S 31 AL 287/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AL 287/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 07. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2017 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ausgehend von der Arbeitslosmeldung am 20. Januar 2017 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld.

Sie war vom 25. Januar 2016 bis zum am 19. Januar 2017 in einem befristeten Arbeitsvertrag 361 Tage beschäftigt. Sie arbeitete 25,75 Stunden pro Woche. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (Knappschaft) bewilligte ihr mit Bescheid vom 25. November 2016 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit ab 01. Januar 2017 bis 31. Dezember 2019, weil sie nur drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten könne. Wegen eines am 19. Januar 2017 eintretenden Leistungsfalls, nämlich des Verlustes der Teilzeitstelle, kündigte die Knappschaft am 04. Januar 2017 an, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit mit einem Rentenbeginn am 01. August 2017 bis Dezember 2019 bewilligen zu wollen.

Die Klägerin meldete sich am 20. Januar 2017 unter Vorlage des Rentenbescheides und der Ankündigung der Knappschaft arbeitslos. Sie gab an, sie müsse ihre Arbeitszeit zeitlich einschränken. Auf die Frage im Antragsformular nach der wöchentlichen Einsatzzeit gab sie sechs Stunden an. Am 06. Februar 2017 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor. Sie stellte sich für eine Arbeit von bis zu sechs Stunden täglich zur Verfügung. Sie gab an, sie habe bereits Eigenbemühungen unternommen.

Mit Bescheid vom 07. Februar 2017 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab, weil die Klägerin nur weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten könne. Mit Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch die Rentenversicherung bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Dabei sei es unerheblich, ob die Rente bereits zuerkannt worden sei oder bereits zur Auszahlung komme.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Die Knappschaft teilte der Beklagten mit, nach dem Ergebnis ihrer ärztlichen Begutachtung könne die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2017 zurückgewiesen, weil der angefochtene Bescheid den gesetzlichen Bestimmungen entspreche.

Daraufhin hat die Klägerin am 07. April 2017 Klage erhoben. Sie hat mitgeteilt, ihr sei mit Bescheid vom 19. Mai 2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkts bewilligt worden. Die Rente beginne ab 01. August 2017. Bis dahin begehre sie Arbeitslosengeld, weil sie mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten könne.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 07. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund der Arbeitslosmeldung vom 20. Januar 2017 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin stehe der Vermittlung in Arbeit nicht zur Verfügung, weil die Knappschaft die fehlende Arbeitsmarktfähigkeit festgestellt habe. Die Rentenbewilligung wegen voller Erwerbsminderung sei auf Grund des Auslaufens der Teilzeitarbeitstelle wegen der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes erfolgt. Die Klägerin könne zwar nach den Feststellungen der Knappschaft bis zu sechs Stunden täglich arbeiten, jedoch nicht zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Der verschlossene Arbeitsmarkt wirke sich nicht nur rentenrechtlich aus. Damit liege Verfügbarkeit im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht vor.

Die Kammer hat darauf hingewiesen, dass 2016 nach Erhebungen der Beklagten in der BRD ca. 8,7 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig in Teilzeit gearbeitet hätten; von den weiblichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hätten ca. 47% in Teilzeit gearbeitet (vgl. www.sozialpolitik-aktuell.de/arbeitsmarkt-datensammlung.htmlsozialversicherungspflichtige-beschaeftigung). Die Beklagte hat dazu im Wesentlichen ausgeführt, mit der Zuerkennung der Rente wegen voller Erwerbsminderung (Arbeitsmarktrente) sei auch die fehlende Vermittelbarkeit für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt.

Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden. Sie hat erklärt, sie habe im Arbeitslosengeldantrag sechs Stunden pro Tag und nicht sechs Stunden pro Woche angeben wollen. Der Beklagtenvertreter hat dazu erklärt, er gehe davon aus, das sei von der Sachbearbeitung auch so verstanden worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch die Ablehnung von Arbeitslosengeld gemäß § 54 Abs. 2 SGG beschwert.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld gemäß §§ 137 ff SGB III lagen vor. Die Klägerin war arbeitslos, meldete sich bei der Beklagten arbeitslos und erfüllte die Anwartschaftszeit. Die Klägerin war - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch objektiv verfügbar im Sinne von § 138 Abs. 5 SGB III.

