26 AS 3938/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
26 AS 3938/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist dem Erlass einer einstweiligen Anordnung jedenfalls im Falle eines Umzuges innerhalb des regionalen Vergleichsraums, für den der bisherige kommunale Träger örtlich zuständig bleibt, nicht zugänglich.

Bei dem durch eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II für den Hilfebedürftigen
vermittelten Grad an Planungssicherheit handelt es sich nicht um eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition, zu deren Wahrung einstweiliger Rechtsschutz vor den
Sozialgerichten geboten ist. So weit reicht das grundgesetzliche Gebot effektiven Rechtsschutzes des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG – nicht.

Der notwendige Grundrechtsschutz zur Sicherung des Grundbedürfnisses "Wohnen" findet
in diesen Fällen unmittelbar über die Vorschrift des § 22 Abs. 1 SGB II und ggf. auch über § 22 Abs. 6 SGB II statt. Die entsprechenden Entscheidungen des Grundsicherungsträgers sind dabei auch grundsätzlich dem Erlass einer einstweiligen Anordnung zugänglich
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 – 1 BvR 1910/12; SächsLSG,
Beschluss vom 29.8.2016 – L 8 AS 675/16 B ER).
1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. 3. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für die 1. Instanz gewährt und zur Wahrnehmung ihrer Rechte Rechtsanwalt B ... beigeordnet. Derzeit sind keine Raten zu zahlen. Zahlungen aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.

Gründe:

Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zusicherung zur Übernahme der Kosten von Unterkunft und Heizung für die Wohnung W 156 in A ... zu erteilen,

war abzulehnen, weil der Antrag bereits unzulässig ist. Die Unzulässigkeit folgt hier schon daraus, dass die Antragstellerin für einen solchen Antrag allein nicht aktivlegitimiert ist.

Die Antragstellerin lebt in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, ihren zwei leiblichen Kindern und einem Stiefkind und steht zusammen mit den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug des Antragsgegners (§ 7 Abs. 3 SGB II). Der Antragsgegner übernimmt dabei auch die Unterkunftskosten der Bedarfsgemeinschaft (§ 22 SGB II). Hierbei handelt es sich um individuelle Ansprüche der jeweiligen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 19 Abs. 1 SGB II), die im Streitfalle durch diese selbst geltend zu machen sind. Minderjährige handeln dabei durch ihre gesetzlichen Vertreter (vgl. § 71 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Der Individualisierungsgrundsatz im Recht der Grundsicherung nach dem SGB II gilt auch für die hier begehrte Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II, wie sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, in der auf "die leistungsberechtigte Person" abgestellt wird. Das heißt, dass jede leistungsberechtigte Person entsprechend ihres individuellen Anspruchs auf Übernahme angemessener Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II auch selbst eine Zusicherungsentscheidung herbeiführen muss. Sofern eine Bedarfsgemeinschaft insgesamt umziehen will, folgt daraus, dass jedes (leistungsberechtigte) Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das die künftige Unterkunft bewohnen will, die Zusicherung formell beantragen muss. Ein einzelnes Mitglied kann weder für seinen eigenen Anteil an den Unterkunftskosten noch als alleiniger Adressat einer solchen Entscheidung zugleich eine Zusicherungsentscheidung für alle weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft herbeiführen. Dies gilt auch für die Person, die nach § 38 SGB II die Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem Leistungsträger vertritt.

Nur durch eine solche formelle Beteiligung aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Antragsverfahren kann eine Zusicherungsentscheidung nach § 22 Abs. 4 SGB II eine rechtliche Bindungswirkung für die nach erfolgtem Umzug nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II fällige Entscheidung auch für alle Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaft entfalten. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass nach einem Umzug bei einigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft höhere Unterkunftskosten anerkannt würden als bei anderen und dadurch die an sich gleichmäßige Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen, die auch der Verfahrensvereinfachung dient, nicht mehr möglich wäre.

