L 5 KR 733/17 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 415/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 733/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Beitragsrecht des SGB IV enthält keine Rechtsgrundlage für einen Haftungsbescheid.
2. Besteht für Beitragsforderungen Gesamtschuldnerschaft muss der Beitragsbescheid eine Ermessensausübung beinhalten.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 10. November 2017 aufgehoben.

Gründe:

I.

Das Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Landshut richtet sich gegen den Haftungsbescheid der Beklagten vom 12.5.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.11.2016, mit dem der Kläger für rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge der vormaligen R. A. A. Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) auf der Basis des Nachforderungsbescheides der DRV Bund vom 19.3.2015/Widerspruchsbescheides vom 8.11.2016 in Höhe von 10.458,43 EUR in Anspruch genommen wird. Gegen den Nachforderungsbescheid vom 19.3.2015 ist ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Landshut unter dem Aktenzeichen S 1 R 5091/15 anhängig. Wegen der Vorgreiflichkeit dieser Klage hat das Gericht das Haftungsbescheids-Verfahren ausgesetzt. Gegen den Aussetzungsbeschluss vom 10.11.2017 richtet sich die vorliegende Beschwerde des Klägers, die nicht begründet worden ist. Die Beklagte hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde ist in der Sache erfolgreich.

Das Sozialgericht war veranlasst, den Haftungsbescheid, welcher aus Gründen rechtswidrig ist, die nicht im Zusammenhang mit dem Nachforderungsbescheid der DRV Bund vom 19.3.2015 stehen, aufzuheben und der Klage stattzugeben.

1. Nach § 114 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Daran fehlt es vorliegend, denn über die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides hat das Sozialgericht unabhängig von dem Verfahren gegen die GbR zu entscheiden.

a. Für den Haftungsbescheid fehlt es an der wegen des Vermögenseingriffs (Art. 12 GG) erforderlichen, dem Gebot der Normenklarheit entsprechenden Rechtsgrundlage zu Gunsten der Beklagten. Die allgemeine Entscheidungsgrundlage § 28h SGB IV, § 31 SGB X reicht nicht dafür aus, die handelnden Personen, nicht aber den Arbeitgeber (hier die GbR) für Beiträge haftbar zu machen, welche der Arbeitgeber nach der ausdrücklichen Regelung in § 28e SGB IV allein schuldet. Dafür bedürfte es einer ausdrücklichen Norm, wie sie im Beitragsrecht der Gesetzlichen Unfallversicherung in § 157 SGB VII sowie im Steuerrecht in § 191 AO zu finden sind.

Zudem ergibt sich das Fehlen der Rechtsgrundlage für einen Haftungsbescheid auch aus den Gesetzgebungsmaterialien. Im Entwurf des SGB IV-Einordnungsgesetzes vom 2.5.1988 - BT-Drs. 11/2221 - war in § 28e Abs. 4 SGB IV ursprünglich eine entsprechende Regelung enthalten (aaO, S. 6 und 22). Diese Regelung wurde aber im Gesetzgebungsverfahren gestrichen (BT-Drs. 11/3445 vom 28.11.1988, S. 8 u. 35).

b. Darüber hinaus können die GbR als Arbeitgeber sowie die beiden handelnden natürlichen Personen A. und R. A. für die nur einmal abzuführenden Beiträge allein als Gesamtschuldner haften. Dann aber hat der Sozialversicherungsträger, hier die Beklagte als Einzugsstelle, nach Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 30.3.2017, B 2 U 10/15 R) aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Ermessen, welchen der Gesamtschuldner sie in welchem Umfange in Anspruch nimmt. Eine Ermessensausübung ist im Bescheid der Beklagten vom 10.6.2016/Widerspruchsbescheid vom 8.11.2016 nicht erkennbar, die Beklagte ist vielmehr - wie sich aus dem Widerspruchsbescheid vom 20.10.2016 ergibt - der Auffassung, dass kein Ermessen auszuüben sei, so dass dieser wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und schon deshalb aufzuheben ist.

Eine Kostenentscheidung und ein Streitwertbeschluss hatten nicht zu ergehen. Das Beschwerdeverfahren gegen den Aussetzungsbeschluss ist kein eigenes Verfahren oder ein eigener Verfahrensabschnitt, sondern nur ein Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 15.12.2012, Az.: L 1 KR 421/12 B; Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, 12. Aufl., 2017, SGG, § 114 Rz. 9 mwN).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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