L 5 KR 90/16

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 5 KR 47/15
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 90/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
OPS 8-98b "halbstündige Transportentfernung"

Für die Abrechnung des OPS 8-98b reicht es nicht aus, wenn die Zeitgrenze nur bei Tageslicht eingehalten werden kaan.
Die "halbstündige Transportentfernung" als Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende ist nur gewahrt, wenn zwischen der Feststellung der Notwendigkeit eines neurochirurgischen Notfalleingriffs bzw. einer gefäßchirurgischen oder interventionell-radiologischen Maßnahme und dem möglichen Beginn der jeweiligen Maßnahme bei dem Kooperationspartner nicht mehr als 30 Minuten liegen.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 16.3.2016 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen der klagenden Krankenhausträgerin und der beklagten Krankenkasse ist streitig, ob für die Kodierung des Operationen- und Prozeduren-Schlüssels (OPS) 8-98b das Strukturmerkmal einer "höchstens halbstündigen Transportentfernung" für den unmittelbaren Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen erfüllt ist.
In dem zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhaus der Klägerin in D wurden im Jahr 2014 17 Versicherte der Beklagten stationär behandelt, bei deren Abrechnung die Klägerin den OPS 8-98b (Andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls) kodierte. Die OPS 8-98b lautet:
8-98b Andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls
Exkl.: Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls (8-981 ff.)
Hinw.: Dieser Kode kann auch beim Vorliegen einer TIA angegeben werden
Besteht über die Therapiemöglichkeiten der vorhandenen Schlaganfalleinheit hinaus die Indikation zu einer Behandlung auf der Intensivstation, kann, wenn die Mindestmerkmale dieses OPS-Kodes erfüllt sind, die dortige Behandlungszeit auch für die Kodierung der neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls berücksichtigt werden, auch wenn auf der Intensivstation nicht ausschließlich Patienten mit einem akuten Schlaganfall behandelt werden
Mindestmerkmale: Behandlung auf einer spezialisierten Einheit durch ein multidisziplinäres, auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiertes Team unter fachlicher Behandlungsleitung durch einen Facharzt für Neurologie oder einen Facharzt für Innere Medizin (in diesem Fall muss im Team der neurologische Sachverstand kontinuierlich eingebunden sein) mit:
• 24-stündiger ärztlicher Anwesenheit (auch als Bereitschaftsdienst)
• 24-Stunden-Monitoring von mindestens 6 der folgenden Parameter: Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Atmung, Sauerstoffsättigung, Temperatur, intrakranieller Druck, EEG, evozierte Potentiale. Das Monitoring darf nur zur Durchführung spezieller Untersuchungen oder Behandlungen unterbrochen werden
• 6-stündlicher (maximaler Abstand nachts 8 Stunden) Überwachung und Dokumentation des neurologischen Befundes durch einen Arzt zur Früherkennung von Schlaganfallprogression, -rezidiv und anderen Komplikationen
• Durchführung einer Computertomographie oder Kernspintomographie, bei Lyseindikation innerhalb von 60 Minuten, ansonsten innerhalb von 6 Stunden nach der Aufnahme, sofern diese Untersuchung nicht bereits extern zur Abklärung des akuten Schlaganfalls durchgeführt wurde
• Durchführung der neurosonologischen Untersuchungsverfahren. Sie ist bei nach-gewiesener primärer Blutung entbehrlich
• ätiologischer Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Schlaganfalls (z.B. transösophageale Echokardiographie, Hämostaseologie, Angiitisdiagnostik, EEG und andere Verfahren) im eigenen Klinikum. Spezialisierte Labordiagnostik darf auch in Fremdlabors erfolgen
• kontinuierlicher Möglichkeit zur Fibrinolysetherapie des Schlaganfalls
• Beginn von Maßnahmen der Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie spätestens am Tag nach der Aufnahme in die Schlaganfalleinheit mit mindestens einer Behandlungseinheit pro Tag pro genannten Bereich bei Vorliegen eines entsprechenden Defizits und bestehender Behandlungsfähigkeit
• unmittelbarem Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen (Es gibt jeweils eine eigene Abteilung im Hause oder einen Kooperationspartner in höchstens halbstündiger Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransport-beginn und Rettungstransportende). Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn die halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (z.B. Hubschrauber) grundsätzlich erfüllbar ist. Wenn der Transport eines Patienten erforderlich ist und das Zeitlimit nur mit dem schnellstmöglichen Transportmittel eingehalten werden kann, muss dieses auch tatsächlich verwendet werden. Wenn ein Patient transportiert wurde und die halbe Stunde nicht eingehalten werden konnte, darf der Kode nicht angegeben werden.)