Die Kammer hat keinen Zweifel, dass die Klägerin mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten konnte.

Die Klägerin konnte auch eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausüben. Üblich sind Beschäftigungen, die auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang ausgeübt werden (vgl. z.B. Urteil des BSG 7 RAr 45/77, BSGE 46, 257ff.). Nach den Erhebungen der Beklagten ist Teilzeitarbeit nicht nur in nennenswertem Umfang üblich, sondern bei den weiblichen versicherungspflichtigen Beschäftigten nahezu so üblich wie Vollzeitarbeit.

Die Einschätzung der Knappschaft, der Teilzeitarbeitsmarkt sei der Klägerin verschlossen, hat keine Bindungswirkung für die Beklagte. Eine Bindungswirkung mag allenfalls für einen Anspruch nach § 145 SGB III gelten. Im Übrigen beinhaltet die Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit durch die Rentenversicherung wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes auch nicht die Feststellung, die Klägerin könne nicht unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes im Sinne von § 138 Abs. 5 SGB III arbeiten. Die rentenrechtliche Rechtsprechung zum verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt (vgl. die Beschlüsse des Großen Senates des BSG vom 11. Dezember 1969; BSGE 30, 167ff.) schreibt das Arbeitsmarktrisiko der Rentenversicherung zu, wenn die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze im Verhältnis zur Zahl der Interessenten an Teilzeitarbeitsplätzen zu ungünstig ist. Auch die Beschlüsse des Großen Senats vom 10. Dezember 1976 halten an der Maßgeblichkeit der Relation zwischen Arbeitsplatzanzahl und Interessenten fest (BSGE 43, 77ff.; im juris-Ausdruck Rnr. 64). Damit wird rentenrechtlich die Chance, einen Teilzeitarbeitsplatz zu erhalten, berücksichtigt, unabhängig von einer Mindestanzahl bestehender Teilzeitarbeitsplätze. Eine solche Relation, ohne Berücksichtigung der Anzahl der Teilzeitarbeitsplätze und damit der Üblichkeit von Teilzeitarbeit, kann in der Arbeitslosenversicherung jedoch keine Rolle spielen. Eine schlechte Arbeitsmarktlage fällt gerade in das Risiko der Arbeitslosenversicherung. In der Arbeitslosenversicherung ist es unerheblich, ob die Vermittlungschancen schlecht sind, weil die in Frage kommenden Arbeitsplätze besetzt sind (vgl. z.B. BSG 11 RAr 79/92, Die Beiträge 1994, 431ff.), solange die gesuchte Beschäftigung - wie hier - unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeübt werden kann.

Auch die subjektive Verfügbarkeit der Klägerin war gegeben. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin sich für Tätigkeiten von bis zu sechs Stunden täglich zur Verfügung stellte. Zwar gab sie in dem Antragsformular diese Stundenzahl auf die Frage nach der wöchentlichen Einsatzzeit an. Dies erfolgte jedoch irrtümlich. Sie meinte sechs Stunden täglich. Dies ergibt sich daraus, dass sie die entsprechende Einschätzung der Knappschaft zu ihrer Leistungsfähigkeit vorlegte und auch aus dem Inhalt der Vorsprache vom 06. Februar 2017. Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die Beklagte davon ausging, die Klägerin stelle sich sechs Stunden täglich zur Verfügung.

§ 156 Abs. 1 Nr. 3 SGB III stand bis zum tatsächlichen Beginn der Rentenleistungen am 01. August 2017 dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Denn das Ruhen des Arbeitslosengeldes setzt den Zufluss der Rente voraus (vgl. z.B. BSG 7 RAr 50/80; SozR 4100 § 118 Nr. 10).

Nach alledem war die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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