L 1 U 1277/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 2943/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1277/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Körperverletzung unter Kollegen (Fausthieb), die ein Arbeitnehmer auf dem Nachhauseweg nach einem Streit über betriebliche Belange erleidet, kann ein Arbeitsunfall sein. Das gilt nicht, wenn wesentliche Ursache der erlittenen Körperverletzung Konflikte oder Beziehungen aus dem persönlichen Bereich sind.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.03.2017 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 09.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, das Ereignis vom 19.09.2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Tätlichkeit eines Kollegen des Klägers als Arbeitsunfall.

Der 1969 geborene aus dem Kosovo stammende Kläger war zum Unfallzeitpunkt als Gleisbauer bei dem Unternehmen L. W. GmbH & Co. KG in G. versicherungspflichtig beschäftigt. Nach einem Einsatz auf einer Baustelle in A. fuhr der Kläger am Nachmittag des 19.09.2014 einen Firmentransporter seiner Arbeitgeberin zurück nach G. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen Transporter mit Doppelkabine. In der hinteren Kabine saß der Arbeitskollege F.D. (im Folgenden: D.), der Arbeitskollege M.K. (im Folgenden: K.) saß rechts vom Kläger auf dem Beifahrersitz. Im Laufe der Rückfahrt nach G. gerieten der Kläger und K. verbal in Streit. In G. setzte der Kläger zunächst den D. ab, danach den K. Hierbei flammte der Streit zwischen dem Kläger und K. wieder auf und gipfelte schließlich in einer Tätlichkeit des K. gegen den Kläger: Dieser ging durch einen Faustschlag des K. zu Boden und wurde vom K. dann noch mit dem Fuß in den Kopfbereich getreten.

Der Kläger wurde mit dem herbei gerufenen Rettungswagen (RTW) in die Klinik E in G. transportiert, wo er am 19.09.2014 um 18:02 Uhr eintraf. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. S. beschrieb als Befund u.a. Schwindel, Cephalgien, Prellmarken an der Oberlippe sowie kleinere Hautabschürfungen am Außenknöchel und Daumen rechts und stellte, nachdem sich röntgenologisch kein Hinweis auf eine frische knöcherne Verletzung oder Blutung im Bereich des Kopfes gefunden hatte, die Diagnose einer Schädelprellung.

Der Arbeitgeber des Klägers verweigerte gegenüber der Beklagten die Erstellung einer Unfallanzeige, weil nicht geklärt habe werden können, warum der Streit entstanden sei. Auch ein Gespräch des Personalchefs mit den beiden am Streit Beteiligten habe zu keinem Ergebnis geführt.

Der K. gab gegenüber der Beklagten laut einem Aktenvermerk vom 02.12.2014 (Blatt 37 Verwaltungsakte der Beklagte - VA) an, der Kläger sei, anstatt ihn zuerst nach Hause zu fahren, an seinem Haus vorbei gefahren und habe erst den anderen Kollegen abgesetzt. Es sei dann auch noch zu einer verbalen Auseinandersetzung wegen dem offenen Fenster gekommen. Er habe das Fenster geöffnet, weil so stickige Luft im Auto gewesen sei. Als der Kläger ihn dann vor seiner Haustür abgesetzt habe, habe er noch seine Jacke aus dem Auto holen wollen. Dann sei der Kläger ihm beinah über den Fuß gefahren und sei dann ausgestiegen und habe ihn gewürgt. Daraufhin habe er ihm in seiner Panik, weil er fast keine Luft mehr bekommen habe, zur Seite gestoßen. Der Kläger sei bekannt für seine Gewalttätigkeit, 1,90 m groß und 100 kg schwer.

Der Kläger schilderte im Fragebogen "Streit" der Beklagten den Vorfall wie folgt: Er sei auf dem Rückweg von der Arbeit der Fahrer gewesen, der (K.) habe mit dem Fenster gespielt. Nachdem der Kläger dem K. gesagt habe, er solle dies lassen, habe dieser angefangen ihn zu beleidigen. Beim Aussteigen habe er die Fahrzeugtüren geöffnet, der Kläger habe die Türen wieder geschlossen und versucht zu fahren. Nachdem sich dies dreimal so abgespielt habe, sei der Kläger mit geöffneten Türen weggefahren und habe dann die Türen geschlossen. Der K. sei hinterher gerannt und habe sie wieder geöffnet. Als der Kläger ihm gesagt habe, er solle heimgehen und Feierabend machen, habe er ihn "K. O. geschlagen".