Die Beklagte kürzte sämtliche 17 Rechnungen jeweils um den Betrag, der sich aus der Kodierung des OPS 8-98b ergibt, weil das in Spiegelstrich 9 des Kodes enthaltene Strukturmerkmal der "grundsätzlichen Erfüllung der halbstündigen Transportentfernung beim Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen" nicht erfüllt sei. Insgesamt ergab sich ein Kürzungsbetrag von 21.778,98 EUR. Zu den einzelnen Rechnungen wird auf die Anlage 1 zur Klageschrift verwiesen (Bl. 7 - 40 der Gerichtsakte).
Am 29.4.2015 hat die Klägerin Klage auf Zahlung des gekürzten Betrags erhoben. Sie hat vorgetragen, sie habe zu Recht den OPS 8-98b abgerechnet. Die hierfür erforderliche Strukturvoraussetzung eines "unmittelbaren Zugangs zu neurochirurgischen Notfalleingriffen" erfülle sie durch die Kooperation mit dem Krankenhaus B in T , das bei Benutzung eines Rettungshubschraubers in ca. 19 Minuten zu erreichen sei. Den Zugang zu "gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen" erfülle sie durch eine Kooperation mit einem interventionellen Radiologen in W. Zwar seien die für das Krankenhaus der Klägerin und auch alle anderen in Rheinland-Pfalz zur Verfügung stehenden Rettungshubschrauber nur tagsüber einsatzbereit. Bei Dunkelheit könne jedoch der Intensiv-Transport-Hubschrauber (ITH) "Christoph Rhein-Main" oder "Christoph Gießen" aus dem benachbarten Hessen angefordert werden. Nach dem Wortlaut des OPS 8-98b reiche es aus, wenn die halbstündige Transportentfernung "grundsätzlich erfüllbar" sei. Hierfür sei nicht erforderlich, dass die Erfüllbarkeit rund um die Uhr gewährleistet sei. Müsse ein Patient nachts mit dem Rettungswagen transportiert werden, weil der Hubschrauber nicht eingesetzt werden könne, so sei der hier streitige OPS 8-98b in diesem Einzelfall nicht zu kodieren.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Kooperationsklinik sei zwar tagsüber innerhalb einer halben Stunde mit dem Rettungshubschrauber zu erreichen. Der im Krankenhaus der Klägerin stationierte Hubschrauber fliege jedoch nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Der Hubschrauber "Christoph Rhein-Main" sei nicht nachtflugfähig; der Hubschrauber "Christoph Gießen" fliege erst seit 1.7.2015 nachts, sei ausschließlich für das Bundesland Hessen zuständig und habe bei Nachtflügen eine Vorlaufzeit von bis zu einer Stunde. Das Strukturmerkmal einer halbstündigen Transportentfernung sei daher nicht "grundsätzlich erfüllbar". Bei dem interventionellen Radiologen in W sei nicht ersichtlich, dass dieser rund um die Uhr zur Verfügung stehe.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die ADAC Luftrettung gGmbH mitgeteilt, die in Rheinland-Pfalz zur Verfügung stehenden Hubschrauber seien nur bei Tageslicht und ausreichend guten Flugbedingungen verfügbar. Ein Nachtflug sei technisch zwar möglich, aber aufgrund der Rahmenbedingungen der Beauftragung des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Inneren, für Sport und Infrastruktur ausgeschlossen. Die Flugzeit von D nach W betrage 11 Minuten, von D nach T 17 Minuten. In den angrenzenden Bundesländern Nordrhein-Westfalen (Christoph Westfalen) und Hessen (Christoph Gießen) ständen Rettungs- und Intensivtransport-Hubschrauber bereit, die jedoch in der Regel weder am Tage noch in der Nacht den Landeplatz in D innerhalb von 30 Minuten erreichen könnten.
