L 7 AS 209/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 3627/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 209/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei einem vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus organisierten vierwöchigen Schulbesuch in den USA handelt es sich um eine mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Der grundlegende Teilhabegedanke gebietet eine weite Auslegung des Begriffs der Klassenfahrt, weshalb auch ein vierwöchiger Schulbesuch im Ausland ohne weitere Teilnehmer derselben Klasse oder Jahrgangsstufe eine Klassenfahrt in diesem Sinne sein kann.
2. Ein Kostenerstattungsanspruch kann im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemacht werden, wenn die leistungsberechtigte Person in Vorleistung gegangen ist (§ 30 Satz 1 SGB II).
3. Auch wenn an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wegen fehlender Hilfebedürftigkeit keine Regelleistung zu gewähren ist, können trotzdem Leistungen nach § 28 SGB II bewilligt werden, wenn die entsprechenden
Bedarfe nicht aus eigenen Kräften und Mitteln vollständig gedeckt sind.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 22. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung einer Leistung für Bildung und Teilhabe nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), speziell für einen vierwöchigen Aufenthalt der Klägerin in den USA.

Die 1996 geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 2013/2014 die elfte Klasse des C -Gymnasiums in Z Die zu diesem Zeitpunkt 17jährige Klägerin lebte mit ihrem Vater zusammen in Z Für die Wohnung waren 400,00 EUR Miete zu zahlen. Der allein sorgeberechtigte Vater der Klägerin erhielt vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II zur Grundsicherung, unter anderem im Zeitraum vom 01.10.2013 bis 31.03.2014, konkret für die Zeit vom 01.10.2013 bis 30.11.2013 in Höhe von 603,40 EUR monatlich und zuletzt mit Änderungsbescheid vom 14.01.2014 für die Zeit vom 01.12.2013 bis 31.12.2013 in Höhe von 666,04 EUR, für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.01.2014 in Höhe von 648,87 EUR und für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.03.2014 in Höhe von 630,10 EUR monatlich. Die Klägerin selbst war durch monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von 398,00 EUR in den Monaten Oktober und November 2013 sowie in Höhe von 334,00 EUR ab Dezember 2013 und Kindergeld in monatlicher Höhe von 184,00 EUR jeweils nicht hilfebedürftig und konnte ihren Bedarf selbständig decken. Das über den Bedarf hinausgehende Kindergeld wurde beim Vater der Klägerin unter Abzug der Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR nur in den Monaten Oktober und November 2013 angerechnet, da es wegen der ab Dezember 2013 geringeren Höhe der Unterhaltszahlungen an die Klägerin (334,00 EUR statt 398,00 EUR) die Grenze von 30,00 EUR nicht mehr erreichte.

Am 03.09.2013 beantragte der Vater der Klägerin die Übernahme des Eigenanteils in Höhe von 150,00 EUR für eine vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus (SMK) geförderte Schulreise in die USA für die Zeit vom 28.09.2013 bis 26.10.2013. Das SMK hatte dafür ein Stipendienprogramm ins Leben gerufen, bei dem sich für diese Reise mehr als 300 Bewerber gemeldet hatten. Besonderes Anliegen war es dem SMK dabei, insbesondere Kinder aus Familien zu berücksichtigen, deren finanzielle Situation nicht ohne weiteres die Finanzierung eines Schulbesuchs im Ausland zugelassen hätte. Die Klägerin wurde im Juni 2013 als eine von 50 Schülern zu einem Auswahlgespräch eingeladen und erhielt am 02.07.2013 die Zusage des SMK für ein Teilstipendium in Höhe von 2.000,00 EUR für einen vierwöchigen Schulbesuch in den USA. Den Eigenanteil am Schülerstipendienprogramm in Höhe von 150,00 EUR sollte der Vater der Klägerin bis zum 20.09.2013 überweisen.

Mit Bescheid vom 17.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine mehrtägige Schulfahrt der Klägerin ab. Es handele sich nicht um eine Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen. Mit Schreiben vom 19.09.2013 legte der Vater der Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung ein.

