S 13 KR 476/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 476/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 192/18
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagte vom 29.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2017 wird aufgehoben, soweit dadurch die fiktive Genehmigung des Antrags vom 28.03.2017 auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten "Pedanios 18/1" aufgehoben und dieser Antrag für die Zeit ab 01.08.2017 abgelehnt worden ist.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Medizinal-Cannabisblüten "Pedanios 18/1" über den 31.07.2017 hinaus als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), des Weiteren über die Rechtmäßigkeit einer Rücknahme der – fiktiv gemäß § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – erteilten Genehmigung dieser Leistung. Der 0000 geborene Kläger leidet u.a. an einem chronischen Schmerzsyndrom bei Neurosyphilis mit therapierefraktären Kopfschmerzen. Am 28.03.2017 (Eingang bei der Beklagten) beantragte der Kläger die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten "Pedanios 18/1" unter Vorlage einer befürwortenden Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. P. und mehrerer Krankenhausbehandlungsberichte. Am 20.04.2017 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung und Beantwortung von fünf Fragen zu der beantragten Leistung; gleichzeitig informierte sie den Kläger über die Einschaltung des SMD. In seiner Stellungnahme vom 04.05.2017 kam der MDK zum Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung seien nicht erfüllt. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 09.05.2017 die beantragte Leistung ab. Dagegen erhob der Kläger unter dem 17.05.2017 Widerspruch. Er meinte, die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V greife, da die einschlägige Frist, innerhalb der über den Antrag hätte entschieden werden müssen, nicht eingehalten worden sei. Daraufhin erließ die Beklagte den Bescheid vom 29.06.2017, durch den sie - den Bescheid vom 09.05.2017, gestützt auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufhob mit der Begründung, dieser Bescheid sei zu spät ergangen und deshalb rechtswidrig, - sich bereit erklärte, die Kosten für Cannabisblüten bis zum 31.07.2017 zu über-nehmen, - die "aufgrund des Ablaufs der Bearbeitungsfristen nach § 13 Abs. 3a SGB V einge-tretene Genehmigung Ihres Antrags auf Kostenübernahme für Cannabisblüten", ge-stützt auf § 45 SGB X, aufhob und - den Antrag auf Kostenübernahme für Cannabisblüten ablehnte mit der Begründung, die Voraussetzungen entsprechend § 31 Abs. 6 SGB V seien nicht belegt. Sie stützte sich hierfür auf das MDK-Gutachten vom 04.05.2017. Die Beklagte wies den dagegen erhoben Widerspruch vom 14.07.2017 durch Widerspruchsbescheid vom 02.11.2017 als unbegründet zurück. Die fiktive Genehmigung sei rechtswidrig, da sie in Widerspruch zum Recht stehe; ein schutzwürdiges Vertrauen sei nicht entstanden; der Kläger habe sich die Leistung noch nicht selbst beschafft. Dagegen hat der Kläger am 13.11.2017 Klage erhoben. Er verweist auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion und meint, diese könne nicht über § 45 SGB X zurückgenommen werden; die Voraussetzungen für eine Rücknahme seien nicht erfüllt. Im Übrigen sei die Beklagte auch nach § 31 Abs. 6 SGB V zur Leistungsgewährung verpflichtet, da die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt seien.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagte vom 29.06.2017 in der Fassung Widerspruchsbescheides vom 02.11.2017 aufzuheben, soweit dadurch die fiktive Genehmigung des Antrags vom 28.03.2017 auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten "Pedanios 18/1" aufgehoben und dieser Antrag für die Zeit ab 01.08.2017 abgelehnt worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung auch in Kenntnis der Urteile des 1. Senats des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 07.11.2017 (B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R) fest. Sie beruft sich auf das Urteil des 3. Senats des BSG vom 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R) und meint, dieses widerspreche den Entscheidungen des 1. Senates. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen des Klägers betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da diese rechtswidrig sind. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten "Pedanios 18/1" auch über den 31.07.2017 hinaus zu Lasten der GKV. Der darauf gerichtete Leistungsantrag des Klägers vom 28.03.2017 gilt mit Ablauf des 18.04.2017, 24.00 Uhr, also ab 19.04.2017, 00.00 Uhr, als genehmigt. Die Rücknahme dieser (fiktiven) Genehmigung durch Bescheid vom 29.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2017 ist ebenso rechtswidrig wie die in denselben Bescheiden ausgesprochene Ablehnung der Leistung über den 31.07.2017 hinaus. Nach § 13 Abs.3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme insbesondere des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Eine hiervon abweichende Frist bestimmt Satz 4 nur für den Fall der – hier nicht einschlägigen – Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehen Gutachterverfahrens. Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6).

