L 4 KR 349/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 18 KR 168/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 349/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Fußhebersystem mit Neurostimulatur (Myoorthese) stellt bei Vorliegen einer Multiplen Sklerose ein technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel dar. Es steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode, sondern dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.03.2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin und Berufungsbeklagte begehrt die Erstattung der Kosten für die Leihgebühr und des Kaufpreises für eine Orthese "Walk Aide" in Höhe von 4.790,39 EUR.

Die 1963 geborene Klägerin beantragte am 22. Dezember 2014 unter Vorlage eines Kostenvoranschlags der Orthopädie-Technik K. GmbH vom 17. Dezember 2014 die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die Miete eines Hilfsmittels "Walk Aide" - einer Fußheberorthese der Firma P. - in Höhe von 855,48 EUR durch die Beklagte. Es handelt sich um das Gerät Walk Aide WA-5000. Dem lag eine Verordnung des I. Klinikums vom 11. Dezember 2014 für vier Wochen mit der Diagnose "Multiple Sklerose mit primär-chronischem Verlauf" zugrunde.

Die Beklagte hatte eine Fußheberorthese (Unterschenkelorthese in C-Faser-Technik) bereits am 8. April 2013 gemäß Verordnung des Prof. Dr. Dr. F. vom 4. April 2013 genehmigt, nachdem die vorhandene Unterschenkelorthese schwer beschädigt war.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern kam in einer Stellungnahme vom 14. Januar 2015 zu dem Ergebnis, dass das beantragte Gerät nicht im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgeführt sei. Allein die gemäß vorliegender Verordnung angegebene Diagnose begründe nicht die Versorgung, insbesondere unter Berücksichtigung bereits stattgehabter zeitnaher Vorversorgung. Ergänzende Einzelangaben seien erforderlich.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 19. Januar 2015 die Kostenübernahme ab.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens brachte die Klägerin vor, sie sei dringend auf eine neue Versorgung angewiesen, nachdem die bisher benutzte C-Faser-Orthese gebrochen sei. Bei der Myoorthese Walk Aide handele es sich um ein Gerät zur funktionellen Elektrostimulation, das den Fußhebernerv stimuliere, um Gangstörungen auszugleichen. Dadurch werde das Gangbild deutlich verbessert und die bei ihr sehr ausgeprägte Fußheberschwäche links optimal versorgt. Gefährliche Sturz- und Stolperfälle könnten verringert oder sogar vermieden werden.

Die Beklagte holte eine nochmalige Stellungnahme des MDK vom 24. Februar 2015 ein; der MDK wies erneut auf das Erfordernis einer entsprechenden Begründung hin, insbesondere auch zur medizinischen Zweckmäßigkeit der Neuversorgung.

Die Klägerin reichte eine weitere ärztliche Verordnung vom 12. März 2015 für die Versorgung mit der Myoorthese Walk Aide mit Zubehör und einen Kostenvoranschlag hierfür in Höhe von 5.325,93 EUR nach, ferner zwei Rechnungen vom 10. Februar 2015 in Höhe von 478,00 Euro und vom 12. März 2015 in Höhe von 4.312,39 EUR (Kaufpreis für Walk Aide sowie bereits bezahlte Mietpauschale für den Zeitraum vom 6. Februar bis 5. März 2015 in Höhe von 478,00 EUR).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2016 zurück. Der MDK habe festgestellt, dass eine Neuversorgung aus sozialmedizinischer Sicht nicht notwendig sei.

