insgesamt); Urt. vom 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - Berufung LSG Hessen - L 4 KA 33/13 - am 10.07.2013 zurückgenommen; Urt. vom 05.12.2012 - S 12 KA 80/12 - Berufung LSG Hessen L 4 KA 5/13 - durch Vergleich am 29.07.2015 erledigt; Gerichtsb. v. 02.07.2014 - S 12 KA 483/13 -, Berufung beim LSG Hessen - L 4 KA 50/14 - durch Vergleich am 12.09.2016 erledigt; Gerichtsb. v. 15.10.2014 - S 12 KA 588/12 und 592/12 -, Berufung LSG Hessen - L 4 KA 80/14 - am 15.05.2015 zurückgenommen).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insb. form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist im Ergebnis aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 06.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2014 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die Klage war daher im Haupt- und Hilfsantrag abzuweisen.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragsärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Dies wird nunmehr durch den ab 01.01.2004 geltenden § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V klargestellt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte feststellt; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Dies galt auch bereits zuvor auf der Grundlage der genannten bundesmantelvertraglichen Regelungen.

Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten, auf § 82 Abs. 1 SGB V beruhenden bundesmantelvertraglichen Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R - BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 22, zitiert nach juris Rdnr. 11 m.w.N.)

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z. B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr. 4, juris Rdnr. 26 f. m.w.N.).

Bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft können Honorarbescheide korrigiert werden.

Für die berufliche Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung) (Ärzte-ZV) ist kennzeichnend, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmenerzielung. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist neben einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis grundsätzlich auch eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem "Goodwill") erforderlich, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Diese Form der Zusammenarbeit bedarf vorheriger Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Mit ihr wird vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen. Es verbleibt bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R - BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr. 6, juris Rdnr. 14 f. m.w.N.).

Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit Wirkung vom 1. Januar 2005 vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen (DÄ 2004, A-2555) (im Folgenden: ARL) geben in § 11 Abs. 2 für die Plausibilitätsprüfung bereits bei 20 % Patientenidentität in (teil )gebietsgleichen/versorgungsbereichsidentischen bzw. 30 % bei gebietsübergreifenden/versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften die Annahme einer Abrechnungsauffälligkeit vor. Diese Aufgreifkriterien lassen die in den Richtlinien vorgenommenen Grenzziehungen erkennen, dass jedenfalls dann, wenn zwei in der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebietes annähernd bzw. mehr als 50 % der Patienten in einem Quartal gemeinsam behandeln, tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Behandlung eines gemeinsamen Patientenstammes stattfindet. Bei einer derart hohen Patientenidentität muss das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation erfordert (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19 f.; BSG, Beschl. v. 05.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - juris Rdnr. 12).

Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 L 12 KA 563/04 - juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der beide Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen.

Nach diesen Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinreichend nachgewiesen. Sie hat in den angefochtenen Bescheiden im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger 25,95 % und 27,43 % beträgt. Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden. Dabei können auch Erfahrungswerte berücksichtigt werden, dass im hausärztlichen Bereich von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen ist. So weist das LSG Nordrhein-Westfalen auf Ermittlungen der KZV Nordrhein hin, die für ihren - vertragszahnärztlichen - Bereich einen Anteil von Doppelbehandlungen in Praxisgemeinschaften von 3 bis 5 % festgestellt habe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 60/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 59/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 19). Die Beklagte geht im Allgemeinen von einem Anteil von 5 % für Vertretungsscheine aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 S 12 KA 30/10 - juris Rdnr. 50) bzw. – wie im hier vorliegenden Verfahren - von einer gegenseitigen Vertretung im Fachgruppendurchschnitt von unter 10 % aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2012 - S 12 KA 80/12GesR 2013, 225, juris Rdnr. 42; SG Marburg, Urt. v. 29.01.2014 - S 12 KA 359/12 und S 12 KA 360/12 -; SG Marburg, Urt. v. 02.04.2014 - S 12 KA 634/12 -). LSG Niedersachsen geht gleichfalls davon aus, dass bei Praxisgemeinschaften üblicherweise auftretende Patientenidentitäten deutlich geringer sind als 20 % (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 21.03.2012 - L 3 KA 103/08 - juris Rdnr. 23). Clemens weist darauf hin, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15 % beträgt (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 106a Rdnr. 175). Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird.

Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass nicht alle diese Fälle darauf beruhen, dass es sich um, wenn auch der Organisation der klägerischen Praxis geschuldete Notfälle gehandelt hat. Insofern setzen die geltenden vertragsarztrechtlichen Regelungen für eine letztlich arbeitsteilige Behandlungsweise Grenzen. Die von dem Kläger mit ihrem Gemeinschaftspraxispartner gewählte Organisationsform wäre allenfalls nur dann zulässig, wenn die strikte Trennung beider Praxen durchgehalten werde würde. Sie wäre selbst dann noch problematisch, wenn sich aufgrund der zwangsläufig gehäuften Abwesenheitszeiten vermehrt Überlappungen der Behandlungen ergäben.

Die Beklagte hat im Einzelnen auf die große Zahl der gemeinsamen Patienten und auf weitere Indizien hingewiesen, die eindeutig auf das Vorliegen einer Gemeinschaftspraxis hindeuten, so die gegenseitige Vertretungspraxis auch bei nur stundenweise Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners und insb. die fehlende strikte Trennung der Patientenkarteien. So hat eine Auswertung der 307 Doppelfälle im Quartal IV/10 ergeben, dass in 112 Fällen die Krankenversichertenkarte am selben Tag eingelesen worden sei. Nur in 25 dieser Fälle sind danach auch tatsächlich am Einlesetag Untersuchungen in beiden Praxen vorgenommen worden. Für das Quartal I/11 hätten sich nach den Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid ähnliche Werte ergeben. In den Prüfquartalen finde man zudem zahlreiche Fälle, in denen für denselben Patienten in den eigenständigen Praxen jeweils ein Originalschein angelegt worden sei. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass eine Vorabeinlesung und Speicherung der Daten der Krankenversichertenkarte unzulässig ist. Die Kammer sieht hierin, wenn es wie vorliegend nicht nur in ganz vereinzelten Fällen vorkommt, ein deutliches und kaum zu widerlegendes Indiz für das Vorliegen einer tatsächlichen Gemeinschaftspraxis. Die Beklagte hat ferner im Ausgangsbescheid auf die Nutzung eines eigenen Briefkopfes hingewiesen. Ein solcher wurde auch für die Widerspruchseinlegung verwandt. Dieser lässt nicht erkennen, dass es sich um zwei getrennte Praxen handelt, selbst die Zusatzbezeichungen werden so aufgeführt, dass sie nur der Praxis, nicht aber einem Behandler zugeordnet werden können.

Ein Vertretungsfall kann nur dann angenommen werden, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund "an der Ausübung seiner Praxis verhindert" ist, d. h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen bleibt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 08.06.2007 - L 3 KA 9/07 ER - juris Rdnr. 31). Nach dem Bundesmantelvertrag im Primärkassenbereich war der Vertragsarzt gehalten, seine Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereiches festzusetzen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä). Bei der Verteilung der Sprechstunden auf den einzelnen Tag sollen die Besonderheiten des Praxisbereiches und die Bedürfnisse der Versicherten (z. B. durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen) berücksichtigt werden (§ 17 Abs. 2 BMV-Ä). Der Vertragsarzt war und ist gehalten, in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen. Dies folgt bereits aus seinen allgemeinen vertragsärztlichen Pflichten (§ 95 Abs. 3 SGB V). Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV). Nur bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung kann er sich innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, so ist sie der Kassenärztlichen Vereinigung mitzuteilen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und 4 Ärzte-ZV). Eine Gemeinschaftspraxis kann nicht unter Hinweis auf die generelle Vertretungsbefugnis wie eine Praxisgemeinschaft geführt werden; der Vertragsarzt hat in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 R - juris Rdnr. 40 ff.)

Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R – a.a.O., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 L 12 KA 563/04 – juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 – B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der all Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen. Das hat der Kläger nicht oder jedenfalls nicht ausreichend getan. Vielmehr geht aus den Ausführungen des Klägers hervor, dass aufgrund des Unterlaufens der Hausarztbindung eine wirkliche Akzeptanz nicht zu erreichen war. Das deckt sich insofern mit den Feststellungen der Beklagten, dass bei Abwesenheit eines Praxispartners die Behandlung von dem anwesenden Praxispartner fortgeführt wurde. Soweit in einzelnen (Not-)Fällen aus medizinischen Gründen eine Abweisung der Patienten nicht möglich gewesen sein sollte, wird dem von der Beklagten bei der Neufeststellung der Honorare mit den zugestandenen gemeinsamen Fällen - zum Umfang im Einzelnen sogleich - mehr als ausreichend Rechnung getragen (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 – L 12 KA 563/04 – juris Rdnr. 35; LSG Bayern, Urt. v. 28.03.2007 – L 12 KA 216/04 – juris Rdnr. 26).

Angesichts dieser Verstöße gegen die Regeln des Vertragsarztrechts erweisen sich die von den Klägern in den streitbefangenen Quartalen jeweils der Abrechnung beigefügten Abrechnungssammelerklärungen, in denen sie die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen bestätigt haben, als falsch, mit der Folge, dass die Beklagte berechtigt war, die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare im Wege der Schätzung neu festzusetzen (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - a.a.O., Rdnr. 69). Der Beklagten kommt dabei ein weites Schätzungsermessen zu, da mit der Implausibilität der Abrechnung aufgrund des Formenmissbrauchs die Abrechnung selbst nicht mehr ausschlaggebend sein kann.

Die Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganzes ist bereits dann unrichtig, wenn nur ein mit ihr erfasster Behandlungsausweis eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthält. Dies gilt auch für implausible Abrechnungen. Wegen dieser weitgehenden Wirkung der Rechtsfolgen aus der Abgabe einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung ist weiter vorauszusetzen, dass unrichtige Angaben in den Behandlungsausweisen zumindest grob fahrlässig oder vorsätzlich erfolgt sind (vgl. BSG, Urt. v. 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5500 § 35 Nr.1, juris Rdnr. 21 f.). Angesichts der im Einzelnen von der Beklagten dargelegten Implausibilität der Abrechnung für alle streitbefangenen Quartale ist von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten des Klägers auszugehen. Es bedarf eines Nachweises im Einzelfall dann nicht mehr, wenn entweder eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen oder eben die Implausibilität der Abrechnung nachgewiesen ist. Der Nachweis der Implausibilität der Abrechnung steht insofern dem Nachweis einer unrichtigen Angabe über erbrachte Leistungen gleich bzw. ersetzt diesen. Im Übrigen hat die Beklagte auch für jedes Quartal wenigstens einen Einzelfall nachgewiesen. Von daher war auch nicht in jedem Einzelfall zu prüfen, aus welchem Grund die Angabe einer Notfalldiagnose unterblieben ist.