Die Beklagte hatte zur Prüfung des bei ihr am 28.03.2017 eingegangenen Leistungsan-trages des Klägers ihren medizinischen Dienst eingeschaltet, jedoch erst am 20.04.2017. Zu diesem Zeitpunkt war die 3-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1, 1. Alt. SGB V bereits verstrichen. Die 3-Wochen Frist begann am 28.03.2017 und endete am Dienstag, 18.04.2017 (vgl. § 26 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Da die Beklagte zu diesem Zeitpunkt weder den MDK eingeschaltet noch den Kläger darüber informiert hatte noch über den Leistungsantrag entschieden hatte, galt und gilt der Leistungsantrag gem. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V mit Ablauf des 18.04.2017, 24.00 Uhr, also ab 19.04.2017, 00.00 Uhr, als genehmigt. Aber selbst unter Einbeziehung der Einschaltung des MDK und bei Anwen-dung einer 5-Wochen-Frist ist die Genehmigungsfiktion eingetreten; die 5-Wochen-Frist wäre mit Ablauf des 02.05.2017 verstrichen gewesen; Die Entscheidung der Beklagten vom 09.05.2017 wäre also auch in Fall einer 5-Wochen-Frist zu spät gewesen; darauf kommt es jedoch nicht an, da – wie dargelegt – der Antrag auf die Leistung bereits mit Beginn des 19.05.2017 als genehmigt galt (und gilt).

Die (fiktive) Genehmigung ist ein Verwaltungsakt. Angesichts des Umstandes, dass der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvor-schriften hinreichend bestimmen lassen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R; Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R; Urteile vom 07.11.2017 – B 1 KR 2/17 R, B 1 KR 7/17, R B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R). Der Antrag des Klägers vom 28.03.2017 erfüllte diese Voraussetzungen; dies wird von der Beklagten auch nicht bestritten; sie hat im Bescheid vom 29.06.2017 nicht nur den Eintritt der Genehmigungsfiktion bezüglich der Übernahme der Kosten für "Cannabisblüten Sorte Pedanios" anerkannt, sondern zugleich die Bereitschaft erklärt, diese Kosten bis zum 31.07.2017 zu übernehmen.

Der Antrag des Klägers betraf eine Leistung, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lag. Die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende natural-leistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspricht. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R; Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R; Urteile vom 07.11.2017 – B 1 KR 2/17 R, B 1 KR 7/17 R, B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R). Die beantragten Leistungen "Cannabisblüten Pedanios 18/1" unterfällt ihrer Art nach dem Leistungskatalog der GKV (vgl. § 31 Abs. 6 SGB V).

Aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion kann der Kläger die begehrte Leistung als Sachleistung unmittelbar von der Beklagten verlangen. Dem steht weder die Ablehnungsentscheidung vom 09.05.2017 noch die für die Zeit ab 01.08.2017 wiederholte Ablehnungsentscheidung vom 29.06.2017 in der Fassung Widerspruchsbescheides vom 01.11.2017 entgegen. Denn die fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl. auch BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R; ausdrücklich: BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R; Urteile vom 07.11.2017 – B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R). Soweit die Beklagte die fiktive Genehmigung durch Bescheid vom 29.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2017 – gestützt auf § 45 SGB X – zurückgenommen hat, war diese Entscheidung aufzuheben, da sie ihrerseits rechtswidrig ist. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift setzt die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes zuallererst voraus, dass dieser rechtswidrig ist. Dies trifft aber auf die fiktive Genehmigung nicht zu. Entgegen der Auf-fassung der Beklagten beurteilt sich die Rechtmäßigkeit in Fällen einer fiktiven Genehmigung allein nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V, nicht aber nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsan-spruchs (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R; LSG Saarland, Urteil vom 17.05.2017 – L 2 KR 24/15). Hierzu hat das BSG in den Urteilen vom 07.11.2017 – B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R) ausgeführt:

"Maßstab der Rechtmäßigkeit der Genehmigung ist § 13 Abs. 3a SGB V. In Einklang mit Wortlaut und Entstehungsgeschichte soll nach dem Regelungssystem die Genehmigungsfiktion die Berechtigten vom Risiko entlasten, dass eine beantragte Leistung nicht in den Leistungskatalog der GKV fällt. § 13 Abs. 3a SGB V begründet hierzu einen eigenen Anspruch der Berechtigten, den ihnen das Gesetz kraft Genehmigungsfiktion durch fingierten Verwaltungsakt zuerkennt. Der Gesetzgeber ging damit bewusst über den bisher mittels sachleistungsersetzender Kostenerstattung gewährten Schutz hinaus (vgl. dazu § 13 Abs. 3 SGB V). Während dort die Berechtigten im Streitfall bei auf eigene Kosten selbstbeschafften Leistungen das Risiko der Nichterweislichkeit der Voraussetzungen ihres Leistungsanspruchs tragen, genügt in den Fällen des § 13 Abs. 3a SGB V der Eintritt der Ge-nehmigungsfiktion, weil deren Voraussetzungen erfüllt sind. Der Gesetzgeber begegnet mit der Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V einem spezifischen Systemversagen, der nicht zeitgerechten Entscheidung der KK über einen hiervon erfassten Leistungsantrag. Der berechtigte Antragsteller soll schnell Gewissheit erlangen, ob ihm die beantragte Leistung endgültig zusteht. Dementsprechend ist die KK nach Eintritt der Genehmigungsfiktion zur Erstattung der Kosten verpflichtet, die dem Berechtigten durch Selbstbeschaffung einer erforderlichen Leistung entstanden sind (vgl. § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V). Die Berechtigten tragen nur noch das geringere Risiko der Nichterweislichkeit der Voraussetzungen des Eintritts der Genehmigungsfiktion. Der dabei fingierte Verwaltungsakt erwirkt verfahrensrechtlichen Vertrauensschutz durch die Schranken für seine Beseitigung (vgl insbesondere §§ 45, 47, 39 SGB X). Gleichen Schutz wie bei Selbstverschaffung gewährt der Eintritt der Genehmigungsfiktion für Berechtigte, die Erfüllung ihres kraft Genehmigungsfiktion entstandenen Anspruchs in Natur von ihrer KK verlangen. Dieser Naturalleistungsanspruch sichert unter Wahrung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), dass Berechtigte ihren Sozialleistungsanspruch nicht nur dann realisieren können, wenn sie hinreichend vermögend sind, um eine sofortige Selbstbeschaffung vorzufinanzieren. Der gesetzliche Regelungszweck würde verfehlt, wollte man einen rechtmäßig nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V fingierten Verwaltungsakt als einen eine Leistung rechtswidrig bewilligenden Verwaltungsakt ansehen. Die Gesamtregelung bezweckt, das Interesse aller Berechtigten an einem beschleunigten Verwaltungsverfahren zu schützen und zögerliche Antragsbearbeitung der KKn zu sanktionieren. Eine Genehmigung ist dementsprechend rechtmäßig, wenn die oben aufgezeigten Voraussetzungen der Norm erfüllt sind (§ 13 Abs 3a SGB V; vgl. oben und BSG Urteil vom 11.7.2017 – B 1 KR 26/16 R – Juris RdNr. 11 ff; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, RdNr. 19 ff)." So liegt es hier, wie oben dargelegt. Im Fall des Klägers hat sich auch nichts ergeben, was im Nachhinein die Genehmigung als rechtswidrig ausschließen könnte (z.B. Erwirken der Genehmigung durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder Beruhen des Verwaltungsakts auf vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Angaben); auch hat sich die fingierte Genehmigung – für den Versicherten erkennbar – auf andere Weise erledigt (z.B. durch Heilung der ursprünglich behandlungsbedürftigen Krankheit; vgl. dazu: BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 31). Nach der o.g. Recht-sprechung durfte die Beklagte auch nicht auf die materiell-rechtliche Situation abstellen, die sie im Fall des Klägers als nicht erfüllt ansieht. Da die Genehmigungsfiktion der rechtlichen Grundlage des § 13 Abs. 3a SGB V entspricht, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Fiktion nicht darauf an, wie der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich zu beurteilen ist. Wäre – wie die Beklagte meint – die (fiktive) Genehmigung als rechtswidrig zu qualifizieren, wenn die jeweiligen materiellen Sachleistungsvoraussetzungen nicht vorliegen, käme der Norm des § 13 Abs.3a SGB V keinerlei Regelungsgehalt zu. Könnte die Genehmigungsfiktion durch eine – außerhalb der Frist erfolgende – nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder zurückgenommen werden, würde das Ziel des Gesetzgebers, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahren zu verbessern, ins Leere laufen. Die Möglichkeit der Rücknahme einer (fiktiven) Genehmigung nach § 45 SGB X würde im Übrigen die Versicherten, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebotes nach Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausschließen (LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER; SG Aachen, Urteil vom 27.04.2017 – S 15 KR 359/15; Urteile vom 18.07.2017 – S 13 KR 364/16 und S 13 KR 450/16).

Soweit der 3. Senat des BSG im Urteil vom 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R) zum Ausdruck gebracht hat, er neige – im Unterschied zum Urteil des 1. Senats vom 08.03.2016 – "zu der Auffassung, dass die durch § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X aufgehoben werden kann, wobei der Voraussetzungen an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen sind", teilt die Kammer diese Neigung nicht. Abgesehen davon, dass es dem 3. Senat in dem genannten Urteil selbst als untunlich erschien, sich insoweit bereits eine abschließende Überzeugung zu bilden, hat sich danach der 1. Senat in den drei Urteilen vom 11.07.2017 (B 1 KR 26/16 R) und insbesondere vom 07.11.2017 (B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R) nochmals ausführlich und intensiv mit Inhalt, Sinn und Zweck des § 13 Abs. 3a SGB V und der Aufhebbarkeit einer fingierten Genehmigung befasst. Diesen überzeugenden Erwägungen des 1. Senats des BSG schließt sich die Kammer in vollem Umfang an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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