Aus einem Aktenvermerk der Sachbearbeiterin der Beklagten vom 18.03.2015 (Blatt 59 f. VA) ergibt sich, dass der mitfahrende Kollege D. in seiner Vernehmung bestätigt habe, dass das "Spielchen" mit dem Fenster stattgefunden habe. Dieser habe noch ergänzt, dass normalerweise der K. bei den Heimfahrten zuerst aussteige. Er habe aber auch bestätigt, dass der Kläger des Öfteren verbal aufgefallen sei und schon mehrmals generell ausfällig über Türken geredet habe. Er habe etwas gegen Türken. Der K. habe berichtet, dass er vom Kläger des Öfteren verbal und überhaupt angegangen werde. Er habe beim Aussteigen aus dem Doppelkabiner Bus gesehen, dass seine Jacke noch im Auto gewesen sei und habe daher noch schnell die Beifahrertür geöffnet, um diese zu holen. Dies habe dem Kläger missfallen, der ausgestiegen sei und den K. am Hals gepackt und rücklinks gegen einen Baum gedrückt habe. Im Tagesverlauf solle der Kläger dem K. mehrfach mit einem Taschenmesser vor dessen Gesicht herumgefuchtelt und dabei gesagt haben, dass er ihm den Hals aufschlitzen wolle.

In der Folge kam es zu einem Strafverfahren gegen den K. vor dem Amtsgericht G. (Aktenzeichen 17 Ds 17 Js 20272/14). Ausweislich der Akte des Strafverfahrens gab der Kläger am 22.09.2014 gegenüber der Polizei an, ganztägig mit seinem Arbeitskollegen D. und K. auf einer Baustelle in A. beschäftigt gewesen zu sein und auf der Rückfahrt nach G. den Transporter des Arbeitgeber gelenkt zu haben. Der K. habe rechts von ihm auf dem Beifahrersitz gesessen und ständig das Fenster geöffnet. Er habe ihn deshalb gebeten, das Fenster geschlossen zu halten. Weil sie alle verschwitzt gewesen seien, habe er vermeiden wollen, auf Grund eines Luftzuges eventuell zu erkranken. Den K. hätte dies nicht interessiert. Er habe im Gegenteil zu ihm gesagt, er stinke. Er habe auf der Fahrt bis G. ständig das Spiel "Fenster auf, Fenster zu" praktiziert. Außerdem habe er ihm auf der Heimfahrt ständig auf das Übelste beleidigt und bedroht, unter anderem gesagt, er werde ihn in den Arsch ficken und ihm angeboten, sich mit ihm zu schlagen. Er habe dann in der Innenstadt von G. gewollt, dass der Kläger ihn zuerst nach Hause fahre. Dies habe er aber zu spät wahrgenommen. Auf Grund der Verkehrssituation habe er den D. zuerst aussteigen lassen und sei dann in die W.straße gefahren, um den K. dort aussteigen zu lassen. Auf dem Weg dorthin habe ihm der K. dauernd auf Deutsch angeboten, sich mit ihm zu schlagen. Als er dann in der W.straße ausgestiegen sei und der Kläger weiter fahren wollen habe, habe er plötzlich beide Beifahrertüren geöffnet. Er habe sofort angehalten und sei ausgestiegen, um beide Türen auf der rechten Seite zu schließen. Nachdem er wieder hinter dem Lenkrad Platz genommen habe und wegfahren wollte, habe K. erneut beide Beifahrertüren geöffnet. Der Kläger habe ihn darauf gefragt, was der Mist solle, und sei wieder ausgestiegen, um die Türen erneut zu schließen. Nachdem er erneut hinter dem Lenkrad Platz genommen habe und wiederum wegfahren habe wollen, habe K. erneut die Türen geöffnet. Er sei dann mit geöffneten Türen langsam weggefahren in der Hoffnung, dass der K. nach Hause gehe. Er sei mit den offenen Türen ganz langsam die Straße entlang gefahren, um kein anderes Fahrzeug zu schädigen. Als er erneut angehalten habe, um die Türen zu schließen, sei der K. herangerannt gekommen. Er habe gerade die vordere Beifahrertür geschlossen, als dieser ihn daran gehindert habe, die hintere Tür ebenfalls zu schließen. Er habe den K. dann mit der Hand von sich gewiesen und ihm gesagt, er solle endlich nach Hause gehen. Daraufhin habe ihn der K. wortlos mit seiner Faust in das Gesicht geschlagen, ihm seien die Füße weg geknickt und er sei zu Boden gegangen. Beim Abstützen habe er sich am rechten Daumen und am rechten Knöchel verletzt. Von dem Faustschlag sei er ziemlich benommen gewesen. Als er versucht habe sich aufzurichten, habe der K. mit dem Schuh in sein Gesicht getreten.

Der Kläger wiederholte diese Angaben im Wesentlichen im Zuge der richterlichen Vernehmung im Rahmen der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts vom 02.11.2015 (vgl. Protokoll Blatt 107 VA).

