S 4 P 34/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 4 P 34/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 36/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 16/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung von zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI für die Klägerin.

Am 17.02.2015 beantragte die 1976 geborene Klägerin Leistungen nach dem SGB XI. Zur Prüfung des Antrags ließ die Beklagte am 23.03.2015 durch den Pflegegutachter D. ein Pflegegutachten erstellen (Bl. 7-12 Verwaltungsakte). Dieser kam zu dem Ergebnis (Seite 5 des Gutachtens, Blatt 8 VA), dass kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehe und insgesamt keine Pflegedürftigkeit nach dem SGB XI vorliege. Mit Bescheid vom 25.03.2015 (Blatt 13 VA) lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für zusätzliche Betreuungsleistungen ab. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 01.04.2015 (Blatt 14 VA) Widerspruch, zu dessen Begründung sie vortrug, es liege ein erheblicher Betreuungsbedarf vor. Aufgrund der erlebten Vergewaltigungen und Bedrohungen, die sie bis heute nicht verarbeitet habe, käme sie mit dem Leben alleine nicht zurecht. Bei dem Amtsgericht Kirchhain laufe ein Verfahren auf Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung. Im Widerspruchsverfahren ließ die Beklagte ein weiteres Pflegegutachten durch E. am 09.07.2015 erstellen (Blatt 21-27 VA). Dieses Gutachten kam zu dem Ergebnis (Seite 6 d.G., Blatt 22 VA), dass kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehe. Weiter stellte das Gutachten fest, dass die Alltagskompetenz der Klägerin nicht erheblich eingeschränkt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2015 (Bl. 54-57 VA) wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 02.11.2015 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben (Bl. 1 d. A.). Zur Begründung trägt sie vor, der Pflegebedarf werde im Wesentlichen mit ihrer Vergesslichkeit begründet. Sie könne sich das Essen nicht alleine zubereiten, weil dies dazu führen würde, dass das Haus abbrenne. Der Lebenspartner müsse bei der Essenzubereitung immer dabei sein, wenn sie koche. Die Klägerin habe erhebliche Probleme mit ihrer Motorik. Sie könne mit gefährlichen Gegenständen wie Messer nicht umgehen, so dass bei ihr eine Verletzungsgefahr bestehe.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 25.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre im Vorverfahren getroffenen Feststellungen und trägt ergänzend vor, auch durch das im Gerichtsverfahren eingeholte neue Pflegegutachten sei der Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung zusätzlicher Betreuungsleistungen nicht geführt worden.

Das Gericht hat im Rahmen der gemäß § 103 SGG vorzunehmenden Sachverhaltsermittlungen, um das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit der Klägerin zu beurteilen und die vorliegende Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage stellen zu können, mit Beweisanordnung vom 23.03.2016 bei der Gesundheitspflegerin und Pflegesachverständigen, A., ein Pflegegutachten nach § 106 SGG in Auftrag gegeben. Frau A. hat das Gutachten unter dem Datum des 07.04.2016 dem Gericht vorgelegt (Bl. 27-43 d. A.). Aufgrund des Vortrags der Klägerseite im Schriftsatz vom 20.06.2016 (Blatt 49-50 d.A.) hat das Gericht bei der Pflegesachverständigen eine ergänzende Stellungnahme angefordert. Die Gutachterin A. hat mit Schriftsatz vom 03.07.2016 (Blatt 54 d.A.) ausgeführt, sie könne zu dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin keine detaillierte Stellungnahme vorlegen, da sich der Schriftsatz nicht auf das von ihr gefertigte Gutachten beziehe.

Das Gericht hat die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte zu dem Rechtsstreit beigezogen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten zur Sachverhaltsermittlung und dem Vorbringen der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht nach ordnungsgemäß durchgeführtem Vorverfahren erhobene Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Bewilligung zusätzlicher Pflegeleistungen nach § 45b SGB XI, denn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sind zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der durchgeführten Sachverhaltsermittlungen nicht erfüllt. Der mit vorliegender Klage angefochtene Bescheid vom 25.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2015 hat sich nach Überprüfung durch das Gericht als rechtmäßig erwiesen.

Nach § 45b SGB XI können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Nach Satz 4 von § 45b Abs. 1 SGB XI beschließt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen unter Beteiligung des medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V., der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene und der maßgeblichen Organisation für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der Pflegebedürftigen und behinderten Menschen auf Bundesebene Richtlinien über einheitliche Maßstäbe zur Bewährung des Hilfebedarfs aufgrund der Schädigungen und Fähigkeitsstörungen in den in § 45a Satz 2 Nr. 1 bis 13 aufgeführten Bereichen für die Empfehlung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur Bemessung der jeweiligen Höhe des Betreuungs- und Entlastungsbetrages. Die Vorschrift des § 45b Abs. 1 SGB XI regelt Geldleistungen der Pflegeversicherung für die Inanspruchnahme zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsmaßnahmen bei häuslicher Pflege. Sie bezog sich bis zum Pflegestärkungsgesetz I ausschließlich auf Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Im Pflegestärkungsgesetz I wurde die Vorschrift auch für Pflegebedürftige geöffnet, die die Voraussetzungen des § 45a nicht erfüllen, aber wenigstens der Pflegestufe 1 zugeordnet sind. Der Gesetzgeber will hierdurch eine größere Flexibilität bei der Inanspruchnahme häuslicher Pflege- und Betreuungsleistungen erreichen; etwa dadurch, dass (nach Absatz 3) Leistungsbeträge der Pflegesachleistung, die bislang nur für Maßnahmen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung durch zugelassene Pflegedienste verwendet werden konnten, nunmehr im Wege der Kostenerstattung für niederschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen eingesetzt werden könne (vgl. Peter Udsching, Kommentar zum SGB XI, 4. Aufl. 2015, § 45b Anm. 2 und 4).

Um den Klageantrag prüfen und eine tragfähige Entscheidung treffen zu können, hat das Gericht bei der Pflegesachverständigen A. ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben. In der Beweisanordnung vom 23.03.2016 ist die Gutachterin explizit beauftragt worden, die Klägerin in der häuslichen Umgebung aufzusuchen und zu ermitteln und festzustellen, ob und welche zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI bei der Klägerin erforderlich sind. Weiter ist die Gutachterin gebeten worden, die einzelnen Betreuungs- und Entlastungsleistungen aufzulisten und deren Notwendigkeit möglichst ausführlich zu begründen. In ihrem Gutachten vom 07.04.2016 hat die Gutachterin die Feststellungen ihres Hausbesuches auf den Seiten 7 bis 15 ausführlich dargestellt und insbesondere auch den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung beschrieben. In der Beantwortung der von dem Gericht gestellten Beweisfrage führt die Gutachterin auf Seite 16 des Gutachtens wörtlich aus: "Nach Auswertung der angewandten Tests, dem Gespräch mit der Klägerin und deren Lebensgefährten, kam die Gutachterin zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine zusätzlichen Betreuungskosten- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI erforderlich sind. In den angewandten Tests und bei dem Gespräch mit der Klägerin wurde deutlich, dass weder die Alltagskompetenz auf Dauer erheblich eingeschränkt ist, noch Hilfe bei der Grundpflege oder den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten erforderlich sind. Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen sind nicht notwendig."

Das Gericht hat das Gutachten von Frau A. ausführlich geprüft und gewürdigt. Es enthält alle notwendigen Aussagen, um den Klageantrag prüfen und beurteilen zu können. Nach dem Ergebnis des Gutachtens war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGB, die Rechtsmittelbelehrung auf §§ 143, 144 SGG.
Rechtskraft
Aus
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