Mit Urteil vom 16.3.2016 hat das Sozialgericht Trier die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die ohne Durchführung eines Vorverfahrens und Einhaltung einer Klagefrist zulässige Leistungsklage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Vergütungsanspruch nach § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Fallpauschalenvereinbarung. Die Abrechnungsbestimmungen seien eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen (Hinweis auf BSG 14.10.2014 - B 1 KR 25/13 R, BSG 14.10.2014 - B 1 KR 26/13 R). Die Voraussetzungen des der Abrechnung zu Grunde liegenden OPS 8-98b (2014) seien nicht erfüllt. Es sei nicht "grundsätzlich" gewährleistet, dass der Kooperationspartner für neurochirurgische Noteingriffe innerhalb einer halben Stunde Transportentfernung erreicht werden könne. Die grundsätzliche Erfüllbarkeit dieses Strukturmerkmals sei nur gegeben, wenn die halbstündige Transportentfernung grundsätzlich rund um die Uhr gewährleistet sei. Wegen der Beschränkung der in Betracht kommenden rheinland-pfälzischen Rettungshubschrauber auf den Tagflugbetrieb sei diese Voraussetzung nicht erfüllt. Soweit in den angrenzenden Bundesländern Hubschrauber rund um die Uhr bereit stünden, sei die Zeitvorgabe von 30 Minuten nicht einzuhalten. Zudem habe die Klägerin trotz Nachfrage des Gerichts nicht nachgewiesen, mit welchem interventionellen Radiologen eine Kooperation bestehe und ob dieser rund um die Uhr in höchstens halbstündiger Transportentfernung tatsächlich zur Verfügung stehe.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 23.3.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.4.2016 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das bei neurochirurgischen Notfalleingriffen kooperierende Krankenhaus B in T erbringe für sie seit 2006 auch die gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologische Behandlungsmaßnahmen. Sie hat hierzu eine Bestätigung des kooperierenden Krankenhauses vorgelegt. Das kooperierende Krankenhaus sei mit dem Rettungshubschrauber grundsätzlich in ca. 17 bis 19 Minuten zu erreichen. Das Strukturmerkmal "grundsätzlich" bedeute soviel wie "eigentlich", "im Grunde", "im Prinzip", "mit dem Vorbehalt bestimmter Ausnahmen". Mit dem letzten Satz des OPS 8-98b "Wenn ein Patient transportiert wurde und die halbe Stunde nicht eingehalten werden konnte, darf der Kode nicht angegeben werden" werde ein Einzelfallbezug hergestellt; die Kodierung dürfe nur dann nicht erfolgen, wenn tatsächlich im Einzelfall ein Transport des Patienten stattgefunden habe und der halbstündige Transportzeitraum nicht eingehalten werden konnte, z.B. wegen schlechter Witterungsverhältnisse oder fehlender halbstündiger Transportmöglichkeiten in der Nacht. Mit dieser Regelung solle gerade solchen Umständen Rechnung getragen werden. Das zeige, dass das Strukturmerkmal "grundsätzlich" gerade nicht so ausgelegt werden dürfe, dass ein halbstündiger Transport 24 Stunden rund um die Uhr möglich sein soll. Vielmehr sei eine einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen, die gegebenenfalls zum Ausschluss der Abrechenbarkeit führe. Bei der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung wäre die Ausschlussregelung weitestgehend obsolet. In den streitgegenständlichen Behandlungsfällen sei keine Intervention notwendig gewesen; es seien alle geforderten Leistungen erbracht und dokumentiert worden. Wenn eine 24-stündige Erfüllbarkeit gewollt gewesen wäre, wäre es problemlos möglich gewesen, im Rahmen der jährlichen Anpassung der Abrechnungsbestimmungen eine Änderung oder Klarstellung in diesem Sinne vorzunehmen. Die vom Sozialgericht geforderte 24-stündige generelle Transportmöglichkeit gehe über den Wortlaut der Regelung hinaus. Entgegen den Feststellungen des erkennenden Senats im Urteil vom 19.1.2017 – L 5 KR 95/16 – seien in Rheinland-Pfalz aber auch seit 2009 bei Dunkelheit Hubschraubereinsätze möglich. Nach dem Wortlaut des OPS 8-98b umfasse die Transportentfernung nur die Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende. Zeiten für den Anflug des Hubschraubers von einem anderen Standort zum Krankenhaus der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat eine Bescheinigung des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Inneren und für Sport vorgelegt, wonach durch eine Kooperationsvereinbarung mit dem Land Hessen die Versorgung mit Leistungen der Luftrettung in Rheinland-Pfalz in der Nacht gewährleistet ist. Die rheinland-pfälzischen Leitstellen für den Rettungsdienst disponierten im Bedarfsfall den ITH Christoph M oder den ITH Christoph G ; beide würden von der Johanniter Luftrettung betrieben. Diese Kooperation werde auch in der Realität gelebt, es komme immer wieder zu Nachteinsätzen durch die Johanniter Luftrettung in Rheinland-Pfalz. Die Johanniter Luftrettung hat bestätigt, dass sie mit Zustimmung des Ministeriums in Rheinland-Pfalz seit 2009 auf Anforderung der zuständigen Leitstelle Nachteinsätze u.a. auch für das Krankenhaus der Klägerin durchführe.
Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin eine Bestätigung der Johanniter-Unfall-Hilfe vorgelegt, wonach die durchschnittliche Anflugzeit ihrer Intensivtransporthubschrauber zum Landeplatz am Krankenhaus der Klägerin vom Standort R und vom Standort G 40 Minuten und vom Standort M 48 Minuten betrage. Weiterhin hat die Klägerin mitgeteilt, ihr Krankenhaus verfüge nicht über einen genehmigten nachtflugtauglichen Landeplatz; sie sei jedoch vom Luftfahrbundesamt als PIS (Public Interest Sites) - Landestelle zugelassen. Im Rahmen dieser Zulassung dürfe ihr Hubschrauberlandeplatz auch nachts angeflogen werden, sofern die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen (Ausleuchten der Landestelle durch die Feuerwehr) eingehalten werde. Wenn ein Hubschrauber benötigt werde, alarmiere die zuständige Leitstelle sowohl den Hubschrauber als auch die Feuerwehr.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 16.3.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 21.778,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren zur Zusammenarbeit bei gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen stehe im Widerspruch zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei der Begriff "grundsätzlich erfüllbar" in Bezug auf die im OPS 8-98b (2014) festgelegte halbstündige Transportentfernung so zu verstehen, dass diese Transportzeit grundsätzlich, d.h. – von Ausnahmen abgesehen – immer, gewährleistet sein müsse. Könne die Transportzeit während der Nacht nicht eingehalten werden, sei das Tatbestandsmerkmal "grundsätzlich erfüllbar" nicht erfüllt. Da die Behandlungsdringlichkeit rund um die Uhr bestehen könne, müsse dementsprechend auch eine Transportdauer von höchstens 30 Minuten rund um die Uhr gewährleistet sein. Soweit die Klägerin nunmehr vortrage, ein Hubschraubereinsatz sei auch nachts möglich, gehe aus der Auskunft des ADAC hervor, dass das Krankenhaus der Klägerin jedenfalls von Hessen aus nicht innerhalb von 30 Minuten angeflogen werden könne. Unter Berücksichtigung von Vorrüstzeiten sei dies nachts erst recht nicht möglich. Vorlauf- und Anflugzeiten eines Hubschraubers aus einem anderen Bundesland seien bei der "halbstündigen Transportentfernung" zu berücksichtigen, wenn dieses Strukturmerkmal nicht seines Sinnes entleert werden solle. Dies müsse besonders dann gelten, wenn diese Zeiten alleine schon länger sind als die maximal nur halbstündige Transportentfernung.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat die streitgegenständlichen Rechnungen zu Recht gekürzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung der streitgegenständlichen Behandlungen unter Berücksichtigung des OPS 8-98b.
Nach dem Wortlaut des Hinweises zu OPS 8-98b müssen für dessen Abrechnung bestimmte Mindestmerkmale erfüllt sein. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Mindestmerkmale nach Spiegelstrich 9 des Hinweises nicht erfüllt.
Zwar hat die Klägerin im Berufungsverfahren durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des Krankenhauses B in T einen Kooperationspartner für gefäßchirurgische und interventionell-neuroradiologische Behandlungsmaßnahmen nachgewiesen. Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Bestätigung zu zweifeln.