Der K. führte am 12.10.2015 gegenüber dem Amtsgericht aus, der Kläger habe ihn nach dem Einsteigen in das Firmenfahrzeug gebeten, für ihn einen Fahrplan aufzuschreiben, da es eine Vergütung für denjenigen gebe, der fahre. Er habe das Fenster aufgemacht, woraufhin der Kläger geschrien habe, er solle das Fenster zumachen. Allerdings habe es im Bus gestunken. Der Kläger habe dann zunächst den Kollegen heim gefahren und ihn, den K., auf Umwegen ebenfalls heim gefahren. Er habe hinten seine Sachen rausnehmen wollen. Die Tür sei offen gewesen und der Kläger sei losgefahren. Dabei sei er ihm beinahe über den Fuß gefahren. Er habe gerufen, dass er anhalten solle, weil er noch seine Sachen rausholen müsse. Daraufhin sei der Kläger ausgestiegen und habe ihn an der Kehle gepackt. Er habe ihn daraufhin mit der flachen Hand weg gedrückt und der Kläger sei zu Boden gefallen. Er sei dann aufgestanden, eingestiegen und weg gefahren. Das mit dem Fuß habe er nicht gemacht. In der Vergangenheit sei es zwischen dem Kläger und ihm zu nichts gekommen. Sie hätten noch nie Auseinandersetzungen gehabt. Er hätte wirklich Angst vor dem Kläger gehabt. Dieser habe mal gesagt, dass er ein Taschenmesser habe. Als der Kläger auf dem Boden gelegen sei, er sei nur leicht runter gefallen, habe er ihn hochheben wollen. Mehr habe er nicht gemacht.

Das Amtsgericht vernahm in der Sitzung vom 02.11.2015 den Zeugen M. (im Folgenden: M.), der angab, während eines Aufenthalts im Fitnessstudio vor die Tür getreten zu sein und eine Zigarette geraucht zu haben. Er habe dann ein gelbes Auto mit offener Tür gesehen. Der Fahrer sei ausgestiegen und habe die Türe zu gemacht. Dann sei ein Mann gekommen und habe die Türe aufgerissen. Dann habe der Fahrer gesagt, er solle ihn in Ruhe lassen. Dann habe dieser "eine aufs Maul bekommen". Es sei die Faust gewesen, außerdem habe der Mann ihn noch mit dem Fuß ins Gesicht getreten. Er habe dann den Notruf und die Polizei gerufen.

Nach Vernehmung der Zeugin G. (im Folgenden: G.) verurteilte das Amtsgericht G. den K. mit Urteil vom 02.11.2015 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,00 EUR. Auf den Inhalt der Urteilsgründe (Blatt 84 ff. VA) wird Bezug genommen. Die hiergegen von ihm eingelegte Berufung nahm K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Ulm (Az. 2 Ns 17 Js 20272/14) am 28.04.2016 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zurück. Vorangegangen waren eine Anhörung des K., Zeugenvernehmungen des Klägers und des M. und ein richterlicher Hinweis, dass wegen des vom K. getragenen Sicherheitsschuhs, in den eine Stahlkappe eingearbeitet gewesen sei, eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht komme.

Mit Bescheid vom 09.02.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 19.09.2014 als Arbeitsunfall ab. Von Zeugen sei bestätigt worden, dass die Konfliktsituation nicht erst auf dem Heimweg entstanden sei, sondern nachweislich bereits lange vorher angeschwellt sei. Zwischen dem Kläger und dem K. habe es bereits in der Vergangenheit des Öfteren ausfällige Äußerungen gegeben, welche nach vorliegenden Sachverhaltsschilderungen in der Hauptsache persönlicher kultureller Natur gewesen seien. Es habe sich demnach um eine Auseinandersetzung rein privater Natur gehandelt, die nicht in Verbindung mit der versicherten Tätigkeit gestanden habe. Streitigkeiten zwischen Betriebsangehörigen dienten nicht den Interessen des Unternehmens, sondern seien ihnen abträglich. Ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit habe nicht nachgewiesen werden können.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch trug der Kläger vor, die gesamte Fahrt über habe es keinerlei Probleme gegeben. Erst kurz vor Ende habe es Schwierigkeiten gegeben, welche zur Auseinandersetzung geführt hätten. Es habe sich um eine Heimfahrt gehandelt, sodass ein versicherter Fall vorliege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Bezogen auf das Ereignis vom 19.09.2014 liege der erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der versicherten Tätigkeit, der Zurücklegung des Nachhauseweges von der Arbeitsstätte, nicht vor. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass besondere Umstände der versicherten Tätigkeit die Tat des Kollegen ermöglicht oder entscheidend erleichtert hätten. Nach den sich im Wesentlichen deckenden Angaben des Klägers und Schädigers vor dem Amtsgericht G. sei es am 19.09.2014 auf dem Nachhauseweg im Firmenfahrzeug zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen, welche sich vor dem Wohngebäude des Schädigers fortgesetzt hätten und letztlich in einem tätlichen Angriff auf die Person des Klägers geendet hätten. Übereinstimmend hätten sowohl der Kläger als auch sein Arbeitskollege K. ausgesagt, dass es auf dem Nachhauseweg im Fahrzeug darüber zum Streit gekommen sei, ob das Fenster auf der Beifahrerseite geöffnet werde oder nicht. Ein weiterer Streitpunkt sei gewesen, dass er seinen Kollegen K. nicht zuerst zu seiner Wohnung gebracht habe. Vor der Wohnung sei es dann zu weiteren Streitigkeiten gekommen, welche zum tätlichen Angriff geführt hätten. Ursache für den handgreiflichen Streit seien ausschließlich Unstimmigkeiten gewesen, die dem privaten Bereich zuzuordnen seien. Es lägen somit keine Anhaltspunkte und Hinweise dafür vor, dass sich die Ursache des Streits unmittelbar aus der betrieblichen Tätigkeit ergeben habe.