Damit fehlte einem nur durch ein Mitglied einer aus mehreren Mitgliedern bestehenden Bedarfsgemeinschaft gestellten Antrag auf Zusicherung bereits das Sachbescheidungsinteresse. Für das Verwaltungsverfahren dürfte man hier allerdings im Wege der Auslegung noch von einem Antrag der Antragstellerin ausgehen, die diese in ihrer Eigenschaft als Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft für alle weiteren Mitglieder gestellt hat (§ 38 SGB II). Im gerichtlichen Verfahren verbietet sich eine solche Auslegung, da in der Antragsschrift ausdrücklich nur die Antragstellerin als Aktivpartei bezeichnet ist (vgl. § 92 Abs. 1 SGG). Raum für eine Einbeziehung auch der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in den Antrag bietet vorliegend auch nicht die weitere Antragsbegründung der anwaltlich vertretenden Antragstellerin.

Wäre es aber der Antragstellerin schon Verwaltungsverfahren verwehrt gewesen, Rechte der weiteren Mitglieder in Bezug auf § 22 Abs. 4 SGB II in eigener Person geltend zu machen, gilt dies erst recht im Gerichtsverfahren, so dass der Antrag schon aus diesem Grund als unzulässig abzulehnen ist. Die engen Voraussetzungen für das Vorliegen einer gewillkürten Prozessstandschaft liegen hier nicht vor, eine gesetzliche Prozessstandschaft ist ohnehin nicht gegeben.

Aber auch für den Fall, dass man die Antragstellerin insoweit für berechtigt hielte, wäre der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGG i.V. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – abzulehnen. Eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist dem Erlass einer einstweiligen Anordnung jedenfalls im Falle eines Umzuges innerhalb des regionalen Vergleichsraums, für den der bisherige kommunale Träger örtlich zuständig bleibt, nicht zugänglich.

Die Einholung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II, der nach Auffassung der Kammer auch für einen Umzug innerhalb des gleichen Vergleichsraums und bei fortbestehender örtlicher Zuständigkeit des bisherigen Leistungsträgers einschlägig geblieben ist, ist für den Hilfebedürftigen nicht verpflichtend, sondern nur eine Obliegenheit. Diese Form der Zusicherung hat nur Warnfunktion und ist keine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme von Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 29.4.2015 – B 14 AS 6/14 R). Das heißt, dass der Grundsicherungsträger auch ohne eine vorherige Zusicherung – nach erfolgtem Umzug – an den Kriterien des § 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II zu messen hat, ob er die tatsächlichen Wohnungskosten übernehmen muss. Ein Automatismus, wonach der Grundsicherungsträger ohne die vorherige Zustimmung stets nur die bisherigen Kosten übernehmen muss, besteht somit nicht.

Dazu kommt, dass die Behörde bei der späteren Entscheidung über die Unterkunftskosten – ggf. bereits bei einer Entscheidung über Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II – auch im Falle einer positiven Entscheidung nach § 22 Abs. 4 SGB II erstmals noch zu prüfen hätte, ob der Umzug in die neue Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II erforderlich war. Die Prüfung der Erforderlichkeit fällt hier nicht weg, weil der Umzug nicht über die Grenzen des örtlichen Vergleichsraums hinweg stattfinden soll (vgl. BSG, Urteil vom 1.6.2010 – B 4 AS 60/09 R). Anders als nach der bis zum 31.7.2016 gültigen Rechtslage – insofern ist der Hinweis auf die Erforderlichkeit des Umzugs am Ende der Zusicherungsentscheidung des Antragsgegners unzutreffend – musste der Antragsgegner diese Prüfung bei der hier beantragten Entscheidung noch nicht vornehmen.

Bietet somit die begehrte Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II aus zweierlei Gründen keine gesicherte Rechtsposition, die dem Hilfebedürftigen in Bezug auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft nach dem Umzug die notwendige Rechtssicherheit verschafft, besteht zur Wahrung der Rechte der Antragstellerin bzw. der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft kein Rechtsschutzbedürfnis für die Herbeiführung einer Zusicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Dabei ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass mit einer solchen Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden wäre, die nur in Ausnahmefällen zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes bei drohender schwerwiegender und irreparabler Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter zulässig ist (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 26.10.2015 – L 7 AS 932/15 B ER).

In der jetzigen Form kann mit der Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II nicht mehr erreicht werden, als in erster Linie eine verbindliche Information darüber, dass die Vorauszahlungen für die konkret zur Prüfung gestellten Unterkunft innerhalb oder außerhalb der kommunalen Angemessenheitsgrenzen liegen. Bestenfalls können darüber hinaus Ausnahmegründe geltend gemacht werden, die zur Zusage einer Übernahme von Kosten führen, die über den Angemessenheitsgrenzen liegen. Insofern verleihen diese Informationen dem Hilfebedürftigen ein Mindestmaß an Planungssicherheit und erfüllen damit zugleich eine Filterfunktion zur Vermeidung von Umzügen in zu teure Wohnungen. Dieser durch eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II vermittelte Grad an Planungssicherheit ist jedoch für den Grundrechtsschutz des Hilfebedürftigen nicht von solcher Bedeutung, dass zur Wahrung dieser Rechtsposition einstweiliger Rechtsschutz vor den Sozialgerichten geboten erschiene. So weit reicht das grundgesetzliche Gebot effektiven Rechtsschutzes des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG – nicht. Der Schutz des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG hier in Form der Sicherung des Grundbedürfnisses "Wohnen" findet in diesen Fällen unmittelbar über die Vorschrift des § 22 Abs. 1 SGB II und ggf. auch über § 22 Abs. 6 SGB II statt. Die entsprechenden Entscheidungen des Grundsicherungsträgers sind dabei grundsätzlich dem Erlass einer einstweiligen Anordnung zugänglich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 – 1 BvR 1910/12; SächsLSG, Beschluss vom 29.8.2016 – L 8 AS 675/16 B ER).

Letztlich wäre darüber hinaus auch ein Anordnungsanspruch, ein materieller Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II, nicht glaubhaft gemacht. So ist nicht nachvollziehbar, dass hier, wie die Antragstellerin meint, die Angemessenheitsgrenzen für einen 6-Personen-Haushalt herangezogen werden müssten. Der zeitweise Aufenthalt des Y. oder J. A ... war bisher auch in den vorhandenen fünf Räumen der von der Bedarfsgemeinschaft noch bewohnten Wohnung möglich. Der Umzugswunsch geht deshalb gerade nicht auf die bessere Unterbringung des Sohnes des Ehemanns der Antragstellerin zurück, sondern auf die in der Antragsschrift geltend gemachten Unstimmigkeiten mit dem Vermieter. Dass eine 5-Zimmer-Wohnung zu den in den kommunalen Richtlinien des Antragsgegners festgelegten Angemessenheitsgrenzen im maßgebenden Vergleichsraum nicht zur Verfügung stünde, hat die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Hierzu hat die Antragstellerin bislang nur vorgetragen, dass größere Wohnungen nicht gefunden werden konnten. Offensichtlich meint die Antragstellerin damit auch 6-Raum-Wohnungen, weil sie auf dem Standpunkt steht, dass für Y. A ... ein eigenes Zimmer für dessen zeitweise Übernachtungen in der Wohnung der Antragstellerin vorgehalten werden müsse. Womöglich hat die Antragstellerin deshalb nur nach 6-Raum-Wohnungen und nicht auch nach 5-Raum-Wohnungen gesucht.

Darüber hinaus ist jedenfalls nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb hier nicht auf den gesamten Vergleichsraum, dem der jetzige Wohnort der Antragstellerin angehört, abzustellen wäre. Denn die Gründe, die die Antragstellerin bezüglich einer Unzumutbarkeit der Heranziehung von Wohnungen im gesamten Vergleichsraum genannt hat, sind nicht substanziiert erläutert worden und damit ebenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Gegen eine Heranziehung auch der Nachbarorte von A ... würde vorliegend zumindest auch der Umstand sprechen, dass die Antragstellerin über einen großen Pkw verfügt, mit dem die notwendigen Wege etwa nach A ... hinein grundsätzlich absolviert werden könnten.

Der Antrag war daher mit der sich aus § 193 SGG entspr. ergebenden Kostenfolge abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
Saved