L 1 AS 4157/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 2674/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 4157/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Bedarfsgemeinschaft einer Hilfebedürftigen gehört als Partner ihr nicht dauernd getrennt lebender Ehemann auch dann, wenn sich dieser dauerhaft in Saudi-Arabien aufhält, solange es sich dabei um eine einvernehmliche Lebensgestaltung handelt und ein Trennungswille nicht besteht.
Sind die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X normierten Voraussetzungen nicht erfüllt, weil zutreffende Angaben gemacht wurden, bedarf es für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung der Ausübung von Ermessen.
Hat die Behörde versäumt, die Hilfebedürftigen vor Erlass des Rücknahmebescheides anzuhören, lässt sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides durch die Nachholung einer Anhörung im gerichtlichen Verfahren jedenfalls dann nicht mehr beseitigen, wenn dieser auch materiell ermessensfehlerhaft ist.
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 02.10.2017 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017 wird angeordnet.

Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen ihre außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Den Antragstellerinnen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., G., bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage (Az. S 10 AS 2675/17) gegen die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017 verfügte Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Wirkung ab dem 11.09.2017.

Die am 08.07.2012 geborene Antragstellerin Ziff. 2 ist die Tochter der am 02.01.1989 in A. () geborenen Antragstellerin Ziff. 1. Die Antragstellerinnen reisten ausweislich des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.01.2016 am 29.06.2015 über Italien auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 29.12.2015 Asylanträge. In dem genannten Bescheid wurde ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Die Antragstellerinnen sind im Besitz einer bis zum 01.03.2019 gültigen Aufenthaltserlaubnis (Bl. 4 Verwaltungsakte des Antragsgegners – VA); die Wohnsitznahme ist auf Baden-Württemberg beschränkt (Schreiben des Bürgermeisteramts der Stadt Leutkirch vom 13.12.2016, Bl. 10 VA).

Gemäß der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin Ziff. 1 vom 28.09.2017 erfolgte die Einreise nach Europa von Saudi-Arabien aus. Mit Schriftsatz vom 01.09.2017 hat sie vortragen lassen, dass ihr Ehemann und Vater der Antragstellerin Ziff. 2 beide Antragstellerinnen auf ihrem Flug nach Europa begleitet habe und dann wieder nach Saudi-Arabien zurückgeflogen sei.

Für die von den Antragstellerinnen bewohnte 2-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von rund 43 m² entrichtet die Antragstellerin Ziff. 1 monatlich insgesamt 300 Euro (Kaltmiete 250 Euro, Abschlag für Heizkosten und sonstige Nebenkosten 50 Euro).

Am 12.05.2017 sprach die Antragstellerin beim Antragsgegner vor und beantragte die Gewährung von SGB II-Leistungen. In dem am 18.05.2017 von der Antragstellerin unterschriebenen Hauptantrag gab sie an, verheiratet zu sein. Bei der Angabe "dauernd getrennt lebend" hat sie kein Kreuz gesetzt. Der Hauptantrag enthält einen in grüner Schrift angebrachten Sachbearbeitervermerk: "bisher beim JC R. Leistungen bezogen, Umzug z. 01.06.2017, kein EK, Mann in Syrien". In der Anlage zur Feststellung der Einkommensverhältnisse gab die Antragstellerin Ziff. 1 an, für die Antragstellerin Ziff. 2 monatlich 190 Euro Kindergeld zu erhalten. In der Anlage zur Feststellung der Vermögensverhältnisse gab die Antragstellerin Ziff. 1 an, ein Konto mit einem Kontostand von 558,28 Euro zu besitzen.

Nach dem am 17.06.2017 vollzogenen Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners bewilligte dieser den Antragstellerinnen mit Bescheid vom 02.06.2017 SGB II-Leistungen ab dem 17.06.2017 bis zum 31.05.2018 in Höhe von (ab dem 01.07.2017 bis zum 31.12.2017) insgesamt 901,24 Euro bzw. (ab dem 01.01.2018) von 899,24 Euro.

Am 30.06.2017 wurde dem Antragsgegner vom Kreisjugendamt des Landkreises G. mitgeteilt, die Antragstellerin Ziff. 1 habe angegeben, ihr Ehemann halte sich noch in Saudi-Arabien auf und wolle zu den Antragstellerinnen nach Deutschland kommen. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe angegeben, sich nicht von ihrem Ehemann trennen zu wollen, weshalb Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen für die Antragstellerin Ziff. 2 nicht bestehe (Bl. 43/44 VA).

Der Antragsgegner zog hierauf vom Landkreis R. geführten Schriftwechsel mit der Deutschen Botschaft Riad bei, welcher anlässlich des Antrages der Antragstellerin Ziff. 1 auf Familiennachzug für ihren Ehemann geführt worden war. Hiernach habe dieser im August 2016 Kontoauszüge für den Zeitraum August 2015 bis August 2016 und eine Arbeitsbescheinigung eingereicht. Er sei gemäß einer Bescheinigung des Gesundheitsministeriums von Saudi-Arabien (Bl. 58 VA) dort als Arzt angestellt und erhalte ein monatliches Nettogehalt von umgerechnet etwa 2.500 Euro. Die Antragstellerin Ziff. 1 teilte dem Antragsgegner am 27.07.2017 im Rahmen einer Vorsprache mit, ihr Mann, der aus Syrien stamme, dürfe nicht nach Syrien einreisen, weil er sonst Wehrdienst leisten müsse. Ihr Antrag auf Familiennachzug sei von der Ausländerbehörde in R. im Juni 2017 abgelehnt worden.

Mit Bescheid vom 02.08.2017 hob hierauf der Antragsgegner die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 02.06.2017 ab dem 01.09.2017 wegen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit gestützt auf § 40 Abs. 1 und 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 SGB II auf. Zugleich hörte er die Antragstellerinnen zur beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit an (Schreiben vom 02.08.2017, Bl. 65 VA).

