S 14 AS 1709/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1709/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch nach der Neufassung des § 15 Abs. 3 SGB II darf die Höchstgeltungsdauer von 6 Monaten ohne Ermessenserwägungen nicht überschritten werden, soweit es sich um einen Eingliederungsverwaltungsakt gem. § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II handelt.
1. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2017 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017.

Die am XXX geborene Klägerin befindet sich im laufenden Leistungsbezug des Beklagten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt wurden ihr Leistungen für den Zeitraum bis 31.12.2017 gewährt.

Nachdem die Klägerin auf die Überlassung einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II nicht reagierte und eine solche dementsprechend nicht zustande kam, legte der Beklagte einseitig mittels Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 Leistungen zur Integration der Klägerin in den Arbeitsmarkt fest. Die Gültigkeitsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes wurde für die Zeit vom 03.04.2017 bis "auf weiteres" festgesetzt. Der Verwaltungsakt könne mit einer Nebenbestimmung versehen werden. Hiervon werde Gebrauch gemacht um die Gültigkeit zu konkretisieren. Die Inhalte des Bescheides würden regelmäßig überprüft und im gegebenen Falle mit neuem ersetzendem Verwaltungsakt fortgeschrieben. Dies erfolge insbesondere, wenn eine wesentliche Änderung in den persönlichen Verhältnissen eine Anpassung der vereinbarten Maßnahmen, Leistungen des Jobcenters und der Pflichten der Klägerin erforderlich mache. Das Gleiche gelte, wenn das Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt nur aufgrund von Anpassungen und Änderungen erreicht bzw. beschleunigt werden könne.

Die Klägerin wiedersprach dem Eingliederungsverwaltungsakt. Die aufgeführten Eingliede-rungsleistungen stellten keine Leistungen zur Eingliederung im Sinne des SGB II dar. Des Weiteren sei kein konsensualer Abschluss angestrebt worden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2017 zurück. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 halte einer Überprüfung stand.

Hiergegen richtet sich die am 22.05.2017 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobene Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 03.04.2017 be-gehrt. Sie trägt zusammengefasst vor, der Eingliederungsverwaltungsakt sei rechtswidrig da dieser keine konkreten Leistungszusagen enthalte, sondern lediglich reine Ermessensleistun-gen.

Die Klägerin beantragt,

den Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 20.04.2017 aufzuheben.

Der Beklagtenvertreter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den angegriffenen Eingliederungsverwaltungsakt für rechtmäßig und verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte Band IV des Beklagten sowie auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg. Der angegriffene Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2017 ist aufgrund seiner unbestimmten Geltungsdauer und fehlender konkreter Regelung zur Überprüfung der Inhalte rechtswidrig und daher aufzuheben.

1. Der Beklagte hat für den Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 keine Beschrän-kung der Geltungsdauer vorgenommen. Eine solche ergibt sich auch nicht aus einer Ne-benbestimmung.

Rechtsgrundlage des angegriffenen Eingliederungsverwaltungsaktes vom 03.04.2017 stellt § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 dar. Demnach sollen die Regelungen nach § 15 Abs. 2 SGB II durch Verwaltungsakt getroffen werden, wenn eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Leistungsberechtigten nicht zustande kommt. Die Eingliederungsvereinbarung soll gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben wer-den. Eine Beschränkung der Geltungsdauer einer Eingliederungsvereinbarung lässt sich dem Wortlaut der Neuregelung des § 15 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 (n.F.) im Ge-gensatz zu der Vorgängerregelung des § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der Fassung vom 24.03.2011 (a.F.), wonach eine Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden soll, nicht entnehmen. Der Gesetzgeber hat mit der vom 26.07.2016 geschaffenen Neufassung des § 15 SGB II keine ausdrückliche Änderung hinsichtlich der Geltungsdauer von Eingliederungsverwaltungsakten nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n.F. (vorher: § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II a.F.) vorgenommen. Der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8041, S. 36) lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber in Bezug auf den Eingliederungsverwaltungsakt neue Regelungen, insbesondere die Möglichkeit von "unbefristeten" Eingliederungsverwaltungsakten treffen wollte.