Mit der Klage zum Sozialgericht München hat die Klägerin einen Anspruch auf Kosten-erstattung für die Leihgebühr und den Kaufpreis geltend gemacht. Die bisherige C-Faser-Orthese sei nach 1,5 Jahren gebrochen und habe nicht mehr repariert werden können. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen vor. Durch die funktionelle Elektrostimulation mit der Orthese Walk Aide werde ein besseres und stabileres Gehvermögen erreicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleiches Anspruch auf möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizites unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen Fortschrittes. Die Versorgung sei auch nicht unwirtschaftlich, da eine Neuversorgung notwendig gewesen sei. In dem beigefügten Attest vom 24. März 2016 hat der Chefarzt der Klinik für Neurologie des I.-Klinikums, Prof. Dr. M., bescheinigt, dass durch den Einsatz des Walk Aide-Systems bei der Klägerin ein physiologischeres Gangbild linksseitig ermöglicht werde mit einer deutlich verlängerten Gehstrecke. Die Fußheberschwäche beruhe auf einer primär chronisch progredienten Multiplen Sklerose, die seit 1997 bekannt sei, ohne dass es relevante Therapieoptionen gebe. In einem weiteren Attest vom 17. Mai 2016 hat Dr. S. bestätigt, dass die bisherige Versorgung aufgrund einer Verschlechterung der Fußheberschwäche nicht mehr ausreichend gewesen sei. Aufgrund der langen Tragedauer von 10 bis 12 Stunden täglich sei die bisherige Versorgung wegen der hohen Beanspruchung bereits nach knapp zwei Jahren gebrochen und nicht mehr reparierbar. Mit Schreiben vom 17. Mai 2016 bescheinigte die Orthopädietechnik K. GmbH, eine Reparatur der im April 2013 angefertigten und im Jahr 2015 gebrochenen Orthese sei nicht möglich gewesen, da diese zwischen Knöchelgelenk und Fußsohle gebrochen sei.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass ein Austausch der bisherigen Orthese ausreichend und bei Weitem kostengünstiger sei.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Arztes für Sozialmedizin Dr. H. vom 9. Juli 2016 eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Versorgung der Klägerin mit dem Fußhebersystem Walk Aide zum unmittelbaren Ausgleich einer Körperfunktion als Hilfsmittel nach § 33 SGB V notwendig sei. Bei dieser Orthese handele es sich um eine Beinmanschette mit Neurostimulator mit integriertem Gangsensor. Mittels des Gangsensors (Gyrosensor) werde festgestellt, wenn der Fuß vom Boden abgehoben werde und die Schwungphase eintrete; zeitgesteuert werde dann ein Stromimpuls abgegeben, der über die Kontaktflächen den Nervus peronaeus stimulieren solle und so zu einem Anheben des Vorderfuß führe. Nach einer einstellbaren Zeitspanne werde die Nervenstimulation beendet und der Vorderfuß falle in seine passive Stellung zurück. Durch diese Stimulation werde der linke Fuß im Sprunggelenk angehoben und ein physiologischeres Gangbild erreicht. Beim Beugen des linken Kniegelenkes registriere der im Gerät enthaltene Bewegungssensor gangphasenabhängig, ob ein Elektroimpuls abgegeben werden solle. Sofern dies der Fall sei, kontrahiere die Muskulatur daraufhin und der Fuß werde in der Schwungphase angehoben. Dadurch werde ein Hängenbleiben der Fußspitze beim Gehen und Treppensteigen verhindert bzw. vermindert; die Geschwindigkeit beim Gehen erhöhe sich und die Sicherheit beim Gehen werde verbessert, da das Sturzrisiko durch ein Hängenbleiben an Bodenunebenheiten vermindert werde. Diese Versorgung sei auch nicht unwirtschaftlich, da eine Carbonschiene bei einem Preis von 1.000.- EUR nur etwa ein Jahr halte und der Nervenstimulator mit fünf Jahren Lebensdauer veranschlagt werde bei einem Preis von unter 5.000.- EUR. Das beantragte Fußhebersystem sei zum unmittelbaren Ausgleich einer Körperfunktion als Hilfsmittel nach § 33 SGB V zu empfehlen.

Die Beklagte hat eingewandt, die Versorgung mit einem Fußhebersystem Walk Aide könne nicht als Leistung der GKV beansprucht werden, da hierfür eine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundessausschuss (G-BA) erforderlich sei, die bisher nicht vorliege. Diese Notwendigkeit ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 8. Juli 2015, Az.: B 3 KR 5/14 R, der zufolge eine Bewertung durch den G-BA zu erfolgen habe, wenn das Hilfsmittel wie im vorliegenden Fall untrennbar mit einer speziellen Behandlungsmethode verbunden sei. Mit der Methode der dauerhaften funkgesteuerten Elektrostimulation seien auch gesundheitliche Risiken verbunden und die Versorgung durch den Orthopädiemechaniker erfordere den Erwerb eines Zertifikates vom Hersteller. Eine Bewertung durch den G-BA sei angesichts dessen unerlässlich.

Dr. H. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. August 2016 an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Das Hilfsmittel Walk Aide sei ein technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel, das dem unmittelbaren Behinderungsausgleich diene. Es handele sich nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Im Vergleich zu einer Peronaeusorthese stelle ein Nerven- und Muskelstimulator ein fortschrittlicheres, technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel dar. Dieses könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht sei. Das Hilfsmittelverzeichnis sei nach der Rechtsprechung nur eine Auslegungshilfe. Neurostimulatoren zum Behinderungsausgleich seien im Hilfsmittelverzeichnis mit der Hilfsmittelnummer 09.37.04.1.x aufgeführt, jedoch ohne ein gelistetes Einzelprodukt. Es sei vom G-BA kein Ausschluss von sensorgesteuerten Stimulationsgeräten zum Behinderungsausgleich erfolgt, vielmehr seien lediglich keine einzelnen Geräte im Hilfsmittelkatalog gelistet. Grundsätzlich seien aber sensorgesteuerte Stimulationsgeräte vom G-BA als geeignet bewertet, da anderweitig die Aufnahme dieses Unterpunktes ins Hilfsmittelverzeichnis nicht plausibel erklärbar wäre.

Die Beklagte hat nochmals auf die Rechtsprechung des BSG verwiesen, insbesondere zum Glukosemessgerät; hierdurch ergebe sich die Notwendigkeit der Bewertung des Fußhebersystems durch den G-BA als neue Behandlungsmethode.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 23. März 2017 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2016 verurteilt, der Klägerin die Leihgebühr und den Kaufpreis für die Orthese Walk Aide zu erstatten. Es handele sich bei der Myoorthese Walk Aide um ein für die Klägerin notwendiges Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Das Sozialgericht hat sich hierbei auf die gutachterlichen Ausführungen des Dr. H. gestützt. Die von der Klägerin selbstbeschaffte Orthese Walk Aide diene dem Ausgleich der Fußheberschwäche links der Klägerin, die eine Behinderung darstelle. Walk Aide gehöre zu den Hilfsmitteln, die einen unmittelbaren Behinderungsausgleich bewirkten. In diesem Bereich gelte nach ständiger Rechtsprechung des BSG das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizites unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinisch-technischen Fortschrittes. Der Indikationszweck des Fußhebersystems Walk Aide liege nach den überzeugenden Feststellungen des medizinischen Sachverständigen nicht darin, eine Erkrankung zu therapieren, sondern im Ausgleich der Gehbehinderung der Klägerin. Dass die Orthese Walk Aide selbst eine neue Behandlungsmethode darstelle, treffe im Hinblick darauf nicht zu.

Die Leistungspflicht der Beklagten entfalle auch nicht nach der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 8. Juli 2015 (BSG, Az.: B 3 KR 5/14 R). Sofern ein Hilfsmittel den Erfolg einer Krankenbehandlung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGB V sichern solle und dabei in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingesetzt werde, sei dem BSG zufolge Voraussetzung für einen Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGB V, dass die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den G-BA anerkannt worden sei. Die Voraussetzungen dieser Rechtsprechung lägen jedoch im vorliegenden Fall nicht vor. Weder diene die Orthese Walk Aide der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung noch sei nach den Äußerungen des Dr. H. ein untrennbarer Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode gegeben. Dies habe Prof. Dr. M. in seinem Attest vom 24. März 2016 bestätigt, in dem er ausgeführt habe, für die Erkrankung der Klägerin gebe es keine relevanten Therapieoptionen. Auch dass Walk Aide bisher nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sei, stehe dem Leistungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Schließlich hat die Kammer keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot geäußert.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte (fristgerecht) Berufung eingelegt und im Wesentlichen erneut dargelegt, dass es sich bei diesem Gerät um ein Hilfsmittel im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V handele, wofür eine positive Empfehlung des G-BA notwendig sei. Diese liege nicht vor. Dürfe eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode mangels positiver Empfehlung des G-BA nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, könne durch § 33 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. SGB V kein Anspruch des Versicherten auf das untrennbar mit dieser Behandlung verbundene Hilfsmittel begründet werden. Sie hat nochmals auf die Entscheidung des BSG vom 8. Juli 2015 (a.a.O.) hingewiesen. Der Behinderungsausgleich nach § 33 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. SGB V habe im Gegensatz zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach der Rechtsprechung des BSG zwei Zielrichtungen: Im Vordergrund stehe der unmittelbare Behinderungsausgleich, wobei das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts gelte. Würden lediglich direkte und indirekte Folgen der Behinderung ausgeglichen, liege ein sog. mittelbarer Behinderungsausgleich vor. Aufgabe der GKV sei hier die medizinische Rehabilitation. Das streitige Hilfsmittel verfüge gemäß dem Benutzerhandbuch sowohl über eine Komponente des Behinderungsausgleichs (Ermöglichung eines sicheren bzw. einfacheren Gehens), es diene aber auch zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (wenn sich das Neurostimulationsgerät während des Sitzens im Übungsmodus befinde). Die durch das Gerät generierte dauerhafte funk-frequenzgesteuerte Neurostimulation der Fußhebermuskulatur, die auch mit Risiken bzw. Unabwägbarkeiten verbunden sei (siehe auch Hinweise im Handbuch), stelle somit eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 SGB V dar.

Es bestehe für die permanente, auch 24 Stunden pro Tag einsetzbare, elektrische Stimulation von Muskelgruppen auch keine entsprechende Abrechnungsziffer im EBM-Ä, insbesondere sei die EBM-Ziffer 02512 nicht anwendbar. Eine entsprechende Behandlung würde durch einen Arzt oder einen fachlich geschulten Therapeuten erfolgen. Das Fußhebersystem sei aber über Sanitätshäuser in Deutschland frei verkäuflich und könne von jedermann ohne jede medizinische Einweisung und Kontrolle eingesetzt werden; Reizparameter würden nicht medizinisch begründet festgelegt. Schließlich hat die Beklagte unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des MDK auf eine Unterschenkelprothese in Carbontechnik bzw. eine adäquate Versorgung durch die im Bereich der Produktgruppe unter 23.03.02. 6 ff gelisteten Fußheberorthosen verwiesen. Es sei nicht schlüssig dargelegt, dass das begehrte Fußhebersystem demgegenüber wesentliche Gebrauchsvorteile zum Ausgleich der Behinderung beim Gehen biete.

Die Klägerin hat demgegenüber die Ansicht vertreten, dass das Hilfsmittel in erster Linie einen unmittelbaren Behinderungsausgleich bewirke und nicht der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung diene. Dies habe auch der Sachverständige Dr. H. bestätigt. Eine fehlende positive Empfehlung des G-BA stehe deshalb ebensowenig einem Leistungsanspruch entgegen wie die Nichtaufführung im Hilfsmittelverzeichnis.

Der Senat hat auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 14. April 2015 (Az.: L 1 KR 277/13 - juris) sowie die Entscheidung des BSG vom 30. Juli 2015 (B 3 KR 39/15 B) hingewiesen. Ferner hat der Senat zuletzt noch auf die Entscheidungen des Hessisches LSG vom 23. Februar 2017 (Az.: L 8 KR 372/16 - juris) und des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. vom 5. Juli 2017, Az.: IV ZR 116/15 - juris) sowie die Homepage der Techniker Krankenkasse (TKK) zur Kostenübernahme für Elektrostimulationsgeräte (Stand: 21. April 2017) hingewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2017 hat die Klägerin die Funktion des Gerätes vorgeführt. Sie hat versichert, dass sie bei ihrem Krankheitsbild einen Übungsmodus nicht sinnvollerweise nutzen könne. Sie bediene nur nach dem Anlegen einen Knopf, um festzustellen, ob das Gerät funktioniere. Auf die Niederschrift der Sitzung wird verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. März 2017 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 19. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2016 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.

Entgegen der Antragstellung und dem Tenor im erstinstanzlichen Verfahren kann der Erstattungsanspruch beziffert werden. Nach den vorgelegten Rechnungen vom 10. Februar 2015 in Höhe von 478,00 Euro und vom 12. März 2015 betragen die verauslagten Kosten 4.790,39 EUR: 4.312,39 EUR Kaufpreis für das Walk Aide System sowie bereits bezahlte Mietpauschale für den Zeitraum vom 6. Februar bis 5. März 2015 in Höhe von 478,00 EUR.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch kommt hier nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Die aufgrund der nach § 13 Abs. 3 a S. 2 SGB V mitgeteilten Einholung einer Stellungnahme des MDK geltende 5-Wochenfrist des § 13 Abs. 3 a S. 1 SGB V ist eingehalten.

§ 13 Abs. 3 SGB V gibt für den Ausnahmefall einen Kostenerstattungsanspruch, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann.

Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe). Dies käme hier zum Zuge, wenn die Ablehnung der beantragten Kostenübernahme mit Bescheid vom 19. Januar 2015 zu Unrecht erfolgte. Dabei setzt die zweite Fallgruppe eine Kausalität zwischen Ablehnung und Kostenentstehung voraus. Der Kostenerstattungsanspruch setzt insoweit voraus, dass der Versicherte durch die Ablehnung der Krankenkasse veranlasst wird, sich die Behandlung auf eigene Kosten zu beschaffen (BSG, Breith. 2002, 154 ff). Davon ist vorliegend ganz offensichtlich auszugehen. Nahe liegt auch das Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung im Sinne der ersten Fallgruppe des § 13 Abs. 3 SGB V, da die bisherige Orthese gebrochen und nicht mehr zu reparieren war.

Der Anspruch auf Hilfsmittelversorgung richtet sich nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei muss das begehrte Hilfsmittel nicht im sog. Hilfsmittelverzeichnis (siehe § 139 SGB V) gelistet sein; bei diesem Verzeichnis handelt es sich nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste (so z.B. auch: Thüringer LSG, Urteil vom 23. August 2016 - L 6 KR 1037/13 - juris; Hessisches LSG, Urteil vom 23. Februar 2017, L 8 KR 372/16 - juris). Ein Hilfsmittel, das im Hilfsmittelverzeichnis nicht aufgeführt ist, muss zu seiner Verordnungsfähigkeit allerdings durch medizinisch-technische Studien in seiner Wirksamkeit nachgewiesen sein.

Das Sozialgericht hat hierbei unter wesentlicher Bezugnahme auf das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme des Dr. H. eine derartige Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 19. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2016 angenommen. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Begründung des Sozialgerichts verwiesen.

Hinsichtlich der medizinischen Fragen ist auch nach Ansicht des Senats auf das Gutachten des Dr. H. abzustellen, der das Fußhebersystem Walk Aide zum unmittelbaren Ausgleich einer Körperfunktion als Hilfsmittel nach § 33 SGB V bei der Klägerin für notwendig erachtet hat. Folge dieses technisch hochwertigen Produkts ist, dass ein Hängenbleiben der Fußspitze beim Gehen und Treppensteigen verhindert bzw. vermindert wird; die Geschwindigkeit beim Gehen erhöht sich und die Sicherheit beim Gehen wird verbessert. Maßgebliche medizinische Diagnose ist eine bei der Klägerin primär chronisch progredient verlaufende Multiple Sklerose mit links und beinbetonter spastischer Parese. Unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. H. ist auch von einer grundsätzlichen Wirksamkeit des Hilfsmittels auszugehen. Dies wird auch von der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Darin unterscheidet sich das Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung von dem in dem Verfahren, über das das Hessische LSG entschieden hat (Urteil vom 14. April 2015, a.a.O.). Dort hatte das LSG angenommen, dass es sich zwar um ein Hilfsmittel handele, bei dem jedoch durch medizinisch-technische Studien eine Wirksamkeit nicht nachgewiesen sei: "Auch die im Berufungsverfahren erfolgte Beweiserhebung hat den erforderlichen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit der begehrten Hilfsmittel nicht erbracht. Der Sachverständige Dr. N. hat zwar Literatur zu den begehrten Hilfsmitteln genannt. Zugleich hat er aber den wissenschaftlich belegten Wirksamkeitsnachweis durch die in den von ihm aufgeführten Studien größtenteils in Zweifel gezogen. Darüber hinaus ist weiterhin nicht nachgewiesen, dass die begehrte Walk-Aide-Myoorthese bei der Klägerin eine bessere Wirksamkeit gegenüber der vorhandenen Fußheberschiene aufweist. Die Klägerin kann sich auch nicht erfolgreich auf das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Oktober 2012 (S 9 KR 167/11) berufen, da diesem ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Darüber hinaus ist in dieser Entscheidung keine Aussage zum Wirksamkeitsnachweis gemacht worden, worauf die Beklagte zutreffend verwiesen hat." (Hess. Landessozialgericht, a.a.O., juris Rn. 21).

Das BSG hat mit Beschluss vom 30. Juli 2015 die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen (Az.: B 3 KR 39/15 B) mit der Begründung, in der Beschwerde fehlten Ausführungen zu der "für die Hilfsmittelversorgung wichtigen Frage, ob es um die Sicherung des Behandlungserfolgs oder den Ausgleich einer Behinderung geht".

In einer weiteren Entscheidung - vom 23. Februar 2017 (Hessisches LSG, a.a.O. - juris Rn. 19) - hat das Hessische LSG diese Ansicht im Ergebnis bestätigt und ausgeführt, dass zur Überzeugung des Senats im Anschluss an das Ergebnis der vorliegenden MDK-Gutachten der therapeutische Nutzen dieses Produktes sowie die Überlegenheit gegenüber einer herkömmlichen Unterschenkel- bzw. Fußheberorthese nicht belegt sei. Darüber hinaus hat das Hessische LSG darauf hingewiesen, dass die Myo-Orthese Walk-Aide aufgrund der vorliegenden Epilepsie der dortigen Klägerin kontraindiziert sei.

Festzuhalten ist zunächst, dass vom G-BA kein Ausschluss von sensorgesteuerten Stimulationsgeräten zum Behinderungsausgleich erfolgt ist; es sind vielmehr lediglich keine einzelnen Geräte im Hilfsmittelkatalog gelistet. Dr. H. weist zutreffend darauf hin, dass Neurostimulatoren zum Behinderungsausgleich im Hilfsmittelverzeichnis mit der Hilfsmittelnummer 09.37.04.1.x aufgeführt sind, jedoch ohne ein gelistetes Einzelprodukt. Grundsätzlich seien aber sensorgesteuerte Stimulationsgeräte vom G-BA als geeignet bewertet, da anderweitig die Aufnahme dieses Unterpunktes ins Hilfsmittelverzeichnis nicht plausibel erklärbar wäre.

Hierauf verweist im Übrigen auch der MDK in Bayern in seiner Stellungnahme vom 14. Januar 2015: "Grundsätzlich sind Elektrostimulationsgeräte zur funktionellen Elektrostimulation (FES) im vorliegenden MDS-Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V unter der Produktuntergruppe 09.37.04 als Einkanalperonäusstimulatoren (Produktart 09.37.04.0 ...) und mehrkanalige, sensorgesteuerte Stimulationsgeräte zum Behinderungsausgleich (Produktart 09.37.04.1 ...) dargestellt". Es fehle lediglich eine Aufführung gelisteter Einzelprodukte. Der MDK hat sich im Ergebnis dahingehend geäußert, dass alleine die in der vorliegenden Verordnung angegebene Diagnose eine Versorgung nicht begründen könne.

Der BGH (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2017, a.a.O.) hat für den Bereich der privaten Krankenversicherung (zum Basistarif) entschieden, dass ein Gerät, das lediglich elektrische Impulse aussende, um Muskeln anzuregen, nicht deren Stützfunktion übernehme. Das Stimulationsgerät Walk Aide sei somit nicht unter die Geräte der Hilfsmittelliste zu subsumieren (BGH - juris Rn. 14). Implizit hat der BGH im Folgenden aber angenommen, dass Kosten für ein Elektrostimulationsgerät in der GKV erstattet würden (juris Rn. 16). Internetrecherchen haben ergeben, dass einige gesetzliche Krankenkassen "Elektrostimulationsgeräte" als verordnungsfähiges Hilfsmittel betrachten, so z.B. die TKK bzgl. TENS- und EMS-Geräten (Homepage, a.a.O.).

Nach Überzeugung des Senats handelt es sich bei dem von der Klägerin beantragten Gerät um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V, bei dem nicht eine neue Behandlungsmethode bzw. ein untrennbarer Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode im Vordergrund steht, sondern bei dem es sich um ein Hilfsmittel handelt, das dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient.

Die Myoorthese ist nicht erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. SGB V zu sichern. In Betracht kommen hierbei alle sächlichen Mittel, die der Krankheitsbekämpfung dienen und spezifisch im Rahmen der Krankenbehandlung eingesetzt werden. Es genügt, wenn der therapeutische Erfolg erst angestrebt wird und es nicht nur um die Sicherung eines schon eingetretenen Heilerfolgs geht. Hilfen zur körperlichen Betätigung können beansprucht werden, wenn die Betätigung in einem engen Zusammenhang mit einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung steht und für die gezielte Versorgung (Behandlungsziele des § 27 Abs. 1) erforderlich sind (KassKomm-Nolte, § 33 SGB V, Rn. 7). Ist ein Hilfsmittel untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungsmethode, bedarf es einer positiven Stellungnahme durch den G-BA (BSG vom 8. Juli 2015, a.a.O.). Erst wenn die Prüfung durch den G-BA positiv verlaufen ist, sind die für den Einsatz im Rahmen der Behandlungsmethode erforderlichen Hilfsmittel Gegenstand der Leistungspflicht der GKV (BSG Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 1/16 R; BSG Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 6/16 R; BSG Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 17/16 R; KassKomm-Nolte, a.a.O.). Eine positive Empfehlung des G-BA liegt nicht vor.

Das BSG hat in dem o.g. Beschluss zur Nichtzulassungsbeschwerde (a.a.O.) ebenfalls eine Abgrenzung zwischen der Frage, ob es um die Sicherung des Behandlungserfolgs oder den Ausgleich einer Behinderung geht - also eine Abgrenzung zwischen der 1. und 2. Alternative des § 33 Abs. 1 SGB V - für wesentlich erachtet. Dabei ist ferner im Rahmen des § 33 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. SGB V zu unterscheiden zwischen einem unmittelbaren und einem mittelbaren Behinderungsausgleich. Der Behinderungsausgleichs nach § 33 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. SGB V hat im Gegensatz zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach der Rechtsprechung des BSG zwei Zielrichtungen: Im Vordergrund steht der unmittelbare Behinderungsausgleich.

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist der Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich auf den vollständigen funktionalen Ausgleich der Behinderung gerichtet. Damit steht der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen natürlichen Funktionen im Vordergrund. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Es gilt hier das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts (zum Ganzen KassKomm-Nolte, a.a.O., Rn. 11 unter Verweis auf BSGE 105, 170 - digitale Hörgeräte; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 34 Rn. 31 - Rollstuhl-Bike; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 24 Rn. 18 - Badeprothese). Eine Kosten-Nutzen-Abwägung ist in diesem Bereich nicht statthaft (KassKomm-Nolte, a.a.O., Rn. 11a m.w.N.).

Die Myoorthese dient dem Ausgleich der Behinderung der Klägerin beim Gehen (zu einer Beinprothese: BSG vom 16. September 2004, B 3 KR 20/04 R).

Demgegenüber zielt der mittelbare Behinderungsausgleich auf die Beseitigung oder zumindest Milderung der direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung ab, soweit die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder zumindest gemildert werden und somit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (BSG SozR 4&8201;-&8201;2500 § 33 Nr. 26 Rn. 16 - GPS für blinde Versicherte; BSGE 98, 213). Hier schulden die gesetzlichen Krankenkassen lediglich einen Basisausgleich.

Der Sachverständige Dr. H. hat ergänzend zu seinem Gutachten mit überzeugender Begründung die Ansicht vertreten, dass nach seiner Einschätzung dieses Hilfsmittel ein technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel ist, das dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient. Im Vergleich zu einer Peronaeusorthese stellt ein Nerven- und Muskelstimulator ein fortschrittlicheres, technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel dar. Der mit den herkömmlichen Orthesen erzielbare Versorgungsstandard erreicht nicht den Maßstab des natürlichen Gehens. Solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist, ist Raum für eine Fortentwicklung des Hilfsmittels.

Dabei handelt sich nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V, so dass die 1. Alternative des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB ausscheidet.

Der MDK lässt diese Fragen in seinen Stellungnahmen zuletzt vom 24. Februar 2015 weitgehend offen; verlangt wird dort, dass "die gewünschte Versorgung mit Walk Aide als optionale Versorgung zu einer Versorgung mit Unterschenkelorthese in Carbonfasertechnik unter Berücksichtigung der gezielten Fragestellung der Krankenkasse verordnerseitig auch unter Berücksichtigung der Vorgaben gemäß § 7 Abs. 2 Hilfsmittelrichtlinien etc. entsprechend zu begründen" wäre (Seite 3 der MDK-Stellungnahme). Dr. H. positioniert sich klar gegen das Vorliegen einer neuen Behandlungsmethode.

Nach Auffassung der Beklagten verfügt das Fußhebersystem Walk Aide sowohl über eine Komponente zum Behinderungsausgleich, durch die ein sicheres bzw. einfacheres Gehen ermöglicht werden soll, soll aber zusätzlich zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dienen, wofür insbesondere auch der Übungsmodus während des Sitzens spreche. Allerdings steht nach Überzeugung des Senats ganz überwiegend der Behinderungsausgleich im Vordergrund - vor allem bei der Nutzung, wie sie die Klägerin in Anspruch nimmt. Aufgrund ihres Krankheitsbildes einer Multiplen Sklerose kann sie den Übungsmodus nicht sinnvollerweise nutzen, wie sich auch aufgrund der mündlichen Verhandlung ergeben hat. Primärer Zweck des Nervenstimulators Walk Aide ist kein Biofeedbacksystem, wie der Sachverständige Dr. H. ausführte; d.h. die Zielsetzung besteht nicht darin, eine Rückkoppelung von physiologischen Körperzuständen zu ermitteln. Der ganz überwiegende Zweck besteht vielmehr nur darin, ein besseres und sicheres Gehen zu ermöglichen. Dr. H. weist darauf hin, dass das System keine Therapie darstellt. Zwar kann gegebenenfalls eine mögliche therapeutische Funktion zur Aktivierung der teilgelähmten und spastischen Peroneusmuskulatur bei Einsatz des Systems erfolgen; dies ist jedoch, wie auch oben dargelegt, nicht primär eine Indikation für dieses Hilfsmittel. Hierfür sind die anerkannten Therapieverfahren wie z.B. Physiotherapie oder Entspannungstherapie zu beanspruchen.

Im Vordergrund steht damit der Behinderungsausgleich. Dies deckt sich nicht nur mit der Annahme des Gutachters, sondern wird auch dem überwiegenden Sinn und Zweck des Systems gerecht. Die Firma P. bewirbt auf der Homepage (www.P ...de) das Gerät zur Anpassung des individuellen Gehmusters mittels des speziellen Softwareprogramms. Die elektrischen Signale betreffen den Peroneus-Nerv, dessen Funktion die Steuerung der Bewegungen in dem Fußgelenk und dem Fuß ist. Die Muskeln werden dadurch veranlasst, den Fuß zum richtigen Zeitpunkt anzuheben. Selbst wenn man auf die Möglichkeit der Nutzung des Übungsmodus abstellt, dient auch dieser nur dazu, die Muskeln zu trainieren, die Nerven zum Gehirn anzusprechen und Bewegungen anzubahnen. Der Übungsmodus dient, zumal bei der Klägerin, nicht dazu, den Erfolg einer Krankenbehandlung (hier der Multiplen Sklerose) zu sichern, sondern die Nutzung des Hilfsmittels zu optimieren und sich an das System zu gewöhnen.

Zwar steht dem Anwender dauerhaft eine funk-frequenzgesteuerte Neurostimulation der Fußhebemuskulatur über den Peronaeusnerv zur Verfügung, jedoch erfolgt dies durch ein Softwareprogramm, das der Anpassung durch speziell ausgebildete Ärzte, aber auch Therapeuten und Techniker bedarf (Homepage Fa. P.). Die Beklagte argumentiert hierbei hinsichtlich einer Behandlungsmethode mit der permanenten Einsetzbarkeit, dem Fehlen einer Abrechnungsziffer im EBM-Ä, mit einer im Rahmen des § 125 Abs. 2 SGB V geschlossenen Vereinbarung zwischen den Ersatzkassen und den Physiotherapeuten mit einer "Regelbehandlungszeit von fünf bis zehn Minuten je Muskelnerveinheit".

Dem steht entgegen, dass eine Bestimmung von Reizparametern bei dem Fußhebersystem nicht erfolgt, insbesondere nicht speziell durch einen Arzt. Das Fußhebersystem kann auch ohne ärztliche Verordnung von jedermann erworben werden. Der Vertrieb erfolgt in Deutschland überwiegend durch Sanitätshäuser.

Die Orthese soll bei der Klägerin die zuvor verordnete und von der Beklagten übernommene Carbonschiene ersetzen, die unstreitig dem unmittelbaren Behinderungsausgleich diente, nur inzwischen gebrochen war.

Gerade auch im Hinblick auf die Anwendung bei der Klägerin liegt somit ein Fall des Behinderungsausgleichs, und zwar des unmittelbaren nach § 33 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. SGB V vor in Form der Erleichterung und Unterstützung der beeinträchtigten Körperfunktion Gehen. Abzustellen ist hierbei auf einen vollständigen funktionalen Ausgleich der Behinderung. Es geht um einen unmittelbaren Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten natürlichen Funktion des Gehens.

Der Senat sieht in der Zwischenzeit auch den therapeutischen Nutzen und die Wirksamkeit des Walk Aide-System im Sinne einer evidenzbasierten Medizin für nachgewiesen. Zu würdigen ist hierbei nur der aktuelle Stand des medizinischen und technischen Fortschritts. Derart grundsätzliche Bedenken gegen das Walk Aide-System finden sich in den Stellungnahmen des MDK in Bayern aus dem Jahre 2015 nicht.

Zwar hat das Hessische LSG einen abschließenden Beleg anhand kontrollierter, prospektiver, randomisierter Studien als nicht bestehend angesehen (Hessisches LSG vom 23. Februar 2017, a.a.O.). Dies erfolgte allerdings unter Bezugnahme auf ein dort eingeholtes Gutachten des MDK aus dem Jahre 2014. Es sei nicht gesichert, ob die Myoorthese in der Lage sei, bei einer komplexen, zentralneurologischen Störung einen ausreichenden Behandlungserfolg zu erzielen, da lediglich isoliert die Fußhebermuskulatur stimuliert werde. Ein Einfluss auf die hier vorliegende zentralneurologische Störung, auf den damit verbundenen veränderten Muskeltonus und die Störung von Gleichgewicht, Bewegungskoordination und Symmetrie sei durch das Walk Aide-System nicht möglich.

Die 2015 und 2017 vom Hessischen LSG aufgeführten Bedenken zum Wirksamkeitsnachweis bzw. zur besseren Wirksamkeit gegenüber der vorverordneten Fußheberschiene greifen heute nicht mehr. Das System hält sich auf dem Markt und wurde inzwischen auch für Kinder und Jugendliche weiterentwickelt. Auch der gerichtliche Sachverständige äußerte keine Zweifel an der besseren Wirksamkeit; dabei stellt er auf die Vorteile für die Klägerin ab. Es ermöglicht der Klägerin ein sichereres, schnelleres und ermüdungsfreieres Gehen. Im Gegensatz zu einer passiven Orthese kann ein Heben des Vorfußes bei entsprechendem Training auch über die Neutral-Null-Stellung hinaus bewerkstelligt werden. Hier kann sich somit ein weiterer, nach Ansicht des Sachverständigen entscheidender Vorteil zwischen dem aktiven System und einer passiv fixierenden Peronaeusschiene ergeben.

Kosten-Nutzen-Abwägungen sind im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs nicht statthaft. Es ist jedoch auch auf die Darlegung des Sachverständigen zu verweisen, dass die Versorgung mit dem Fußhebersystem auch nicht unwirtschaftlich ist. Eine Carbonschiene ist mit einem Preis von ca. 1.000.- EUR anzusetzen; die Haltbarkeit ist sehr beschränkt (etwas über ein Jahr). Die Lebensdauer bei einem Nervenstimulator wird mit fünf Jahren kalkuliert bei einem Preis von unter 5.000.- EUR.

Das Konkurrenzprodukt Ness L 300 der Fa. B. ist nach Recherche des Sachverständigen nicht baugleich (zusätzlicher Fußdrucksensor) und mit ca. 5.500.- EUR teurer. Ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V scheidet damit aus.

Unstreitig handelt es sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Ein Ausschluss nach § 34 SGB V greift nicht.

Die Höhe der von der Klägerin verauslagten Kosten ist belegt und unstreitig. Entsprechende vertragsärztliche Verordnungen liegen vor. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab, sondern berücksichtigt diese wie insbesondere das Urteil des BSG vom 8. Juli 2015 (BSG, a.a.O.). Auch setzte sich der Senat mit der vom BSG in dem Beschluss vom 30. Juli 2015 (BSG, a.a.O.) als wichtig herausgestellten Frage auseinander, ob es um die Sicherung des Behandlungserfolgs oder den Ausgleich einer Behinderung geht. Wie dargelegt war dabei gerade auch auf die konkrete Anwendung durch die Klägerin und das bei ihr bestehende Krankheitsbild abzustellen.
Rechtskraft
Aus
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