L 5 R 276/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 230/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 276/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Kostenerstattung ist nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Fall SGB V oder § 15 Abs. 1 Satz 4, 2. Fall SGB IX ausgeschlossen, wenn Versicherte von vornherein Systemgrenzen nicht beachten wollen. Nur wer bereit ist, sich auf die Regeln des Naturalleistungssystems einschließlich des Beschaffungswegs einzulassen, kann Kostenerstattung beanspruchen.

2. Besteht eine medizinische Notwendigkeit für eine höherwertige Ausstattung eines Hörgeräts bereits für den Alltagsgebrauch, scheidet ein berufsbedingter Mehrbedarf, dessen Mehrkosten dem Rentenversicherungsträger zur Last fallen würden, hinsichtlich dieser Ausstattung aus.


zu Leitsatz 1.: Anschluss an BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R

zu Leitsatz 2.: Anschluss an BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Juli 2014 geändert. Die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung wird aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine Hörgeräteversorgung.

Aufgrund einer im November 2005 bei der 1964 geborenen Klägerin erstmals diagnostizierten gering- bis mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit beidseits wurde diese mit Hörgeräten versorgt. In den folgenden Jahren kam es zu einer Progredienz der Schwerhörigkeit von fast 20 dB in allen Frequenzen, die von dem behandelnden Hals-, Nasen-, Ohrenarzt Dr. med. C. aber immer noch als gering- bis mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit eingeordnet wurde. Am 24. Mai 2011 stellte er der Klägerin eine Verordnung über Hörhilfen aus, mit der sich die Klägerin am gleichen Tag an ihren Hörgeräteakustiker wandte, der noch am 24. Mai 2011 die Versorgung der Klägerin bei der damaligen Krankenversicherung der Klägerin, der BKK Gesundheit, anzeigte. Unter dem 6. Juni 2011 wies diese die Klägerin darauf hin, dass sich die Höhe der Kostenübernahme auf die gültige Festbetragsgrenze beschränke; der Klägerin seien mindestens eine bzw. zwei eigenanteilsfreie Versorgungen durch den Akustiker anzubieten. Dieses Angebot habe die Klägerin durch ihre Unterschrift zu bestätigen. Weiter war folgender Hinweis enthalten: "Sobald der Hörgeräteakustiker Ihnen eine Hörhilfe anbietet, ohne Ihnen eine eigenanteilsfreie Versorgung zu testen und Sie zusätzlich eine Mehrkostenvereinbarung unterschreiben, haben Sie eine separate Vereinbarung mit dem Hörgeräteakustiker getroffen. Eine weitere Kostenübernahme der BKK Gesundheit ist aufgrund der eindeutigen vertraglichen Situation nicht möglich."

Am 21. Juni 2011 beantragte die Klägerin hinsichtlich der Hörgeräte bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da sie seit 1985 als Fachkrankenschwester in der Psychiatrie (psychiatrisches Krankenhaus) tätig sei und dort viele Patientengespräche, Gruppengespräche, Übergaben und Besprechungen zu führen habe, die ihr zunehmend schwerer fielen. Wichtige Informationen gingen ihr verloren, so dass sie für ihre Tätigkeit Hörgeräte benötige. Dies bestätigte auch Dr. med. C. in seinem ärztlichen Befundbericht für die Beklagte vom 20. Juli 2011.

Mit Bescheid vom 10. August 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin angesichts der bestehenden Hörschädigung nach den vorliegenden Unterlagen generell auf das Tragen einer Hörhilfe aus medizinischen Gründen angewiesen sei. Dies bedeute, sie benötige dieses Hilfsmittel im privaten wie auch im beruflichen Lebensbereich. Bei der Versorgung dieses Grundbedarfs handele es sich um eine Krankenbehandlung im Sinne des Krankenversicherungsrechts. Eine den medizinischen Erfordernissen entsprechende zweckmäßige Ausstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung sei auch bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Krankenschwester ausreichend. Eine Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers könne sich ergeben, wenn ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung nur für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. nur für eine spezielle Form einer Berufsausübung erforderlich sei und dieses Hilfsmittel bei anderweitiger beruflicher Tätigkeit nicht benötigt werde. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor, da die Anforderungen in ihrer Berufstätigkeit keine spezifisch berufsbedingte Notwendigkeit erkennen lasse.

Zusätzlich informierte die Beklagte die BKK Gesundheit mit Schreiben vom 10. August 2011 über die Ablehnung des Antrages und bat um dortige Prüfung, ob die gewünschte Versorgung im Rahmen der Möglichkeiten der Krankenversicherung erbracht werden könnten. Nach Aktenlage erfolgte darauf keine Reaktion der BKK Gesundheit.

Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie auf die spezielle Situation in der Psychiatrie verwies. Zur Stütze ihres Vortrags legte sie eine betriebsärztliche Bescheinigung des Dr. med. G. vom 5. September 2011 vor, wonach die Gehörschädigung mithilfe eines Hörgerätes ausgeglichen werden müsse, damit sie fachgerecht und sicher die ihr anvertrauten psychiatrischen Patienten versorgen könne, aber auch zum Eigenschutz.

Ausweislich der Rechnung des Hörgeräteakustikers vom 12. Oktober 2011 beschaffte sich die Klägerin die Hörgeräte (Widex Fusion Clear 440) mit einer Zuzahlung in Höhe von 4.121,00 EUR selbst.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da die ausgeübte Tätigkeit als Krankenschwester keine speziellen beruflichen Anforderungen an das Hörvermögen stelle, die eine Hörgeräteversorgung über die durch die gesetzliche Krankenversicherung zu leistende medizinische Grundversorgung hinaus erfordere.

Am 7. Dezember 2011 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sie bereits bei der erstmaligen Versorgung mit Hörgeräten auf eigene Kosten digitale Hörgeräte erworben hätte, da die von der Krankenversicherung zuzahlungsfrei zur Verfügung gestellten Hörgeräte nicht ihren beruflichen Anforderungen genügt hätten. Nunmehr seien wegen des Fortschreitens der Schwerhörigkeit neue Hörgeräte notwendig. Sie habe im Zeitraum von Mai bis Oktober 2011 verschiedene digitale Hörgeräte während der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit getestet. Die Hörgeräte der Marke Widex Fusion C 440 seien den beruflichen Anforderungen am besten gerecht geworden. Die Versorgung mit beiderseitigen Hörgeräten dieser Marke habe abzüglich der Kostenübernahme durch die Krankenkasse eine Zuzahlung in Höhe von 4.121,00 EUR erfordert.

Die Beklagte war weiterhin der Ansicht, dass keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen durch den Arbeitsplatz gestellt würden.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2013 hat das Sozialgericht Marburg die Rechtsnachfolgerin der BKK Gesundheit, die DAK Gesundheit, zum Verfahren beigeladen. Diese war der Auffassung, dass mit Bescheid vom 6. Juni 2011 die beantragte Hörgeräteversorgung in Höhe der Festbeträge bewilligt worden sei. Es sei nicht erkennbar, welche besonderen Gründe vorlägen, die eine Versorgung mit Festbetragsgeräten nicht als ausreichend erscheinen ließen. Die berufliche Tätigkeit der Klägerin stelle keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen.

Nach Einholung u.a. eines Befundberichts des behandelnden Hals-, Nasen-, Ohrenarztes Dr. med. C. vom 23. Februar 2012 hat das Sozialgericht Marburg mit Urteil vom 8. Juli 2014 den Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Hörgeräteversorgung gemäß Rechnung vom 12. Oktober 2011 abzüglich des Krankenkassenanteils zu erstatten. Zur Begründung führte es aus, dass eine Erforderlichkeit zur Berufsausübung im Sinne von § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) nicht alleine dann gegeben sei, wenn das Hilfsmittel ausschließlich in der Berufsausübung Verwendung finde. Es sei allein ausreichend ein berufsbedingter Mehrbedarf. Entscheidend komme es alleine darauf an, ob die Klägerin in ihrer beruflichen Tätigkeit als Fachkrankenschwester für Psychiatrie Situationen ausgesetzt sei, denen sie ohne Verwendung von adäquaten Hilfen nicht mehr gewachsen wäre mit der Folge, dass sie diese Tätigkeit auf Dauer nicht mehr ausüben könnte. Darauf, dass die Klägerin auch im Alltagsleben derartigen Situationen ausgesetzt sei, bei denen die Verwendung von höherwertigen digitalen Hörgeräten vorteilhaft wäre, komme es hingegen nicht an. Ein höherwertiges Hörgerät sei immer dann notwendig, wenn die Versicherte in ihrem Beruf auf eine besonders gute Hörfähigkeit angewiesen sei. Für das Erfordernis einer besonders guten Hörfähigkeit im Beruf würden z.B. akustische Kontroll- oder Überwachungsarbeiten genannt oder das feinsinnige Unterscheiden von Zwischentönen oder Klängen. Ausgehend von diesen Grundsätzen habe die Klägerin Anspruch auf die Versorgung mit einem höherwertigen Hörgerät. Die Klägerin müsse - dies sei gerichtsbekannt - in verschiedenen Situationen über ein gutes Hörvermögen verfügen.

