S 52 AS 4070/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
52
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 52 AS 4070/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Länge der nach § 41a Abs 3 S 3 SGB II zu setzenden Frist bemisst sich nach den Einzelfallumständen. Eine Mindestfrist von 2 Monaten gilt nicht (Anschluss an Anschluss an SG Berlin vom 25.9.2017 – S 179 AS 6737/17, entgegen SG Augsburg vom 3.7.2017 - S 8 AS 400/17)

2. § 41a Abs 3 S 3 SGB II enthält keine Präklusionsvorschrift. Einkommensangaben der Leistungsberechtigten erst im Widerspruchsverfahren sind bei der endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen. (Anschluss an Anschluss an SG Berlin vom 25.9.2017 – S 179 AS 6737/17)

3. Die Nullfestsetzung nach § 41a Abs 3 S 4 SGB II ist eine spezielle Ausprägung der Versagung nach § 66 SGB I ohne materiellrechtliche Wirkung. Durch Nachholung der Mitwirkungshandlung kann sie beseitigt werden. (entgegen SG Dortmund vom 08.1217 – S 58 AS 2170/17)
I. Der Bescheid vom 19.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2017 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den endgültigen Leistungsanspruch des Klägers vom 01.10.2016 bis 31.03.2017 an den Beklagten zurückverwiesen. II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des endgültigen Leistungsanspruchs des Klägers im Zeitraum 01.10.2016 bis 31.03.2017 und einen Erstattungsbescheid des Beklagten über 3581,69 EUR.

Der 1971 geborene, in Deutschland allein lebende und erwerbsfähige Kläger war im streitbefangenen Zeitraum selbständig tätig und erbrachte Personaldienstleistungen jeglicher Art. Bei Antragstellung wiesen seine Konten in Summe 395,15 EUR Forderungen gegen Banken sowie 148,63 EUR Schulden aus. Er bezog ergänzend zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 20.09.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 09.12.2016 vorläufig Arbeitslosengeld II, für Oktober 2016 in Höhe von 640,22 EUR (404 EUR Regebedarf und 236,22 EUR Bedarf für Unterkunft und Heizung), für November 2016 404 EUR (nur Regelbedarf), für Dezember 2016 601,81 EUR (404 EUR Regelbedarf und 197,81 EUR Bedarf für Unterkunft und Heizung) und für Januar bis März 2017 645,22 EUR (409 EUR Regelbedarf und 236,22 EUR Bedarf für Unterkunft und Heizung). Der Beklagte prognostizierte jeweils ein monatliches Einkommen in Höhe von 100 EUR und rechnete bereinigt um die Freibeträge daher monatlich 0 EUR an.

Mit Schreiben vom 03.04.2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, Unterlagen und Nachweise für eine abschließend Entscheidung über den Bewilligungszeitraum 01.10.2016 bis 31.03.2017 bis zum 31.05.2017 vorzulegen. Dabei forderte der Beklagte ein beiliegendes Zusatzblatt über Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit vollständig ausgefüllt zurück sowie eine Aufstellung über die Betriebseinnahmen und ausgaben für den Leistungszeitraum, eine Aufstellung der Reisekosten mit Angabe der Notwendigkeit der Dienstreisen und der Abwesenheitsdauer, Aufstellung oder Angaben zu privat und dienstlich gefahrenen Kilometern und eine Aufstellung über angeschaffte Wirtschaftsgüter, deren Finanzierung und Begründung der Notwendigkeit. Weiter einhielt das Schreiben vom 03.04.2017 u.a. folgenden Passus:

"Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß nach, stellt das Jobcenter fest, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand Sollten Sie bis zum oben genannten Termin nicht antworten bzw. die angeforderten Unterlagen nicht einreichen, wird das Jobcenter mit Bescheid für den Bewilligungszeitraum, für den die geforderten Unterlagen nicht eigereicht wurden, feststellen, dass in dem entsprechenden Zeitraum kein Leistungsanspruch bestand. Die entsprechenden Leistungen sind dann zu erstatten."

Mit Bescheid vom 19.06.2017, zugestellt am 21.06.2017, stellte der Beklagte fest, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand und verfügte, dass der Kläger insgesamt 3581,69 EUR zu erstatten habe. Der Kläger hätte sich auf das Schreiben vom 03.04.2017 nicht geäußert.