Die Klägerin nahm neben 19 weiteren Schülern aus Sachsen die Stipendienreise vom 28.09.2013 bis 26.10.2013 in die USA wahr. Aus der Klasse der Klägerin nahm kein weiteres Kind an der Reise teil, aber ein Schüler aus derselben Schule.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2013 als unbegründet zurück. Leistungen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II seien nur für Kosten zu erbringen, die durch eine schulische Veranstaltung entstanden sind, die mit mehr als nur einem Schüler durchgeführt wird. Es handele sich nicht um eine von der Schule organisierte und durchgeführte Veranstaltung, sondern um ein Stipendium des SMK. Daher handele es sich nicht um eine mehrtägige Klassenfahrt. Auch sei in den Kosten kein sonstiger Sonderbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II zu erkennen, da der zu zahlende Eigenanteil einen einmaligen Bedarf darstelle. Die Klägerin erhalte außerdem bereits den Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in Höhe von 10,00 EUR monatlich gemäß § 28 Abs. 7 SGB II.

Am 05.11.2013 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben und beantragt, ihr den Eigenanteil für das SMK-Stipendium zu gewähren. Sie sei ausgewählt worden, an der Reise teilzunehmen, weil sie sehr gute Sprachkenntnisse in Englisch, sehr gute schulische Leistungen und eine sehr gute Bewerbung abgegeben habe. Zudem habe sie bei den Tests beim SMK sehr gut abgeschnitten. Das Gymnasium habe sie deswegen für die vierwöchige Abwesenheit vom Unterricht freigestellt. Ihr Vater habe im Zusammenhang mit der Stipendienreise noch weitere Kosten für die Fahrten nach Dresden, die Beschaffung eines Koffers, Passbilder, Reisepass und Einreiseformular in Höhe von insgesamt ca. 250,00 EUR aufbringen müssen, die er von Freunden und der Familie darlehensweise zur Verfügung gestellt bekommen habe und zurückzahlen müsse. Zudem habe er die 150,00 EUR Eigenanteil in kleinen Raten beim SMK abzahlen müssen. Er sei alleinerziehender und allein sorgeberechtigter Vater und habe sie in ihrem Vorhaben im Rahmen des Stipendiums unterstützen wollen, weil er ihr sonst eine solche Reise nicht habe bieten können. Der Begriff "Klassenfahrt" dürfe nicht zu eng ausgelegt werden.

Der Beklagte hat hingegen an seiner Auffassung festgehalten, dass es sich nicht um eine Klassenfahrt handele, denn der Schulbesuch der Klägerin in den USA sei nicht von der Schule organisiert worden. Gemäß Ziffer 4.1 der Verwaltungsvorschrift des SMK zur Durchführung von Schulfahrten (VwV Schulfahrten) seien Schulfahrten durch die Schule zu planen.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts Leipzig bei der zuständigen Referentin des SMK hat diese im Dezember 2013 mitgeteilt, dass es sich bei dem Stipendienprogramm um eine schulische Veranstaltung im Sinne des Sächsischen Schulgesetzes gehandelt habe, zumal auch während des Schulbesuchs im Ausland Präsenzpflicht für die Teilnehmer bestand. Es sei angestrebt worden, Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Familien und deren Teilhabe an solchen Projekten unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu fördern. Maßgebliche Rechtsgrundlagen für den Schulbesuch im Ausland seien §§ 1, 26, 35 und 35a des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen (Sächsisches Schulgesetz – SächsSchulG).

Der Vater der Klägerin hat seit 01.01.2014 monatlich 20,00 EUR an das SMK zur Begleichung des Eigenanteils gezahlt.