Gegen das am 30. Juli 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. August 2014 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Zur Begründung trägt sie vor, dass die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel in Form einer Hörgeräteversorgung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nur dann in Betracht komme, wenn das Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung ausschließlich für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. für eine spezielle Form einer Berufsausübung benötigt werde. Bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Krankenschwester in der Psychiatrie lägen keine speziellen beruflichen Anforderungen vor, die eine Hörgeräteversorgung über die durch die gesetzliche Krankenversicherung zu leistende medizinische Grundversorgung erforderten. Die persönliche Kommunikation im Zweier- bzw. Gruppengespräch - auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen bzw. störenden Umgebungsgeräuschen am Arbeitsplatz - stelle eine Anforderung an das Hörvermögen dar, die beinahe bei jeder Berufsausübung bestehe. Im Rahmen eines bestmöglichen Ausgleichs der Behinderung im Sinne der Versorgungsziele nach der Hilfsmittel-Richtlinie sei die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet, dem behinderten Menschen zu ermöglichen, auch bei störenden Umgebungsgeräuschen zu hören und zu verstehen. Ein berufsbedingter Mehrbedarf, der vom Rehabilitationsträger zu decken sei, könne sich deshalb nicht ergeben, wenn typische Schallsituationen im jeweiligen Beruf diesen alltagstypischen Störgeräuschen zuzuordnen seien.

Die Beklagte beantragt (schriftlich),
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Juli 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (schriftlich),
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Juli 2014 zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt (schriftlich),
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Juli 2014 zurückzuweisen.

Sowohl die Klägerin als auch die Beigeladene sehen sich durch das Urteil des Sozialgerichts Marburg in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. med. E., Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, vom 26. Mai 2017 sowie des Hörgerätakustikmeisters F. vom 19. Mai 2017.

Der Sachverständige F. kam nach Hörsystem-Anpassung bei der Klägerin am 3. Mai 2017 zu dem Ergebnis, dass nach Aktenlage und den persönlich erhobenen Ergebnissen das Widex Fusion Clear 440 die bestmögliche Versorgung sei. Dieses Gerät sei zur Ausübung der Tätigkeit als Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik notwendig. Geräte zum Festbetrag aus dem Anpassungszeitraum stünden aufgrund geänderter Anforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr zur Verfügung. Das getestete Phonak Milo SP sei ein solches aufzahlungsfreies Hörgerät aus dieser Zeit, sei aber für die Klägerin weniger geeignet. In der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Hörgeräte, auch zum damaligen Zeitpunkt, könnte durchaus eine preisgünstigere Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung gestanden haben. Dies sei aber aus der Aktenlage und aus heutiger Sicht reine Spekulation, da die entsprechenden Hörgeräte, aufgrund technischer Weiterentwicklung, nicht mehr zur Verfügung stünden.

Im beigezogenen Anpassbericht des Hörgeräteakustikers vom 22. Juli 2011 ist als Bemerkung aufgenommen: "Frau A. hat keine Kassenversorgung gewünscht."

Der Sachverständige Prof. Dr. med. E. kam in seinem Gutachten vom 26. Mai 2017 nach Untersuchung ebenfalls am 3. Mai 2017 sowie unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen F. zu der Einschätzung, dass sich unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Sprachverständnisses ohne und mit Störgeräusch doch ein klarer Vorteil für das 2011 gewählte Hörsystem Widex Fusion Clear 440 zeige. Dieser Unterschied sei so eklatant, dass man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen könne, dass im Rahmen des Behinderungsausgleichs auch zum damaligen Zeitpunkt die Anpassung des höherwertigen Hörsystems Widex Fusion Clear 440 sowohl für den beruflichen wie auch für den privaten Bereich erforderlich gewesen sei. Mit einem zuzahlungsfreien Hörsystem wäre die bei der Klägerin bestehende Hörminderung nicht in ausreichendem Maße ausgeglichen worden. Auch in seiner Überprüfung des Hörsystems im Freifeld habe sich beim Sprachverstehen bei 65 dB ein Unterschied von über 50 Prozent gezeigt. Diese Tatsache belege, dass bei der Klägerin nur mit einem höherwertigen Hörsystem ein ausreichender Behinderungsausgleich möglich sei. Bei der Klägerin liege nach den sprachaudiometrischen Werten auf dem rechten Ohr ein Hörverlust von 50 Prozent und auf dem linken von 80 Prozent vor, was einer mittelgradigen bzw. hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit entspreche. Je höhergradig die Hörminderung sei, desto schwieriger gestalte sich der Behinderungsausgleich mit zuzahlungsfreien Hörsystemen. Anhand der gutachterlichen Untersuchungsergebnisse lasse sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegen, dass die Klägerin sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich mit einem höherwertigen Hörsystem deutlich besser versorgt sei als mit einem zuzahlungsfreien Hörsystem. Der Unterschied sei so groß, dass eine solche Versorgung gerechtfertigt sei.

Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten des Prof. Dr. med. E. bestätigt, da die hochgradige Innenohrschwerhörigkeit der Klägerin keine ausschließliche berufliche Betroffenheit für eine höherwertige Hörgeräteversorgung begründe. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die Beigeladene nach dem Leistungsbescheid vom 6. Juni 2011 und der Versorgungsanzeige vom 24. Mai 2011 keine fristgerechte Weiterleitung an sie vorgenommen habe. Durch die nach außen verlagerte Entscheidung vom 6. Juni 2011 habe sich die Beigeladene durch die versäumte Weiterleitung generell für zuständig erklärt. Hieraus folge, dass die Beklagte im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch der unzuständige Leistungsträger sei.

Aus Sicht der Beigeladenen sei nicht nachvollziehbar, warum bei der ersten Anpassung im Jahr 2011 kein zuzahlungsfreies Hörgerät getestet worden sei. Die Hörgeräteakustiker seien verpflichtet, gleichwertige Hörhilfen anzubieten und zu testen. Darauf habe sie auch in ihrem Genehmigungsschreiben an die Klägerin vom 6. Juni 2011 hingewiesen. Es komme alleine darauf an, ob die Klägerin für ihre berufliche Tätigkeit diese begehrte Hörhilfe benötige. Zur beruflichen Tätigkeit als Fachkrankenschwester in der Psychiatrie seien bereits im sozialgerichtlichen Verfahren Ermittlungen durchgeführt worden, welche zu dem Ergebnis führten, dass offensichtlich ein beruflicher Bedarf bestehe. Dass das Hörgerät auch im privaten Bereich genutzt werde, stelle sich als möglicher positiver Nebeneffekt dar. Im ursprünglichen Leistungsantrag sei der berufliche Aspekt nicht angegeben worden, so dass nach Prüfung die Kostenübernahme durch die Kasse entsprechend der Festbeträge erfolgt sei. Es würde den Rahmen überspannen, wenn der erstangegangene Leistungsträger in allen Versorgungsfällen, in denen es nicht ersichtlich sei, dass ein beruflicher Mehrbedarf bestehe, den Antrag vorsorglich an den Rentenversicherungsträger nach § 14 SGB IX weiterleite. Dennoch sei festzustellen, dass offensichtlich keinerlei Testung und Vergleichsmessungen durch den Hörgeräteakustiker erfolgten, die Versorgung mit der Hörhilfe gleich erfolgte und im Nachgang der berufliche Bedarf geltend gemacht worden sei.

Der Senat hat zunächst eine schriftliche Auskunft des Hörgeräteakustikers eingeholt und sodann auf Antrag der Klägerin Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin D., die als Hörgeräteakustikmeisterin im Jahr 2011 die Hörgeräteversorgung bei der Klägerin durchgeführt hatte. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 15. November 2017 Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich am 15. November 2017 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, auf die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte der Klägerin sowie den Verwaltungsvorgang der Beigeladenen. Deren Inhalt war Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die statthafte Berufung der Beklagten (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

Sie ist auch überwiegend begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Juli 2014 kann keinen Bestand haben, soweit damit die Beklagte zur Kostenerstattung für die gewählten Hörgeräte verurteilt wurde. Die Klägerin hat weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber der Beigeladenen einen Anspruch auf Kostenerstattung. Der Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2011 (§ 95 SGG) wurde hingegen zu Recht aufgehoben, da die Beklagte als unzuständiger Leistungsträger entschieden hat. Durch diese rechtswidrige Entscheidung ist die Klägerin beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.

Streitgegenstand ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der den Festbetrag (§ 36 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V)) übersteigenden Kosten des Hörgeräts in Höhe von 4.121,00 EUR entweder gegenüber der Beklagten oder der Beigeladenen.