Am 22.08.2017 legten die Antragstellerinnen hiergegen Widerspruch ein und trugen vor, obwohl ihr Ehemann (Antragstellerin Ziff. 1) bzw. Vater (Antragstellerin Ziff. 2) in Saudi-Arabien als Chirurg arbeite, schicke er kein Geld. Er sei nicht in der Lage, den Unterhalt für die Antragstellerinnen zu bezahlen, denn die Lebenshaltungskosten für Ausländer seien dort sehr hoch und er müsse den Kredit, den er im Zusammenhang mit der Ausreise der Antragstellerinnen nach Deutschland aufgenommen habe, abbezahlen. Ziel sei ohnehin, dass er im Wege des erleichterten Familiennachzugs nach Deutschland komme. Dieses Ziel beschäftige die Familie bereits seit mehr als einem Jahr. Der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen habe bereits ein Sprachzertifikat erworben und mache gerade einen Sprachkurs. Der Aufhebungsbescheid sei rechtsfehlerhaft, da ein Wegfall der Hilfebedürftigkeit nicht vorliege. Es gebe kein veränderndes Ereignis.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2017 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und veranlasste mit Schreiben vom 31.08.2017 eine nochmalige, diesmal anstatt auf § 48 SGB X auf § 45 SGB X gestützte, Anhörung der Antragstellerinnen zur beabsichtigten Leistungsaufhebung für die Vergangenheit.

Die Antragstellerinnen haben am 01.09.2017 Klage zum SG erhoben (Az. ursprünglich S 7 AS 2675/17, inzwischen geändert auf S 10 AS 2675/17) und zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nebst Prozesskostenhilfe beantragt. Sie haben zur Begründung ihres Antrages vorgetragen, der Antragsgegner habe die erforderliche Anhörung nach § 24 SGB X nicht durchgeführt. Dies lasse sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht nachholen, so dass es sich um einen irreparablen Fehler handele. Es sei zwar bekannt, dass z.B. das Bayerische Landessozialgericht selbst im einstweiligen Rechtsschutz eine Anhörung für nachholbar halte. Dies lasse sich aber nicht mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Bedeutung der Anhörung vereinbaren. Eine Bedarfsgemeinschaft mit dem Ehemann/Vater, der in Saudi-Arabien sitze und keine Unterhaltsleistungen erbringe, könne nicht angenommen werden. Der Erstreckung der Bedarfsgemeinschaft nach Saudi-Arabien stehe bereits das Territorialitätsprinzip des § 30 SGB I (Sozialgesetzbuch Erstes Buch) entgegen. Allein die Absicht, in Deutschland zusammenleben zu wollen, führe noch nicht zu einer tatsächlich bestehenden Bedarfsgemeinschaft. Der im Ausland lebende Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 bzw. Vater der Antragstellerin Ziff. 2 habe keine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland; das Visumsverfahren schleppe sich bereits seit rund einem Jahr. Er habe die Antragstellerinnen über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Unklaren gelassen, genauer ausgedrückt, belogen. Seit die Antragstellerinnen in Deutschland seien, hätten sie keine finanzielle Unterstützung von ihm erfahren. Zu seinen finanziellen Verhältnissen haben die Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 07.09.2017 vorgetragen, sie hätten von ihm die Mitteilung erhalten, dass er keine 30.000 Euro "auf der hohen Kante" habe, sondern lediglich Geld, das er für einen Flug und die Beantragung des Visums nach Deutschland benötige. Von dieser Rücklage habe die Antragstellerin Ziff. 1 bislang nichts gewusst. Der Verdienst liege auch nicht bei 2.500 Euro, sondern lediglich bei umgerechnet 2.180 Euro. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse könne es aber nicht ankommen, solange der in Saudi-Arabien lebende Ehemann nicht bezahle. Mit Schriftsätzen vom 27.09.2017 und 29.09.2017 haben die Antragstellerinnen dann vorgetragen, bei dem Guthaben von rund 30.000 Euro auf dem Girokonto handele es sich um einen ausbezahlten Kredit, den der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 eigens aufgenommen habe und abbezahlen müsse. Da dieser zunächst von einer kurzfristigen Verwendung des Kredits ausgegangen sei, sei die Valutierung auf dem Girokonto stehengeblieben. Ein Anspruch der Antragstellerinnen gegen den Ehemann bzw. Kindsvater auf Unterhalt sei binnen der nächsten sechs Monate nicht realisierbar. Vielmehr seien sie auf dessen Zahlungsbereitschaft angewiesen. Es stehe nicht zu erwarten, dass er in Zukunft zahlen werde. Eine Rückkehr nach Saudi-Arabien sei den Antragstellerinnen wegen der Ausreise nicht mehr möglich. Das Visum wurde nicht mehr verlängert, über den 05.03.2017 hinaus hätten die Antragstellerinnen keine Aufenthaltsberechtigung mehr für Saudi-Arabien. Die Antragstellerinnen könnten die Miete nicht mehr bezahlen, die Antragstellerin Ziff. 2 werde schon nicht mehr in die Kindereinrichtung geschickt.

Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 zur Bedarfsgemeinschaft gehöre und über Vermögen in Höhe von mindestens knapp 30.000 Euro verfüge, welches die Vermögensfreibeträge von 16.300 Euro aller drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft deutlich übersteige. Damit liege keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II vor. Daneben erziele er ein monatliches Nettoeinkommen von umgerechnet 2.500 Euro, welches ebenfalls für den Lebensunterhalt der Antragstellerinnen eingesetzt werden könne. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe angegeben, ein dauerndes Getrenntleben zwischen ihr und ihrem Ehemann liege nicht vor. Vielmehr sei ein Familiennachzug des Ehemannes beabsichtigt. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe nach eigenen Angaben im Anschluss an den zwölfjährigen Schulbesuch zwei Jahre lang studiert und ihr Ehemann arbeite seit März 2009 in ungekündigter Stellung als Arzt im saudischen Gesundheitsministerium und beziehe dort ein laufendes Gehalt. Angesichts dessen sei es schwer nachvollziehbar, dass er die Antragstellerin Ziff. 1 über seine finanzielle Leistungsfähigkeit im Unklaren gelassen haben solle.

Mit Bescheid vom 07.09.2017 hat der Antragsgegner seinen Bescheid vom 02.08.2017 abgeändert und die Entscheidung über die Bewilligung gestützt auf die Regelung in § 45 SGB X ab dem 11.09.2017 zurückgenommen. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe bei Antragstellung keine Angaben dazu gemacht, dass ihr Ehemann im Ausland über Einkommen und Vermögen verfüge. Vielmehr habe der Antragsgegner aufgrund der eingereichten Unterlagen von einer Trennung ausgehen müssen, weshalb Antragstellerin Ziff. 1 auch dazu aufgefordert worden sei, Unterhaltsvorschuss für ihr Kind zu beantragen. Erst im Rahmen dieser Antragstellung habe sich herausgestellt, dass sie zwar von ihrem Ehemann getrennt lebe, aber kein Trennungswille bestehe. Ebenso habe sie angegeben, dass ihr Ehemann zeitnah nach Deutschland einreisen werde. Erst durch einen Schriftwechsel der deutschen Botschaft mit dem zuvor zuständigen Jobcenter in R. sei bekannt geworden, dass der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 im Ausland lebe und arbeite. Da kein Trennungswille bestehe, sei er zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. Aufgrund des monatlichen Einkommens und des Vermögens, das er besitze, könne davon ausgegangen werden, dass er für den Unterhalt der Antragsteller aufkomme. Von dem zustehenden Ermessen sei Gebrauch gemacht worden.

In einer eidesstattlichen Versicherung vom 28.09.2017 hat die Antragstellerin Ziff. 1 angegeben, mit ihrer Tochter, der Antragstellerin Ziff. 2, zuletzt im Juni 2015 in Saudi-Arabien gewesen zu sein. Sie seien damals nach Deutschland ausgereist. Die Antragstellerin Ziff. 2 sei am 08.07.2012 in Saudi-Arabien geboren. Seit sie in Deutschland seien, habe ihr Ehemann ihnen nie Geld gegeben. Die Miete habe sie für September auch nicht bezahlt, weil sie kein Geld habe. Die wisse nicht, was die Vermieter machten, wenn sie auch nicht für Oktober zahlen könne.

Mit Beschluss vom 02.10.2017 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie den auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag der Antragstellerinnen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Erfolg der Klage im Hauptsacheverfahren sei nicht wahrscheinlicher als deren Misserfolg. Die verfügte Aufhebung der Leistungsbewilligung zum 01.09.2017 mit Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 sei nach summarischer Prüfung der Sach-und Rechtslage nach § 45 SGB X gerechtfertigt. Die Antragstellerinnen hätten aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen erkennen können, dass vor der Gewährung von Sozialhilfeleistungen zunächst der Ehegatte und Vater in Anspruch zu nehmen sei. Deshalb lägen die Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 45 Abs. 1, Abs. 2, S. 3 Ziff. 3 SGB X vor. Eine Trennung oder Scheidung der Antragstellerin Ziff. 1 sei nicht beabsichtigt, vielmehr solle ein erleichterter Ehegattennachzug erreicht werden. Entsprechende Schritte seien bereits eingeleitet. Es bestehe somit Anspruch auf Ehegattenunterhalt und auf Kindesunterhalt. Dieser Ansprüche seien dem Vermögen der Antragstellerinnen zuzurechnen. Gemäß §§ 9 Abs. 1 SGB II sei aber nicht hilfebedürftig, wer sein Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne. Bereits hiernach sei die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerinnen zu verneinen. Es sei für das SG nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Antragstellerin Ziff. 1 ihre Unterhaltsansprüche gegen ihren Ehegatten nicht geltend mache bzw. durchsetze. Nachdem der Ehegatte über ein monatliches Nettoeinkommen von umgerechnet ca. 2.180 Euro bzw. 2.500 Euro verfüge, errechneten sich Unterhaltsansprüche von mindestens 1.100 Euro für die Antragstellerinnen. Hierdurch wäre der monatliche Gesamtbedarf vollumfänglich gedeckt. Insofern sei irrelevant, ob vorliegend eine Bedarfsgemeinschaft bestehe und ob dementsprechend zusätzlich das Barvermögen der Ehegatten, welches die Vermögensfreibeträge aller drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft übersteigen würde, einzusetzen wäre. Prozesskostenhilfe sei mangels Erfolgsaussichten ebenfalls nicht zu gewähren.

Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerinnen am 02.11.2017 Beschwerde eingelegt. Zwar stünden den Antragstellerinnen familienrechtliche Ansprüche "auf dem Papier", diese seien aber auf Monate hinaus nicht durchsetzbar. Der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen habe bislang nicht einen Cent für den Aufenthalt in Deutschland bezahlt. Hieran habe sich nichts geändert. Die Antragstellerinnen seien einkommenslos, seit nunmehr zwei Wochen bestehe auch kein Kontakt mehr mit dem in Saudi-Arabien lebenden Ehemann. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe mitgeteilt, dass sie sich endgültig scheiden lassen wolle, da sie sich von ihrem Mann im Stich gelassen fühle. Dieser scheine auch keine Absicht zu haben, nach Deutschland zu kommen, denn in dem Verfahren im Hinblick auf die Visumerteilung zum Zwecke der Familienzusammenführung warte der Bevollmächtigte der Antragstellerinnen seit Wochen auf irgendeine Rückmeldung des in Syrien weilenden Ehemannes der Antragstellerin Ziff. 1. Das SG und der Antragsgegner seien auf eine darlehnsweise Bewilligung von Leistungen nicht eingegangen. Diese Prüfung dränge sich aber geradezu auf, wenn das SG auf familienrechtliche Unterhaltsansprüche abstelle. Nach der Rechtsprechung des BSG (Az. B 14 AS 16/16 R) träfen den Antragsgegner insoweit Beratungs- und Hinweispflichten. So müsse es etwa auf das Verwertungserfordernis hinweisen, konkrete Verwertungsmöglichkeiten beispielhaft aufzeigen, für eine nicht mögliche sofortige Verwertung Zeit einräumen und während dieser darlehensweise Leistungen erbringen sowie darauf hinweisen, dass ohne den Nachweis von Verwertungsbemühungen und deren Scheitern weitere darlehensweise Leistungen nicht in Betracht kämen. Nichts davon sei hier erfolgt. Dazu, wie familienrechtliche Unterhaltsansprüche praktisch realisiert werden könnten, hätten weder der Antragsgegner noch das SG Ausführungen gemacht. Es sei jedoch von Interesse, nach welchem Recht solche Unterhaltsansprüche zu beurteilen seien. Zwar sei die Ehe kurzzeitig in Syrien geschlossen worden, gelebt sei sie aber dann tatsächlich in Saudi-Arabien worden, wo sich der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen aufhalte. Mit Saudi-Arabien bestehe kein familienrechtliches Übereinkommen und auch kein Vollstreckungsübereinkommen. Ein in Deutschland erwirkter Titel sei ein Stück Papier, der eine Zahlungsverpflichtung feststelle, die nicht vollstreckt werden könne.