Mit Urteil vom 22.01.2014 hat das Sozialgericht Leipzig den Bescheid vom 17.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe in Höhe des Eigenanteils von 150,00 EUR für das Teilstipendium des SMK verpflichtet. Das Sozialgericht Leipzig hat die Berufung zugelassen. Als Schüler in einer allgemeinbildenden Schule habe die Klägerin Anspruch auf den selbst aufzubringenden Eigenanteil, weil es sich um eine mehrtägige Klassenfahrt im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II gehandelt habe. Der Begriff Klassenfahrt sei dabei nicht auf den Klassenverband, Kurs oder Jahrgangsstufe beschränkt, denn Zweck der Regelung sei es, negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in der Phase des Schulbesuchs durch das Fernbleiben bei schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen zu vermeiden. An dem Programm hätten noch 19 weitere sächsische Schüler teilgenommen, sodass auf diesen Kreis als Teilnehmer abzustellen sei. Zweck des Schulbesuchs sei die Verwirklichung des Rechts eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage, wobei die Schüler individuell gefördert werden sollten. Gemäß § 35b SächsSchulG arbeiteten Schulen mit Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe und mit außerschulischen Einrichtungen sowie mit Partnerschulen im In- und Ausland zusammen, um diesen Erziehungs- und Bildungsauftrag zu erfüllen. Dies impliziere, dass bei schulischen Veranstaltungen im Rahmen solcher Zusammenarbeit auch Teilnehmer aus anderen Schulen einbezogen seien. Der ausländische Schulbesuch der Klägerin sei eine schulische Veranstaltung im Sinne des sächsischen Schulrechts. Mit § 28 Abs. 2 SGB II sei nur eine Abgrenzung zu privaten und damit nicht schulrechtlich determinierten Veranstaltungen bezweckt. Das vom SMK als oberste Schulaufsichtsbehörde initiierte Programm, das allen sächsischen Schülern ab Klasse 8 nach Eignung und Fähigkeiten offen stand, sei ein öffentliches und kein privates Bildungsangebot gewesen. Dieses sei auch zur Erfüllung des gesetzlichen Bildungsauftrages geeignet gewesen, denn der vierwöchige Auslandsaufenthalt sei durch die Begegnung mit fremder Lebensweise, Kultur und Sprache der Herausbildung, Unterstützung und Weiterentwicklung von Interkulturalität und Mehrsprachigkeit der Klägerin und der 19 weiteren Schüler und damit der Persönlichkeitsentfaltung zuträglich gewesen. Zudem habe die Klägerin durch den Schulbesuch im Ausland auch ihre gesetzliche Schulpflicht erfüllt. Dass die Klägerin durch das SMK mit dem Schreiben vom 02.07.2013 zum Schulbesuch ins Ausland gesendet wurde, habe eine auch den Beklagten grundsätzlich bindende Tatbestandswirkung.

Gegen das dem Beklagten am 29.01.2014 zugegangene Urteil hat dieser am 31.01.2014 Berufung eingelegt. Da die Organisation für den ausländischen Schulbesuch beim SMK und nicht in der Verantwortung der Schule gelegen habe, sei keine schulische Veranstaltung mehr gegeben. Eine Isolation der Klägerin im Klassenverband sei nicht zu befürchten. Zudem entspreche der zeitliche Umfang des ausländischen Schulbesuchs nicht mehr den Vorgaben des 3.1 VwV Schulfahrten, wonach an allgemein bildenden Schulen in den Klassenstufen acht bis zehn bis zu acht Unterrichtstage pro Schuljahr für Schulfahrten zur Verfügung stünden. Der Gesetzgeber habe auch klar auf die Veranlassung durch die Schule und die schulische Gemeinschaft abgestellt, was hier nicht gegeben sei. Schließlich habe bei Bedürftigkeit ein Antrag an das SMK auf Reduzierung des Eigenanteils gestellt werden können, was der Vater der Klägerin aber nicht wahrgenommen habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 22.01.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es müsse gewährleistet sein, dass alle Kinder die gleichen Möglichkeiten auf gute Bildung und Persönlichkeitsentwicklung bekommen. Dies sei aber nicht der Fall, wenn sozial schwachen Familien der Zugang zu solchen Sprachreisen versagt werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (5 Bände) und die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Leipzig den Beklagten mit Urteil vom 22.01.2014 zur Gewährung des Eigenanteils in Höhe von 150,00 EUR für das Teilstipendium des SMK verpflichtet. Der Bescheid vom 17.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2013, mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für die Eigenbeteiligung an der Reise der Klägerin in die USA abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

1. Die Berufung ist zulässig, da das Sozialgericht Leipzig sie gemäß § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Urteil vom 22.01.2014 zugelassen hat. Daran ist das Landessozialgericht gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG), auch wenn der Wert der Beschwer 750,00 EUR nicht überschreitet (§ 144 Abs. 1 SGG).

2. Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe nach § 28 SGB II i.H.v. 150,00 EUR zu.

a) Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II auf Erstattung der Kosten, die ihr durch den Schulbesuch in den USA vom 28.09.2013 bis 26.10.2013 durch Tragung eines Eigenanteils in Höhe von 150,00 EUR entstanden sind. Bei diesem Anspruch handelt es sich um einen Individualanspruch desjenigen, der den entsprechenden Bedarf geltend macht (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.11.2011 – B 4 AS 204/10 R, Rn. 10; Urteil vom 23.03.2010 – B 1 AS 1/09 R, Rn. 11). Dieser kann isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen gerichtlich beansprucht werden (BSG, Urteil vom 23.03.2010 – B 14 AS 1/09 R; Urteil vom 23.03.2010 – B 14 AS 6/09 R; Urteil vom 22.11.2011 – B 4 AS 204/10 R, Rn. 10 m.w.N.). Der Vater der Klägerin war als ihr im Zeitpunkt der Klageerhebung gesetzlicher Vertreter zur Klageerhebung für die Klägerin berechtigt, weil er aufgrund des Beschlusses des Familiengerichts vom 13.03.2009 allein sorgeberechtigt für die Klägerin war.

b) Die Klägerin hat den Anspruch nach Durchführung der Reise als Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zulässigerweise weiter verfolgt (§ 30 Satz 1 SGB II), weil sie als leistungsberechtigte Person durch Zahlung in Vorleistung gegangen ist. Der Beklagte hat die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Leistungsgewährung nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II zu übernehmen, weil im Zeitpunkt der Selbsthilfe der Zweck der Leistung durch Erbringung als Sach- oder Dienstleistung ohne eigenes Verschulden der Klägerin nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen war. Zwar hatte die Klägerin am 03.09.2013 und damit rechtzeitig vor dem vom 28.09.2013 bis 26.10.2013 dauernden Aufenthalt der Klägerin in den USA den Antrag beim Beklagten gestellt. Der Beklagte hatte den Antrag jedoch abgelehnt.

c) Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung ihres Eigenanteils i.H.v. 150,00 EUR gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II zu. Nach der genannten Norm werden die tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen erstattet.

aa) Die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SG B II lagen bei der Klägerin und ihrem Vater vor. Sie selbst war jedoch hinsichtlich ihres Regelbedarfs und ihrer Kosten der Unterkunft und Heizung nicht leistungsberechtigt im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II, weil sie insoweit nicht hilfebedürftig war. Hilfebedürftig nach § 9 Abs. 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Die 17jährige Klägerin hatte einen Regelbedarf von 289,00 EUR monatlich. Zusammen mit den hälftigen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 200,00 EUR lag ihr monatlicher Bedarf bei 489,00 EUR. Sie erhielt Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR monatlich, Unterhalt in Höhe von 398,00 EUR monatlich in den Monaten Oktober und November 2013 sowie in Höhe von 334,00 EUR in den Monaten Dezember 2013 bis März 2014. Mit dem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 582,00 EUR bzw. 518,00 EUR war sie jedenfalls in der Zeit vom 01.10.2013 bis 31.03.2014 hinsichtlich der Deckung ihres Regelbedarfs und ihrer Kosten der Unterkunft und Heizung nicht hilfebedürftig.

bb) Ein nicht gedeckter Hilfebedarf der Klägerin bestand jedoch in Höhe der für die Reise in die USA aufgewandten 150,00 EUR. Denn das über die Deckung des Regelbedarfs der Klägerin und ihrer Kosten der Unterkunft und Heizung hinausgehende Einkommen war gemäß § 11 Abs. 1 S. 3, 4 SGB II zur Deckung des Hilfebedarfs ihres Vaters verwendet worden (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2009 – B 4 AS 39/08 R, Rn. 23 ff.). Nach dieser Vorschrift ist das Kindergeld als Einkommen dem jeweiligen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kind zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28 SGB II, benötigt wird. Ob das Kindergeld bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird, ist unter Aussparung der Bedarfe nach § 28 SGB II festzustellen (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11, Rn. 416 m.w.N.). Damit soll der Intention des Gesetzgebers, die Leistungsberechtigung für Kinder mit Bedarfen für Bildung und Teilhabe zu erhalten, Rechnung getragen werden. Die Bedarfe nach § 28 SGB II lösen folglich allein Hilfebedürftigkeit und damit einen Leistungsanspruch aus. Auch wenn keine Regelleistung zu gewähren ist, werden trotzdem Leistungen nach den §§ 28, 29 SGB II gewährt, wenn die entsprechenden Bedarfe nicht aus eigenen Kräften und Mitteln vollständig gedeckt werden können (Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 28 Rz 15).

Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01.10.2013 bis 31.03.2014 einen ungedeckten Hilfebedarf. Denn nach § 5a Nr. 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V) ist bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit für die mehrtägige Klassenfahrt monatlich der Betrag zugrunde zu legen, der sich bei der Teilung der Aufwendungen, die für die mehrtägige Klassenfahrt entstehen, auf einen Zeitraum von sechs Monaten ab Beginn des auf den Antrag folgenden Monats ergibt. Daraus errechnet sich ein zusätzlicher monatlicher Bedarf von 25,00 EUR (150,00 EUR./. 6 Monate) ab Oktober 2013, der dazu führt, dass die Klägerin nunmehr in dieser Höhe hilfebedürftig im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist und einen Anspruch für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.03.2014 in Höhe von 25,00 EUR monatlich geltend machen kann.

cc) Bei dem vom SMK organisierten Schulbesuch der Klägerin in den USA handelt es sich um eine mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des angegriffenen erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Bei dem vierwöchigen Schulbesuch der Klägerin handelt es sich um eine mehrtägige Veranstaltung, denn die Klägerin übernachtete mehr als eine Nacht außerhalb ihrer Wohnung.

Die Veranstaltung fand auch im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen statt. Solche sind nicht nur die förmlichen Schulgesetze der Länder, sondern auch die einschlägigen Verordnungen, Richtlinien und Erlasse. Ausweislich der Stellungnahme des SMK vom 19.12.2013 handelte es sich bei dem Schüleraustausch um eine Veranstaltung im Rahmen schulrechtlicher Bestimmungen. Dies gilt um so mehr als der vierwöchige Aufenthalt der Klägerin in den USA sogar vom SMK als oberster Schulaufsichtsbehörde organisiert worden war (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25.09.2008 – L 8 AS 38/08, Rn. 32).

Bei dem ausländischen Schulbesuch der Klägerin handelt es sich schließlich auch um eine Klassenfahrt im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Eine abstrakt und generell gültige Definition des Begriffs der Klassenfahrt existiert nicht. Der Begriff der Klassenfahrt ist im Rahmen des § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II weit auszulegen (Leopold in juris-PK, SGB II, 4. Aufl., § 28, Rn. 76). Nicht erforderlich ist es, dass die Reise in einem Klassenverband erfolgt (Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 28 Rn. 23). Ausreichend ist vielmehr, wenn es sich um eine Reise innerhalb eines Kursverbandes, einer Tutorengruppe oder einer Jahrgangsstufe handelt. Auch Auslandsreisen sind erfasst. Nicht entscheidend ist ferner, ob die Teilnahme an der Klassenfahrt freiwillig oder verpflichtend ist (Burkiczak in Estelmann, SGB II, § 28 Rz 57, Stand Juni 2016).

Der Schüleraustausch der Klägerin stellt eine Klassenfahrt i.S.d. § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II dar. Ausweislich der Entscheidung des BSG vom 22.11.2011 – B 4 AS 204/10 R, Rn. 19, darf unter besonderer Berücksichtigung des Teilhabeziels und entsprechender teleologischer Auslegung ein Ausschluss von der Teilnahme an einem Schüleraustausch – bzw. hier einem Schulbesuch –, selbst wenn nicht der gesamten Klassen- oder Jahrgangsstufe die Möglichkeit zur Teilnahme eingeräumt wird, aus finanziellen Gründen nicht erfolgen. Dieser grundlegende Teilhabegedanke gebietet eine weite Auslegung des Begriffs der Klassenfahrt. Dabei kann nicht allein die Anzahl der Teilnehmer oder deren Verbindung in einer Klasse oder Jahrgangsstufe maßgeblich sein. Eine Stigmatisierung Leistungsberechtigter und damit ein Widerspruch zum bundesrechtlichen Teilhabegedanke kann sich nämlich auch dann ergeben, wenn sich die Teilnahmemöglichkeit an einer gemeinschaftlichen Veranstaltung an schulischen Leistungen orientiert, trotz Vorliegens entsprechender Leistungen aber eine Teilnahme für Einzelne nicht möglich ist, weil ihnen hierfür das Geld fehlt (vgl. Anmerkung von Dr. Anders zum Urteil des BSG vom 22.11.2011, SGb 2012, S. 730-736). Es ist daher vorliegend unbeachtlich, dass kein weiterer Schüler aus der Klasse oder Jahrgangsstufe der Klägerin an dem vom SMK organisierten Schüleraustausch teilgenommen hat. Ausweislich des zitierten Urteils des BSG gilt als Klassenfahrt im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II auch eine von der Schule oder Schulbehörde organisierte Veranstaltung, an der mehrere Schüler teilnehmen. Das war vorliegend der Fall.

Nach alledem ist die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Re-vision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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