S 11 SO 9/17 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 SO 9/17 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 07.02.2017 bis 30.06.2017, längstens jedoch bis zur Entscheidung in einem Klageverfahren hinsichtlich des Widerspruchs der Antragsteller vom 01.02.2017 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.01.2017, Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Umfang der jeweiligen Regelleistungen sowie der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.

Gründe:

I.

Streitig ist ein Anspruch der Antragsteller auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegenüber der Antragsgegnerin.

Der 1966 geborene Antragsteller und die mit ihm verheiratete und 1968 geborene Antragstellerin sind ungarische Staatsbürger. Sie sind nach eigenen Angaben zum 01.02.2013 nach Deutschland eingereist. Seit Juni 2013 hält sich auch der am 1994 geborene Sohn ZA. in Deutschland auf. Dieser bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter Stadt Kassel und wohnt gemeinsam mit seinen Eltern, den Antragstellern, in einer Wohnung in der A-Straße in A-Stadt. Die Antragsteller haben in der Vergangenheit in Deutschland kurzzeitig geringfügig gearbeitet. Sie haben zeitweise Leistungen des Jobcenters Stadt Kassel erhalten. Aus der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin ergibt sich, dass den Antragstellern mit Bescheid vom 15.03.2016 ab Januar 2016 fortlaufend Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) in Höhe des jeweiligen Regelbedarfs nach Regelbedarfsstufe 2, der anteiligen Unterkunftskosten und teilweise unter Berücksichtigung des von der Antragstellerin erzielten Einkommens als Reinigungskraft (in Höhe von brutto 100,00 EUR monatlich) gewährt werden. Ein Änderungsbescheid vom 28.10.2016 bewilligt sodann Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII für die Zeit von Mai 2016 bis November 2016. Auch im Dezember 2016 hat die Antragsgegnerin Leistungen an die Antragsteller ausgezahlt.

Mit Schreiben vom 20.12.2016 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, sie würden aufgrund der seit dem 03.12.2015 ergangenen Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) als erwerbsfähige EU-Bürger zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erhalten. Aufgrund einer zum 01.01.2017 eingetretenen Gesetzesänderung zu § 23 SGB XII entfalle dieser Anspruch mit Ablauf des 31.12.2016. Sofern die Antragsteller keine Arbeitnehmereigenschaft aufweisen würden, kein Aufenthaltsrecht besitzen würden oder sich ihr Aufenthaltszweck allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergäbe, hätten sie keinen weiteren Anspruch auf Sozialhilfe. Ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland hätten die Antragsteller nur bei Erfüllung der Voraussetzungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU, § 2. Wenn die Antragsteller ihren Lebensunterhalt und ihren Krankenversicherungsschutz nicht selbst sicherstellen könnten, hätten sie kein Aufenthaltsrecht (§ 4 Freizügigkeitsgesetz/EU). Bis zu ihrer Ausreise könnten sie für längstens einen Monat nochmals eingeschränkte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, der Unterkunfts- und Heizkosten sowie zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erhalten. Außerdem könne ihnen für ihre Rückreise ein Darlehen für angemessene Fahrtkosten bewilligt werden. Das Schreiben stelle eine Anhörung nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Die Antragsteller äußerten sich hierzu nicht. Mit Bescheid vom 29.12.2016 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern für die Zeit ab 01.01.2017 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des geänderten Regelbedarfs (jetzt jeweils 368,00 EUR) des Erwerbseinkommens der Antragstellerin und der Unterkunftskosten wie bisher. Der Bescheid enthielt den Berechnungsbogen für den Monat Januar 2017 und in der dem Bescheid beigefügten Bescheinigung zur Inanspruchnahme von Vergünstigungen die Formulierung: "Die Leistung wird bis auf Weiteres gewährt. Anhaltspunkte für eine Beendigung der Leistung liegen gegenwärtig nicht vor."