Mit Schreiben vom 22.06.2017, beim Beklagten eingegangen am 26.06.2017, widersprach der Kläger. Er habe die Unterlagen am 04.05.2017 persönlich beim Jobcenter L ... eingereicht. Diese sollten per Hauspost weitergeleitet werden. Am selben Tag hätte er auch Unterlagen beim Finanzamt in L ... abgegeben. Er lege die Unterlagen nochmals in Kopie einschließlich des inzwischen ergangenen Einkommenssteuerbescheids vor. Dem mit Einschreiben Rückschein versandten Widerspruch lagen die genannten Unterlagen bei.

Der Beklagte forderte alle Mitarbeiter in L ... per E-Mail auf, eine Rückmeldung zu geben, falls sich die Unterlagen des Klägers bei ihnen befinden. Es gab keine entsprechende Rückmeldung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Trotz Aufforderung seinen bis 16.09.2017 keine Unterlagen eingereicht worden.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.10.2017 Klage zum Sozialgericht. Er habe am 04.05.2017 persönlich Unterlagen beim Finanzamt L ... in der G Straße abgegeben, danach habe er beim Jobcenter L ... in der gleichen Straße im Empfangsbereich die Unterlagen abgegeben. Dies versichere er an Eides Statt. Sein Einkommen entspräche in etwa der Prognose, nämlich etwa 127 EUR durchschnittlich pro Monat unbereinigt. Er habe kein Motiv gehabt, die Unterlagen nicht abzugeben.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 19.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2017 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die endgültigen Leistungsansprüche des Klägers vom Oktober 2016 bis März 2017 an den Beklagten zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Kläger hätte sich nicht fristgemäß geäußert. Die Einreichung der Unterlagen mit dem Widerspruch löste keine inhaltliche Überprüfung oder eine solche nach § 44 SGB X aus. Sinn und Zweck des § 41a Abs. 3 SGB II würde umgangen. Es handele sich um eine absolute Ausschlussfrist. Die "abschließende Entscheidung" in § 41a Abs. 3 SGB II sei der Bescheid zur endgültige Festsetzung, nicht der Widerspruchsbescheid. Im Widerspruchsverfahren werde nur die Recht- und Zweckmäßigkeit der Ausgangsentscheidung geprüft und eben keine abschließende Entscheidung getroffen. Die Verwaltung sollte vereinfacht werden. § 41a SGB II stelle Sonderrecht zu den §§ 60 ff. SGB I dar. Mangels Verweis auf §§ 66, 67 SGB I könne eine fehlende Mitwirkung nicht geheilt werden.

Das Gericht hat das Verfahren mit den Beteiligten am 11.1.2018 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll vom 11.1.2018 und darin enthaltenen Erklärungen wird Bezug genommen. Das Gericht hat zudem die Leistungsakte des Beklagten beigezogen, die beim Gericht am 16.11.2017 einging, diese war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf diese sowie den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG zulässig und im Sinne der Zurückverweisung an den Beklagten begründet. Die Festsetzung- und Erstattungsbescheide vom 19.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2017 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.

B. Der Kläger erfüllte im streitbefangenen Zeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 19 Satz 1 SGB II für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, denn er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, war erwerbsfähig und hielt sich gewöhnlich in Deutschland auf. Der Kläger verfügte über kein anrechenbares Vermögen, schon der Freibetrag für notwendige Anschaffungen wird nicht erreicht. Er war angesichts der in den vorläufigen Entscheidungen zutreffend bemessenen Bedarfe und angesichts des von ihm im Widerspruchsverfahren vorgetragenen, nicht bedarfsdeckenden Einkommens auch hilfebedürftig, § 7 Abs. 1 S.1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II. Ausschlussgründe liegen nicht vor.

I. Nachdem der Beklagte bestandskräftig vorläufig bewilligt hatte, und das tatsächliche Einkommen des Klägers von der Prognose geringfügig abwich, war der Leistungsanspruch endgültig festzusetzen, § 41a Abs. 3 S. 1 SGB II (mit Wirkung zum 1. August 2016 eingefügt mit dem "Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht" vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1824).