Keinesfalls steht den in einer vorgetäuschten Praxisgemeinschaft zusammenarbeitenden Ärzten mehr an Honorar zu, als ihnen zu zahlen gewesen wäre, wenn sie auch rechtlich eine genehmigte Gemeinschaftspraxis im Sinne von § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV gebildet hätten (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 22). Dies bedeutet jedoch nicht, dass den Ärzten auch tatsächlich das Honorar zu zahlen wäre, das sie erhalten hätten, wenn sie legal in einer genehmigten Gemeinschaftspraxis zusammengearbeitet hätten. Das BSG (ebd.) führt vielmehr weiter aus, dass jedenfalls bei einer Patientenidentität von mehr als 50 % bei formal unter der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft zusammenarbeitenden Ärzten desselben Fachgebiets solche Gebührentatbestände des EBM, bei denen bei einer Behandlung in einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis eine Vergütung für ein Quartal höchstens einmal gewährt werden kann, bei keinem Praxisgemeinschaftspartner zu berücksichtigen seien, denn insoweit scheide eine vergütungsrechtliche Zuordnung der Leistungen zu einem der Vertragsärzte aus. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung solche Gegenrechnungen bzw. Saldierungen abgelehnt, weil dadurch die Ordnungsvorgaben des Vertragsarztsystems unterlaufen würden. Honorarkürzungen dürfen sich vielmehr auf das gesamte Honorar erstrecken, das auf rechtswidrige Weise erlangt wurde, ohne dass gegenzurechnen ist, was bei rechtmäßigem Verhalten als Honorar zu zahlen gewesen wäre; in solchen Fällen kann eine Honorarneufestsetzung im Wege einer Schätzung erfolgen. Diese Grundsätze gelten auch in Fällen des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft. Dabei können auch deutlich unter 50% liegende Quoten ausreichen, um Vergütungen, die bei Vorliegen einer Gemeinschaftspraxis nur einmal zu zahlen wären, beiden Ärzten zu kürzen (vgl. BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265, Rdnr. 9 ff.).

Eine "Beratung vor Regress" ist gesetzlich nur und erst seit Neuerem für eine Richtgrößenprüfung vorgeschrieben, nicht aber für ein Verfahren nach § 106a SGB V.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Berechnung des Berichtigungsbetrags nicht zu beanstanden.

Die Beklagte geht zunächst von der Anzahl gemeinsamer Patienten aus. Hiervon zieht sie einen nicht näher begründeten "Sicherheitsabschlag" von 30 % ab. Die darüber hinaus verbliebene Anzahl der Fälle teilt sie hälftig (50 %) auf die Praxisgemeinschaftspartner auf, wodurch weitere 50 % anerkannt werden. Im Ergebnis verbleibt dem Kläger damit ein Anteil von 34,7 % bis 52,7 % der gemeinsamen Fälle an seiner Gesamtzahl, wie sich aus nachfolgenden Berechnungen der Kammer ergeben. Spalte 6 zeigt jeweils die verbleibenden Fälle aufgrund des 30 %-Abzugs, Spalte 7 die verbleibenden Fälle aufgrund der 50 %-Aufteilung, Spalte 8 gibt die Differenz der Spalten 4 und 7 wieder und damit die Anzahl der nicht beanstandeten gemeinsamen Fälle, Spalte 9 deren Anteil an der Gesamtfallzahl (Spalte 2):

1 2 3 4 5 6 7 8 (4-7) 9 (8 von 2)
Quartal Fallzahl Gemeinsame Patienten Unplausible Fälle - 30% Unpl. Fälle 50 % Gesamt anerkannt Gesamt in %
IV/10 1.183 307 258 77 181 90 168 14,2
I/11 1.371 338 336 101 237 118 218 15,9

Zwar bestehen grundsätzlich Bedenken bei der Ausübung des Schätzungsermessens hinsichtlich des Gebots der Gleichbehandlung, da die Vorgehensweise der Beklagten zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Die Kammer hat aber bereits im Urteil vom 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - a.a.O., Rdnr. 59 die Kürzung nicht beanstandet, wenn trotz der Annahme allgemeiner Vertretungsfälle von unter 10 % und dem Aufgreifkriterium von 20 % einem Kläger erheblich mehr als 20 % gemeinsame Fälle nicht beanstandet worden sind. Die Kammer hat ausgeführt, die Schwankungsbreiten zwischen den beiden Klägern und den Quartalen beruhten auf der unterschiedlichen Anzahl gemeinsamer Fälle und der willkürlichen 30 %-Grenze. Wenn auch die Beklagte über diese Unterschiede keine Begründung abgegeben habe, so sehe die Kammer dies noch von dem Ermessen der Beklagten, das zu Pauschalierung berechtigte, als gedeckt an. Die Kammer hat dann im Urteil vom 29.01.2014 - S 12 KA 359/12 - die Kürzungen z. T. beanstandet, da diese Voraussetzungen nicht mehr durchgängig vorlagen. Sie hat ferner nochmals darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die ganz unterschiedlichen Auswirkungen Bedenken bzgl. einer gleichmäßigen Ermessensausübung (Art. 3 Abs. 1 GG) bestünden.