Der Antragsgegner hat ausgeführt, die Antragstellerin Ziff. 1 habe im Rahmen einer Neuantragstellung am 27.10.2017 angegeben, seit vier Monaten Streitigkeiten mit ihrem Ehemann zu haben. Seit dem 01.10.2017 wolle sie eine Trennung vornehmen, da er sie nicht unterstütze und habe ihm per WhatsApp am 20.10.2017 eine entsprechende Nachricht hinterlassen. Die Antragstellerin Ziff. 1 sei mit Schreiben vom 09.11.2017 zur Vorlage von Kontoauszügen, Nachweisen über Mietzahlungen und Angaben zum geplanten Ehegattennachzug aufgefordert worden. Diese lägen bislang nicht vor. Eine Bedarfsgemeinschaft von Eheleuten im Sinne des SGB II könne auch ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt vorliegen. Werde einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine häusliche Gemeinschaft nicht vorsehe, liege kein Getrenntleben nach familienrechtlichen Grundsätzen vor. Vielmehr müsse zur räumlichen Trennung ein nach außen erkennbarer Trennungswille eines Ehegatten zur Lösung des einvernehmlich gewählten Ehemodells hinzutreten. Ein solcher nach außen erkennbarer Trennungswille sei nicht ersichtlich. Das Familiennachzugsverfahren werde noch betrieben. Hinsichtlich der vorgetragenen Trennung liege einzig die Angabe der Antragstellerin Ziff. 1 vor, dass sie sich von ihrem Ehemann trennen wolle. Es handele sich um eine innere Tatsache, die nicht nach außen dokumentiert sei oder gar nachgewiesen werden könne. Der Vortrag sei nicht glaubhaft. Der Grundgedanke der Bedarfsgemeinschaft beruhe auf der Annahme, dass in dieser Gemeinschaft alle Mitglieder füreinander Verantwortung auch im finanziellen Sinne übernähmen. Grundsicherungsleistungen seien erst nachrangig zu gewähren, wenn die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf nicht gemeinsam decken könnten. Mit dem vorhandenen Einkommen und Vermögen liege eine Bedarfsdeckung vor. Inwieweit Unterhaltsansprüche seitens der Antragstellerin Ziff. 1 in der Vergangenheit und auch derzeit gegen ihren Ehemann geltend gemacht worden seien und würden, sei nicht dargelegt. Ihr Vortrag, ihr Ehemann sei gemeinsam mit ihr selbst und der Tochter nach Europa geflogen, habe neben den Flugtickets auch noch extra für die Auswanderung einen Kredit von 30.000 Euro aufgenommen, diesen jedoch nicht belastet, habe auch das Asylverfahren in Bezug auf einen erleichterten Familiennachzug betrieben und würde dennoch den Antragstellerinnen seit der Einreise keine finanzielle Unterstützung zuteilwerden lassen, sei nicht glaubhaft. Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Im Übrigen hat der Antragsgegner auf die Entscheidung erster Instanz verwiesen, die er für zutreffend hält.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Der Beschwerdeausschluss des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift nicht ein.

Sie ist auch begründet. Die Antragstellerinnen haben einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der anhängigen Klage (ursprüngliches Az. S 7 AS 2675/17, inzwischen geändert auf S 10 AS 2675/17) gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Wirkung ab dem 11.09.2017 durch Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017. Der entgegenstehende Beschluss des SG war aufzuheben. Der Bescheid vom 07.09.2017, mit welchem der Antragsgegner den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 letztlich, allerdings ohne sie ausdrücklich aufzuheben, ersetzt hat, und der deshalb nach § 96 Gegenstand des gegen die genannten Bescheide gerichteten Klageverfahrens (Az. S 10 AS 2675/17) geworden ist, ist nach summarischer Prüfung nicht nur unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen und deshalb formell rechtswidrig, sondern auch ermessensfehlerhaft und daher materiell rechtswidrig.

Das SG hat den Eilantrag zutreffend als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Sinne von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG angesehen. Ein solcher ist hier zulässig und statthaft, denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den im Streit stehenden Rücknahmebescheid haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag ist auch begründet. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Udsching in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, Kapitel V, Rn. 31). Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Bereits in einem Beschluss vom 30.11.1956 (Az. 6 RKa 21/56 –, BSGE 4, 151 ff., juris, Rn. 15) hat das BSG hierzu ausgeführt, dass niemals im öffentlichen Interesse liegen könne, dass ein Verwaltungsakt vollzogen wird, dessen Rechtswidrigkeit offenkundig ist. Umgekehrt verbiete das öffentliche Interesse eine Aussetzung bei einem offensichtlich aussichtslosen Rechtsmittel. Innerhalb dieses vom BSG für die Interessenabwägung gezogenen Rahmens ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 12c, Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.07.2009 - L 7 AS 368/09 B ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.02.2015 - L 7 AS 23/15 B ER -, beide juris; a.A. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Auflage 2017, Rn. 201 ff [214, 217]). Bei der Interessensabwägung ist neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt (Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.04.2010, L 7 AS 301/10 ER).

Das SG hat nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG im Ergebnis zu Unrecht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 07.09.2017, mit welchem der Antragsgegner den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 komplett ersetzt hat, abgelehnt. Denn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird der Rücknahmebescheid vom 07.09.2017 in der vorliegenden Form voraussichtlich keinen Bestand haben, weshalb die für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu fordernden Erfolgsaussichten der anhängigen Klage bestehen.