Mit Bescheid vom 26.01.2017 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, die bisher nach dem Dritten Kapitel des SGB XII gewährten Leistungen stelle sie ein zum 01.02.2017. Zur Begründung führte sie aus, als Bürger der Europäischen Union seien die Antragsteller zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt, sofern sie die Voraussetzungen nach § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern erfüllen würden (Freizügigkeitsgesetz/EU). Nach eigenen Angaben seien die Antragsteller in der Vergangenheit zur Arbeitssuche bzw. Aufnahme einer Arbeit eingereist. Die geringfügige Beschäftigung der Antragstellerin begründe nach geltender Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes keinen Arbeitnehmerstatus im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes/EU. Hieraus könne kein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden. Die Antragsteller könnten ihren Lebensunterhalt sowie ihren Krankenversicherungsschutz nicht selbst sicherstellen. Sie hätten demnach gemäß § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU kein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Da sie kein Aufenthaltsrecht besitzen würden, seien sie gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Die Leistungen seien daher einzustellen.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 01.02.2017 legten die Antragsteller Widerspruch ein. Dazu wurde geltend gemacht, die Antragsteller hätten weiterhin Anspruch auf Gewährung existenzieller Leistungen. Die Neuregelung des § 23 SGB XII, der einen Leistungsausschluss für EU-Bürger definiere, die sich in Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche aufhalten würden, sei verfassungswidrig. Die Regelung verstoße gegen Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG, denn hieraus leite sich auch weiterhin ein Recht auf Gewährung des Existenzminimums ab. Laut einer Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) weise das BVerfG darauf hin, dass jedem Menschen, der sich in Deutschland faktisch aufhalte, ein Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum als Menschenrecht zustehe. Dieses sei migrationspolitisch nicht zu relativieren. Das Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sei dem Grunde nach unverfügbar und müsse eingelöst werden. Der Staat habe die Menschenwürde zu schützen und die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen – nicht abzuschaffen. Es obliege der Ausländerbehörde, die Voraussetzungen zu schaffen, um den Aufenthalt in Deutschland zu beenden. Solange dies nicht geschehen sei, hätten die Antragsteller Anspruch auf ungekürzte Leistungen.

