S 36 U 131/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
36
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 36 U 131/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der XXXX geborene Kläger begehrt die Anerkennung eines Unfalls vom 09.05.2016 als Arbeitsunfall.

Am 09.05.2016 verließ der Kläger zwischen 10:45 Uhr und 11:00 Uhr seine Arbeitsstelle und suchte auf direktem Weg seinen Orthopäden auf. Den Arzttermin hatte er um 12:00 Uhr. Er verließ gegen 12:50 Uhr die Arztpraxis und trat den direkten Rückweg zur Arbeits-stätte an. Gegen 13:25 Uhr ereignete sich der Unfall. Der Kläger stieß mit einem anderen PkW zusammen und erlitt dabei gemäß Durchgangsarztbericht eine Rippenprellung links sowie eine Schulterprellung links.

Mit Bescheid vom 30.06.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Arbeits-unfall ab, weil der Weg zum Arzt und zurück eine unversicherte Tätigkeit darstelle.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 27.07.2016 Widerspruch ein. Er führte aus, der Unfall habe sich auf dem Weg zur Arbeitsstätte ereignet und dieser Weg sei somit ver-sichert. Es sei davon auszugehen, dass er von einem dritten Ort losgefahren sei. Dieser sei auch nicht unverhältnismäßig weit entfernt gewesen. Zudem sei der Arztbesuch dem Be-trieb mittelbar zu Gute gekommen, denn er habe damit seine Gesundheit erhalten wollen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück. Sie führte aus, die Wahrnehmung privater Arzttermine gehöre grundsätzlich zum unversi-cherten persönlichen Lebensbereich. Es handele sich auch nicht um einen dritten Ort, weil dazu Voraussetzung sei, dass man sich dort mindestens 2 Stunden aufhalte.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 27.01.2017 Klage erhoben. Im Wesentlichen widerholt der Kläger das Vorbringen aus dem Vorverfahren. Des Weiteren führt der Kläger aus, er habe sich bei der Auswahl der Terminierung des Arztbesuches nach den betrieblichen Interessen seines Arbeitgebers gerichtet und die Strukturierung des Arbeitstags darauf ausgerichtet. Er habe den Arzt auch aufgesucht zur Wiederherstellung seiner vollen Arbeitsfähigkeit. Sein Rückenleiden hätte ansonsten ggf. zu längeren Ausfallzeiten geführt. Er habe aus der Ex-ante-Sicht davon ausgehen können, dass er mindestens 2 Stunden in der Arztpraxis verbringen würde. Insofern sei er auch von einem dritten Ort abgefahren und der Weg zur Arbeitsstätte versichert.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2017 die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 09.05.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Wegen des Weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten Bezug ge-nommen. Die den Kläger betreffende Akte der Beklagten lag dem Gericht vor und war Ge-genstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid vom 30.06.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2017 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Beklagte hat zutreffend die Anerkennung ei-nes Arbeitsunfalls abgelehnt.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches VII – gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungs-schutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Ein Arbeitsunfall setzt somit voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb dem versicherten Personenkreis zuzurechnen ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (vgl. hierzu BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R – SozR.4-2700 § 8 Nr. 55 Rdnr. 9).

Zwar erlitt der Kläger unstreitig am 09.05.2016 einen Unfall, als er mit einem anderen PkW zusammenstieß. Auch lag bei dem Kläger ein Erstschaden (Rippenprellung und Schulter-prellung) vor. Grundsätzlich war der Kläger auch bei seiner Arbeit Versicherter im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.

Jedoch stand seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht in einem sachlichen Zusammen-hang zu der beruflichen Tätigkeit. Insbesondere legte er zum Unfallzeitpunkt keinen im Zu-sammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stehenden Betriebsweg im Sinne von § 8 Abs. 1 S.1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zurück.