Das LSG Hessen hat nunmehr offen gelassen, ob diese unterschiedlichen Ergebnisse zur Rechtswidrigkeit der Ermessensausübung der Beklagten bei der Festsetzung des Rückforderungsbetrags führen, da der Kläger im konkreten Fall als Inhaber der verhältnismäßig größeren Praxis von dieser Berechnungsweise im Vergleich zu der Partnerin der Praxisgemeinschaft begünstigt werde und somit die Berechnungsweise insoweit jedenfalls nicht zu einer Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geführt habe. Mit der Vorinstanz sei davon auszugehen, dass allein pauschalierende Erwägungen zur Begründung des Kürzungsermessens nicht ausreichend sind, wenn dies zu einer Anerkennungsquote der patientenidentischen Behandlungsfälle von weniger als 20% und damit unterhalb des in der Richtlinie nach § 106a SGB V angegebenen Grenzwertes führe. Es reiche aber aus, dass die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung von unter 10% im Fachgruppendurchschnitt in Hessen einstelle und dieser Wert mit der Kürzung nicht unterschritten werde (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 -, Umdruck S. 25). Damit lässt das LSG Hessen eine Kürzung bis zu einem empirisch nicht belegten und für die Fachgruppen nicht differenzierten Grenzwert ohne Berücksichtigung einer Streubreite zu. Es kann hier offenbleiben, ob dem in dieser Allgemeinheit zu folgen ist. Jedenfalls dann, wenn wie hier Vertretungen bei stundenweiser Abwesenheit des Gemeinschaftspraxispartners erfolgt sind und insb. in größerem Umfang Einlesungen der Versichertenkarte vor Erbringung einer Leistung erfolgen (Vorabeinlesungen), kann ein Schätzungsermessen auch unter die Grenze von 20 % gemeinsamer Fälle ausgeübt werden.

Nach § 11 Abs. 2 ARL ist eine Abrechnungsauffälligkeit nur ab der genannten Grenzwerte zu vermuten. Eine solche Abrechnungsauffälligkeit bedeutet aber noch nicht, dass automatisch eine Honorarkürzung ausgesprochen werden kann, da nach § 12 Abs. 1 und 2 ARL erst dann die Kassenärztliche Vereinigung weitere Prüfungen durchführt mit dem Ziel, mit Hilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit verstoßen worden ist oder nicht. § 11 Abs. 2 ARL gibt damit aber eine Untergrenze an, ab deren Überschreiten erst eine weitere Prüfung stattfindet, ohne die eine Honorarkürzung nicht erfolgen kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass diese Untergrenze trotz der Feststellung, dass tatsächlich ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, auch als Kürzungsgrenze jedenfalls verbleibt, soweit nicht eine ergänzende substantiierte Prüfung ergibt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gestaltungsmissbrauch auch Unterhalb der Untergrenze zu unzulässigen Honorarverschiebungen geführt hat. Insofern beschränkt die für die Beteiligten verbindliche ARL (§ 106a Abs. 6 i. V. m. Abs. 5 Satz 3 SGB V) das Ermessen der Beklagten. In der genannten zusätzlichen Prüfung der Beklagten mit dem Ergebnis unzulässiger Vertretungen und Vorabeinlesungen liegt aber eine hinreichende Substantiierung der Begründung der Ermessensausübung vor.

Nicht zu beanstanden war auch bei der Berechnung der Kürzung die Einbeziehung des gesamten Honorars. Insofern war die Beklagte nicht gehalten, konkret die potentielle Mehrabrechnung zu berechnen, sondern konnte von Durchschnittswerten ausgehen.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Kammervorsitzenden.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der wirtschaftliche Wert folgt aus dem Rückforderungsbetrag. Dies ergab den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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