Mit am 07.02.2017 beim Sozialgericht Kassel eingegangenem Schreiben beantragen die Antragsteller, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 01.02.2017 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.01.2017 festzustellen und hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt ab Antragstellung längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens und längstens für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum zu gewähren. Dazu wird geltend gemacht, der angefochtene Bescheid stelle die laufenden Leistungen der Antragsteller zum 01.02.2017 ein. Aus den bisherigen Bescheiden gehe hervor, dass die Antragsgegnerin dauerhaft SGB-XII-Leistungen bei unveränderter Bedarfslage habe gewähren wollen, so dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zu einer Fortbewilligung der Hilfe zum Lebensunterhalt führen müsse. Dazu sei auch auf Seite 5 des Änderungsbescheides vom 29.12.2016 zu verweisen. Dort heiße es: "Die Leistung wird bis auf Weiteres gewährt. Anhaltspunkte für eine Beendigung der Leistung liegen gegenwärtig nicht vor." Für den Fall, dass das Gericht dies anders sehen sollte, wäre auf jeden Fall der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begründet. Ein materielles Freizügigkeitsrecht sei nicht ersichtlich, so dass das Jobcenter Stadt Kassel nach Auffassung der Prozessbevollmächtigten nicht als Leistungsträger in Betracht komme. § 23 Abs. 3 SGB XII stehe einem Leistungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin nicht entgegen. Die Ausschlussregelung für EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht bzw. mit dem alleinigen Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitssuche sei im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als verfassungswidrig anzusehen. Die Vorschrift verstoße gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip aus Artikel 1 Abs. 1 GG und Artikel 20 Abs. 1 GG. Aus Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG leite sich ein Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums ab. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BVL 2/11) entschieden, dass jedem Menschen, der sich in Deutschland faktisch aufhalte, ein Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum als Menschenrecht zustehe. Das BVerfG führe zudem in einem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09) aus, dass dieses Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dem Grunde nach unverfügbar sei und eingelöst werden müsse. Der Staat habe die Menschenwürde zu schützen und die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, nicht abzuschaffen. Aus Sicht der Prozessbevollmächtigten gäbe es nur einen verfassungsgemäßen Weg, den Sozialleistungsbezug von EU-Bürgern zu beenden: Die rechtskräftige Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde mit anschließender Abschiebung. Ein bloßer Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung scheide vorliegend im Hinblick darauf aus, dass es um die Verwirklichung eines Menschenrechts gehe. Diesbezüglich werde auch auf einen Beschluss des SG Leipzig vom 02.12.2016 (S 5 AY 13/16 ER) hingewiesen. Darin gehe es um einen geduldeten Asylsuchenden. Soweit ein Anspruch aus § 23 SGB XII nicht abgeleitet werden könne, ergebe sich ein entsprechender Anspruch unmittelbar aus dem Grundgesetz nach Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG. Die Antragsteller hätten bis zum 31.01.2017 im unmittelbaren Leistungsbezug der Antragsgegnerin gestanden, deswegen sei von glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit weiterhin auszugehen. Zwischenzeitig würden auch zwei Beschlüsse in den Verfahren S 11 SO 7/17 ER und S 4 AS 20/17 ER vorliegen, die jeweils zu dem – im Rahmen eines im einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gebotenen vorläufigen – Ergebnis kämen, dass trotz anders lautendem Wortlaut ein Leistungsanspruch – weiterhin – aus § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII folge. Das im FreizügG/EU angelegte Verfahren zur Verlustfeststellung könne nicht durch eine andere Fachbehörde umgangen werden, indem die Rechte eines Unionsbürgers durch Entzug seiner Existenzgrundlage abgeschnitten würden. Soweit gehe das Prüfungsrecht anderer Fachbereiche respektive anderer Gerichtsbarkeiten definitiv nicht. Der Sozialhilfeträger dürfe auch nicht ohne Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Integration Leistungen an geduldete Ausländer einstellen, weil er meine, es liege kein Aufenthaltsrecht mehr vor. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Kompetenzzuweisungen und Verfahrensregelungen seien einzuhalten. Das Unionsrecht unterstelle, worauf die Beschlüsse zu Recht hinweisen würden, das Freizügigkeitsrecht, solange keine Verlustfeststellung erfolgt sei. Es liege kein illegaler Aufenthalt vor und insbesondere keine Ausreisepflicht. Der Verweis auf eine Selbsthilfemöglichkeit durch Ausreise sei nicht zu akzeptieren. Die von der Antragsgegnerin zitierten Beschlüsse anderer Gerichte würden nicht überzeugen, schon gar nicht der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 31.01.2017 (S 62 SO 628/16 ER). Die dortige Argumentation zur Relativierungsmöglichkeit eines Menschenrechts sei problematisch. Die Entscheidung lasse auch nicht den Unterschied zwischen Aufenthaltsgesetz und dem Freizügigkeitsgesetz erkennen. Nach Auffassung der Prozessbevollmächtigten sei es so, dass der Rechtsstatus eines EU-Bürgers grundsätzlich stärker sei als derjenige eines Drittstaatlers. Dann müssten aber die für diesen vom BVerfG aufgezeigten Grundsätze erst recht für EU-Bürger gelten. Festzuhalten bleibe, dass sich der Aufenthaltsstatus der Antragsteller nach mehr als sechsmonatigem Aufenthalt in Deutschland verfestigt habe und nach der Rechtsprechung des BSG daraus ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII folge.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt ab Antragstellung beim Gericht bis zu einem ins Ermessen des Gerichts gestellten Zeitpunkt zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Eilantrag vom 07.02.2017 abzulehnen.

