L 3 R 95/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 6 R 751/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 95/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. Januar 2015 wird geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21. Oktober 2010 in der Fassung des Wider-spruchsbescheides vom 24. April 2012 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbs-minderung vom 1. November 2017 bis zum 31. Oktober 2020 zu bewilligen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Achtel.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

Der 1967 geborene Kläger besuchte sieben Jahre die Schule, erreichte jedoch nur den Abschluss der sechsten Klasse. Er durchlief danach vom 1. September 1982 bis zum 15. Juli 1984 eine (Teil-)Lehre als Gärtner und war bis Mai 1986 als Gärtner beschäftigt. Danach arbeitete er nach seinen Angaben als Genossenschaftsbauer bzw. Melker und von Mai 1989 bis Oktober 1991 als Transportarbeiter in einem Käsewerk. Von März 1992 bis Dezember 2006 war er als Bauhelfer, Baumaschinenführer und Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Infolge einer Tumorerkrankung des rechten Auges mit nachfolgender Entfernung desselben im Januar 2007 bezog er vom 1. August 2007 bis zum 31. Oktober 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seit dem 1. November 2010 erhält er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Während-dessen war er von Mai 2012 bis Dezember 2013 und von Januar bis Februar 2014 als Auslieferungsfahrer für Großküchen zwei bis drei Stunden täglich bzw. 15 Stunden wöchent-lich geringfügig beschäftigt. Ausweislich des Arbeitsvertrages mit der Großküche E. erhielt er hierfür 150,00 EUR monatlich. Nach Angaben des Klägers sei die Großküche E. dann als Bördeküche GmbH mit Sitz in M. fortgeführt worden. Er hätte auf Abruf eingesetzt werden sollen. Da er dorthin auf eigene Kosten mit dem Auto hätte fahren müssen und vom Arbeit-geber einmal 4,80 EUR monatlich erhalten habe, habe er diese Tätigkeit beendet.

Auf den am 24. April 2007 gestellten Rentenantrag des Klägers, den er mit dem Verlust des rechten Auges und der Tumorerkrankung begründete, holte die Beklagte u.a. das Gutachten der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. K. vom 18. Juli 2007 ein, die den Kläger am 12. Juli 2007 ambulant untersuchte und zu dem Ergebnis kam, beim Kläger bestehe durch Enuklea-tion des rechten Auges eine Einäugigkeit. Nach optimaler Augenprothesenanpassung könne er alle Tätigkeiten ausüben, die die Einäugigkeit zulasse. Tätigkeiten in der Höhe oder an laufenden Maschinen seien ausgeschlossen. Im Entlassungsbericht der M. Klinik K. - Abteilung Onkologie - vom 11. Dezember 2007 sind als Diagnosen ein Aderhautmelanom rechts mit extraokulärem Wachstum sowie der Zustand nach Enukleation des rechten Auges am 29. Januar 2007 und nach Radiatio vom 8. März bis zum 20. April 2007 sowie eine lokale Infektion des rechten Auges berücksichtigt. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei deutlich beeinträchtigt. Derzeit sei er sowohl als Tiefbauer/Baumaschinenführer sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur unter drei Stunden täglich einsetzbar. In einer hierzu angefor-derten Erläuterung der Leistungsbeurteilung durch den prüfärztlichen Dienst wies die Chefärztin Onkologie Dr. M. unter dem 25. März 2008 darauf hin, dass beim Kläger eine außerordentlich seltene Tumorerkrankung mit extraokulärem Wachstum und ausgesprochen ungünstigen Prognosekriterien vorliege. Der Kläger habe über häufige Kopfschmerzen, überwiegend im Hinterkopf, sowie über eine ausgeprägte und rezidivierende Entzündung in der Augenhöhle geklagt, wodurch sein Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt sei. Durch die Einäugigkeit bestehe ein deutlich eingeschränktes räumliches Sehvermögen. Aufgrund der fehlenden Ausdauerbelastbarkeit, des eingeschränkten räumlichen Sehvermögens, der Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung und der sozialen Unsicherheit des Klägers könnten auch leichte Tätigkeiten derzeit nur unter drei Stunden ausgeübt werden.

Nachdem dem Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. August 2007 bis zum 31. Oktober 2010 gewährt worden war, beantragte er am 7. Juni 2010 die Weitergewäh-rung dieser Rente. Die Beklagte holte daraufhin einen Behandlungs- und Befundbericht vom dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 2. Juni 2010 ein. Der Kläger habe über Kopfschmerzen geklagt und eine gelegentlich bestehende psychovegetative Beeinflussung. Eine Befundänderung sei nicht eingetreten. Die Beklagte ließ den Kläger ferner erneut von Dr. K. unter dem 4. Oktober 2010 begutachten. Der Kläger habe über eine ständig abson-dernde Augenhöhle geklagt. Aus rein ophthalmologischer Sicht könne der Kläger leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich ausführen, die mit der Einäugigkeit vereinbar seien. Als Tiefbauer und Maschinenführer könne er aufgrund der Einäugigkeit, der Schwere der Arbeit und der Belastung durch Staub, Kälte, Nässe und Zugluft bei chronischer Entzün-dung der Augenhöhle nicht mehr arbeiten. Seinen erlernten Beruf als Gärtner könne er unter bestimmten Voraussetzungen ausüben. Zu berücksichtigen seien darüber hinaus die Schwere und Prognose des Krankheitsbildes, weshalb eine zusätzliche psychologische Begutachtung empfehlenswert sei. Dem Gutachten beigefügt ist der Befund von Dr. K. von der Gemeinschaftspraxis für Pathologie vom 2. November 2009, wonach ausgeprägte fibröse narbige Veränderungen mit granulierender teils florider Entzündung bei Zustand nach Voroperation bei dem aus der Orbitahöhle rechts entnommenen Gewebe festgestellt worden seien. Ausweislich des Berichtes von Dr. M. vom 17. März 2011, Chefarzt in der Klinik für Augenheilkunde im S. O.-Klinikum, zeige sich in der lateralen Orbitahöhle ein unveränderter Bindehauttumor.