Hiergegen hat der Kläger am 19.09.2016 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und ausgeführt, die Auseinandersetzung sei nicht rein privater Natur gewesen. Sie habe auf dem Nachhauseweg von der Arbeit stattgefunden. Dabei sei es ausschließlich um Dinge gegangen, welche mit dem Nachhauseweg im Zusammenhang gestanden hätten. Zum einen sei es um die Frage gegangen, ob das Fenster in dem Auto zu öffnen sei, um eine bessere Luft zu gewährleisten und zum anderen um die Frage, wer zuerst heimgebracht werde. Dabei handele es sich um Dinge, die ausschließlich im Zusammenhang mit dem gemeinschaftlichen Heimweg stünden und überhaupt nicht privater Natur seien. Entscheidend sei, ob die Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer Heimfahrt und somit einer dienstlichen Angelegenheit stünden, was der Fall sei. Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide entgegengetreten.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 10.03.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Zwar sei der Kläger zum Zeitpunkt des Ereignisses vom 19.09.2014 in der Wegeunfallversicherung versichert gewesen. Die durch die Tätlichkeiten des K. erlittenen Einwirkungen begründeten jedoch keinen Arbeitsunfall, weil sie nicht infolge des Zurücklegens des versicherten Weges aufgetreten seien und damit nach dem Schutzzweck der Norm nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen gewesen seien. Es hätten sich keine Gefahren verwirklicht, die sich aus der gezielten Fortbewegung des Klägers im Verkehr ergeben hätten. Es habe sich auch kein Risiko ausgewirkt, welches aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung entstanden sei. Die gegen den Kläger gerichtete Straftat des Kollegen K. sei nicht wesentlich durch das Zurücklegen des Weges bedingt gewesen, sondern in überragendem Ausmaß durch die konfliktaffine Persönlichkeit der beiden an der Auseinandersetzung Beteiligten. Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass wegen Nichtigkeiten wie der Frage der Lüftung des Fahrzeuges und der Reihenfolge der abzusetzenden Insassen ein tätlicher Streit habe entbrennen können. Die von der Beklagten dokumentierten Aussagen des nicht an der Auseinandersetzung beteiligten Kollegen würden belegen, dass der Kläger kein unbeteiligtes Opfer, sondern durch vorangegangene Provokationen ("Türken sind dumm") an der Entstehung der Konfliktsituation beteiligt gewesen sei. Dies habe auch das Amtsgericht strafmildernd zugunsten des K. berücksichtigt.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 15.03.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.04.2017 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, der Streit sei im Zusammenhang mit der Arbeit gestanden. Gestritten worden sei nämlich über den Gestank in dem Fahrzeug, ausgelöst durch die Arbeitskleidung der Insassen. Ebenso habe es Streit über die Frage gegeben, in welcher Reihenfolge die Arbeitskollegen abgesetzt werden sollten. Es habe sich ausschließlich um eine Problematik des Nachhauseweges von der Arbeit gehandelt und nicht um eine von außen einwirkende Situation aus dem privaten Bereich.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.03.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Ereignis vom 19.09.2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass entgegen des Vorbringens des Klägervertreters die genauen Gründe für den Streit zwischen den Arbeitskollegen nicht ermittelt hätten werden können. Es sei aber durch Zeugenaussagen erwiesen, dass der Streit aus persönlichen kulturellen Differenzen eskaliert sei. Bereits vor dem konkreten tätlichen Angriff hätten gegenseitige Provokationen zwischen den Tatbeteiligten stattgefunden, die überwiegend persönlicher Natur gewesen seien (Beschimpfungen, Kraftausdrücke, Androhung von Gewalt). Es habe sich insofern nicht um eine Problematik des Nachhauseweges gehandelt, sondern überwiegend um eine persönliche Auseinandersetzung, die sich gelegentlich des Nachhauseweges ergeben und durch weitere Provokationen beim Aussteigen, die auch nichts mit der Arbeit oder dem Arbeitsweg zu tun gehabt hätten, zu einem tätlichen Konflikt entwickelt habe. Damit habe sich keine Gefahr verwirklicht, die spezifisch für das Zurücklegen des Weges von der Arbeit nach Hause sei.

Der Kläger hat auf Nachfrage vorgetragen, dass es sich bei dem Fahrzeug, das er am 19.09.2014 gefahren hat, um einen Firmenbus gehandelt hat. Er hätte diesen, wenn es nicht zu dem Vorfall gekommen wäre, an seinem Wohnort in E. abgestellt und hätte am nächsten Morgen die Personen wieder eingesammelt, um mit ihnen wieder zur Arbeit zu fahren. Das Fahrzeug werde von der Firma hierfür zur Verfügung gestellt und auch die Tankfüllung werde von der Firma bezahlt. Er habe für die fragliche Fahrt eine Vergütung erhalten, da er mehrere Mitarbeiter im Auto gehabt habe. Wenn mehrere Mitarbeiter im Auto seien, gebe es eine Vergütung durch den Arbeitgeber, nicht aber, wenn er alleine fahre.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des Amtsgerichts G. über das Strafverfahren gegen den K. (Az. 17 Js 20272/14) und die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2016 (§ 95 SGG) abgewiesen, denn die Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Bei der vom Kläger am 19.09.2014 erlittenen Körperverletzung durch seinen damaligen Arbeitskollegen K. hat es sich um einen Arbeitsunfall im Rahmen der Wegeunfallversicherung gehandelt.

Die erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist gem. § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Denn der Verletzte kann seinen Anspruch auf Anerkennung, dass ein Ereignis ein Arbeitsunfall ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend machen. Er kann vielmehr wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm geltend gemachten Versicherungsfalls feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 Rn. 12 m. w. N.). Die Klageart hängt mithin in solchen Fällen von den Begehren des Klägers ab, ob er eine behördliche oder unmittelbar eine gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls erstrebt (BSG, Urteil vom 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R = UV-Recht Aktuell 2010, 897 = juris Rn. 9).

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Anerkennung eines Versicherungsfalls ist § 102 SGB VII. Danach haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung eines Versicherungsfalls (oder von Unfallfolgen), wenn ein Unfall vorliegt, der die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 SGB VII erfüllt. § 102 SGB VII ist damit nicht nur eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des feststellenden Verwaltungsaktes für den Unfallversicherungsträger, sondern zugleich auch Anspruchsgrundlage für den Versicherten (ausführlich hierzu BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = a.a.O., Rn. 15 ff.). Der Tatbestand des § 102 SGB VII setzt voraus, dass der Versicherte einen Versicherungsfall und, soweit die Feststellung von Unfallfolgen begehrt wird, weitere Gesundheitsschäden erlitten hat, die im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einen (u.U. nur behaupteten) Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen sind.

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs. 1 S. 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl. BSG, Urteil vom 04.12.2014 - B 2 U 13/13 R = SozR 4-2700 § 2 Nr. 31; Urteil vom 31.01.2012 - B 2 U 2/11 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 43;Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 42; Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R = BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr. 17 Rn. 10; Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 Rn. 10 m.w.N.). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 RBSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, ebenfalls Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R –, SGb 2009, 355, jeweils Rn. 10, nach juris).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserstschaden" bzw. (evtl.) "Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 30/07 RBSGE 103 45).

Gestützt auf die Einlassungen des Klägers gegenüber der Beklagten im Fragebogen "Streit" vom Januar 2015, die Zeugenaussagen, die der Kläger, der Zeuge M. und die Zeugin G. gegenüber der Polizei im Ermittlungsverfahren und vor dem Amtsgericht G. im Strafverfahren (Aktenzeichen 17 Ds 17 Js 20272/14) gegen dem K. gemacht haben und die Feststellungen, die das Amtsgerichts G. im Urteil vom 02.11.2015 getroffen hat, hat sich der Senat von folgendem Geschehensablauf am Unfalltag (19.09.2014) überzeugt: Der Kläger befand sich als Fahrer eines Firmenfahrzeugs seiner Arbeitgeberin L. W. GmbH & Co. KG auf dem Rückweg von einer Baustelle in A ... Ursprünglich befanden sich als Mitfahrer der D. und der K. in dem Fahrzeug, wobei der K. auf dem Beifahrersitz mitfuhr und D. in der hinteren Kabine des "Doppelkabiners". Weil er K. und D. nach Hause fuhr, erhielt der Kläger für die Fahrt eine Vergütung von der Arbeitgeberin, die auch die Tankkosten für das Firmenfahrzeug übernahm. Durch die schwere körperliche Arbeit auf der Baustelle waren alle Fahrzeuginsassen verschwitzt. Während der Rückfahrt gerieten der Kläger und K. darüber in Streit, ob wegen der dadurch verursachten "schlechten Luft" das Seitenfenster geöffnet oder geschlossen gehalten werden sollte: K. wollte wegen der Gerüche mit geöffnetem Fenster fahren, der Kläger untersagte ihm dies, weil er befürchtete, durch die Zugluft zu erkranken. Im Verlauf dieses Streits, in dem auch beleidigende Worte fielen, wurde das Fenster durch K. mehrmals geöffnet und wieder geschlossen. In der Folge setzte der Kläger nach der Ankunft in G. zunächst den D. ab und dann erst den K. Er beabsichtigte dann, mit dem Firmenfahrzeug nach Hause zu seiner Wohnung nach E. zu fahren, um am nächsten Morgen seine Arbeitskollegen wieder "aufzusammeln" und gemeinsam mit diesen wieder zur Baustelle zu fahren. K. öffnete jedoch, nachdem er ausgestiegen war, die beiden Fahrzeugtüren der Beifahrerseite, die der Kläger daraufhin wieder schloss, um weiterzufahren. Hierauf öffnete der K. erneut die Türen der Beifahrerseite, die der Kläger wiederum schloss, um dann die Fahrt fortzusetzen. Schließlich öffnete der K. die Fahrzeugtüren der Beifahrerseite ein drittes Mal. Der Kläger fuhr, um den Streit zu beenden, langsam mit geöffneten Türen die W.straße in G. entlang in Richtung O.straße, wo er in einer Einmündung anhielt, um die Fahrzeugtüren erneut zu schließen und dann die Fahrt nach Hause fortzusetzen. Als er die vordere Beifahrertür geschlossen hatte, lief der K., der dem Firmenfahrzeug hinterher gelaufen war, auf den Kläger zu und versuchte, ihn daran zu hindern, die zweite Beifahrertür ebenfalls zu schließen. Als der Kläger den K. daraufhin sagte, er solle nach Hause gehen und ihn mit der Hand von sich wies, schlug ihn dieser mit der Faust ins Gesicht, wodurch der Kläger zu Boden ging. Dann trat der K. den am Boden liegenden Kläger noch mit dem Fuß den Kopfbereich. Hierdurch erlitt der Kläger eine Schädelprellung sowie kleinere Hautabschürfungen am Außenknöchel und Daumen rechts, wie im Durchgangsarztbericht vom 19.09.2014 von Prof. Dr. S. dokumentiert. Das Amtsgericht G. hat die Tat des K. als vorsätzliche Körperverletzung gewertet und ihn zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

Der Kläger befand sich, nachdem er den K. als letzten verbleibenden Fahrzeuginsassen abgesetzt und die Heimfahrt angetreten hatte, auf keinem Betriebsweg i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII mehr, wohl aber auf dem Nachhauseweg von seiner Arbeitsstätte zu seiner Wohnung in E ... Er stand damit unter dem Schutz der gesetzlichen Wegeunfallversicherung.

Ein Betriebsweg unterscheidet sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und nicht - wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII - der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt (vgl. hierzu BSG vom 12.01.2010 - B 2 U 35/08 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 36 Rn. 16 und vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39 Rn. 20). Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl. BSG vom 10.10.2006 - B 2 U 20/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 19 Rn. 14). Als objektive Umstände, die Rückschlüsse auf die Handlungstendenz zulassen, ist beim Zurücklegen von Wegen insbesondere von Bedeutung, ob und inwieweit Ausgangspunkt, Ziel, Streckenführung und ggf. das gewählte Verkehrsmittel durch betriebliche Vorgaben geprägt werden (vgl. BSG vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39 Rn. 20; BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 7/12 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 48, Rn. 13). Mit der Fortsetzung des Weges nach dem Absetzen des K. als letztem Mitfahrer durch den Kläger zu dessen Wohnung wollte dieser nicht mehr eine seiner Arbeitgeberin dienende Tätigkeit ausüben, denn die betriebsdienliche Fahrertätigkeit war mit dem Absetzen des letzten Mitfahrers K. vor dessen Wohnung beendet, was durch die Vergütungsregelung der Arbeitgeberin L. W. GmbH & Co. KG zum Ausdruck kommt, die für den Transport von Mitfahrern zur oder von der Baustelle mit dem Firmenfahrzeug ein Entgelt zahlt, nicht aber für ohne Mitfahrer durchgeführte Fahrten.

Der Kläger befand sich, als er Opfer der Tätlichkeit des K. wurde, auf dem Weg vom Ort der Tätigkeit nach Hause zu seiner Wohnung und stand unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Danach ist versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Wegs nach und von dem Ort der Tätigkeit. Wie schon in der Vorgängervorschrift des § 550 RVO ist in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII als End- bzw. Ausgangspunkt des Wegs nur der Ort der Tätigkeit festgelegt. Wo der Weg nach dem Ort der Tätigkeit beginnt und wo der Weg von dem Ort der Tätigkeit endet, ist nicht umschrieben. Begründet wird der Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit damit, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer auf die versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden (vgl. BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 28 Rn. 13 und B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 29, Rn. 21; BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 7/12 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 48, Rn. 18).

Wie das BSG seit seiner Entscheidung vom 09.12.2003 (B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 3) in ständiger Rechtsprechung betont hat, ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin (hier Wohnung des Klägers) dient, die Handlungstendenz des Versicherten. Diesen Grundsatz hatte das BSG bis zu der Entscheidung vom 09.12.2003 (a.a.O.) freilich mit der Einschränkung versehen, dass der Versicherungsschutz trotz der vorübergehenden Lösung vom betrieblichen Zweck des Wegs solange erhalten bleibt, wie sich der Versicherte noch innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums der für den Weg zu oder von der Arbeitsstätte benutzten Straße aufhält. Die nicht mehr versicherte Unterbrechung des Wegs begann nach dieser überholten Rechtsprechung danach erst, wenn der öffentliche Verkehrsraum, beispielsweise durch Betreten eines Geschäfts oder durch Einbiegen in eine Seitenstraße, verlassen wurde. Sie endete, sobald der Versicherte nach Erledigung der eigenwirtschaftlichen Verrichtung zur Fortsetzung des Wegs in den Bereich der Straße zurückkehrte (siehe etwa BSG vom 02.07.1996 - 2 RU 16/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 14 m.w.N.). Diese einschränkende Rechtsprechung, die in der Vergangenheit aus Gründen der Rechtsklarheit und Verwaltungspraktikabilität die Einbeziehung bestimmter im privaten Bereich wurzelnder Unfallrisiken in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung in Kauf genommen hatte, hat das BSG aufgegeben. Wird der Weg zu oder von der Arbeitsstätte durch eine private Besorgung mehr als nur geringfügig unterbrochen, besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz. Dieser setzt erst wieder ein, wenn die eigenwirtschaftliche Tätigkeit beendet ist und die Handlungstendenz auch nach außen erkennbar wieder darauf gerichtet ist, den ursprünglichen, versicherten Weg wieder aufzunehmen (vgl. das Urteil des BSG vom 04.07.2013 - B 2 U 12/12 R – Fortsetzung der Fahrt auf der Straße nach Beendigung eines Tankvorgangs – und vom 04. Juli 2013 – B 2 U 3/13 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 50, Rn. 12 – "Erdbeerfall")

Die Handlungstendenz des Klägers war zum Unfallzeitpunkt ausschließlich darauf gerichtet, den begonnenen Heimweg fortzusetzen, und zwar auch noch unmittelbar vor der erlittenen Tätlichkeit durch den K. Zwar hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt sein Fahrzeug angehalten und war aus dem Fahrzeug ausgestiegen, aber nur deshalb, um die vom K. zuvor geöffneten Türen zu schließen, ohne dass er dafür den öffentlichen Verkehrsraum verlassen musste. Es handelte sich um eine Verrichtung, die notwendig war, damit der restliche Weg zurückgelegt werden konnte (vgl. etwa zum unerwartet erforderlichen Tanken BSG, Urteil vom 11. August 1998 – B 2 U 29/97 R –, SozR 3-2200 § 550 Nr. 19, Rn. 18), mithin nicht um eine privatwirtschaftliche Tätigkeit. Der Kläger wollte nur seinen Heimweg fortsetzen und zu diesem Zweck die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs wiederherstellen, indem er versuchte, auch die letzte Fahrzeugtür auf der Beifahrerseite zu schließen, woran der K. ihn zu hindern suchte, was schließlich in die von diesem begangene Körperverletzung (Schlag gegen den Kopf und anschließend Fußtritt in den Kopfbereich des zu Boden gegangenen Klägers) mündete. Der Kläger wollte den von ihm mit dem Wegfahren mit geöffneten Türen der Beifahrerseite als abgeschlossen betrachteten Streit mit K. nicht fortsetzen. Das wird für den Senat dadurch deutlich, dass der Kläger zunächst mit geöffneten Türen weitergefahren ist, um den Streit auf diese Weise zu beenden, und sich, nachdem der K. ihm hinterhergelaufen war und ihn daran hindern wollte, die Tür zu schließen, auf die Bemerkung, der K. solle nach Hause gehen und auf das Abweisen des K. mit der Hand als Maßnahme der Schutz- und Trutzwehr beschränkt hat und nicht seinerseits gegen den K. handgreiflich geworden ist.

Die Einstandspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung für versicherte Wege i.S. des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert zweistufig die Erfüllung 1. tatsächlicher und 2. darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung (und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod) sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl., auch zum Folgenden, BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47, juris, Rn. 15, BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - = SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, juris, Rn. 30 ff.).

Vorliegend hat das Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte nicht nur objektiv die Einwirkungen durch den Überfall des K. verursacht, dieser Weg war auch rechtlich wesentlich hierfür i.S. von § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.

Auf der 1. Stufe muss die versicherte Verrichtung i.S. der "conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges (stets neben anderen Bedingungen) sein. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur als (bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare) zufällige Randbedingung anzusehen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage.

Der Versuch des Klägers, die beiden zuvor von K. geöffneten Türen am Firmenfahrzeug für die verkehrssichere Fortsetzung der Heimfahrt zu schließen, war hier Wirkursache für die Einwirkung, die durch den K. zu Lasten des Klägers begangene Körperverletzung (Schlag ins Gesicht, Tritt an den Kopf) und die hieraus resultierenden Gesundheitsstörungen in Gestalt einer Schädelprellung mit Schwindel und Cephalgien sowie kleinerer Hautabschürfungen am Außenknöchel und Daumen rechts.

Auf der 2. Stufe ist festzustellen, ob sich die durch die versicherte Tätigkeit objektiv verursachte Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellt und deshalb die versicherte Tätigkeit "wesentlich" war, ob also sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers wird nur begründet, wenn die durch die versicherte Verrichtung objektiv mitverursachte Einwirkung auf den Versicherten eine Gefahr mitverwirklicht hat, gegen die die begründete Versicherung schützen soll. Andere unversicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Wirkursache verdrängen, so dass der Schaden "im Wesentlichen" rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt. Die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten unversicherten Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47, juris, Rn. 18).

Das versicherte Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte war hier die maßgebliche Ursache für die Einwirkungen durch den K., der den Kläger durch seine Intervention daran hindern wollte, die Fahrzeugtüren zu schließen, um dann unverzüglich seine Fahrt nach Hause fortzusetzen. Anders als das SG vermag der Senat nicht festzustellen, dass persönliche Konflikte zwischen dem Kläger und dem K. als unversicherte Mitursache das Geschehen hier derart geprägt haben, dass unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten des Weges die versicherte Tätigkeit als Ursache zurücktritt und wesentliche Ursache allein nicht vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung erfasste private Konflikte zwischen dem Kläger und K. waren.

Die gesetzliche Unfallversicherung schützt während des Zurücklegens des Weges nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit vorrangig gegen Gefahren, die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr aus eigenem, gegebenenfalls auch verbotswidrigem Verhalten, dem Verkehrshandeln anderer Verkehrsteilnehmer oder Einflüssen auf das versicherte Zurücklegen des Weges ergeben, die aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung wirken (vgl. BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R – a.a.O. Rn. 45 ff.). In den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII fallen aber auch grundsätzlich Überfälle auf den Versicherten auf dem Weg zur oder von der Arbeit, soweit sie rechtlich wesentlich durch das Zurücklegen des Weges bedingt sind. Die Gefahr, aufgrund eigener privater Beziehungen, Kontakte oder sonstiger aus dem persönlichen Bereich stammender Umstände Opfer eines Überfalls (unabhängig vom Ort der Tat und dessen besonderen Verhältnissen) zu werden, wird dagegen nicht vom Schutzbereich der Wegeunfallversicherung erfasst. Denn eine solche Gefahr besteht nicht nur auf öffentlich zugänglichen Wegen, sondern auch im häuslichen Bereich und stellt keine beim Zurücklegen eines Weges spezifische Gefahr dar (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47, Rn. 20).

Hier war der K. durch die vorangegangenen Streitigkeiten im Fahrzeug noch aufgebracht; er beabsichtigte, den aus Sicht des Klägers durch das langsame Wegfahren mit offenen Türen beendeten Konflikt weiter auszutragen und war offenbar auf eine "handgreifliche" Auseinandersetzung mit diesem aus. Die Ursachen dieses Streits lagen nicht im privaten Bereich begründet, sondern in der versicherten Tätigkeit des Klägers als Fahrer: Der Kläger und K. hatten zuvor darüber gestritten, ob das Fenster wegen unangenehmer Gerüche durch die verschwitzte Arbeitskleidung geöffnet oder wegen der Erkältungsgefahr durch Zugluft geschlossen gehalten werden sollte und wer dies zu bestimmen hatte. Außerdem war K. aufgebracht darüber, dass zunächst der D. und nicht er vom Kläger nach Hause gebracht worden war. Der Senat teilt weder die Wertung des SG, dass es sich dabei um bloße "Nichtigkeiten" gehandelt hat, denn das Konfliktpotential der streitigen Themen war hoch genug, um in eine Körperverletzung des K. gegen den Kläger zu münden, noch die Einschätzung, dass eine "konfliktaffine Persönlichkeit" des Klägers und des K. die wesentliche Ursache für die gegen den Kläger gerichtete Straftat des K. war. Im Handeln des K. wirkte vielmehr ein unmittelbar vorangegangener Streit über Themen mit konkretem Bezug zur versicherten Tätigkeit nach. Dieser Streit aus betrieblichem Anlass wurde auch nicht durch einen generellen persönlichen Konflikt zwischen dem Kläger und K. überlagert. Es mag sein, dass sich der Kläger, wie vom D. gegenüber der Beklagten berichtet (vgl. Aktenvermerk vom 18.03.2015) mehrmals generell "ausfällig" über Türken geäußert hat, konkrete Indizien für einen persönlichen Konflikt zwischen dem Kläger und K. bestehen jedoch nicht. Die im Vermerk der Beklagte vom 18.03.2015 aktenkundig gemachte Schilderung des K., der Kläger habe im Tagesverlauf mehrfach mit einem Taschenmesser vor seinem Gesicht herumgefuchtelt und gedroht, ihm den Hals aufzuschlitzen (Bl. 60 VA), hat K. während seiner richterlichen Vernehmung am 12.10.2015 nicht wiederholt, sondern vielmehr beteuert, noch nie Auseinandersetzungen mit dem Kläger gehabt zu haben - vielleicht mal wegen der Arbeit, weil er etwas anders mache als K. Von einem vorangegangenen Messerangriff war nicht die Rede. K. hat dem Amtsgericht lediglich mitgeteilt, Angst vor dem Kläger gehabt zu haben - dieser habe mal gesagt, dass er ein Taschenmesser habe. Diese Angaben vermögen ein persönliches Zerwürfnis zwischen dem Kläger und K. nicht zu belegen.

Hiernach hat es sich bei dem Ereignis vom 19.09.2014 um einen Arbeitsunfall gehandelt, weshalb die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten war, das Ereignis vom 19.09.2014 als solchen anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 und berücksichtigt, dass der Kläger vollumfänglich obsiegt hat.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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