L 18 AS 126/18 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 65 AS 15500/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 126/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialge-richts Berlin vom 20. Dezember 2017 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflich-tet, den Antragstellern Kosten der Einzugsrenovierung für die im Rubrum bezeichnete Unterkunft in Höhe von 600,- EUR zu gewähren. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der An-tragsteller im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Ver-fahren und das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtschutzes unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Den An-tragstellern steht im Ergebnis einer hier verfassungsrechtlich gebotenen Folgenab-wägung ein durch eine vorläufige Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 So-zialgerichtsgesetz (SGG) zu sichernder Anordnungsanspruch auf Übernahme von Renovierungskosten im ausgeworfenen Umfang zu.

Aus Anlass des Einzugs in eine neue Wohnung anfallende Renovierungskosten sind, soweit diese "angemessen" sind, als Bestandteil der Kosten der Unterkunft und Hei-zung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchen-de – (SGB II) zu übernehmen. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – mietvertraglich eine Einzugsrenovierung nicht vereinbart worden ist. Die Angemessenheit der Ein-zugsrenovierungskosten, die grundsätzlich unabhängig von der Angemessenheit der Unterkunft selbst gegeben sein muss, ist in drei Schritten zu prüfen (vgl insoweit Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 49/07 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 16). Zunächst ist festzustellen, ob die Einzugsrenovierung im konkreten Fall erforderlich war, um die "Bewohnbarkeit" der Unterkunft herzustellen. Alsdann ist zu ermitteln, ob eine Einzugsrenovierung ortsüblich ist, weil keine reno-vierten Wohnungen in nennenswertem Umfang zur Verfügung stehen. Zuletzt gilt es zu klären, ob die Renovierungskosten der Höhe nach im konkreten Fall zur Herstel-lung des Standards einer Wohnung im unteren Wohnungssegment erforderlich wa-ren (vgl BSG aaO). Ob die Einzugsrenovierung zur Herstellung der "Bewohnbarkeit" der Wohnung erforderlich ist, richtet sich einerseits nach objektiven Kriterien, ande-rerseits aber auch danach, ob die Kosten aus der vertretbaren Sicht des Hilfebedürf-tigen zu übernehmen waren. Insoweit hat eine Orientierung am "Ausstattungsstan-dard" im unteren Wohnungssegment zu erfolgen. Es ist mithin von einem lediglich einfachen "Ausstattungsgrad" auszugehen. Hierzu gehört auch im unteren Woh-nungssegment eine Ausstattung der Wohnung mit einem einfachen Wand- und Fuß-bodenoberbelag. Wird eine Wohnung ohne derartige Ausstattungsmerkmale überge-ben, ist die Einzugsrenovierung im Regelfall als zur Herstellung dieser Ausstattung objektiv erforderlich anzusehen (vgl BSG aaO). Letzteres ist vorliegend in Ansehung des fotografisch dokumentierten Zustands der Wohnung, die nicht mit einem Fußbo-denbelag nebst Scheuerleisten ausgestattet ist, der Fall.

Wie auch für die Erforderlichkeit ist im Hinblick auf die Ortsüblichkeit der Einzugs-renovierung Maßstab das untere Wohnungssegment. Die Ortsüblichkeit ist im räum-lichen Vergleich der Vergleichsmiete zu ermitteln. Es ist also zu ermitteln, ob es im räumlichen Vergleichsbereich der Üblichkeit entspricht, dass Wohnungen im unteren Wohnungssegment in unrenoviertem Zustand übergeben werden. Hieran fehlt es, wenn in nennenswertem Umfang renovierte Wohnungen vorhanden sind. Ist das der Fall, ist der Hilfebedürftige auf eine renovierte und auch ansonsten angemessene Wohnung zu verweisen. Diesbezüglich sind indes keine abschließenden Ermittlungen durch den Antragsgegner – und auch nicht durch das Sozialgericht – erfolgt, zumal hier in Rechnung zu stellen ist, dass aufgrund der Vorgeschichte der Antragsteller (mehrjährige Strafhaft) und der perspektivisch in Aussicht genommenen Aufnahme der Kinder, die derzeit von anderen Sozialleistungsträgern in entsprechenden Einrichtungen betreut werden, das tatsächlich konkret in Betracht kommende Markt-segment deutlich eingeschränkt sein dürfte; eine bloße Internetabfrage zu allgemein in Betracht zu ziehenden Unterkünften ohne konkrete Prüfung des jeweiligen Reno-vierungszustandes reicht hierfür nicht aus. Auch die Anmietung der im Rubrum be-zeichneten Unterkunft erfolgte im Rahmen des von den öffentlichen Wohnungsunter-nehmen Berlins zur Verfügung gestellten "geschützten Marktsegments". Es bedarf daher im Hauptsacheverfahren weiterer Amtsermittlungen, zB durch Anfrage bei den entsprechenden Wohnungsgesellschaften, ob die für die Antragsteller in Betracht zu ziehenden Wohnungen in nennenswertem Umfang renoviert übergeben werden oder ob vielmehr im unteren Wohnungssegment iS der Ausstattung der Wohnungen mit Wand- und Fußbodenoberbelag eine Einzugsrenovierung in der Regel erforderlich ist. Entsprechende Ermittlungen sind indes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren untunlich, da hier zeitnaher und effektiver (vgl Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) Rechts-schutz zu gewähren ist.