Die Beklagte ließ den Kläger sodann von der Nervenärztin Dr. G. begutachten. Diese erstellte ihr Gutachten vom 10. September 2011 nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 31. August 2011. Dr. G. wies darauf hin, dass der Kläger (nur) wie ein Schüler der zweiten Klasse lesen könne und die mathematischen Fähigkeiten ebenfalls sehr begrenzt seien. Befragt zu der noch zu "DDR-Zeiten" erworbenen Fahrerlaubnis habe der Kläger angegeben, bei der Theorie habe der Fahrlehrer "ein Auge zugedrückt". Neben der Einäugigkeit bestehe nach ihrer Auffassung eine intellektuelle Minderbefähigung. Der Kläger habe bis zur Erkrankung körperlich schwere Arbeiten ausgeführt und sich in der Praxis offenbar, da er fleißig gewesen sei, bewährt. Die schlechte Schulausbildung mache es nicht möglich, dass der Kläger eine Umschulungsmaßnahme bewältigen könne. Es kämen nur sehr einfache Tätigkeiten mit sehr vielen Einschränkungen in Betracht. Nur wenn ein leidensgerechter Arbeitsplatz gefunden werde, sei die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit wieder möglich. Den Ankreuzbogen der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung füllte die Gutachterin nur insoweit aus, als sie in Bezug auf die Tätigkeit als Hilfsarbeiter auf dem Bau ein unterdreistündiges Leistungsvermögen ankreuzte. Zur Beurteilung des zeitlichen Umfangs entsprechend dem positiven und negativen Leistungsbild ist die Bemerkung "nur einfache Anlerntätigkeiten unter Berücksichtigung der Tumorerkrankung" angegeben. In der daraufhin vom prüfärztlichen Dienst angeforderten Ergänzung gab Dr. G. unter dem 9. Januar 2012 an, beim Versicherten liege eine leichte Intelligenzminderung vor und er sei in der Lage, einfache Arbeiten unter Anleitung vollschichtig auszuführen, wobei die Einäugigkeit infolge der Tumorerkrankung zu berücksichtigen sei. Mit Hilfe der Familie könne er selbstständig seine persönlichen Angelegenheiten erledigen und entscheiden.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Weiterzahlungsantrag ab. Trotz des Verlustes des rechten Auges wegen des Tumorleidens könne der Kläger noch mindes-tens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Mit dem hiergegen am 25. Oktober 2010 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er könne seine letzte Tätigkeit im Straßenbau wegen Staub und Dreck nicht mehr ausführen, Büroarbeit wegen fehlender schulischer Leistungen und Computerar-beit wegen Brennens und verschwommenen Sehens des gesunden Auges nicht verrichten. Das rechte Auge schleime ständig, ohne dass dagegen etwas getan werden könne. Auch das linke gesunde Auge sei schon leicht entzündet und in Mitleidenschaft gezogen. Gelegentlich habe er Kopfschmerzen und es werde ihm schwarz vor Augen. Wegen der Sicht-feldeinschränkung könne er auch eine Tätigkeit als Berufskraftfahrer nicht mehr ausüben. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück. Zwar sei die Leistungsfähigkeit des Klägers durch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (Verlust des rechten Auges wegen Tumorleiden) beeinträchtigt. Es sei daher eine konkrete Verweisungstätigkeit bzw. ein Tätigkeitsfeld zu benennen. Medizinisch zumutbar sei der Kläger auf Produktionshelfertätigkeiten als Warenaufmacher, Verpacker und Sortierer verweisbar. Die Beklagte hat insoweit eine Tätigkeitsbeschreibung beigefügt; wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 141 und 142 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Mit der hiergegen am 10. Mai 2012 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger seinen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung weiter-verfolgt. Er hat zum einen sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Zum anderen hat er auf seine seelische Beeinträchtigung hingewiesen, da bei ihm unverändert ein Bindehauttumor vorlege und er sich halbjährlich zu augenärztlichen Nachuntersuchungen sowie zu Oberbauchsonografien zum Ausschluss einer Leberfiliae zu begeben habe. Von den behandelnden Ärzten sei auf die ausgesprochen ungünstige Prognose des bei ihm bestehenden Aderhautmelanoms hingewiesen worden.

Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von Dr. K. vom 22. Juli 2013 und von Dipl.-Med. K. vom 27. September 2013 eingeholt. Dipl.-Med. K. hat auf weitere Tumor-entfernungen im Bereich des Lidwinkels im Oktober 2009 sowie im Mai 2013 hingewiesen und die Leistungseinschätzung abgegeben, der Kläger könne nur noch unter sechs Stunden täglich mit zusätzlichen Einschränkungen tätig sein.

Sodann hat das Sozialgericht ein Gutachten des Facharztes für Augenheilkunde und Arbeitsmedizin Priv. Doz. Dr. M. (im Weiteren: PD Dr. M.) vom 18. Oktober 2014 eingeholt. Danach betrage das Sehvermögen des linken Auges 1,0. Rechts bestehe ein guter Prothe-sensitz mit einem befriedigenden kosmetischen Ergebnis. Es bestehe kein Anhalt für ein Rezidiv eines Bindehaut-Tumors bzw. Melanoms. Es liege eine leichte Farbsinnstörung vor. Die Prognose des Aderhaut-Melanoms sei weiterhin unsicher, aufgrund des Zeitablaufs aber eher günstig einzuschätzen. Seitens der Augen könne der Kläger eine Vielzahl von Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten, wobei nur geringe Anforderungen an seine Intelligenz gestellt werden könnten. Der Kläger könne als Gärtner, nicht dagegen als Kraft-fahrer, Wäschefahrer, Baumaschinenfahrer und im Straßenbau tätig sein. Hinsichtlich der Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten Einäugiger hat er auf die Literatur "Augenärztliche Begutachtung in der DDR" hingewiesen, an der er als Mitglied in der Kommission der augenärztlichen Arbeitsmedizin "maßgeblich" mitgearbeitet habe. Die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten als Verpacker, Produktionshelfer als Warenaufmacher sowie Portier seien für Einäugige mit geistiger Minderbegabung wie den Kläger durchaus zumutbar. Der prüfärztlichen Stellungnahme sei voll zuzustimmen, soweit es dort heiße, dass der "Ist-Zustand" maßgeblich sei und sich die Leistungseinschätzung nicht an "Prognose-Kriterien" zu orientieren habe. Wörtlich es heißt weiter: Wenn letzteres geschehe, müssten bei unsicherer Prognose [ ] eine Vielzahl von Krebspatienten prophylaktisch berentet werden."

Mit Urteil vom 21. Januar 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei über den 31. Oktober 2010 hinaus weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Er könne trotz der bestehenden Einäugigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbare Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Die Kammer stütze sich auf das Gutachten von PD Dr. M. Dieses stimme mit dem Gutachten der Augenfachärztin Dr. K. von September 2010 überein, welche festgestellt habe, dass der Kläger noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten zu verrichten. Insbesondere die benannten Verweisungstätigkeiten eines Produktionshelfers oder Verpackers seien dem Kläger trotz der aufgrund der bestehenden Einäugigkeit zu berücksichtigenden schweren spezifischen Leistungsbehinderung gesund-heitlich zumutbar.

Gegen das ihm am 10. Februar 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. März 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Mit der am 13. August 2015 eingegangenen Berufungsbegründung hat er darauf hingewiesen, inzwischen an einem psychosomatischen Syndrom sowie an einer schweren depressiven Episode zu leiden und sich deshalb in psychotherapeutische Behandlung begeben zu haben. Bislang seien weder seine psychischen Beeinträchtigungen noch die festgestellte Legasthenie sowie eine neu aufgetretene Funktionsstörung des Magen-Darm-Traktes berücksichtigt worden. Er hat einen von ihm veranlassten Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie/Psychotherapie T. vom 23. April 2015 über die vom Hausarzt initiierte Mitbehandlung vom 16. Februar bis zum 16. März 2015 beigefügt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 159 bis 167 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Kläger hat angegeben, ca. alle zwei Stunden das Glasauge mit Hilfe eines Saugnapfs entfernen und mit einer speziell hierfür hergestellten Flüssigkeit reinigen sowie Salbe in die Augenhöhle geben zu müssen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll des Verhandlungstermins beim Senat verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. Januar 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Oktober 2010 hinaus, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. November 2010 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für rechtmäßig.