Dazu führt die Antragsgegnerin aus, die Antragsteller seien durch zwei kostenrechtlich noch nicht abgeschlossene Verfahren vor dem angerufenen Gericht (S 6 AS 268/14 und S 6 AS 156/16) bekannt. Es handele sich um zwei erwerbsfähige ungarische Staatsbürger, die nach den bei der Stadt Kassel geführten Meldedaten am 01.02.2013 aus Ungarn nach Deutschland eingereist seien. Einreisegrund sei damals wohl eine Arbeitsaufnahme der Antragstellerin gewesen, die aber schon nach kurzer Zeit beendet worden sei, weil der Arbeitgeber den vereinbarten Lohn nicht gezahlt habe. Seitdem gehe die Antragstellerin lediglich einer geringfügigen Beschäftigung als Reinigungskraft mit einem monatlichen Verdienst von ca. 100,00 EUR nach. Hieraus ergebe sich kein Arbeitnehmerstatus. Für den Antragsteller seien außer einer Beschäftigung als Reinigungskraft bei einer Firma V. vom 08.10.2014 bis zum 13.11.2014 keine Beschäftigungsverhältnisse bekannt. Die Antragsteller würden unstreitig nicht über ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügigG/EU verfügen. Die Antragsgegnerin sei zu den beiden genannten Gerichtsverfahren beigeladen worden, in denen die Antragsteller zunächst gegen das Jobcenter der Stadt Kassel vorgegangen seien. Aufgrund der sich aus dem BSG-Urteil vom 03.12.2015 (B 4 AS 44/15 R) ergebenden Rechtslage sei die Antragsgegnerin gehalten gewesen, die dort geltend gemachten Ansprüche, soweit kein Arbeitnehmerstatus bestanden habe, anzuerkennen. Die Antragsteller hätten dann seit dem 01.01.2016 nach dem Dritten Kapitel des SGB XII und zuletzt zeitlich für den Monat Januar 2017 befristet HLU-Leistungen erhalten (Bescheid vom 29.12.2016 und einstellender Bescheid vom 26.01.2017). Die Antragsteller seien mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 auch dazu angehört worden, dass ihnen aufgrund der zum 29.12.2016 geänderten Rechtslage zukünftig keine Leistungen mehr bewilligt werden könnten. In rechtlicher Hinsicht sei der Eilantrag unbegründet, weil die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch und –grund glaubhaft gemacht hätten. Insbesondere würden sie dem verfassungsgemäßen Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 2 SGB XII n. F. unterfallen, wobei insoweit auch auf das Vorbringen der Antragsgegnerin im Verfahren S 11 SO 7/17 ER verwiesen werde. Der Leistungsausschluss sehe sich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (LSG Mainz, Beschluss vom 11.02.2016, L 3 AS 668/15 B ER mit vielen weiteren Nachweisen, Beschlüsse des LSG Celle vom 22.02.2016, L 9 AS 1335/15 B ER und vom 25.11.2016, L 11 AS 567/16 B ER).

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere oder unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG 79, 69 74 m. w. N.). Soweit dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in einem solchen Eilverfahren nicht möglich ist, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschlüsse v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rd.-Nr. 19, 26 und vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09, Rd.-Nr. 11, jeweils zitiert nach juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig und im austenorierten Umfang jedenfalls im Rahmen der sogenannten Folgenabwägung auch begründet.

Allerdings können die Antragsteller keine Weitergewährung der bisherigen Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII auf Grundlage des § 86 a Abs. 1 SGG erreichen, denn mit der Antragsgegnerin geht auch die erkennende Kammer davon aus, dass dem Widerspruch vom 01.02.2017 gegen den Bescheid vom 26.01.2017 keine aufschiebende Wirkung zukommt, weil mit dem Bescheid vom 26.01.2017 gerade kein Dauerverwaltungsakt (Bescheid vom 29.12.2016) geändert wird, damit Vertrauensschutz auslösende und über den 29.01.2017 hinausgehende Entscheidungen getroffen worden sind. Die dem Bescheid vom 30.12.2016 beigefügte Bescheinigung zur "Inanspruchnahme von Vergünstigungen" ändert hieran in Übereinstimmung mit der Auffassung der Antragsgegnerin nichts, weil diese Bescheinigung nur der Vorlage gegenüber Dritten dient und damit keinen eigentlichen Leistungs-Verfügungssatz regelt.