Allerdings ist der Antragsgegner im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerinnen mit dem Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1, welcher zugleich der Vater der Antragstellerin Ziff. 2 ist, bei Erlass der hier zu prüfenden Verwaltungsentscheidung (Bescheid vom 07.09.2017) eine Bedarfsgemeinschaft mit diesem gebildet haben, so dass dessen Einkommen und Vermögen bei der Bedarfsberechnung grundsätzlich anrechenbar war. Darauf, ob sich die Antragstellerin Ziff. 1 inzwischen von ihrem Ehemann getrennt hat, wie sie zuletzt angegeben hat, kommt es deshalb nicht an, weil bei der Prüfung, ob die Aufhebung zu Recht erfolgte, bei der hier vorliegenden prozessualen Situation einer reinen Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren die Sach- und Rechtslage zu dem Zeitpunkt maßgebend ist, in dem der angefochtene Verwaltungsakt erlassen worden ist (BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 4 AS 49/09 R -, BSGE 105, 291-297, SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 10; BSG, Urteil vom 20.04.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr. 18 S. 46 m.w.N.).

Besteht Hilfebedürftigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II, erhalten erwerbslose Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die wie die Antragstellerin Ziff. 2 mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Leistungen der Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Da die Antragstellerinnen im Besitz einer bis zum 01.03.2019 befristet gültigen Aufenthaltserlaubnis sind, welche ihnen auch eine Beschäftigung gestattet, greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht ein.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 liegen in der Person der Antragstellerin Ziff. 1 vor. Ob und ggf. in welcher Höhe die Antragstellerinnen jedoch bei Rücknahme der Bewilligungsentscheidung hilfebedürftig waren, lässt sich nach summarischer Prüfung nicht abschließend beurteilen.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II in der aktuell gültigen Fassung vom 13.05.2011 ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II gilt (im Grundsatz) jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist (BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 71/12 R –, SozR 4-4200 § 9 Nr 12, Rn. 16). Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen u.a. der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst a SGB II).

Jedenfalls bei Erlass des Bescheides vom 07.09.2017 war der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a als nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte noch deren Partner und damit auch Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Die Auslegung des Begriffs "Getrenntleben" richtet sich auch im Rahmen des SGB II nach familienrechtlichen Grundsätzen. Gemäß § 1567 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) leben Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Maßgebend ist also ein objektiv hervortretender Trennungswille (BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 71/12 R –, SozR 4-4200 § 9 Nr. 12, Rn. 17, m.w.N.). Zwar ist die häusliche Gemeinschaft ein Grundelement der ehelichen Lebensgemeinschaft, jedoch kann bei Vereinbarung einer abweichenden Lebensgestaltung auch eine Ehe ohne räumlichen Lebensmittelpunkt (Ehewohnung) eine solche i.S. des § 1353 BGB sein (BGH, Urteil vom 7.11.2001 - XII ZR 247/00 - NJW 2002, 671). Haben die Ehegatten – wie hier – bei oder nach der Eheschließung einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine häusliche Gemeinschaft nicht vorsieht, kann allein der Wille, diese auf absehbare Zeit nicht herzustellen, ein Getrenntleben nach familienrechtlichen Grundsätzen nicht begründen. Vielmehr muss regelmäßig der nach außen erkennbare Wille eines Ehegatten hinzutreten, die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen zu wollen, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt (§ 1567 Abs. 1 BGB). Es kommt nach familienrechtlichen Maßstäben für eine Trennung entsprechend darauf an, ob einer der Partner die bisherige Form der Lebensgemeinschaft ohne gemeinsamen Lebensmittelpunkt nicht mehr aufrechterhalten will, das Eheband also lösen will (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R –, BSGE 105, 291-297, SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 13). Hier ist aufgrund des Vortrages der Antragstellerin Ziff. 1 davon auszugehen, dass sie jedenfalls bis zum 01.10.2017 an der Ehe festhalten wollte und das gewählte Lebensmodell (seit Juni 2015) ohne häusliche Gemeinschaft einvernehmlich gewählt war. Für die Frage, ob ein Ehegatte nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a als Partner eines/einer erwerbsfähigen Hilfebedürftigen anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob er innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat (vgl. zum Fall einer Lebenspartnerschaft und einem mehrmonatigen Aufenthalt eines Partners in China BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 42, Rn. 17). Ausreichend ist, dass sich der/die erwerbsfähige Hilfebedürftige – hier die Antragstellerin Ziff. 1 – im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs aufhält. Nur in Bezug auf diese handelt es sich um unmittelbare Rechtsanwendung; der Ehemann ist nur mittelbar betroffen. Die gegenteilige Auffassung würde außerdem dazu führen, dass sich Ehegatten der Anrechnung ihres Einkommens bzw. Vermögens auf den Bedarf eines/einer im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs lebenden Partners/Partnerin durch bloßen Wegzug ins Ausland entziehen könnten.

Ob das vom Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bewilligungsentscheidung erzielte monatliche Einkommen und evtl. vorhandenes Vermögen tatsächlich die Hilfebedürftigkeit der aus den Antragstellerinnen und dem Ehemann/Vater bestehenden Bedarfsgemeinschaft ganz entfallen lassen haben, vermag der Senat aktuell nicht zu beurteilen. Ergibt eine Gegenüberstellung des Gesamtbedarfs mit dem Einkommen der Bedarfsgemeinschaft eine Differenz zugunsten des Gesamtbedarfs, besteht in diesem Umfang ein weiterhin der (vollständigen) Aufhebung der Bewilligung entgegenstehender Leistungsanspruch der Antragstellerinnen (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R –, BSGE 105, 291-297, SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 17). Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 11 Abs. 3 SGB II). Zur Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen ist nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 78/12 RSozR 4-4200 § 11 Nr. 6, juris, Rn. 27 m.w.N.) von Folgendem auszugehen: Einkommen i.S. des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (modifizierte Zuflusstheorie, grundlegend BSG Urteile vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rn. 23 und vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15, Rn. 18; vgl. ferner BSG Urteile vom 17.6.2010 - B 14 AS 46/09 R - BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 30, Rn. 15 und vom 23.8.2011 - B 14 AS 185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 42 Rn. 10). Das Einkommen des Ehemannes/Vaters lag im August 2016, also ein Jahr vor der Rücknahmeentscheidung des Antragsgegners bei netto ca. 2.500 Euro monatlich. Die Antragstellerin Ziff. 1 hat angegeben, dass sein Nettoeinkommen aktuell nur bei ca. 2.180 Euro monatlich liegt, was aufgrund von Währungskursschwankungen durchaus möglich sein kann. Wie hoch das Einkommen im September 2017 tatsächlich war, vermag der Senat im Eilverfahren nicht festzustellen. Vorliegend fehlen überdies jegliche Feststellungen zu den monatlichen Aufwendungen (insbesondere den Kosten der Unterkunft), die der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen (bezogen auf den Monat September 2017) in Saudi-Arabien hatte. Für einen Übergangszeitraum können nicht nur die angemessenen, sondern sogar die tatsächlichen Unterkunftskosten für die Wohnung des Ehemannes/Vaters als (fiktiver) Bedarf bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen sein (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R –, a.a.O.). Ordnet man den in Saudi-Arabien lebenden Ehemann/Vater der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerinnen zu, besteht eine sog. "gemischte Bedarfsgemeinschaft", da der Ehemann/Vater wegen seines Wohnsitzes im Ausland von SGB II-Leistungen ausgeschlossen ist (Saitzek in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 20 Rn. 21).