Im Berufungsverfahren sind Behandlungs- und Befundberichte von dem Facharzt für Innere Medizin Dr. G. - ohne Datum -, eingegangen am 15. Dezember 2015, von Dr. K. vom 1. Februar 2016 sowie von dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie Dr. W. vom 10. Oktober 2016 eingeholt und die Epikrise des A. Klinikums H. vom 13. Juli 2015 über die teilstationäre Behandlung des Klägers vom 11. Mai bis zum 3. Juli 2015 beigezogen worden. Dr. G. hat einen unauffälligen Oberbauchbefund bei derzeitiger Beschwerdefreiheit mitgeteilt. Dr. K. hat auf einen konstant gebliebenen Gesundheitszustand bei beklagter Sehbehinderung, Kopf-schmerzen, Konzentrationsschwäche, Angst vor einem Rezidiv sowie psychosomatische Beschwerden hingewiesen. Dr. W. hat die Diagnose einer mittelgradig ausgeprägten depressiven Erkrankung gestellt. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers sei schwierig, da dieser durch das fehlende Auge beeinträchtigt sei, der Verdacht auf eine Lese-Rechtschreib-Schwäche bestehe und der Kläger wenig flexibel erscheine. Es sei die Therapie mit einem Antidepressivum begonnen worden. Sollte die Depressivität positiv beeinflussbar sein, könne der Kläger seinen Fähigkeiten entsprechend und unter Berücksichtigung seiner Beeinträchtigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Aus der Epikrise des A. Klinikums H. ergibt sich, dass dort die Diagnose einer mittelgradigen reaktiven depressiven Episode gestellt worden ist. Die Einstellung auf ein Antidepressivum ist als nicht erforderlich angesehen, jedoch eine medikamentöse Behandlung mit Augensalbe unverändert fortgeführt worden. Zum Ende der Therapie habe der Kläger angegeben, körperlich wieder belastbarer zu sein, weniger Grübelneigung zu spüren und im Kontaktver-halten aktiver geworden zu sein. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 205, 206, 216 bis 218, 221, 222 sowie 239, 240 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Schließlich ist das Gutachten von dem Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychothe-rapie Privatdozent Dr. G. (im Weiteren: PD Dr. G.) vom 10. Mai 2017 eingeholt worden. Der gerichtliche Sachverständige hat den Kläger am 19. April 2017 ambulant untersucht. Im Rahmen der Anamneseerhebung hat der Kläger angegeben, immer verheimlicht zu haben, dass er nicht richtig lesen und schreiben könne. 1987 und 1990 habe er den Führerschein für das Motorrad bzw. für das Auto gemacht und die theoretischen Fragen für den Motorrad-führerschein auswendig gelernt; für den Kraftfahrzeugführerschein seien ihm die Prüfungs-fragen vorgelesen worden. Einer Nachprüfung seitens der Führerscheinstelle habe er sich auch nach dem Verlust des rechten Auges nie unterziehen müssen. Er habe in dem seinem Vater gehörenden Pkw einen zweiten Innenspiegel anbringen lassen, um den toten Winkel, den er nach der Entfernung seines Auges habe, einzugrenzen. Zur Begutachtung sei er gemeinsam mit seinem Vater mit dem Auto kommen.

Zum Tagesablauf hat er angegeben, um 7.30 Uhr aufzustehen. Er lebe mit seinem Vater gemeinsam in einem Einfamilienhaus auf einem ungefähr 2000 m² großen Grundstück mit Rasen und einigen Bäumen. Als Haustiere hätten sie drei Vögel. Er habe Kontakt zu einer Nachbarin, es gebe eine Schwester der Mutter und entfernte Bekannte und Verwandte in H. Freunde habe er keine, auch schon seit vielen Jahren keine Partnerin mehr und ein Hobby, an dem ihm besonders gelegen sei, könne er nicht benennen. Der Tag bestehe aus Frühstü-cken, Mittagessen, Aufräumen und Abwaschen, Fernsehen schauen, etwas spazieren gehen und Abendbrotessen. Seit 2014 gehe er auf Vermittlung des Arbeitsamtes jeweils montags, mittwochs und donnerstags von 8.15 Uhr bis 12.30 Uhr zur Volkshochschule und solle dort lesen und schreiben lernen.

PD Dr. G. hat zum körperlichen Untersuchungsbefund angegeben, die Augenprothese sei außerordentlich - deutlich sichtbar - tief in der Augenhöhle gelegen. Der Augenhöhlenbereich sei rechts entzündet, der Lidschluss nicht möglich, die Wimpern des rechten Auges seien an der Prothese festgeklebt. Arme und Hände seien frei beweglich, die grobe Kraft und die Feinmotorik nicht beeinträchtigt gewesen. Auch die unteren Extremitäten hätten keine Auffälligkeiten gezeigt. Das Gangbild sei flüssig und unauffällig gewesen. Die Wirbelsäule sei leicht S-skoliotisch konfiguriert, eine isolierte Druck- oder Klopfschmerzhaftigkeit bzw. ein Stauchungsschmerz habe sich nicht nachweisen lassen. In psychischer Hinsicht sei der Kläger bewusstseinsklar und orientiert gewesen. Er habe sich in der Untersuchungssituation zugewandt und auskunftsbereit, kooperativ und in seinen Angaben glaubwürdig gezeigt. Zeitweise habe er depressiv verstimmt bei der Erörterung seines Leidensweges gewirkt. Hier sei er deutlich verbittert und insbesondere vom Tod seiner Mutter schwer betroffen gewesen. In der Gesamtpersönlichkeit bestünden ausgesprochen auffällige Züge. Der Kläger wirke wenig selbstbestimmt und übertrage die Verantwortung für sein eigenes Leben bevorzugt an Andere, lebe in einer nahezu symbiotischen Beziehung zu seinem Vater, wirke infolge durchweg negativer Paar-Beziehungen frustriert und sei in seiner Fähigkeit, künftig neue soziale Beziehungen aufzubauen, hochgradig gehemmt. Insgesamt sei er durchsetzungs-gehemmt, in seinem Denken ausgesprochen misserfolgsorientiert und aggressionsgehemmt. Es bestünden ausgeprägte neurotisch-unreife Bewältigungsmechanismen in Form massiver Verdrängung und Verleugnung. Hinweise für eine Aggravation oder Simulation hätten sich nicht gefunden. Der Kläger wirke ausgesprochen frustrationsintolerant, dabei aber arbeits-mäßig an sich motiviert; anders könne die dreijährige Teilnahme am Deutschunterricht ohne spezifische Trainingsstrategien für Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht interpretiert werden. Das Ergebnis der Rechtschreibprüfung sei extrem schlecht und belege die Nichteignung für alle Berufe mit durchschnittlichen Leseanforderungen und zeige zugleich auch ausgeprägte Grenzen der Aneignung neuer Lerninhalte auf diesem Wege. Die spezielle Testung habe einen Intelligenz-Quotienten von 98 und damit ein durchschnittliches intellektuelles Niveau ergeben.