Obwohl nur die Beklagte Berufung eingelegt hat, hat der Senat über den vollständig beim Sozialgericht anhängig gewesenen Streitstoff, also die Verurteilung entweder der Beklagten oder der Beigeladenen, zu entscheiden. Dies folgt aus der durch § 75 Abs. 5 SGG eröffneten Befugnis, anstelle des verklagten Versicherungs- oder Leistungsträgers nach Beiladung den tatsächlich leistungsverpflichteten, aber nicht verklagten Träger zu verurteilen. Diese prozessual vorgesehene Möglichkeit der Verurteilung auf Beiladung dient vor allem der Prozessökonomie, einer Klageänderung (§ 99 SGG) bedarf es dabei nicht (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 11 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. August 2013, L 13 R 2607/10, juris, Rdnr. 33).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im Verhältnis zur Beklagten der Bescheid vom 10. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2011, mit der die Übernahme (Sachleistungsanspruch) bzw. später die Erstattung (Kostenerstattungsanspruch) der den Festbetrag übersteigenden Kosten der Hörgeräteversorgung in Höhe von 4.121,00 EUR abgelehnt worden war. Verfahrensgegenstand ist aber auch die Entscheidung der Beigeladenen vom 6. Juni 2011, die Hörgeräteversorgung auf den Festbetrag zu beschränken, eine technisch aufwändigere und teurere Versorgung also abzulehnen.

Über diese Verwaltungsentscheidung der Beigeladenen ist zu befinden, weil eine unmittelbare Verurteilung der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG voraussetzt, dass dieser Ablehnungsentscheidung im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen keine Bindungswirkung zukommt. Im Falle einer solchen Bindungswirkung wäre eine Verurteilung der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 12 m.w.N.). Die Entscheidung der Beigeladenen vom 6. Juni 2011 ist noch nicht bestandskräftig, denn der Antrag der Klägerin bei der Beklagten stellt zugleich einen Widerspruch der Klägerin gegen die ablehnende Entscheidung der Beigeladenen, Kosten oberhalb des Festbetrags nicht zu übernehmen, dar.

Die Klägerin hat sich mit ihrem Begehren, eine verbesserte Hörgeräteversorgung zu erhalten, zunächst an die Beigeladene als krankenversicherungsrechtlichen Leistungsträger (§ 33 SGB V) gewandt und nach Kenntnis von deren auf den Festbetrag (§ 36 i.V.m. § 12 Abs. 2 SGB V) beschränkten Leistungsbewilligung vom 6. Juni 2011 zusätzlich an die Beklagte als rentenversicherungsrechtlichen Leistungsträger (§ 15 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 und § 31 SGB IX), um auch den offenen Restbetrag als Versicherungsleistung gewährt zu bekommen.

Die Zuständigkeit der Beklagten als für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 5 Nr. 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) einstandspflichtigem Versicherungsträger kam hier in Betracht, da die Klägerin als Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik das Erfordernis einer verbesserten Hörgeräteversorgung mit der Notwendigkeit eines besseren Hörverständnisses gerade bei der Arbeit begründet hat.

Ausgehend davon hat das Sozialgericht Marburg zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2011 aufgehoben. Die Beklagte war für die Entscheidung über diesen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe im ausschließlich maßgebenden Außenverhältnis zur Klägerin sachlich nicht zuständig, da sie nicht der erstangegangene Träger im Sinne des § 14 SGB IX ist, so dass der streitige Bescheid aufzuheben war (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 5/07 R, juris, Rdnr. 16 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 8).

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Demnach verliert ein (möglicherweise) materiell-rechtlich zuständiger Rehabilitationsträger im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beigeladene Krankenkasse) eine im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Sinn dieser Regelung ist es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern schnell und dauerhaft die Zuständigkeit zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken (vgl. BT-Drucks. 14/5074 S. 95 zu Nr. 5 und S. 102 f. zu § 14). Die Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, B 7 AL 16/04 R, juris; Urteil vom 26. Juni 2007, B 1 KR 34/06 R, juris). Dadurch wird eine nach außen verbindliche Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers geschaffen, die intern die Verpflichtungen des eigentlich zuständigen Leistungsträgers unberührt lässt und die Träger insoweit auf den nachträglichen Ausgleich nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX und §§ 102 ff. SGB X verweist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 16 m.w.N. = SozR 4-3250 § 14 Nr. 19).

