L 11 KR 231/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 370/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 231/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.01.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Freistellung von den Kosten für in der Zeit vom 01.08.1999 bis 31.12.2012 durch ihren Vater erbrachte häusliche Krankenpflege.

Die am 00.00.1987 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet unter anderem unter infantiler Cerebralparese im Sinne einer schweren spastischen Tetraparese, Epilepsie, schwerer geistiger Behinderung und psychomotorischer Entwicklungsretardierung. Mit Beschluss des Amtsgerichts F (7 XVII 00/05) wurde die Mutter der Klägerin, Frau I L, mit Wirkung vom 26.06.2005 zur Betreuerin der Klägerin bestellt. Als Ersatzbetreuer wurde der Vater der Klägerin, Herr B L, bestellt.

In dem Rechtsstreit S 29 (5) KR 43/07 Sozialgericht (SG) Köln begehrte die Klägerin häusliche Krankenpflege entsprechend ärztlicher Verordnungen vom 14.03.2006 und vom 23.06.2006. Die Beteiligten einigten sich am 12.05.2010 dahingehend, dass die Beklagte der Klägerin ab sofort häusliche Krankenpflege in Form von 8 Stunden täglich 7 x wöchentlich zukommen lasse. Die Beklagte werde die Kosten für die häusliche Krankenpflege durch eine professionelle Fachkraft übernehmen. Dabei stehe es den gesetzlichen Vertretern der Klägerin frei, entweder auf einen Vertragspartner der Beklagten zurückzugreifen oder in Absprache mit der Beklagten eine selbst auszusuchende professionelle Fachkraft gegebenenfalls für 8 Stunden täglich einzustellen und einen individuellen Budgetvertrag zu schließen.

Unter dem 24.12.2010 begehrte die Klägerin gegenüber der Beklagten erneut die Gewährung fachbezogener Intensivpflege. Hierauf teilte die Beklagte unter dem 19.01.2011 mit, es sei in Ausführung des Vergleichs vom 12.05.2010 eine Pflegevereinbarung mit dem Pflegedienst "N" geschlossen worden. Diese Vereinbarung habe der Pflegedienst im Dezember 2010 gekündigt. Ein weiterer Pflegedienst "U" habe zur Verfügung gestanden, sei jedoch abgelehnt worden. Die Beklagte benannte weitere verfügbare Pflegedienste. Am 24.01.2011 beantragte der Vater der Klägerin bei der Beklagten die in der Zeit von August 1999 bis Dezember 2010 zu Gunsten der Klägerin geleistete Pflegeleistungen zu vergüten. Mit Bescheid vom 03.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Anspruch auf häusliche Krankenpflege sei nach § 37 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausgeschlossen. Die von Angehörigen erbrachten Leistungen der Behandlungspflege könnten mangels Rechtsgrundlage nicht vergütet werden. Ein Anspruch auf Sachleistungen entsprechend der Einigung im sozialgerichtlichen Verfahren werde nicht bestritten. Dass die Umsetzung bisher gescheitert sei, liege außerhalb der Verantwortung der Beklagten.

Die Klägerin hat am 29.05.2012 Klage vor dem SG Köln erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, geltend gemacht werde ein Anspruch auf Freistellung von Vergütungsforderungen für in der Zeit von August 1999 bis Dezember 2012 selbstbeschaffte häusliche Krankenpflege in Höhe von monatlich 700,00 EUR. Die Beklagte sei nicht in der Lage gewesen, eine Kraft für die häusliche Krankenpflege zu stellen. Insofern sei von einer Kapazitätsausschöpfung im Raum F auszugehen. Der Klägerin angebotene Pflegekräfte habe diese auch teilweise ablehnen dürfen. So sei eine schwangere Pflegekraft nicht in der Lage gewesen, die notwendigen Leistungen zu erbringen. In einem solchen Fall seien dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten. Vorliegend habe die Klägerin ihren Vater als selbstbeschaffte Kraft organisiert. Die häusliche Krankenpflege sei ärztlich verordnet und im Haushalt der Klägerin erbracht worden. Ihr Vater habe auch die entsprechenden Ausbildungen und Lehrgänge absolviert, die eine ordnungsgemäße Intensivpflege zuhause ermöglichten. Eine Vereinbarung dahingehend, dass der Vater für die geleistete Pflege vergütet werden solle, sei ausdrücklich weder zwischen der Klägerin selbst und ihrem Vater noch zwischen ihrer zur Betreuerin bestellten Mutter und ihrem die Pflege leistenden Vater getroffen worden. Zahlungsansprüche habe ihr Vater bislang nicht erhoben. Insofern sei aber davon auszugehen, dass eine derart intensive Pflegeleistung üblicherweise bezahlt werde. Zwischen dem Vater und der zur Betreuerin bestellten Mutter habe es deswegen eine konkludente Vereinbarung dahin geben müssen, dass der Vater für die von ihm erbrachten Pflegeleistungen vergütet werde, dieser Anspruch allerdings bis zur Erstattung durch die Beklagte gestundet sei. Eine Ergänzungspflegschaft habe das Amtsgericht F nicht eingerichtet. Soweit die Beklagte die Einrede der Verjährung erhebe, habe sie sich auf außergerichtliche Verhandlungen eingelassen, so dass die Verjährung gehemmt gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 03.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von für in der Zeit vom 01.08.1999 bis 31.12.2012 selbstbeschaffte häusliche Krankenpflege entstandene Vergütungsforderungen des Herrn B L in Höhe von insgesamt 112.700,00 EUR freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und das Verfahren S 29 (5) KR 43/07 SG Köln verwiesen und ergänzt, dass sie sich auf keinerlei außergerichtliche Verhandlungen eingelassen habe.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 19.01.2016 abgewiesen. Ein Freistellungsanspruch scheide schon deshalb aus, weil der Klägerin keine Kosten entstanden seien. Zwischen der Klägerin und ihrem Vater sei weder ein schriftlicher noch ein mündlicher Vertrag geschlossen worden. Einer solchen Vereinbarung stünden auch §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bzw. §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB entgegen. Darüber hinaus habe die Klägerin vor der Selbstbeschaffung der häuslichen Krankenpflege ab dem 01.08.1999 keinen Antrag bei der Beklagten gestellt. Zudem sei der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 06.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.02.2007 aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 12.05.2010 bestandskräftig geworden, so dass ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege aufgrund der ärztlichen Verordnungen vom 14.03.2006 und 23.06.2006 nicht bestehe. Für die Zeit bis 31.12.2005 seien eventuelle Freistellungsansprüche auch verjährt.