Als Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem und neurologischem Gebiet bestünden eine Lese- und Rechtschreibstörung, deren Ursache in einem Zustand nach frühkindlicher Hirnschädigung mit nachfolgender Volumenminderung des Gehirns liegen dürfte. Ferner sei eine kombinierte Persönlichkeitsstörung zu berücksichtigen. Nach der Krebserkrankung hätten sich zudem eine Klaustrophobie sowie eine Höhenphobie entwickelt. Schließlich bestehe die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert. Als fachfremde Gesundheitsstörungen seien die Entfernung des rechten Auges wegen eines Tumors sowie eine leichte Skoliose der Wirbelsäule, ausgehend von einem diskreten angeborenen Beckenschiefstand, zu berücksichtigen.

Die Augenhöhle sei entzündet und mache eine tägliche Pflege mit entzündungshemmender und antibiotischer Salbe erforderlich, deren Anwendung dazu führe, dass die Wimpern an der Prothese festklebten, wodurch die Schutzfunktion des rechten Augenlides und der Augenhöhle entfalle. Deshalb könne der Kläger nicht mehr unter Einfluss von Staub, Kälte und Wind, nicht längere Zeit am Computer und nicht bei Nacht arbeiten. Infolge der Beein-trächtigung des räumlichen Sehens seien dem Kläger Tätigkeiten in Spät- und Nachtschicht sowie Tätigkeiten unter Zeitdruck, im Akkord oder am Fließband nicht zumutbar. Die Einäu-gigkeit führe zu einer Beeinträchtigung der räumlichen Wahrnehmung mit Vergrößerung des toten Winkels nicht nur bei der Bewegung im Raum, sondern auch bei der Griffgenauigkeit der Hände. Aufgrund der - aus seiner (des Gutachters) Sicht - deutlichen kosmetischen Beeinträchtigung seien Arbeiten mit Publikumsverkehr nicht möglich. Wegen der phobischen Syndrome, aber auch der Einschränkung des räumlichen Sehens, könne der Kläger nicht in der Höhe und nicht in engen geschlossenen Räumen arbeiten. Die Beeinträchtigung der Lesefähigkeit - auch aufgrund der Lese-Rechtschreibstörung - sei erheblich. Infolge der Persönlichkeitsstruktur sei der Kläger in seinem Denken misserfolgsorientiert, frustrationsin-tolerant, leicht irritier- und ablenkbar und er neige zur depressiven Konfliktverarbeitung. Der Kläger sei nur noch Arbeiten mit sehr geringen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen. Arbeiten, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen seien, sofern sie nicht in Räumen mit Staubentwicklung, zu starker Sonneneinstrahlung, zu dunklen Räumen und augenreizenden Klebstoffen verrichtet werden müssten, möglich. Auch feinmotorische Höchstanforderungen könnten nicht erfüllt werden. Das Gehvermögen des Klägers sei nicht beeinträchtigt. Einen PKW könne er nutzen, nicht aber bei der Beförderung anderer Personen oder als Berufskraftfahrer.

Insgesamt werde der Kläger durch die Gesundheitsstörungen in den im Erwerbsleben erforderlichen körperlichen und geistigen Funktionen "ungewöhnlich vielschichtig und in den verschiedensten Funktionsbereichen behindert". Aus medizinischer Sicht bestünden die vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht isoliert nebeneinander, sondern potenzierten sich in ihrem Zusammenwirken hinsichtlich der Verminderung der Arbeitseinsatzressourcen und damit der Anpassung an die Gegebenheiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Aus der Gesamtheit der vorliegenden Gesundheitsstörungen resultiere letztlich aus gutachterlicher Sicht eine so hochgradige gesundheitlich bedingte Einschränkung der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dass im Grunde genommen eine Stelle nach den Fähigkeiten des Klägers geschaffen werden müsse. Typischerweise finde sich eine solche Stelle nur im Bereich einer geschützten Werkstatt. Aus gutachterlicher Sicht werde dem Gericht empfoh-len, zu überprüfen, inwieweit doch eine "Summation ungewöhnlicher Leistungsminderungen" vorliege.