Erstangegangener Rehabilitationsträger im Sinne von § 14 SGB IX ist derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw. Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist. Diese Befassungswirkung fällt grundsätzlich auch nach einer verbindlichen abschließenden Entscheidung des erstangegangenen Trägers nicht weg. Vielmehr behält der erstmals befasste Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Außenverhältnis zum Antragsteller regelmäßig auch dann weiter, wenn er, ohne den Antrag an den aus seiner Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet zu haben, das Verwaltungsverfahren durch Erlass eines Verwaltungsakts abschließt (vgl. § 8 SGB X), selbst wenn dieser bindend wird. Er bleibt deshalb auch für ein mögliches Verfahren nach § 44 SGB X zuständig, selbst wenn die Rechtswidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift dann nur darin liegt, dass er die außerhalb seiner "eigentlichen" Zuständigkeit liegenden einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht beachtet hat (vgl. dazu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnrn. 16, 17; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, B 7 AL 16/04 R, juris; BSG, Urteil vom 20. November 2008, B 3 KN 4/07 R, juris).

Ausgehend davon ist die Beigeladene als erstangegangener Rehabilitationsträger für die begehrte Hörgeräteversorgung anzusehen, die im Außenverhältnis zur Klägerin mangels Weiterleitung des Leistungsantrags an die Beklagte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für das Versorgungsbegehren ausschließlich zuständig geworden ist.

Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden auf Antrag grundsätzlich in Form einer Sachleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) erbracht, wobei die Krankenkasse ihre Leistungspflicht gemäß § 12 Abs. 2 SGB V mit dem Festbetrag erfüllt, wenn für die Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist (BSG, Urteil vom 6. September 2007, B 3 KR 20/06 R, juris, Rdnr. 13 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 17). Die Klägerin hat den maßgeblichen Antrag auf diese Sachleistung am 24. Mai 2011 bei der Beigeladenen gestellt, da jedenfalls die Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers bei der Beigeladenen als maßgebliche Antragstellung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zu bewerten ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 20). Die Versorgungsanzeige ist nicht allein Bestandteil der Innenkommunikation zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse zur Gewährung einer Sachleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V), durch die im Wesentlichen die Mitgliedschaft des Versicherten (vgl. § 19 Abs. 1 SGB V) geklärt wird (BSG, a.a.O.).

Über diesen Antrag musste die Beigeladene als erstangegangener Träger anhand aller Rechtsgrundlagen entscheiden, die überhaupt in der konkreten Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Der Antrag der Klägerin richtet sich auf die Versorgung mit einem Hörgerät und ist als solcher ein Antrag auf Teilhabeleistungen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (BSG, Urteil vom 21. August 2008, B 13 R 33/07 R, juris, Rdnr. 34 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 7; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 5/07 R, juris, Rdnr. 18 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 8). Dabei geht es nach der Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) um eine umfassende, nach Maßgabe des Leistungsrechts des Sozialgesetzbuches (hier: des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V sowie des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI) bestmögliche Versorgung mit einem neuen Hörgerät. Eine solche Auslegung des Leistungsbegehrens schließt die Aufspaltung des klägerischen Begehrens in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einen Antrag auf Bewilligung eines Festbetrages ("Normalversorgung", § 12 Abs. 2 SGB V) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung ("Premiumversorgung"), von vornherein aus (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. August 2013, L 13 R 2607/10, juris, Rdnr. 48). Deshalb hatte die Beigeladene den Leistungsantrag von vornherein sowohl unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur medizinischen Rehabilitation (§ 5 Nr. 1, § 31 SGB IX, § 33 SGB V) als auch unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2, § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX, §§ 9, 15 SGB VI) zu prüfen und danach die Zuständigkeit zu bestimmen.

Die Beigeladene kann sich auch nicht darauf berufen, nicht in jedem Einzelfall einer Versorgungsanzeige ohne Anhaltspunkte prüfen zu können, ob eine Teilhabeleistung nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung in Betracht kommt. Wenn sich ein Rehabilitationsträger seiner leistungsrechtlichen Verantwortung durch sog. "Verträge zur Komplettversorgung" nahezu vollständig entzieht und dem Leistungserbringer quasi die Entscheidung darüber überlässt, ob dem Versicherten eine Teilhabeleistung (wenn auch nur zum Festbetrag) zuteil wird, dann erfüllt er weder seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Einzelfallprüfung nach § 33 SGB V noch befolgt er die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 12 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 20).

Die Beigeladene blieb als erstangegangener Leistungsträger mangels Weiterleitung zuständig, so dass die Beklagte im Außenverhältnis zur Klägerin sachlich unzuständig war.