Die Neufassung des § 15 SGB II war nach den Ausführungen der Gesetzesbegründung vor allem von dem Wunsch getragen, die Eingliederungsvereinbarung als das maßgebli-che Werkzeug zur Planung und Gestaltung des Eingliederungsprozesses und zur Festle-gung gegenseitiger Rechte und Pflichten zu unterstreichen. Im Interesse eines kontinuier-lichen Eingliederungsprozesses wurde die Laufzeit der Eingliederungsvereinbarung nicht mehr regelhaft auf 6 Monate festgelegt, sondern als spätestem Zeitpunkt für die Überprüfung und Aktualisierung der Vereinbarung geregelt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II n.F. soll die Eingliederungsvereinbarung regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Diese Neuregelung folgt dem gesetzgeberischen Regelungskonzept von Eingliederungsvereinbarung und zielgerichteter Eingliederung in Arbeit. Der Gesetzgeber hat zudem zum Ausdruck gebracht, dass eine hoheitliche Festsetzung nur dann angemessen ist, wenn im Integrationsprozess eine einverständliche Regelung über Leistungen und Pflichten nicht gelinge, aber eine verbindliche Festlegung erforderlich sei.

Die Aufgabe einer festen Laufzeit von 6 Monaten für Eingliederungsvereinbarungen be-trifft daher nach Auffassung der Kammer nicht die hoheitliche Festsetzung durch Eingliederungsverwaltungsakte gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n.F. (vgl. im Ergebnis ebenso Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08. Juni 2017 – L 16 AS 291/17 B ER –, juris). Aus dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine unbefristete Regelungen zur Eingliederung des Leistungsempfängers durch hoheitliche Festlegung möglich sein soll. Dies wiederspräche nach Auffassung der Kammer auch der Intention des Gesetzgebers, wonach ein kontinuierlicher Eingliederungsprozesses mit ständiger Aktualisierung, spätestens nach Ablauf von 6 Monaten, erfolgen soll. Deshalb ist die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn die Geltungsdauer von 6 Monaten ohne Ermessenserwägungen überschritten wird (BSG, Urteil vom 14.02. 2013 - B 14 AS 195/11 R -, BSGE 113, 70-75, SozR 4-4200 § 15 Nr. 2), auch auf Eingliederungsverwaltungsakte nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n.F. anzuwenden. Dann ist auch nach neuem Recht davon auszugehen, dass die Überprüfungsfrist von sechs Monaten bei fehlender Ermessensausübung die Höchstfrist für eine einseitig festzulegende Laufzeit bei einem Eingliederungsverwaltungsakt ist (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08. Juni 2017 – L 16 AS 291/17 B ER –, juris m.w.N.).

Selbst wenn man davon ausginge, dass nach der neuen Gesetzesfassung im Rahmen der Festlegung durch Verwaltungsakt gem. § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n.F. keine Höchstfrist von 6 Monaten als feste Laufzeit geregelt werden muss, verstößt der hier streitige Eingliederungsverwaltungsakt jedenfalls gegen die vom Gesetzgeber vorgesehene Überprüfungs- und Fortschreibungspflicht spätestens nach Ablauf von sechs Monaten (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II n.F.). Der Beklagte regelt im Rahmen des angegriffenen Eingliederungsverwaltungsaktes lediglich pauschal, dass die Inhalte des Bescheides regelmäßig überprüft und im gegebenen Falle mit neuem ersetzendem Verwaltungsakt fortgeschrieben würden. Eine konkrete Frist für die Überprüfung lässt sich nicht entnehmen. Dies wiederspricht jedoch bereits dem Grundgedanke der neuen Gesetzesregelung, wonach spätestens nach 6 Monaten aufgrund der Erfahrungen und des Verlaufs der bisherigen Leistungen zur Eingliederung Anpassungen erfolgen sollen, die auch dokumentiert werden müssen. Eine solche Überprüfung erfolgte im Übrigen auch nach Mitteilung des Beklagtenvertreters im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2017 nicht. Auch aus diesem Grund ist der Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.04.2017 nach Auffassung der Kammer rechtswidrig.

Der Klage war daher stattzugeben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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