Gegen das ihr am 04.03.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.03.2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie angeführt, ihr Vater habe diverse Anträge bei der Beklagten gestellt. Die Beklagte habe die unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht. Qualifiziertes Pflegepersonal sei nicht vorhanden gewesen. Die Vereinbarung vom 12.05.2010 habe nicht in die Praxis umgesetzt werden können. Daher habe ihr Vater immer wieder Pflegeleistungen erbringen müssen. Sie hat Verordnungen häuslicher Krankenpflege aus den Jahren 2009, 2010, 2012, 2013, 2014 und 2016 vorgelegt. Im Jahr 2006 sei wegen ihrer langen Krankenhausaufenthalte kein Pflegedienst beauftragt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.01.2016 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 03.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2012 zu verurteilen, sie von Vergütungsforderungen des Herrn B L für in der Zeit vom 01.08.1999 bis 31.12.2012 erbrachte häusliche Krankenpflege in Höhe von insgesamt 112.700,00 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und weist weiter darauf hin, dass die Klägerin hypothetisch bestehenden Forderungen des Vaters die Einrede der Verjährung entgegen halten könnte. Ansprüche bis 31.12.2012 seien seit Ablauf des 31.12.2015 der Verjährungseinrede ausgesetzt. Auch habe die Beklagte über die Jahre eine Vielzahl von Pflegekräften angeboten, die die Klägerin entweder nicht habe nutzen wollen oder die durch das Verhalten des Vaters dazu gebracht worden seien, die Arbeit einzustellen. Die Einrede der Verjährung bleibe aufrecht erhalten. Folgende ärztliche Verordnungen von häuslicher Krankenpflege lägen ihr vor: Erstverordnung vom 14.03.2006, Folgeverordnung vom 27.04.2006, Folgeverordnung vom 23.06.2006 und Folgeverordnung vom 07.12.2009.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten S 29 (5) KR 43/07 SG Köln, S 34 KR 1066/11 SG Köln und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten einschließlich derjenigen zur Verordnung häuslicher Krankenpflege vom 14.03.2006 und 23.06.2006 (S 5 KR 202/06 SG Köln), zur Verordnung häuslicher Krankenpflege vom 14.03.2006 und 23.06.2006 (S 29 (5) KR 43/07 SG Köln) und zur Einstufung in die Pflegestufe III (L 10 P 13/13 LSG Nordrhein-Westfalen) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 03.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Sie hat weder nach § 37 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) noch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 oder 2 SGB V einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte. Alle Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass die Klägerin einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege hatte. Dieser war vorliegend aber nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen.

Danach besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Hierbei handelt es sich um eine konkrete Ausgestaltung des Vorrangs der Eigenhilfe vor der Inanspruchnahme von Hilfe durch die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten. Das Gesetz knüpft an familienrechtliche Fürsorge- und Unterhaltspflichten sowie an sittliche Beistandspflichten unter zusammenlebenden Haushaltsangehörigen außerhalb des Familienverbundes im engeren Sinne an. Die gesetzliche Krankenversicherung wird auf diese Weise durch die familiäre Hilfe entlastet (BSG, Urteil vom 08.10.2014 - B 3 P 4/13 R -). Unter Haushalt ist nach allgemeinem Sprachgebrauch die häusliche, wohnungsmäßige, familienhafte Wirtschaftsführung zu verstehen (BSG, Urteil vom 30.03.2000 - B 3 KR 23/99 R - m.w.N.). Vorliegend lebte die Klägerin während des gesamten streitbefangenen Zeitraums mit ihren Eltern zusammen in einer Wohnung.

Zwar ist § 37 Abs. 3 SGB V hinter seinem Wortlaut zurückbleibend dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann eingreift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte, sondern erst dann, wenn tatsächlich auch Hilfe geleistet wird (BSG, Urteil vom 30.03.2000 - B 3 KR 23/99 R -). Aber auch das war vorliegend der Fall. Der haushaltsangehörige Vater hat die Pflege der Klägerin tatsächlich übernommen. Anders als für die Pflegeleistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch ist für die von Haushaltsangehörigen nach § 37 Abs. 3 SGB V erbrachten Leistungen keine Vergütung im Gesetz vorgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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