Ebenfalls vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen, wie hoch das Vermögen des Ehemannes/Vaters im September 2017 tatsächlich war. Als Vermögen sind grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Hierzu gehört auch ein bei Antragstellung bereits vorhandenes Guthaben auf einem Girokonto als jederzeit durchsetzbare Forderung gegen die betreffende Bank. Zwar haben die Antragstellerinnen zuletzt eingeräumt, dass sich auf dem Girokonto des Ehemannes/Vaters "rund 30.000 Euro" befinden, allerdings datieren die vom Antragsgegner getroffenen Feststellungen zum Kontostand auf den 10.08.2016 (Kontostand gemäß E-Mail der Deutschen Botschaft Riad vom 26.01.2017, Bl. 56 VA). Welcher Geldbetrag genau sich im September 2017 auf dem Konto des Ehemannes/Vaters befunden hat, wann er zugeflossen ist und ob dieser als Einkommen oder Vermögen anrechenbar ist, kann im Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. So stellt etwa nach der Rechtsprechung des BSG ein Darlehen, das an den Darlehensgeber zurückzuzahlen ist, als nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung kein Einkommen dar, auch wenn es als "bereites Mittel" zunächst zur Deckung des Lebensunterhalts verwandt werden könnte (BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R –, BSGE 106, 185-190, SozR 4-4200 § 11 Nr 30, Rn. 16). Das gilt aber nicht in gleicher Weise bei einer Anrechnung als Vermögen (vgl. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.05.2017 - L 34 AS 1350/11 - juris, Rn. 28). Letztlich muss dies einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Nach summarischer Prüfung scheidet eine bedarfsmindernde Anrechnung von Unterhaltsansprüchen der Antragsteller gegen den Ehemann/Vater, anders als offenbar das SG gemeint hat, aus. Das folgt bereits daraus, dass dessen Einkommen zu dem hier zu beurteilenden Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheides vom 07.09.2017 als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft anzusehen und entsprechend auf den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen ist, so dass es eines "Umwegs" über etwaige Unterhaltsansprüche grundsätzlich nicht bedarf.

Ob Ansprüche auf Ehegattenunterhalt bzw. Kindesunterhalt unter den gegebenen Umständen überhaupt bestehen, nachdem die Antragstellerinnen nicht in häuslicher Gemeinschaft mit dem Ehemann/Vater wohnen, und wie hoch sie sind, richtet sich nach syrischem (die Ehe wurde in Syrien geschlossen) Recht i.V.m. den Normen des internationalen Familienrechts (EU-VO 1259/2010 vom 20.10.2010 (ROM III-VO)). Durchzusetzen wären solche Ansprüche, da der Ehemann/Vater in Saudi-Arabien lebt, nach saudi-arabischem Recht. Angesichts der Komplexität erscheint eine Klärung im Eilverfahren nicht möglich. Allerdings scheidet eine Anrechnung solcher Forderungen als Vermögen von vornherein aus, wenn sie nicht in absehbarer Zeit realisiert werden können (sog "Versilbern" von Vermögen; st. Rspr., BSG Urteil vom 06.12.2007 - B 14/7b AS 46/06 R - BSGE 99, 248 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 6 Rn. 11, BSG Urteil vom 12.07.2012 - B 14 AS 158/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 20 Rn 15, und Urteil vom 18.09.2014 – B 14 AS 58/13 R – SozR 4-4200 § 12 Nr. 24 –, juris, Rn. 15 jeweils m.w.N.). Ein Aspekt der tatsächlichen Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit, hinsichtlich der ggf. eine Prognose erforderlich ist. Für diese Prognose ist auf den jeweiligen Bewilligungszeitraum (hier also den bis Mai 2018 laufenden Bewilligungszeitraum) abzustellen; eine Festlegung für darüber hinausgehende Zeiträume ist demgegenüber nicht erforderlich und wegen der Unsicherheiten, die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, auch nicht geboten (st. Rspr. seit BSG Urteil vom 06.12.2007, a.a.O., Rn. 15; BSG Urteil vom 27.01.2009 - B 14 AS 42/07 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 12 Rn. 23; BSG Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 15 Rn. 19). Von den Antragstellerinnen ist glaubhaft vorgetragen, dass der Ehemann ihnen seit der Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland keine Zahlungen erbracht hat; die Antragstellerin Ziff. 1 hat dies eidesstattlich versichert. Glaubhaft vorgetragen ist ferner, dass der Ehemann/Vater auch nach Einstellung der Zahlungen durch den Antragsgegner bisher jegliche finanzielle Hilfe verweigert hat. Ob die Antragstellerinnen ihre Ansprüche auf Ehegatten- bzw. Kindesunterhalt gegen diesen überhaupt realisieren können und eine gerichtliche Durchsetzung in Saudi-Arabien unter wirtschaftlichen Aspekten zumutbar wäre, nachdem dafür wohl eine saudi-arabische Anwaltskanzlei beauftragt werden müsste, sieht der Senat als zweifelhaft an. Dass bis Mai 2018 mit rechtlichen Mitteln von dem in Saudi-Arabien lebenden Ehemann/Vater eine tatsächliche Auszahlung zu erwirken ist, sieht der Senat nach summarischer Prüfung als überaus unwahrscheinlich an. Ob diese Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls sogar dazu führen müssen, dass eine Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Ehemannes/Vaters auf die Bedarfe der Antragstellerinnen ausnahmsweise unterbleibt, obwohl zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung grundsätzlich eine Bedarfsgemeinschaft mit diesem bestanden hat, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

Da eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die der Bewilligungsentscheidung vom 02.06.2017 zugrunde lag, nach summarischer Prüfung nicht eingetreten ist, kann eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidung nur nach Maßgabe des § 45 SGB X und nicht, wie dies der Antragsgegner noch bei Erlass des Bescheides vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 angenommen hatte, nach Maßgabe des § 48 SGB X erfolgen.

Der die vorgenannten Bescheide ersetzende Rücknahmebescheid vom 07.09.2017 ist, obwohl der Antragsgegner sich bei dessen Erlass zutreffend auf § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X gestützt und im Ansatz auch Ermessen ausgeübt hat, formell und materiell rechtswidrig. Es fehlt an einer vor Ermessensbetätigung durchgeführten Anhörung. Infolge dessen leidet der Bescheid vom 07.09.2017 an einem Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 - 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen wer-den. Nach Abs. 2 der Regelung darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte er-brachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Grundsätzlich kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 der Regelung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder 3 vor, kann der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 SGB X). Eine Rücknahme für die Vergangenheit gemäß den vorbenannten Vorschriften ist von der Behörde innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, zu bewirken (§ 45 Abs. 4 SGB X).

Zwar überlagert § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III in seinem Anwendungsbereich grundsätzlich die §§ 45 ff. SGB X. Die Regelung enthält für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte das SGB X verdrängende Regelungen. Hiernach ergeht abweichend vom allgemeinen Sozialverwaltungsrecht des SGB X die Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten auch für die Zukunft (vgl. BSG, Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 13/14 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 86 Rn. 12; Eicher/Greiser in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2013, § 40 Rn. 51 f.) nicht als Ermessens-, sondern als gebundene Entscheidung, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen. Diese Sonderregelung findet aber hier deshalb keine Anwendung, weil die Voraussetzungen des § 330 Abs. 2 SGB III nicht erfüllt sind. Weder haben die Antragstellerinnen den Antragsgegner bei Antragstellung arglistig über das Nichtvorhandensein von Einkommen/Vermögen eines Mitglieds ihrer Bedarfsgemeinschaft getäuscht, noch haben sie zumindest grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich unwahre oder unvollständige Angaben gemacht. So ergibt sich aus dem am 19.05.2017 eingegangenen Hauptantrag eindeutig (Bl. 1 VA), dass die Antragstellerin Ziff. 1 verheiratet ist, sie zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht dauernd getrennt von ihrem Ehemann gelebt hat ("dauernd getrennt lebend" ist nicht angekreuzt) und sich ihr Ehemann im Ausland aufgehalten hat (der Sachbearbeiter hat mit Grüneintrag "Mann in Syrien" [richtig: Saudi-Arabien] vermerkt). Dass sie selbst ohne Einkommen und Vermögen war, wie aus dem Grüneintrag des Sachbearbeiters hervorgeht ("kein EK") sieht der Senat als glaubhaft gemacht an. Angaben zum Einkommen des Ehemannes wurden vom Antragsgegner vor der Leistungsbewilligung nicht gefordert. Die Antragstellerinnen mussten auch nicht von sich aus darauf kommen, dass solche Angaben für die Leistungsbemessung evtl. relevant sein könnten. Bei den Antragstellerinnen bestand gerade keine grob fahrlässige Unkenntnis darüber, dass ihnen wegen evtl. Einkünfte/evtl. Vermögens ihres Ehemannes/Vaters in Saudi-Arabien möglicherweise geringere oder überhaupt keine Leistungen nach dem SGB II zustehen könnten. Die Antragstellerinnen haben nicht gewusst und mussten auch nicht wissen, dass, solange bei der Antragstellerin Ziff. 1 kein Trennungswille bestand, sie mit deren Saudi-Arabien lebenden Ehemann dennoch eine Bedarfsgemeinschaft bildeten, so dass von diesem ggf. erzieltes Einkommen oder bei diesem ggf. vorhandenes Vermögen sich bei den Antragstellerinnen auch dann anspruchsmindernd auswirken kann, obwohl er diesen tatsächlich – wie von der Antragstellerin Ziff. 1 eidesstattlich versichert – seit Juni 2015 keinerlei Zahlungen erbracht hat und auch weiterhin weigert, Zahlungen zu leisten. Die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit "Grundsicherung für Arbeitsuchende" enthalten unter 1.2 ("Was versteht man unter einer Bedarfsgemeinschaft") lediglich Angaben für die typische Grundkonstellation der Bedarfsgemeinschaft, ausgehend von der Haushaltsgemeinschaft und einem gemeinsamen Wirtschaften "aus einem Topf". Sie enthalten demgegenüber keinerlei Hinweise darauf, dass eine Bedarfsgemeinschaft ausnahmsweise auch dann bestehen kann, wenn die betreffenden Personen zwar verheiratet sind, aber nicht in einem Haushalt zusammenleben und nicht gemeinsam wirtschaften, und es für die Beurteilung in solchen Fällen maßgeblich auf den Trennungswillen ankommt. Es handelt sich um eine atypische Fallkonstellation, die erst von der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R –, a.a.O.; BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 71/12 R –, a.a.O.) herausgearbeitet worden ist.

Der Änderungsbescheid vom 07.09.2017 ist formell rechtswidrig, weil der Antragsgegner vor dessen Erlass – wie schon vor dem Erlass des Bescheides vom 02.08.2018 – versäumt hat, die Antragstellerinnen nach § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Vorliegend ist, anders als das SG gemeint hat, die fehlende Anhörung nicht durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 165/11 R = SozR 4-1300 § 50 Nr. 3 RdNr. 13), denn die Möglichkeit einer Heilung einer unterlassenen Anhörung bei Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erfordert, dass dem Beteiligten schon in dem angefochtenen Verwaltungsakt oder auf andere Weise im Laufe des Widerspruchsverfahrens alle entscheidungserheblichen Tatsachen zur Kenntnis gebracht wurden, sodass er sich zu ihnen sachgerecht äußern konnte (BSG, Urteil vom 26.9.1999 - 4 RK 4/91 = BSGE 69, 247, 251 ff.; vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R = BSGE 89, 90, 93). In den Ausgangsbescheiden (Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017) war der Antragsgegner jedoch fälschlich davon ausgegangen, dass eine Aufhebung als gebundene Entscheidung gem. § 48 Abs. 1 SGB X zu bewirken wäre und hat als alleinigen Aufhebungsgrund einen Wegfall der Hilfebedürftigkeit benannt, was unzutreffend war, da sich die finanzielle Situation der Bedarfsgemeinschaft zwischen Bewilligung und Rücknahme nach summarischer Prüfung nicht wesentlich geändert hat. Dass vom Antragsgegner beabsichtigt war, eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz SGB X zu treffen, konnten die Antragstellerinnen im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 02.08.2017 nicht erkennen und dazu deshalb auch nicht gezielt vortragen.

Die fehlende Anhörung ist bislang auch nicht nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Der Passus im Bescheid vom 07.09.2017 "Sie bekommen hiermit auch nochmals Gelegenheit sich zu diesem Sachverhalt zu äußern. Sollten Sie dazu Stellung nehmen möchten, so tun Sie dies bitte bis zum 22.09.2017." entspricht nicht den von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Anforderungen an eine außerhalb des Verwaltungsverfahrens nachgeholte Anhörung. Vielmehr hätte der Antragsgegner den Antragstellerinnen in einem gesonderten Anhörungsschreiben alle Haupttatsachen mitteilen müssen, auf die er die belastende Entscheidung stützen will und den Antragstellerinnen eine angemessene Frist zur Äußerung setzen müssen. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 37/09 R –, SozR 4-1300 § 41 Nr. 2, Rn. 14, bestätigt von BSG, Urteil vom 26.07.2016 – B 4 AS 47/15 R – SozR 4-1500 § 114 Nr. 2, Rn. 19). Daran fehlt es hier.

Durch eine Nachholung der Anhörung kann im vorliegenden Fall die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 07.09.2017 nicht beseitigt werden. Da die Antragstellerinnen keine Gelegenheit bekommen haben, alle für die Ermessensbetätigung relevanten Umstände vor Erlass des Bescheides vom 07.09.2017 vorzutragen und der Antragsgegner deshalb wesentliche Umstände bei seiner Ermessensbetätigung außer Betracht gelassen hat, ist der Bescheid materiell ermessensfehlerhaft. Anders als bei einer nur fehlenden Begründung bei einer gebundenen Entscheidung kann der Mangel der Ermessensbetätigung nach § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch im Klageverfahren in einem solchen Fall nicht mehr nachgeholt werden (Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 17, BSG Urteil vom 01.03.2011 - B 7 AL 2/10 R, juris, Rn. 14), es sei denn, es läge ein Fall einer Ermessensschrumpfung oder einer Ermessensreduzierung auf Null vor. Das aber ist hier angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls und der schwerwiegenden Folgen der Aufhebung der Leistungsbewilligung für die mittellosen Antragstellerinnen nicht der Fall.

Hier hat der Antragsgegner bei Erlass des Bescheides vom 07.09.2017, anders als noch bei Erlass des zuvor ergangenen Bescheides vom 02.08.2017 i.d.G. des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017, zwar erkannt, dass ihm ein Rücknahmeermessen zugestanden hat und dieses auch ausdrücklich betätigt. Diese Ermessensbetätigung ist allerdings gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, SozR 4-1300 § 45 Nr. 15, Rn. 30 m.w.N.).

Der Bescheid vom 07.09.2017 leidet nach summarischer Prüfung an einem Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit. Die Antragstellerinnen wurden vor der Ermessensbetätigung weder zu den nach Auffassung des Antragsgegners entscheidungserheblichen Umständen angehört noch wurden vom Antragsgegner vorab sämtliche für die Ermessensausübung relevanten Umstände ermittelt und in die Ermessensbetätigung eingestellt. Bei der Ermessensbetätigung ist der Antragsgegner ausweislich der Gründe des Bescheides vom 07.09.2017 davon ausgegangen, dass der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen Einkommen erzielt. Wie hoch die notwendigen Aufwendungen des Ehemannes der Antragstellerin, insbesondere dessen Unterkunftskosten, sind, hat der Antragsgegner allerdings nicht ermittelt, weshalb bei Bescheiderlass nicht feststand, welcher Teil des Einkommens des Ehemannes/Vaters für eine Bedarfsdeckung bei den Antragstellerinnen zur Verfügung stand. Der Antragsgegner ist ferner bei seiner Rücknahmeentscheidung davon ausgegangen, dass der Ehemann/Vater den Antragstellerinnen tatsächlich Leistungen erbringt. Demgegenüber geht der Senat jedenfalls nach summarischer Prüfung gestützt auf die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin Ziff. 1 davon aus, dass dies seit der Übersiedelung der Antragstellerinnen in die Bundesrepublik Deutschland durchgehend nicht der Fall war und die Antragstellerinnen faktisch mittellos sind, zumal etwaige Unterhaltsansprüche sich nicht sogleich realisieren lassen (s.o.). Ebenfalls ist den Antragstellerinnen faktisch der Zugriff auf etwaiges Vermögen des Ehemannes/Vaters verwehrt.

Nach alledem ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der Rücknahmebescheid vom 07.09.2017 in der vorliegenden Form voraussichtlich keinen Bestand haben wird, weshalb sich der Senat nach Abwägung der widerstreitenden Interessen im vorliegenden Einzelfall veranlasst gesehen hat, den Beschluss des SG vom 02.10.2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017 anzuordnen.

Hier liegt auch eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vor (dazu Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.04.2010, L 7 AS 301/10 ER; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2015 – L 7 AS 23/15 B ER –, juris, Rn. 22). Denn nachdem die Antragstellerinnen glaubhaft vorgetragen haben, weitgehend mittellos zu sein und vom Ehemann/Vater keinerlei finanzielle Unterstützung zu erfahren, steht vorliegend die Dringlichkeit außer Frage.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

Den Antragstellerinnen war für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt K. beizuordnen (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Antragstellerinnen sind nach ihren glaubhaften Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen weitgehend mittellos und somit nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung – auch nicht ratenweise – aufzubringen. Sie sind mithin bedürftig nach den §§ 114, 115 ZPO. Da auch die Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht, war dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren stattzugeben.

Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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