Die Voraussetzungen für die vom Beklagten vorgenommene, endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs des Klägers auf null sind nicht erfüllt. Nach § 41a Abs. 3 SGB II setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den monatlichen Leistungsanspruch abschließend fest, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand. Die vom Beklagten dem Kläger gesetzte Frist ist angemessen. Die schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen genügt noch den Anforderungen. Allerdings hat der Kläger vor der abschließenden Entscheidung im Sinne von § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II Angaben zu seinem Einkommen aus selbständigen Tätigkeit vorgelegt, da nicht auf die abschließende Entscheidung im Verwaltungsverfahren, sondern auf den Abschluss des Widerspruchsverfahrens abzustellen ist und im Übrigen eine Nachholung der Mitwirkungshandlung ohnehin möglich ist.

1. Die dem Kläger gesetzte Frist ist nach Auffassung der Kammer angemessen. Nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II ist den Leistungsberechtigten eine angemessene Frist zur Erklärung der abschließenden Angaben zu setzen. Der Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 03.04.2017 Frist bis zum 31.05.2017 gesetzt, was selbst bei der Annahme des Zugangs am 07.04.2017 (Freitag) einem Zeitraum von mehr als sieben Wochen entspricht. Die Frist ist unter Berücksichtigung der individuellen Interessen des Leistungsberechtigten einerseits und dem Interesse der Behörde an einer fristgerechten Festsetzung andererseits nach den Einzelfallumständen zu bemessen. Nachdem der Kläger vorgetragen hat, die Unterlagen am 04.05.2017 persönlich eingereicht zu haben, waren keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Frist für den Kläger zu kurz gewesen wäre. Eine starre Zwei-Monats-Frist gibt das Gesetz nach Auffassung der Kammer nicht vor (anders mit Verweis auf den bis 31. Juli 2016 geltenden § 3 Abs. 6 der Alg II-V: SG Augsburg, Urteil vom 03. Juli 2017 – S 8 AS 400/17 –, Rn. 24, juris).

2. Die vom Beklagten vorgenommene Belehrung genügt nach Auffassung der Kammer noch den gesetzlichen Anforderungen. Nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II sind die Leistungsberechtigten schriftlich über die Rechtsfolgen einer nicht fristgerechten Einreichung von Angaben und Unterlagen zu belehren. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Leistungsberechtigte über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig zu belehren. Dabei kommt es auf den objektiven Erklärungswert der Belehrung an (zur Belehrung vor Erlass von Sanktionen vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 – B 14 AS 92/09 R –, juris), zutreffend SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, Rn. 66, juris. Hier folgt die Belehrung des Beklagten weitgehend dem Wortlaut des Gesetzes. Der Beklagte hat die anspruchsvolle sprachliche Gestaltung des Gesetzgebers geglättet und damit für den Rechtslaien verständlicher gestaltet, indem er die Regelung zur teilweisen Festsetzung für diejenigen Kalendermonate, in welcher die Leistungsvoraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden, nicht dargestellt hat. Im konkreten Fall blieb die Belehrung noch richtig. Eine Fallgestaltung für die teilweise Feststellung war nicht ersichtlich. Der Beklagte hat auch darauf hingewiesen, dass bei unterbliebener Mitwirkung die Leistungen sämtlich zu erstatten sind. Die Formulierung wäre leicht allgemeinverständlicher zu gestalten, zB durch Mitteilung, dass "sämtliche" oder "alle" im Leistungszeitraum gewährten Leistungen zu erstatten wären, die Kammer hielt die Formulierung aber noch für laienverständlich. Anhaltspunkte, dass der Kläger die Formulierung nicht verstanden hätte, waren nicht ersichtlich.

3. Nicht erfüllt ist die weitere Voraussetzung des § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II für die Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, dass der Kläger seiner Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist. Der Kläger hat vor der abschließenden Entscheidung im Sinne von § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II Angaben zu seinem Einkommen aus selbständigen Tätigkeit vorgelegt.

Der Kläger hat die geforderten und erforderlichen Unterlagen jedenfalls mit Schreiben vom 22.06.2017, beim Beklagten eingegangen am 26.06.2017, vorgelegt. In Bezug auf den Vortrag des Klägers, er habe am 04.05.2017 persönlich die Unterlagen abgegeben, ist dem Kläger die Beweisführung nicht gelungen. Zwar weist der Vortrag Originalität auf und der Kläger hat den Tatsachenvortrag an Eides Statt versichert, was für Wahrhaftigkeit streitet, andererseits hätten dann die Unterlagen am L Standort des Beklagten unterschlagen oder vernichtet worden oder abhanden kommen sein müssen, wovon die Kammer nach der E-Mail-Abfrage des Beklagten nicht überzeugt war. Die Tatsache ließ sich nicht aufklären. Da der Kläger für die ihm günstige Tatsache beweisbelastet war, hat die Kammer eine Beweislastentscheidung getroffen und konnte die behauptete Tatsache nicht zur Grundlage ihrer Entscheidung machen.