Sofern alle umfänglichen vorgenannten Einsatzeinschränkungen realisiert werden könnten, könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten. Bei den vorhandenen zahlreichen Gesundheitsstörungen seien mit großer Wahrscheinlichkeit längere krankheits-bedingte Ausfallzeiten zu erwarten. Die Leistungseinbußen seien von dauerhafter Natur und bestünden in wesentlichen Bereichen schon seit Oktober 2010.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf eine prüfärztliche Stellungnahme von Dr. K. und Frau W. vom 13. Juni 2017 daran festgehalten, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne. Den vom gerichtlichen Sachverständigen angenommenen qualitativen Leistungseinschränkungen hinsichtlich der mnestischen Fähigkeiten könne nicht gefolgt werden, da während des tagesklinischen Aufenthalts im A. Klinikum der Kläger im Aufmerk-samkeit-Belastungs-Test d2 Ergebnisse im Normalbereich erzielt hätte. Die Einäugigkeit bestehe seit Januar 2007. Er fahre nach eigenen Angaben PKW und nehme regelmäßig dreimal wöchentlich an einer Schulungsmaßnahme teil. Anders als in den Vorgutachten sei von einer normalen Intelligenz auszugehen. Anlerntätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen etc. könnten im Rahmen der Tätigkeit als Verpacker von Kleinteilen, aber auch Tätigkeiten mit höheren Anforderungen, verrichtet werden. Insoweit hat sie berufskundliche Unterlagen, insbesondere die Gutachten des Diplom-Verwaltungswirts (FH) M. L. vom 13. September 2009 und vom 5. Mai 2010 sowie dessen Stellungnahme vom 13. Februar 2016 in dem Verfahren beim LSG Sachsen-Anhalt L 1 R 91/14 eingereicht; insoweit wird auf Blatt 322 bis 328 der Gerichtsakte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwal-tungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet.

Im Ergebnis zu Unrecht hat das Sozialgericht in Bezug auf den vom Kläger geltend gemach-ten Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung die Klage vollumfänglich abgewie-sen. Der angefochtene Bescheid ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§§ 153 Abs.1, 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. November 2017 bis zum 31. Oktober 2020. Denn es ist zur Überzeugung des Senats im Zeitpunkt der Untersuchung bei PD Dr. G. nachgewiesen, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein und die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten zu verrichten.

Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versi-cherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicher-te, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist nach dem Ergebnis der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen seit Rentenantragstellung in der Lage, sechs Stunden täglich (nur noch) leichte körperliche Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten ohne Arbeiten in Zwangshaltungen, ohne Leiter- oder Gerüstarbeiten oder andere Arbeiten mit Absturzgefahr, ohne schweres Heben und Tragen in Tagschicht zu verrichten. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist in Bezug auf Griffgenauigkeit und hohe feinmotorische Anforderungen einge-schränkt. Ausgeschlossen sind zudem Akkord- oder Fließbandarbeit sowie Arbeiten in Zugluft, Nässe und Kälte, mit Sonneneinstrahlung, mit Staubeinwirkung oder schleimhautrei-zenden Stoffen, bei Dunkelheit, mit erhöhtem Zeitdruck und mit Publikumsverkehr sowie in Wechsel-, Spät- und Nachtschicht. Der Kläger verfügt nur über mangelhafte Recht-schreibkenntnisse und geringe mathematische Fähigkeiten. Er kann einerseits nur in geschlossenen, aber andererseits nicht in engen Räumen arbeiten. Der Kläger ist geistig und anamnestisch nur geringsten Anforderungen gewachsen.

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den Gutachten von PD Dr. G. vom 10. Mai 2017 und von Dr. G. vom 10. September 2011 sowie den Befunden in den Gutachten von Dr. K. vom 4. Oktober 2010 und von PD Dr. M. vom 18. Oktober 2014.

Danach besteht beim Kläger der Zustand nach Entfernung des rechten Auges aufgrund eines Aderhautmelanoms. Die Tumorerkrankung hat bislang nicht zur Metastasenbildung außerhalb des Auges, jedoch zu rezidivierenden bösartigen Neubildungen der Bindehaut mit der Notwendigkeit weiterer Tumorgewebeentfernungen im Oktober 2009 und im Mai 2013 geführt. Nachdem zunächst eine ungünstige Prognose aufgrund der als Folge des Ader-hautmelanoms häufig beschriebenen Metastasierung im zentralen Nervensystem und in der Leber abgegeben worden ist, wird die Prognose aufgrund des Zeitablaufs inzwischen positiver bewertet. Gleichwohl leidet der Kläger nach wie vor unter der Angst der Ausbreitung der Krebserkrankung. Die Versorgung mit dem Kunstauge ist weiterhin unbefriedigend. Der Kläger leidet unter rezidivierenden Entzündungen und Verklebungen der Augenhöhle, weshalb der Lidschluss nicht möglich und die Schutzfunktion des Augenlides aufgehoben ist. Das Kunstauge muss regelmäßig entnommen sowie gereinigt und die Augenhöhle mit entzündungshemmender Salbe versorgt werden. Gleichwohl brennt und tränt die rechte Augenhöhle und ist verschleimt, wodurch eine ständige Beeinträchtigung des Wohlbefindens hervorgerufen wird. Durch die Überlastung des gesunden linken Auges ist dies ebenfalls öfter gereizt und in Mitleidenschaft gezogen. In Folge dessen hat sich eine häufige Kopf-schmerzsymptomatik entwickelt. Aufgrund der Einäugigkeit ist die räumliche Wahrnehmung des Klägers im Straßenverkehr, bei der Bewegung im Raum und bei der Griffgenauigkeit der Hände beeinträchtigt. Die Einäugigkeit hat ferner zu der Ausbildung einer Höhenphobie sowie einer Klaustrophobie geführt. Schließlich leidet der Kläger als Folge der Tumorerkrankung unter rezidivierenden depressiven Verstimmungen mit unterschiedlicher Ausprägung.

