L 18 AL 182/17 B ER ZVW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AL 63/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 182/17 B ER ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Mai 2017 aufgehoben und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt, soweit das Sozialgericht die Antragsgegnerin einstweilen zur Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit ab 1. Juli 2017 verpflichtet hat. Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 15. März 2017 bis 30. Juni 2017 in Höhe von monatlich 275,- EUR verpflichtet wird, für März 2017 entsprechend anteilig. Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet, sofern der Antragsteller seinen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mangels insoweit im Schriftsatz vom 14. November 2017 eindeutig erklärter prozessualer Erledigungserklärung (auch) für die Zeit ab 1. Juli 2017 weiterverfolgt. Ein Bedürfnis für die Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes ist für Leistungszeiträume ab 1. Juli 2017 in Ansehung der zwischenzeitlich für die Zeit ab 1. Juli 2017 erfolgten Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) bis 9. Oktober 2018 (vgl zuletzt Bescheid vom 18. September 2017) nicht (mehr) ersichtlich (vgl auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Beschluss vom 28. September 2017 – 1 BvR 1510/17 – Rn 24). Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben, soweit das Sozialgericht (SG) eine Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Zeit ab 1. Juli 2017 verlautbart hat. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit insoweit ein fortdauernder Grund bestünde, diese Anordnung aufrechtzuerhalten, zumal dem Antragsteller nach seinem Vortrag seit dem genannten Datum "die beantragte Leistung nun gewährt wird" (vgl Schriftsatz vom 14. November 2017).

Im Übrigen ist die Beschwerde indes nicht begründet und war mit der im Tenor konkretisierten Maßgabe zurückzuweisen. Für die noch zulässig streitbefangene Zeit vom 15. März 2017 (Antragseingang) bis 30. Juni 2017 ist ein Anordnungsgrund iS eines zur Vermeidung anders nicht rückgängig zu machender Nachteile unabweisbar dringenden Regelungsbedürfnisses dargetan. Allein der zwischenzeitliche Zeitablauf vermag hieran nichts zu ändern. Denn der Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) verbietet es, die Beurteilung des Vorliegens eines Anordnungsgrundes vom Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abhängig zu machen. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller hier die Verzögerungen durch die erfolgte Zurückverweisung und erneute Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht zu vertreten hat. Der Antragsteller kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass er sich hätte bemühen müssen, das Ziel, wenigstens vorübergehend existenzsichernde Leistungen zu erhalten, auch durch einen Antrag auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu erreichen (vgl zur im Eilrechtsverfahren grundsätzlich möglichen Verweisbarkeit auf subsidiäre SGB XII-Leistungen Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2017 – VfGBbg 1/16 – juris). Denn er hatte entsprechende Leistungen bei der Stadt Brandenburg an der Havel als zuständigem Träger nach entsprechender Zuweisungsentscheidung – erfolglos – beantragt (vgl Bescheid vom 6. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2016).

Dem Antragsteller steht im Hinblick auf die vorliegend fachgerichtlich nicht abschließend geklärte Rechtslage zu § 132 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der seit 6. August 2016 geltenden Fassung, nach der ein Anspruch des Klägers jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen sein dürfte, in Ausfluss der insoweit vorzunehmenden und verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung auch ein Anordnungsanspruch in der verlautbarten Höhe zu. Die danach erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Die Nachteile, die ihm bei Ablehnung des Antrags bei angenommener Begründetheit der Klage in der Hauptsache entstünden, erweisen sich als schwerwiegender als die die Antragsgegnerin treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrags und angenommener Unbegründetheit der Hauptsache. Die vom SG ausgesprochene vorläufige Verpflichtung zur Bewilligung von BAB für die Zeit vom 15. März 2017 bis 30. Juni 2017 betreffen das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum des Antragstellers (vgl auch BVerfG aaO Rn 22), zumal Leistungen nach dem AsylbLG abgelehnt worden sind. Die durch eine Ablehnung des Antrags danach bewirkte erhebliche Beeinträchtigung für einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten kann nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, da der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht (sog Gegenwärtigkeitsprinzip; vgl BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, juris Rn. 19 mwN). Die Gefahr der Uneinbringlichkeit eines Rückforderungsanspruchs bezüglich der insoweit zu leistenden Zahlungen, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass diese ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, überwiegt die Interessen des Antragstellers nicht.

Hinsichtlich der Höhe der Leistungen verweist der Senat auf den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. September 2017, gegen den der Antragsteller, der seine Ausbildungsvergütung zur Existenzsicherung einzusetzen hat, Einwendungen nicht erhoben hat. Berechnungsfehler sind im Übrigen nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt einerseits, dass die Rechtslage abschließend noch nicht geklärt ist und die Antragsgegnerin zudem nach Änderung der Weisungslage einen BAB-Anspruch des Antragstellers unverzüglich anerkannt hat.

Dem Antragsteller war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen, weil die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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