Die Vorlage der Unterlagen erfolgte daher nicht in der vom Beklagten gesetzten Frist. Sie erfolgte aber vor der Entscheidung des Beklagten über den Widerspruch des Klägers am 18.09.2017 und damit "bis zur abschließenden Entscheidung" im Sinne des § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II.

Zur Frage, wie dieser Begriff in § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II auszulegen ist, führt das SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, Rn. 72 ff., juris aus: Bislang ungeklärt ist, welcher Zeitpunkt mit der Bezeichnung "bis zur abschließenden Entscheidung" im Sinne von § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II zu verstehen ist. Nach Auffassung der Kammer ist dies der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. [ ]

Der maßgebliche Zeitpunkt ist auch nicht die Bekanntgabe der Festsetzungsentscheidungen vom 28. März 2017 an den Kläger. Denn ein Verwaltungsakt des Beklagten ergeht in Gestalt des Widerspruchsbescheides, §§ 85, 95 SGG. Bei Erlass der Widerspruchsentscheidung hatte der Beklagte somit die Angaben des Klägers zu berücksichtigen.

Der Kläger war mit dem weiteren Vorbringen nicht ausgeschlossen. § 41a Abs. 3 SGB II regelt entgegen der Auffassung des Beklagten keine Präklusionsvorschrift. Der Ausschluss eines späteren Vorbringens ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift. Für die Normierung einer Präklusion hätte der Gesetzgeber bestimmen müssen, dass ein weiteres Vorbringen nach Bekanntgabe der Festsetzungsentscheidung ausgeschlossen ist. Eine solche Regelung fehlt. Auch aus der Gesetzesbegründung folgt kein Anhaltspunkt für einen Willen, eine Ausschlussfrist zu regeln (vgl. BT-Drs. 18/ 8041, S. 51 ff). Zur Erreichung des Gesetzeszwecks ist eine Präklusion zulasten der Leistungsberechtigten nicht erforderlich. Zweck der Vorschrift ist eine Beschleunigung der Festsetzungsentscheidungen nach vorläufiger Bewilligung. Die Möglichkeit des Beklagten, bei fehlender Mitwirkung ohne Vornahme einer individuellen Schätzung ein Fehlen des Leistungsanspruchs feststellen und damit die erste Stufe des Verwaltungsverfahrens abschließen zu können, beschleunigt das Festsetzungsverfahren in ausreichendem Maße. Dass der Beklagte bei Nachholung der Mitwirkung im Widerspruchsverfahren gegebenenfalls in eine erneute Sachprüfung eintreten muss, entspricht dem Gedanken des Widerspruchverfahrens, in welchem die materielle und formelle Rechtmäßigkeit sowie die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung nachzuprüfen ist.

Dem schließt sich die Kammer vollumfänglich an. Nach Auffassung der Kammer verfängt das Argument des Beklagten, wonach im Widerspruchsverfahren nur die Recht- und Zweckmäßigkeit der Ausgangsentscheidung geprüft und eben keine abschließende Entscheidung getroffen werde, nicht. Zweifelsfrei ist die Änderung einer endgültigen Festsetzung mit dem Widerspruchsbescheid bei Rechtsfehlern im angefochtenen Bescheid rechtlich möglich und erforderlich sowie gängige Praxis. Streitentscheidend ist vielmehr der Maßstab für die Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit. Hier ist das wegen der Vorlage bis zur abschließenden Entscheidung eben der tatsächliche endgültige Leistungsanspruch des Klägers und nicht nur die Frage der Fristeinhaltung nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II.

4. Unabhängig von der Auslegung des Begriffs "bis zur abschließenden Entscheidung" in § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II ist bei Vorlage der angeforderten Unterlagen eine Sachentscheidung über den abschließenden monatlichen Leistungsanspruch zu treffen.