Die weitere sein Leistungsvermögen maßgeblich beeinträchtigende Gesundheitsstörung ist eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. Bereits Dr. M. hat unter dem 25. März 2008 eine soziale Unsicherheit des Klägers erkannt. Auch Dr. G. ist zu der Einschätzung gelangt, der Kläger könne nur mit Hilfe der Familie seine persönlichen Angelegenheiten erledigen und entscheiden. PD Dr. G. hat anhand der persönlichen Entwicklung des Klägers, seiner Beziehungsgestaltung zu Partnerinnen und Eltern "ausgesprochen auffällige Züge der Gesamtpersönlichkeit" beschrieben. Aufgrund dessen sei der Kläger misserfolgsorientiert, frustrationsintolerant sowie leicht irritier- und ablenkbar. Zudem besteht bei dem Kläger aufgrund des Zustandes nach frühkindlicher Hirnschädigung mit nachfolgender Volumen-minderung des Gehirns eine Lese- und Rechtschreibstörung. Trotz des regelmäßigen Grundschulbesuchs von sieben Klassen und des Besuchs eines Deutschkurses im Rahmen einer Weiterbildungsmaßnahme seit 2014 ist es dem Kläger nicht gelungen, ausreichende Rechtschreibkenntnisse zu erwerben. Schließlich besteht beim Kläger eine leichte Skoliose der Wirbelsäule, ausgehend von einem diskreten angeborenen Beckenschiefstand, die nach seinen Angaben bereits in der Jugend seine Berufswahl beeinträchtigt und die Verwirklichung seines Berufswunsches des Maurers verhindert hat.

Aufgrund der Kombination der hieraus resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen ist für den Senat keine Tätigkeit ersichtlich, die der Kläger noch verrichten kann.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -, juris), der der Senat sich anschließt, ist bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeits-marktes arbeiten können, die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Auf einer ersten Prüfstufe ist festzustellen, ob das Restleis-tungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpa-cken; Zusammensetzen von Teilen usw.) erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (BSG, a.a.O. RdNr. 36).

In Bezug auf die oben genannten Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen ist ein wettbewerbsfähiger Einsatz des Klägers aufgrund der vorgenannten Gesundheitsstörungen und der daraus resultierenden Leistungseinschränkungen nicht mehr möglich. Der Kläger kann nicht über einen längeren Zeitraum konzentriert arbeiten, da er durch die Beeinträchtigungen des rechten Auges bzw. in geringem Umfang auch des linken Auges und der Kopfschmerzen in seiner Konzentration beeinträchtigt und aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung leicht irritier- und ablenkbar ist. Er muss in regelmäßigen Abständen den Arbeitsplatz verlassen und einen hygienisch ausgestatteten Waschraum aufsuchen, um das Kunstauge zu entnehmen und zu reinigen und die Augenhöhle mit Salbe zu versorgen. Der Arbeitsplatz darf nicht zu eng, aber auch nicht im Freien, nicht mit Staubentwicklung, nicht mit zu starker Sonneneinstrahlung, aber auch nicht zu dunkel gestaltet sein. Aufgrund seines misserfolgsorientierten Denkens und der fehlenden Frustrationstoleranz bedarf der Kläger ständiger Betreuung und Anleitung, um das geforderte Arbeitsziel zu erreichen. Diese Beurteilung ergibt sich aus den übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. M., Dr. G. und PD Dr. G.

Soweit Dr. K. darauf abstellt, die Ergebnisse der psychiatrischen Abteilung des A. Klinikums im Aufmerksamkeits-Belastungs-Test d2 seien im Normbereich gewesen, steht dies dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn aufgrund der von PD Dr. G. dargelegten Persönlichkeits-störungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger über einen Zeitraum von sechs Stunden eine gleichbleibende Aufmerksamkeit beibehalten kann. Soweit ferner darauf abgestellt wird, dass er seit 2014 regelmäßig dreimal wöchentlich an einer Schulungsmaß-nahme teilnimmt und hieraus die Zuverlässigkeit des Klägers abzuleiten sei, überzeugt dies in Bezug auf das obige Ergebnis ebenfalls nicht. Vielmehr zeigt die regelmäßige Teilnahme den - von allen Gutachtern festgestellten - Willen des Klägers, in das Erwerbsleben eingegliedert zu werden. Ferner belegt der Umstand, dass der Kläger auch nach drei Jahren Weiterbildungsmaßnahme noch über mangelhafte Rechtschreibkenntnisse verfügt, dass er aufgrund der Lese- und Rechtschreibstörung sowie der frühkindlichen Hirnschädigung mit nachfolgender Volumenminderung des Gehirns nicht in der Lage ist, neue Sachverhalte zu erlernen. Dementsprechend hat der Kläger trotz des Verlustes des rechten Auges und der nicht mehr gegebenen Einsatzfähigkeit als Berufskraftfahrer sich weiterhin bemüht, als Auslieferungsfahrer für Großküchen - wenn auch nur in geringem zeitlichen Umfang - tätig zu seien. Denn in seinem vorangegangen Berufsleben war er langjährig als Baumaschinen- und Kraftfahrer versicherungspflichtig tätig. Eine berufliche Umorientierung nach dem Verlust des rechten Auges war ihm offenkundig nicht möglich.