Die Klägerin hat jedoch gegenüber der Beigeladenen weder als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung noch aufgrund deren Eigenschaft als nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX umfassend zuständig gewordenem erstangegangenen Rehabilitationsträger, der die begehrte Teilhabeleistung auch unter dem Aspekt einer dem Rentenversicherungsträger obliegenden Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) zu prüfen hatte, einen Anspruch auf Kostenerstattung. Weder sind die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Fall SGB V noch nach § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX erfüllt.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Fall gilt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2002, B 1 KR 16/00 R, SozR 2-2500 § 92 Nr. 1). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R, juris, Rdnr. 25 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 20). Ob eine Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, ist nach dem Sach- und Rechtsstand zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung für das selbst beschaffte Hörgerät zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, B 3 KR 5/10 R, juris, Rdnr. 10 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 32; BSG, Urteil vom 18. Mai 2011, B 3 KR 12/10 R, juris, Rdnr. 8).

Aus dem Umstand, dass zwischen Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung ein Ursachenzusammenhang bestehen muss, folgt auch die Notwendigkeit, dass die rechtswidrige Vorenthaltung der Naturalleistung durch die Beigeladene die wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung sein muss. Insbesondere darf der Versicherte sich nicht unabhängig davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt - von vornherein auf eine bestimmte, unzulässige Form der Leistung festgelegt haben. Versicherte, die in diesem Sinne von vornherein Systemgrenzen nicht achten wollen, können keine Kostenerstattung beanspruchen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R, juris, Rdnr. 29 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 20; Hauck in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd. 1, 19. Aufl., Stand: 1. März 2008, § 13 SGB V, Rdnr. 260). Nur wer bereit ist, sich auf die Regeln des Naturalleistungssystems einschließlich des Beschaffungswegs bei Systemversagen einzulassen, kann Kostenerstattung geltend machen.

Ausgehend davon fehlt es für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Fall SGB V an der notwendigen Kausalität. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nicht bereit war, den Beschaffungsweg für ein Hörgerät einzuhalten. Nach der Aussage der Zeugin D. war die Klägerin bereits bei Übergabe der Verordnung am 24. Mai 2011 und dem in diesem Zusammenhang geführten Erstgespräch entschieden, keine zuzahlungsfreien Hörgeräte zu testen, weswegen ihr diese auch nicht angeboten wurden. Die Zeugin D. konnte dies auch nach über sechs Jahren noch so dezidiert angeben, weil sie sich über das damalige Gespräch Notizen gemacht hatte. Entsprechendes ist auch auf dem Anpassbericht vom 22. Juli 2011 vermerkt ("Frau A. hat keine Kassenversorgung gewünscht."). Die Klägerin war auch nach ihren eigenen Angaben von vornherein darauf festgelegt, die für sie bestmögliche Versorgung zu erhalten und war überzeugt davon, dass dies mit Hörgeräten zum Festbetrag nicht zu erreichen sei. Auch wenn die Klägerin ihre alten Hörgeräte als nicht mehr ausreichend ansah, war die Schlussfolgerung nicht zwingend, dass sie zuzahlungspflichtige Hörgeräte benötigen würde, nur weil es sich bei den bisherigen Hörgeräten auch bereits um ein zuzahlungspflichtiges Gerät gehandelt hatte. Insoweit lagen sechs Jahre Hörgeräteweiterentwicklung zwischen beiden Versorgungen, so dass es der Klägerin auch zumutbar war, zunächst zu testen, ob ein zuzahlungsfreies Hörgerät ausreichend gewesen wäre.

War die Klägerin aber schon von Anfang an entschieden, keine Kassenversorgung zu wählen, beruhen die entstandenen Kosten nicht kausal auf der Ablehnung der Beigeladenen, sondern die Entscheidung der Klägerin war wesentlich für die Entstehung der Kosten.

Aber auch wenn man annehmen würde, die Ablehnung der Beigeladenen wäre kausal für die Entstehung der Kosten gewesen, so lässt sich nicht feststellen, dass die selbst beschafften Hörgeräte notwendig waren.

Es kann dahinstehen, ob die Festbetragsregelung auch für die Versorgung bei gering- bis mittelgradiger Innenohrschwerhörigkeit im Jahr 2011 nicht ausreichend war (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, juris, Rdnr. 37, wonach für die Gruppe der Schwersthörgeschädigten mit einem beidseitigem Hörverlust von nahezu 100 % der Festbetrag nicht ausreichend war). Auch für selbst beschaffte Leistungen gilt, dass eine Kostenerstattung nur für notwendige Leistungen erfolgen kann, mithin wenn mit der selbst beschafften Leistung das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs. 1 SGB V beachtet worden ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R, juris, Rdnr. 30 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 20). Danach müssen Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 34 m.w.N.).