Die Kammer ist, wie gezeigt der Auffassung, dass § 41a Abs. 3 SGB II keine Präklusionsvorschrift regelt und der Ausschluss eines späteren Vorbringens sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt. Für die Normierung einer Präklusion hätte der Gesetzgeber bestimmen müssen, dass ein weiteres Vorbringen nach Bekanntgabe der Festsetzungsentscheidung ausgeschlossen ist, siehe oben das Zitat des Urteils des SG Berlin. Richtigerweise stellt die Regelung des § 41a Abs. 3 SGB II Sonderrecht zu den §§ 60 ff. SGB I dar, weil der Gesetzgeber meinte, eine nicht vorhandene Lücke schließen zu müssen, ausführlich Kemper in Eichler/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41a Rn 43 ff. Darauf deutet die Formulierung "Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind auch nach Ablauf des Leistungsbezugs verpflichtet, alle vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende geforderten leistungserheblichen Tatsachen anzugeben. Die Mitwirkungspflichten bei Antragstellung und Leistungsbezug bleiben unberührt. Es wird klargestellt, dass einzelne Vorschriften des SGB I zur Mitwirkungspflicht und deren Grenzen zeitlich auch über den Leistungsbezug hinaus entsprechend gelten." in der Begründung des Regierungsentwurfs auf S. 53 BT-Drs 18/8041 hin. Tatsächlich galten die Mitwirkungsobliegenheiten nach den §§ 60 ff. SGB I aber bereits vor der Neuregelung in § 41a SGB II bis zum Erlass der abschließenden Entscheidung, BSG, Urteil vom 10. November 1977 – 3 RK 44/75 –, juris = BSGE 45, 119-126; Kemper in Eichler/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41a Rn 42, 44.

Zu betonen ist, dass damit auch § 67 SGB I gilt und anwendbar bleibt. Aus der (überflüssigen) Normierung "die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches gelten entsprechend" in § 41a Abs. 3 S. 2 letzter HS SGB II lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten, weil schon die in Bezug genommen Normen vor der Regelung des § 41a SGB II direkt galten und weiterhin direkt gelten. Da § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II eine gebundene Nullfestsetzung vorsieht, auch wenn der Leistungsträger weitere Ermittlungsoptionen hat und weil aus der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber die Amtsermittlungspflicht für die abschließende Entscheidung in Gänze abschaffen wollte, geht die Kammer davon aus, dass der Gesetzgeber ein besonderes Druckmittel geschaffen hat, um die Mitwirkung der leistungsberechtigten Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu erreichen, so auch Kemper in Eichler/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41a Rn 49. Daraus folgt, dass die Entscheidung nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II auch keine materiellrechtliche Wirkung hat, sondern eine spezielle Ausprägung der Versagung nach § 66 SGB I darstellt. Durch Nachholung der Mitwirkungshandlung kann sie beseitigt werden, Kemper in Eichler/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41a Rn 49 f., anders wohl Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 80 Rn 10, Stand: 16.08.2017 und Conradis in Münder, SGB II, 6. Auflage 2017, § 41a Rn. 12 jeweils ohne die Frage zu problematisieren. Für die Behauptung, dass in der Überprüfung einer Nullfestsetzung nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II, sei es im Widerspruchsverfahren oder im Verfahren nach § 44 SGB X, nur die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II überprüft werden, fehlt ein tragendes Argument. Denn dieser Umstand unterscheidet die Nullfestsetzung nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II nicht von der Versagung oder Entziehung nach § 66 Abs. 1 SGB I, Kemper in Eichler/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41a Rn 51. Zudem berücksichtigt die Kammer, dass der Gesetzgeber mit § 44 SGB X eine Regelung getroffen hat, mit der sich das individuelle Interesse an einer materiell-rechtlich richtigen Entscheidung abweichend vom allgemeinen Verwaltungsrecht in zeitlichen Grenzen trotz Bestandskraft von Verwaltungsakten durchsetzen lässt. Dass der Gesetzgeber mit dem "Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht" vom 26. Juli 2016 und seinem § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II hiervon über die Maßgaben des § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II hinaus der Verwaltungsvereinfachung ohne weitere materiell-rechtliche Überprüfungsmöglichkeit Vorrang vor der materiell-rechtlichen Richtigkeit einräumen wollte, sieht die Kammer nicht. Ergänzend nimmt die Kammer Bezug auf ihre Entscheidung vom selben Tag, SG Dresden, Urteil vom 11.01.2018, S 52 AS 4382/17, juris. In dieser Entscheidung weist die Kammer auch die Gegenauffassung näher nach und setzt sich mit ihr auseinander.