Es hat danach im Hinblick auf die nicht abschließend geklärte Sach- und Rechtslage eine verfassungsrechtlich gebotene Folgenabwägung (vgl insoweit BVerfG, Be-schluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris) zu erfolgen, und zwar im ausgeworfenen Umfang zugunsten der Antragsteller. Die Nachteile, die ihnen bei einer Ablehnung des Antrags bei angenommener Begründetheit der Klage in der Hauptsache entstünden, erweisen sich als schwerwiegender als die den Antragsgegner treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrags und angenommener Unbegründetheit der Hauptsache. Denn die Bewohnbarkeit der Wohnung ist unabdingbare Voraussetzung für die in Aussicht genommene Rückführung der sechs Kinder (vgl Schreiben des Bezirksamts Mitte von Berlin - Jugendamt – vom 10. Juli 2015 und vom 10. November 2017), wobei hier zu berücksichtigen ist, dass der Schutz der Familie unter dem besonderen Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung steht (vgl Art. 6 GG). Die Gefahr der Uneinbringlichkeit eines Rückforderungsanspruchs bezüglich der insoweit zu leistenden Zahlungen, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass diese ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, überwiegt die Interessen der Antragsteller nicht.

Da als Beihilfe für Unterkunftskosten indes nur die erforderliche und abstrakt ange-messene Einzugsrenovierung vom Leistungsträger bis zur angemessenen Höhe zu erbringen ist, was dann der Fall ist, wenn die Aufwendungen für Einzugsrenovierung die Herstellung des Standards im unteren Wohnungssegment gewährleisten, sind im Eilverfahren angesichts der nicht abschließend geklärten Sach- und Rechtslage nur die Kosten zu übernehmen, die die Bewohnbarkeit der Wohnung alsbald sicherstel-len. Dies sind hier vordringlich der fehlende Fußbodenoberbelag und die Scheuer-leisten. Die verschlissenen und schadhaften weißen Raufasertapeten sind unschön, stehen aber einer Bewohnbarkeit der Unterkunft auch für die Kinder nicht entgegen. Da ein einfacher Standard ausreicht, sieht das Gericht auch keinen Grund, weshalb hier von einem höheren Preis für – durchaus strapazierfähigen Teppichboden bzw PVC-Fliesen – als 4,- EUR/m² (incl MWSt) auszugehen wäre, zumal bei durchgängiger Wahl eines Produkts auch weniger Verschnitt anfällt; entsprechende Angebote hat auch der von den Antragstellern gewählte Einrichtungsmarkt POCO (vgl Internetauf-tritt). Gleiches gilt für die gewählten Sockelleisten, die pro lfd Meter 4,58 EUR kosten; derselbe Anbieter hat indes schon Sockelleisten für 1,2 EUR pro lfd Meter im Programm. Auch in Anbetracht der Wohnungsgröße ist danach einschließlich Sockelleisten, Kleber, erforderlichem Werkzeug und Transport von keinem höheren Betrag als insgesamt 600,- EUR (incl MWSt) auszugehen. Entsprechend ist der Antragsgegner verpflichtet worden. Die konkreten Aufwendungen haben die Antragsteller insoweit nachzuweisen. Sollten diese geringer sein, ist der Antragsgegner nur verpflichtet, die entsprechend niedrigeren Kosten zu tragen. Die weitergehende Beschwerde war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Den Antragstellern war Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten zu bewilligen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114, 121 Abs. 1 Zivilprozessordnung). Gleiches gilt für das erstinstanzliche Verfahren.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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