Indessen ist, anders wie die Antragsgegnerin meint, ihre (weitere), jedenfalls vorläufige Leistungsverpflichtung trotz der ab 29.12.2016 gültigen Neufassung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, BGBl. I, S. 3155) auf Grundlage der im Verfahren B 4 AS 44/15 R am 03.12.2015 ergangenen Entscheidung des BSG unter Beachtung der bedeutsamen verfassungsrechtlichen Grundsätze jedenfalls nach Maßgabe der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben.

Trotz der als Reaktion des Gesetzgebers auf die nicht gebilligte Rechtsprechung des BSG in der o. g. Entscheidung vorgenommenen Neufassung des § 7 Abs. 1 SGB II und des § 23 Abs. 3 SGB XII (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 2 B) mit einem nunmehrigen Leistungsanspruch für Ausländer nach § 23 SGB XII nach einem mindestens 5 Jahre dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung (vgl. § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII n. F.), führt das Erwerbsverhalten der Antragsteller seit 2013 und auch aktuell dazu, dass ein Leistungsanspruch der Antragsteller allein nach dem SGB XII angenommen werden muss. Eine Beiladung des Jobcenter Stadt Kassel scheidet daher aus. Dies begegnet auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken (vgl. statt vieler EuGH Rs Alimanovic vom 15.09.2015 – C – 67/14, Rd.-Nr. 63, zitiert nach juris).

Wegen des auch im Falle der Antragsteller (weiterhin) anzunehmenden Leistungsausschlusses im Rahmen des SGB II hat das BSG in der o. g. Entscheidung (a. a. O., zitiert nach juris, Rd.-Nr. 37) gleichwohl eine Leistungsberechtigung im Sinne des Sozialhilferechts angenommen, wenn ein Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht im Sinne des § 19 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 27 Abs. 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken kann. Dies ist indessen im Falle der Antragsteller wegen des bestandskräftigen Vorbezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII durch die Antragsgegnerin für die erkennende Kammer zweifellos zu bejahen.

Trotz der Bestimmung des § 23 Abs. 3 SGB XII (a. F. bis 28.12.2016) wonach Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthalt sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, hat das BSG in der o. g. Entscheidung (a. a. O., Rd.-Nr. 53 ff.) die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (a. F. und n. F.) bejaht. Es hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass das Ermessen des Sozialhilfeträgers in einem solchen Fall dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert sei. Dies hat es gerade für den Fall angenommen, dass sich das Aufenthaltsrecht des von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat (BSG a. a. O.). Ein solches Aufenthaltsrecht hat das BSG insbesondere bejaht (vgl. Rd.-Nr. 55, zitiert nach juris), wenn der tatsächliche Aufenthalt des Betroffenen in Deutschland auch noch nach Ablauf von 6 Monaten besteht. Es hat hier für den Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung angenommen, der nach geltendem Recht nur ausländerbehördlich entgegen getreten werden könne. Im Falle der Antragsteller gibt es keinerlei Anhalt für ein irgendwie geartetes Tätigwerden der zuständigen Ausländerbehörde im Hinblick auf eine Beendigung des inzwischen weit über 6 Monate, ausgehend vom 01.02.2013 sogar vier Jahre bestehenden Aufenthalts der Antragsteller in Deutschland. Hierzu hat das BSG ausgeführt: "Dieses nach Ablauf von 6 Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen" (vgl. BSG a. a. O., Rd.-Nr. 56). Schließlich hat das BSG in der genannten Entscheidung (Rd.-Nr. 57), der die erkennende Kammer insoweit voll umfänglich folgt, unmissverständlich auf Grundlage der Entscheidungen des BVerfG einen Anspruch von Betroffenen, wie den Antragstellern, auf Grundlage des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bekräftigt. Trotz der nicht zuletzt von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen von (anderen) Sozialgerichten in 2016 vehement geäußerten Kritik an der BSG-Rechtsprechung sieht sich das Gericht auch in Ansehung der gesetzlichen Neuregelung auf Basis verfassungsrechtlicher Grundsätze nicht gehindert, die weiterbestehende vorläufige Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers anzunehmen und damit die Antragsgegnerin zur vorläufigen Leistungsgewährung an die Antragsteller zu verpflichten.