Eine versicherte Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses tätig wird, d.h. wenn eine Haupt- oder Nebenpflicht aus einem Arbeitsverhältnis erfüllt wird oder der Ver-letzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (vgl. hierzu BSG vom 23.04.2015 – B 2 U 5/14 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 33 Rdnr. 14 m.w.N.). Zur versicherten Tätigkeit als Beschäftigter zählt auch das Zurücklegen eines Betriebswe-ges. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und unterscheiden sich von We-gen nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückge-legt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungsten-denz durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (vgl. hierzu BSG vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 48 Rdnr. 13 m.w.N.). Der Kläger befand sich auf dem Weg von der Arztpraxis zu seiner Arbeitsstelle, als der Un-fall passierte. Zu diesem Zeitpunkt stand der Kläger nicht unter dem Schutz der gesetzli-chen Unfallversicherung. Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesund-heit sind grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen und daher unversichert. Dass die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit des Versi-cherten auch der Erhaltung oder Wiederherstellung seiner Arbeitskraft und damit betriebli-chen Belangen dient, tritt gegenüber den persönlichen Belangen des Versicherten

so sehr in den Hintergrund, dass es nicht als Bedingung im Rechtsinne angesehen werden kann. Versicherungsschutz für Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Ge-sundheit und die dafür notwendigen Wege, kann daher nur dann bestehen, wenn aufgrund besonderer Umstände ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit besteht. Ein solcher innerer Zusammenhang liegt hier nicht vor. Weder erfüllte der Kläger mit dem Aufsuchen des Orthopäden eine sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Hauptpflicht noch eine arbeitsrechtliche Nebenpflicht, denn eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu gesund-heitsfördernden, der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen besteht grundsätzlich nicht (vgl. BSG vom 07.09.2004 – 2 U 35/03 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 6 Rdnr. 18 m.w.N.). Der Kläger konnte auch nicht davon ausgehen, eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäf-tigungsverhältnis zu erfüllen. Eine solche Annahme ist nur vertretbar, wenn der Beschäftig-te nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung auf-grund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht. Solche objektiven Anhaltspunkte sind weder vom Kläger vorgetragen worden, noch ersichtlich.

Der Kläger gehörte auch nicht zum versicherten Personenkreis wegen der Wegeunfallver-sicherung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Danach zählt zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zu-sammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Einen sol-chen Weg legte der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls nicht zurück. Weder befand er sich auf dem unmittelbaren Weg von der Wohnung zu seiner Arbeitsstätte noch legte er einen versicherten Weg von einem sogenannten dritten Ort zur Arbeitsstätte zurück. Allein streitig ist hier, ob ein Weg von einem dritten Ort angetreten wurde. Nach der Recht-sprechung des Bundessozialgerichts kann eine versicherte Tätigkeit gem. § 8 Abs. 2

Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen eines Weges zwischen einem anderen Ort als der Wohnung, dem sogenannten dritten Ort, und der Arbeitsstätte sein, ohne dass es dabei darauf ankommt, aus welchen Gründen sich der Versicherte an einem anderen Ort aufhält. Auch Wege von anderen Orten als dem häuslichen Bereich zum Ort der versicherten Tä-tigkeit werden nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer auf deren Verrichtung bezogenen Handlungstendenz unternommen (vgl. hierzu BSG vom 02.12.2008 – B 2 U 17/07 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 28 Rdnr. 13). Voraussetzung dabei ist, dass der Aufenthalt an dem sogenannten dritten Ort mindestens 2 Stunden dau-ert (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 – B 2 U 16/14 R – zitiert nach Juris). Der Kläger hat sich keine 2 Stunden in der Arztpraxis seines Orthopäden aufgehalten. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob der Kläger ursprünglich davon ausging, dass er auf jeden Fall mindestens 2 Stunden für den Arztbesuch brauchte. Das BSG hat ausdrücklich darauf abgestellt, dass man sich 2 Stunden mindestens an dem dritten Ort aufhält. Aufhalten bedeutet aber tat-sächliche Anwesenheit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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