Nachdem der Kläger die Unterlagen vorgelegt hatte, hätte der Beklagte also abschließend über den tatsächlichen monatlichen Leistungsanspruch entscheiden müssen. Da der Beklagte dies nicht getan hat, ist die Festsetzungsentscheidung rechtswidrig.

II. Die Voraussetzungen der Erstattungsforderung des Beklagten sind nicht erfüllt. Die Voraussetzungen nach § 41a Abs. 6 SGB II i.V.m. § 50 Abs.1 S. 1 SGB X sind nicht erfüllt. Danach sind die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen und sind zu Unrecht erbrachte Leistungen zu erstatten. Wie vorstehend ausgeführt, sind die abschließend festgestellten Leistungen zu Unrecht mit einem Betrag von jeweils 0,00 EUR festgestellt, so dass die Grundlage für eine vollständige Rückforderung fehlt. Ob die Erstattungsforderungen gegebenenfalls teilweise berechtigt sind, konnte die Kammer offenlassen, da zurückverwiesen wurde.

III. Die Kammer hat die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten gemäß § 131 Abs. 5 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an den Beklagten zurückverwiesen. Nach § 131 Abs. 5 SGG kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Dies gilt nach Satz 2 auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts und bei Klagen nach § 54 Abs. 4 SGG.

Die Voraussetzungen sind erfüllt. Für die Feststellung des endgültigen Leistungsanspruchs des Klägers im streitbefangenen Leistungszeitraum ist eine weitere Sachaufklärung erforderlich. Die vom Kläger eingereichten Unterlagen sind auszuwerten und zu bewerten. Gegebenenfalls sind Ausgaben nicht abzusetzen oder Einnahmen angemessen zu erhöhen, § 3 Abs. 3 ALG II-V. Die Ermittlungen sind nach Art und Umfang erheblich, eine Feststellung des Beklagten ist trotz des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes unter Berücksichtigung der Belange beider Beteiligter sachdienlich. Insoweit sind auch die Erstattungsforderungen des Beklagten neu festzusetzen oder gegebenenfalls nachträglich Leistungen in anderer Höhe zu bewilligen. Es ist zwar Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen. Allerdings ist es nicht gerichtliche Aufgabe, anstellte der Behörde erstmals umfassende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und den Leistungsanspruch zu berechnen, vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R, juris für reine Anfechtungsklagen; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 131 Rz. 17 ff.; SG Augsburg, Urteil vom 03. Juli 2017 – S 8 AS 400/17 –, Rn. 29, juris; SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, Rn. 84 ff., juris.

Die Frist des § 131 Abs. 5 S. 5 SGG von sechs Monaten nach Eingang der Akten bei Gericht ist noch nicht abgelaufen.

Die Frist des § 41a Abs. 5 SGB II ist noch nicht abgelaufen, würde einer neuerlichen Festsetzung durch den Beklagten aber auch nicht entgegenstehen, vgl. SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, juris, Rn. 88 f.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Zulässigkeit der Berufung folgt aus § 143, 144 SGG. Die Kammer hat nach § 161 Abs. 1 S. 1 SGG die Sprungrevision zugelassen. Die Voraussetzungen nach § 161 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegen vor. Denn das vorliegende Verfahren hat grundsätzliche Bedeutung für eine Vielzahl von Verfahren. In der Kammer und am Sozialgericht Dresden sind eine Vielzahl von Verfahren anhängig, in denen die Voraussetzungen für eine endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs trotz der Verletzung von Nachweispflichten durch den Leistungsberechtigten gemäß § 41a Absatz 3 Sätze 3 und 4 SGB II für die Entscheidung erheblich sind, insbesondere die Frage ob die Mitwirkungshandlung nachgeholt werden kann. Die Entscheidung der Kammer weicht von der Weisung der Bundesagentur für Arbeit ab. Die von der Bundesagentur für Arbeit vertretene Rechtsauffassung vertreten auch der Beklagte und andere Optionskommunen im Gerichtsbezirk. Schließlich sind die aufgeworfenen Rechtsfragen bereits beim Bundessozialgericht anhängig, B 4 AS 39/17 R.
Rechtskraft
Aus
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