Weder für diese Behandlungsmaßnahmen noch für die neurochirurgischen Not-falleingriffe ist jedoch sichergestellt, dass die "halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (z.B. Hubschrauber) grundsätzlich erfüllbar ist". Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus dem Wort "grundsätzlich" nicht geschlossen werden, dass es ausreicht, wenn die Zeitgrenze für die halbstündige Transportentfernung nur bei Tageslicht eingehalten wird. Zwar ist das Wort "grundsätzlich" hier in der Bedeutung "eigentlich, im Grunde, im Prinzip, mit dem Vorbehalt bestimmter Ausnahmen; im Allgemeinen, in der Regel" (vgl. www.duden.de/rechtschreibung/grundsätzlich, recherchiert am 17.10.2017) zu verstehen. Das bedeutet, dass die Zeitgrenze in der Regel eingehalten werden muss und nur ausnahmsweise darauf verzichtet werden kann, wenn besondere Umstände vorliegen. Das ist jedenfalls nicht der Fall, wenn die halbstündige Transportentfernung nur bei Tageslicht eingehalten werden kann. Da im Winterhalbjahr über einen längeren Zeitraum Tageslicht für weniger als 12 Stunden pro Tag gegeben ist, wäre eine Wahrung der Zeitgrenze in der überwiegenden Zeit regelmäßig nicht möglich (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz 19.1.2010 – L 5 KR 95/16).
Soweit nach dem Vortrag der Klägerin und den dazu vorgelegten Nachweisen in anderen Bundesländern stationierte Rettungshubschrauber auch bei Dunkelheit und entsprechender Ausleuchtung des Landeplatzes am Krankenhaus der Klägerin durch die zu alarmierende Feuerwehr eingesetzt werden können, kann dabei jedenfalls die "halbstündige Transportentfernung" nicht gewahrt werden. Denn nach der von der Klägerin vorgelegten Bestätigung beträgt die kürzest mögliche Anflugzeit für die in Betracht kommenden nachtflugberechtigten Hubschrauber bereits 40 Minuten und überschreitet damit bereits allein beim Anflug zum Krankenhaus der Klägerin die halbstündige Zeitgrenze. Die Anflugzeit zum Landeplatz am Krankenhaus der Klägerin ist als Transportzeit zu berücksichtigen. Nach dem Klammerzusatz im Hinweis zum OPS 8-98b ist für die halbstündige Transportentfernung maßgeblich die "Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende". Zwar sind Rettungstransportbeginn und -ende im Hinweistext nicht näher definiert. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Wortlaut jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, dass es allein auf die Zeit zwischen Verbringung des Patienten in das jeweilige Rettungstransportmittel bis zum Verlassen des Rettungstransportmittels ankommt. Wie der vorliegende Sachverhalt verdeutlicht, wären dann Anflugzeiten von bis zu 48 Minuten zusätzlich zur eigentlichen Transportzeit zu tolerieren. Die systematische Stellung der Regelung im OPS für eine Behandlung des akuten Schlaganfalls spricht dafür, dass eine solche Verzögerung bei den in Frage stehenden Notfalleingriffen nicht hinnehmbar ist. Die Gleichsetzung der Behandlungsmöglichkeit bei einem in halbstündiger Transportentfernung gelegenen Kooperationspartner mit der Behandlungsmöglichkeit in einer eigenen Abteilung des jeweiligen Krankenhauses zeigt vielmehr, dass die Transportzeit zum Kooperationspartner der Transportzeit in eine eigene Abteilung des Krankenhauses zumindest angenähert sein muss. Die offensichtliche Dringlichkeit der durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einem akuten Schlaganfall spricht dafür, bei der Bestimmung von Rettungstransportbeginn und -ende maßgeblich auf die Zeit zwischen der Feststellung der Notwendigkeit eines neurochirurgischen Notfalleingriffs bzw. einer gefäßchirurgischen oder interventionell-radiologischen Maßnahme und dem möglichen Beginn der jeweiligen Maßnahme bei dem Kooperationspartner abzustellen. Nach diesen Maßgaben konnte die "halbstündige Transportentfernung" im Krankenhaus der Klägerin jedenfalls bei Dunkelheit regelmäßig nicht eingehalten werden. Es fehlte somit an einer zwingenden Strukturvoraussetzung für die Abrechnung des OPS 8.98b.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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