Denn die Beachtung der maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze nach Vorgabe der BSG-Entscheidung, zu denen auch das erstinstanzlich tätig werdende Gericht verpflichtet ist, lassen es geboten erscheinen, in Abweichung vom bloßen Wortlaut der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB XII (n. F.) im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen Folgenabwägung eine (vorläufige) weitere Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt zu bejahen. Dabei kann nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass die Antragsgegnerin in dem früheren von den Antragstellern geführten Verfahren, zu denen die Antragsgegnerin beigeladen worden ist (S 6 AS 268/14 und S 6 AS 156/16) ihre Leistungsverpflichtung anerkannt und schließlich den Antragstellern für das gesamte Jahr 2016 Hilfe zum Lebensunterhalt auf Grundlage des SGB XII gewährt hat. Dies schafft jedenfalls vorliegend nach Auffassung der erkennenden Kammer einen so weitgehenden Vertrauensschutz, dass die zulasten der Antragsteller übergangslos mit Wirkung ab 29.12.2016 geltende Bestimmung des § 23 Abs. 3 SGB XII unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (vorläufig) anders zu bewerten ist als etwa im Falle eines Neu-Antragstellers im Jahr 2017. Die vom Gesetzgeber mit der Neuregelung vorgesehenen Überbrückungsleistungen, auch in Härtefällen sowie für den Fall der Rückreise (vgl. § 23 Abs. 3 S. 3, S. 5 und Abs. 3 a SGB XII, n. F.) stellen keinen verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich für den Wegfall der grundsätzlichen Hilfeleistung von einem Tag auf den anderen dar (vgl. trotz grundsätzlicher Bestätigung des Leistungsausschlusses nach dem neuen § 23 Abs. 3 SGB XII, Beschluss des SG Dortmund, 31.01.2017, S 62 SO 628/16 ER, zitiert nach juris, Rd.-Nr. 44 und 45).

Wegen der durchaus zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit (auch) der Neuregelung des § 23 Abs. 3 SGB XII ab 29.12.2016, die wegen der Dringlichkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht erschöpfend und abschließend von der erkennenden Kammer geprüft werden kann, ist zur Vermeidung einer existenziellen Notlage der Antragsteller, die bei ungewissem Ausgang des Hauptsacheverfahrens (nachträglich) nicht mehr ausgeglichen werden kann, wie austenoriert die vorläufige Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin auszusprechen. Da die Antragsgegnerin selbst bis einschließlich 31.01.2017 die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller nicht in Frage gestellt hat, besteht auch für die erkennende Kammer ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht ab 07.02.2017 kein Anlass, an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller für den vorläufig festgelegten Leistungszeitraum zu zweifeln. Vom Vorliegen des Anordnungsgrundes wird daher ausgegangen. Nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit war die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin jedoch bis 30.06.2017 zu begrenzen. Dabei geht die erkennende Kammer davon aus, dass die Antragsgegnerin auf jeden Fall diese Entscheidung beim Hessischen Landessozialgericht in einem Beschwerdeverfahren überprüfen lassen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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