Auf der sich anschließenden zweiten Prüfstufe, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, ist zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorherigen Ausführungen zum einen vom Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen auszugehen. Zum anderen dürften die Voraussetzungen des Katalogfalls Nr. 1 vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - B 5 RJ 48/03 R -, juris). Danach ist bei Versicherten, obwohl sie noch eine Vollzeittätigkeit ausüben bzw. nach der ab 2001 geltenden Rechtslage noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten können (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris) von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen, wenn die Tätigkeit nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen ausgeübt werden kann. Dies ist hier aufgrund des Erfordernisses, regelmäßig das Kunstauge zu entfernen, dies in einem sauberen Waschbecken zu reinigen und die Augenhöhle mit Salbe zu versorgen, gegeben. Denn der Kläger muss das Waschbecken ohne die gleichzeitige Nutzung durch andere Arbeitnehmer für ca. eine viertel Stunde mit einem Handtuch auslegen können, um Beschä-digungen des Kunstauges und Infektionen der Augenhöhle zu verhindern.

Auf das hieraus resultierende Erfordernis der Benennung mindestens einer konkreten Verweisungstätigkeit hat die Beklagte "auf Produktionshelfertätigkeiten als Warenaufmacher, Verpacker, Sortierer" verwiesen und auf eine Tätigkeitsbeschreibung des Verpackers von Kleinteilen sowie die Gutachten des Diplom-Verwaltungswirts (FH) M. L. vom 13. September 2009 und vom 5. Mai 2010 sowie dessen Stellungnahme vom 13. Februar 2016 in dem Verfahren beim LSG Sachsen-Anhalt L 1 R 91/14 Bezug genommen. Danach ergeben sich für leistungsgeminderte Arbeitnehmer seit ca. August/September 2014 noch drei Aufgaben-bereiche, in denen für diese bundesweit jeweils über 300 bis 400 Arbeitsplätze vorhanden sind. Diese Bereiche sind die Endkontrolle von hergestellten Lampen und Leuchtmitteln, das Einpacken von teuren Gütern oder Artikeln, z.B. von hochwertigen Schreibgeräten und -utensilien sowie Artikel der "oberen Preissegmente" in der Süßwarenindustrie. Die vorge-nannten Tätigkeiten kann der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht verrichten. Die Endkontrolle von Lampen und Leuchtmitteln ist aufgrund des ständigen Ein- und Ausschal-tens mit den Gesundheitsstörungen an den Augen nicht zu vereinbaren. Denn der Kläger darf nur in normal ausgeleuchteten Arbeitsräumen, ohne starke Sonneneinstrahlung etc. arbeiten. Das Einpacken von hochwertigen Artikeln, z.B. hochwertigen Schreibgeräten und -utensilien, Schmuck und Uhren sowie hochwertigen Süßwaren, kommt aufgrund der rezidivierenden Entzündungen mit Schleimabgang aus dem rechten Auge nicht in Betracht. Schließlich ist sämtlichen der vorgenannten Arbeiten immanent, dass sie eine durchschnittliche Konzentration und Ausdauer erfordern. Dies ist bei dem Kläger - wie oben dargelegt - nicht gegeben.

Die Gewährung einer Rente über den 31. Oktober 2010 hinaus auf Dauer kam jedoch nicht in Betracht. Denn der Nachweis dafür, dass eine Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers durch das Hinzutreten von Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche und psychosomatischen Beschwerden eingetreten ist, die in Kombination mit der fortbestehenden Entzündung der rechten Augenhöhle zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes geführt hat, ist erst durch die Untersuchung bei PD Dr. G. erbracht. Damit kam die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erst ab dem 1. November 2017 und nur auf Zeit in Betracht. Denn Renten u.a. wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nur auf Zeit geleistet. Dies ergibt sich aus § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI.

Nach § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbs-fähigkeit geleistet. Hier ist - wie oben dargelegt - der Eintritt der Minderung der Erwerbsfä-higkeit mit der Untersuchung bei PD Dr. G. am 19. April 2017 nachgewiesen.

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lagen zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vor. Zwar hat der Kläger im Fünf-Jahreszeitraum vom 19. April 2012 bis zum 18. April 2017 keinen Monat mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich jedoch gemäß § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, soweit die Zeiträume nicht mit Pflichtbeiträgen belegt sind. Insoweit ist hier der Verlängerungstatbestand des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 1. August 2008 bis zum 31. Oktober 2010 erfüllt und es liegen Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI vom 1. Januar 2011 bis zum 18. April 2017 vor. In dem um diese Zeiten verlängerten Zeitraum liegen von Oktober 2005 bis Juli 2008 und November bis Dezember 2010 insgesamt 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten vor.

Die Befristung der Rente erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 2). Hier endet die Rente aufgrund der dreijährigen Verlängerung am 31. Oktober 2020.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
Saved