Selbst wenn man unterstellt, dass entsprechend den Angaben der Sachverständigen eine Versorgung mit einem Hörgerät zum Festbetrag im Mai bzw. Oktober 2011 nicht ausreichend gewesen wäre, so lässt sich – wie der Sachverständige F. ebenfalls dargelegt hat - nicht mehr ermitteln, dass es keine wirtschaftlich günstigere Alternative als das gewählte Hörgerät gegeben hätte. Im Hinblick auf die Höhe der Zuzahlung von 4.121,00 EUR verbleiben berechtigte Zweifel, ob nicht eine Versorgung mit einem anderen Hörgerät mit einer geringeren Zuzahlung möglich gewesen wäre. Diese verbleibenden Zweifel würden zu Lasten der Klägerin gehen, da sie die Beweislast dafür trägt, dass es sich bei der selbst beschafften Leistung um eine notwendige Leistung gehandelt hat.

Die Beigeladene ist aber auch nicht zur Kostenerstattung nach § 15 Abs. 1 Satz 4, 2. Fall SGB IX unter dem Aspekt einer dem Rentenversicherungsträger obliegenden Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verpflichtet.

Die Regelungen des § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX sind auch im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung unmittelbar anwendbar (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 5/07 R, juris Rdnr. 12 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 8). Dem steht insbesondere § 7 Satz 2 SGB IX nicht entgegen, wonach die Zuständigkeit der Träger und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe (§§ 4, 5 SGB IX) nach den für die jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen zu bestimmen sind. Schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift bezieht sich diese Verweisung nur auf Teilhabeleistungen - also die Primäransprüche - selbst, nicht jedoch auf den hier streitbefangenen Kostenerstattungsanspruch (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 40). Die Beigeladene ist auch hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs nach § 15 Abs. 1 SGB IX passivlegitimiert. "Zuständiger Rehabilitationsträger" im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX ist der nach § 14 SGB IX zuständige Träger (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 5/07 R, juris, Rdnr. 14 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 8).

Nach § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX besteht die Erstattungspflicht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Dabei handelt es sich um einen Parallelanspruch zum krankenversicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch wegen rechtswidriger Leistungsablehnung nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Fall SGB V. Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn der nach § 14 SGB IX zuständige Rehabilitationsträger die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten bzw. Leistungsberechtigten ausgelöst hat.

Im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbringt die gesetzliche Rentenversicherung auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 9 Abs. 1 SGB VI), wenn die persönlichen (§ 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen (§ 11 SGB VI) Voraussetzungen erfüllt und die Leistungen nicht nach § 12 SGB VI ausgeschlossen sind. Gemäß § 9 Abs. 1, § 15 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 6, § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX zählen dazu auch Hilfsmittel wie z.B. ein Hörgerät. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen stehen Art, Dauer, Umfang und Durchführung der Rehabilitationsleistung, d.h. welche Leistungen in Betracht kommen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Leistungsträgers (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 51 m.w.N.). Es kann dahin stehen, ob die fehlende Möglichkeit des Leistungsträgers, sein Auswahlermessen auszuüben, das Entstehen des Kostenerstattungsanspruchs im Einzelfall hindern könnte (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 51). Es fehlt jedenfalls auch für diesen Kostenerstattungsanspruch aus den bereits dargelegten Gründen an der notwendigen Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenentstehung.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten für ein zum (unmittelbaren) Behinderungsausgleich (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 31) geeignetes Hörgerät in einer über das medizinisch Notwendige hinausgehenden aufwändigeren Ausstattung nur hinsichtlich der notwendigen Ausstattung tragen, während die Mehrkosten grundsätzlich vom Versicherten selbst zu tragen sind (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V und § 31 Abs. 3 SGB IX). Ist die höherwertige Ausstattung dagegen zwar nicht für den Alltagsgebrauch, wohl aber aus beruflichen Gründen erforderlich, fallen die Mehrkosten, die sonst der Versicherte selbst tragen müsste, dem Rentenversicherungsträger zur Last (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris Rdnr. 53). Da die Klägerin nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen das gewählte Hörgerät bereits für den privaten Bereich und damit den Alltagsgebrauch benötigte, wäre eine Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers, die die Beigeladene als erstangegangener Leistungsträger gegenüber der Klägerin erfüllen müsste, auch aus diesem Grund ausgeschlossen.

Nach alledem musste die Berufung der Beklagten überwiegend Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, da die Klägerin mit ihrem Hauptziel, der Kostenerstattung, vollständig unterlegen ist.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved