L 7 AS 1806/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AS 3702/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1806/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die medizinisch erforderliche Ernährung mit "Vollkost" bedingt keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II.
2. Beim Kauf von Schuhen ist im Regelfall nicht davon auszugehen, dass diese jedes halbe Jahr neu gekauft werden müssen. Der Bedarf zum Erwerb von Schuhen stellt daher keinen laufenden Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II dar.
3. Der Kauf von Schuhen in Übergröße 50 H ist nicht unabweisbar bzw. erheblich im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB II, da die konkreten monatlichen Mehraufwendungen die "Geringfügigkeitsgrenze" nicht überschreiten und die entstehenden Kosten aus Einsparungen des Regelbedarfs gedeckt werden können.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 9. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

II. Notwendige außergerichtliche Kosten hat der Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2011 bis 31.05.2013, insbesondere ob dem Kläger Mehrbedarfe für besondere Ernährung und Anschaffung von Schuhen und Strümpfen aufgrund seiner Größe zustehen.

Der 1956 geborene Kläger steht seit 2005 im laufenden Leistungsbezug beim Rechtsvorgänger des Beklagten. Der Kläger ist 1,91 m groß, wiegt ca. 106 kg und ist geschieden. Er trägt Schuhgröße 50 H, wobei das H für eine Bequemweite bei kräftigen Füßen steht. Wegen einer Bescheinigung seiner behandelnden Ärztin über die Notwendigkeit einer entsprechenden Reduktionskost wegen Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie bei Adipositas gewährte der Beklagte dem Kläger einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung ab Januar 2005. Seit 01.02.2007 bewohnt der Kläger eine 39 m² große Zweiraum-Wohnung in der A-Straße in A ..., für die 175,50 EUR Grundmiete und im streitgegenständlichen Zeitraum 120,00 EUR für Neben- und Heizkosten zu zahlen waren.

Auf entsprechenden Weiterbewilligungsantrag zahlte der Beklagte ab Juni 2009 den Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nicht mehr, weil nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr von einem erhöhten Ernährungsbedarf beim Kläger angesichts der bei ihm vorliegenden Erkrankungen auszugehen sei. Wegen dieses Mehrbedarfs für Ernährung führte der Kläger in den Jahren 2010 und 2011 drei Verfahren beim Sozialgericht Chemnitz, in denen er die Gewährung des entsprechenden Mehrbedarfs für die Zeit vom 01.06.2009 bis 31.05.2011 begehrte (S 27 AS 272/10 – Leistungszeitraum 01.06.2009 bis 31.05.2010; S 27 AS 4070/10 – Leistungszeitraum 01.06.2010 bis 30.11.2010; S 27 AS 1206/11 - Leistungszeitraum 01.12.2010 bis 31.05.2011). Der Kläger vertrat darin die Auffassung, er habe aufgrund seiner Größe einen höheren Ernährungsbedarf als eine Durchschnittsperson. Er müsse sich purin-, fett- und salzarm ernähren. Entsprechende Lebensmittel seien teuer. Zudem müsse ihm neben dem Mehrbedarf für Ernährung auch ein Sonderbedarf für Bekleidung gewährt werden. Er habe aufgrund seiner Größe und Schuhgröße Schwierigkeiten, genormte Kleidung und Schuhe zu kaufen. Die größeren Schuhe seien teurer und vom Regelbedarf nicht zu bestreiten. Die gegen die klageabweisenden Urteile des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.06.2011 zum Sächsischen Landessozialgericht erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden wurden mit Beschlüssen vom 10.11.2011 zurückgewiesen (L 2 AS 621/11 NZB, L 2 AS 622/11 NZB und L 2 AS 623/11 NZB). Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 12.04.2011 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 26.04.2011 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 in Höhe von monatlich 659,50 EUR. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 23.05.2011 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2011 als unbegründet zurück. Mit dem pauschaliert gezahlten Regelbedarf an Leistungsempfänger müsse der Kläger seine Bedarfe decken können.

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 11.10.2011 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 28.10.2011 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2011 bis 31.05.2012 in Höhe von monatlich 659,50 EUR und mit Änderungsbescheid vom 26.11.2011 für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.05.2012 in Höhe von 669,50 EUR. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 24.11.2011 wies der Beklagte ebenfalls mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2012 als unbegründet zurück.

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 17.04.2012 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 23.04.2012 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2012 bis 30.11.2012 in Höhe von monatlich 669,50 EUR. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 15.05.2012 wies der Beklagte erneut mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2012 als unbegründet zurück.

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 16.10.2012 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 18.10.2012 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.05.2013 in Höhe von monatlich 659,50 EUR und mit Änderungsbescheid vom 24.11.2011 für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.05.2013 in Höhe von 677,50 EUR. Der Kläger war geringfügig bei einem Zeitungszusteller beschäftigt. Den Widerspruch vom 15.11.2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2013 als unbegründet zurück. Mit Änderungsbescheid vom 21.05.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.12.2012 endgültig Leistungen in Höhe von 657,32 EUR und für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.05.2013 in Höhe von 665,32 EUR monatlich.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.09.2013 musste der Kläger wegen Betriebskostengutschriften für die Monate Dezember 2011 und Dezember 2012 403,40 EUR erstatten.

Gegen die jeweiligen Widerspruchsbescheide hat der Kläger vier verschiedene Klagen zum Sozialgericht Chemnitz erhoben (S 26 AS 3702/11; S 26 AS 320/12; S 26 AS 3529/12; S 26 AS 614/13), in denen er jeweils höhere Leistungen in den Leistungszeiträumen – zusammengefasst vom 01.06.2011 bis 31.05.2013 – begehrt. Er macht einerseits einen Mehrbedarf wegen der besonderen Ernährung geltend, die er wegen seiner Krankheiten und seiner Körpergröße benötige. Zum anderen seien ihm zusätzliche Leistungen zu gewähren, weil er wegen seiner Schuhgröße Schuhe benötige, die teurer seien als Durchschnittsgrößen. Dies treffe auch auf die zugehörigen Strümpfe zu. Das Sozialgericht Chemnitz hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Privatdozentin Dr. Y ..., Institut für Ernährungswirtschaft und Verbrauchslehre an der X ...-Universität zu W ..., zu der Frage, ob der Kläger durch seine Körper- und Schuhgröße höhere monatliche Aufwendungen für die Anschaffung dieser Sachen habe als ein durchschnittlicher 1,80 m großer männlicher Leistungsempfänger mit den üblichen Schuhgrößen 42 bis 44. Des Weiteren sollte geklärt werden, ob dem Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen höhere Aufwendungen für die Ernährung entstehen als einem durchschnittlichen, gesunden Leistungsempfänger.

Das Gutachten vom 12.07.2013 ist unter Anwendung einer von der Gutachterin im Jahr 2013 für das Sozialgericht Berlin erstellten Studie zu dem Ergebnis gelangt, dass Schuhe der Größe 50 H nur vergleichsweise teuer zu erwerben seien. Während Schuhe in Normalgröße 42 im Mittel 31,05 EUR kosteten, seien für Schuhe in der Übergröße 50 H im Durchschnitt 83,65 EUR zu zahlen. Dies gelte zwar weniger deutlich, aber dennoch statistisch signifikant auch für Strumpfwaren. Es ergebe sich ein monatlicher Mehrbedarf bei Schuhen in Höhe von 5,61 EUR, wenn der Leistungsempfänger über das Internet die bundesweit günstigsten Schuhe der Größe 50 H suche. Bei einer normalen preisbewussten Einkaufsweise liege der monatliche Mehrbedarf bei 11,71 EUR. Der monatliche Mehrbedarf bei Strumpfwaren betrage 0,88 EUR. Die Gutachterin ist unter Berücksichtigung einer 2008 erstellten Studie – auf die sich auch die Empfehlungen des Vereins für öffentliche und private Fürsorge stützen – weiter davon ausgegangen, dass für die beim Kläger vorhandenen Erkrankungen Vollkost erforderlich sei, für die keine besonderen Aufwendungen zu tätigen seien. Sie habe die Studie aber kritisch geprüft und komme zu dem Ergebnis, dass eine Vollkost höhere Aufwendungen verursache als eine Durchschnittsernährung. Die Spannbreite liege zwischen 8,27 EUR bis 14,38 EUR monatlich.

Der Beklagte hat dem entgegengehalten, dass durch das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 12/12 R) bereits bestätigt worden sei, dass eine Ernährung mit Vollkost aus dem Regelsatz bestritten werden könne. Die von der Gutachterin für Schuhe und Strumpfwaren bezifferten Mehrkosten beliefen sich auf 3,29% bei Schuhen inklusive Strumpfwaren und könnten daher aus dem Ansparbetrag aus dem Regelbedarf erbracht werden (BSG, Urteil vom 23.03.2010 – B 14 AS 81/08 R).

Auf die mündliche Verhandlung am 09.10.2013, in der die vier Klagen betreffend die Leistungszeiträume 01.06.2011 bis 31.05.2013 gemeinsam verhandelt und entschieden worden sind, hat das Sozialgericht Chemnitz am 09.10.2013 ein klageabweisendes Urteil erlassen. Dem Kläger stehe weder ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II als unabweisbarer laufender Bedarf noch nach § 21 Abs. 5 SGB II wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen zu. Die Neuregelung der Regelleistungen verstoße nach Entscheidungen des BSG nicht gegen das Grundgesetz. Der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II müsse wegen seines Härtefallcharakters neben dem Merkmal der Unabweisbarkeit auch erheblich sein, was nach Einholung des Sachverständigengutachtens bei einem durchschnittlichen Mehrbedarf von 6,50 EUR monatlich nicht der Fall sei, da dieser Betrag 1,8 % der 2011 einschlägigen Regelleistung ausmache. Dem Kläger sei zuzumuten, nach den preisgünstigsten Schuhen am Markt Ausschau zu halten, zumal er nach Auffassung der Kammer durchaus über die zur Internetnutzung notwendigen Kenntnisse verfüge. Unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R hat das Sozialgericht Chemnitz zudem einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung abgelehnt. Die Erkrankungen des Klägers seien mit Vollkost zu behandeln, die nicht unter § 21 Abs. 5 SGB II falle, denn es handele sich dabei nicht um eine spezielle Krankenkost. Die Vollkost sei aus der Regelleistung zu bestreiten.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 16.10.2013 zugestellte Urteil am 25.10.2013 Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Er leide neben den erwähnten Erkrankungen außerdem an Diabetes und Vitamin B12-Mangel. Aus den Ausführungen der Gutachterin sei zu erkennen, dass für eine gesunde Vollkosternährung Mehrausgaben anfielen, die durch den Beklagten zu tragen seien. Die teureren Schuhe und Bekleidungsstücke seien ebenfalls durch den Beklagen als Mehrbedarf zu finanzieren.

Auf Veranlassung des Senats hat die behandelnde Hausärztin Dr. C ... am 18.12.2017 Stellung genommen, im Zeitraum vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2013 hätten beim Kläger Hyperurikämie, Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus und ein Vitamin-B12-Mangel vorgelegen. Ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung sei deshalb nicht erforderlich. Vollkost sei ausreichend.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Chemnitz vom 09.10.2013 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 26.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2011 abzuändern, den Bescheid vom 28.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2012 abzuändern, den Bescheid vom 23.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2012 abzuändern und den Bescheid vom 18.10.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2013 und des Änderungsbescheides vom 21.05.2013 ebenfalls abzuändern und dem Kläger im Zeitraum vom 01.06.2011 bis 31.05.2013 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 75,00 EUR monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (3 Bände) und die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Chemnitz (SG) die Klagen mit Urteil vom 09.10.2013 abgewiesen. Dem Kläger stehen keine höheren als die mit Bescheiden vom 26.04.2011, 28.10.2011, 26.11.2011, 23.04.2012, 18.10.2012 und 24.11.2011 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.07.2011, 05.01.2012, 16.07.2012 und 21.01.2013 bewilligten Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum 01.06.2011 bis 31.05.2013 zu.

I.

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da der Wert der Beschwer über 750,00 EUR liegt. Der Kläger begehrt monatliche Mehrleistungen in Höhe von 75,00 EUR für die Zeit vom 01.06.2011 bis 31.05.2013, mithin insgesamt 1.800,00 EUR. Sie ist auch fristgemäß gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt. II.

Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat mit Urteil vom 09.10.2013 die Klagen zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II im Leistungszeitraum vom 01.06.2011 bis 31.05.2013.

1. Die gesamte Leistungsbewilligung an den Kläger in diesen Bescheiden – mit Ausnahme der Kosten für Unterkunft und Heizung als abtrennbarer, ausweislich der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen der Beteiligten, nicht in den Rechtsstreit einbezogener Streitgegenstand – ist im Berufungsverfahren zu prüfen, denn die Frage, ob dem Kläger ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 oder Abs. 6 SGB II zusteht, kann nicht isoliert neben der allgemeinen Leistungsbewilligung angefochten werden (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 23/14 R, Rn. 10). Der Kläger verfolgt sein Begehren in zulässiger Weise als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) weiter.

2. Der Kläger war im streitgegenständlichen Leistungszeitraum zwar leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), er war erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und war auch hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II), weil er über kein zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte.

a) Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II. Danach kann bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt werden. Das BSG hat im Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R, Rn. 12 dazu ausgeführt: "Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ( aufwändiger ) sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 21; BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 16; BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 15, jeweils mwN). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere Krankenkost muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein."

Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf ist beim Kläger nicht gegeben. Zwar sind die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen Hyperlipidämie, Hypertonie, Hyperurikämie, Diabetes mellitus und Vitamin-B12-Mangel gesundheitliche Beeinträchtigungen im Sinne eines regelwidrigen körperlichen Zustands. Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen machen jedoch keine besondere Ernährung erforderlich, deren Kosten höher sind als für Personen ohne entsprechende Einschränkungen.

Das BSG führt im zitierten Urteil vom 14.02.2013, in dem es um eine Laktoseintoleranz ging, zum krankheitsbedingten Ernährungsbedürfnis aus (Rn. 15): "Dazu ist zunächst zu überprüfen, welches besondere Ernährungsbedürfnis medizinisch, dh durch die Erkrankung, begründet ist. Insbesondere wenn ein besonderes Ernährungsbedürfnis abhängig von der Schwere der Erkrankung ausgelöst wird, sind die Erfordernisse an die besondere Ernährung im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Erst wenn feststeht, welches medizinisch begründete Ernährungsbedürfnis im Einzelfall besteht, kommt es darauf an, ob hierdurch auch höhere Kosten entstehen (dazu unter c)."

Die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie bedürfen diätetisch einer Vollkost. Das steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Stellungnahme von Dr. C ... vom 18.12.2017 fest. Dr. C ... darin für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, es liegt kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vor. Die Stellungnahme von Dr. C ... entspricht den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (4., neu erarbeitete Auflage 2014). Bei einer Hypertonie ist danach alleine der Verzicht auf das Zusalzen und das Vermeiden besonders salzreicher Speisen (z. B. Chips, Salzstangen, Würzmittel, Fertigsuppen, Salznüsse, bestimmte Konserven) erforderlich. Zudem ist Alkohol zu meiden. Bei einer Hyperlipidämie ist eine deutliche Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem von tierischen (wie in Wurst und Fleisch vorhandenen) erforderlich. Diese sind durch pflanzliche Fette mit vergleichsweise hohem Ballaststoff- und Kohlenhydratanteil auszutauschen. Bei Hyperurikämie ist eine purinsenkende Kost erforderlich. Insbesondere ist auf Innereien, Haut von Fischen, Geflügel und Schwein zu verzichten. Zudem ist der Fleischkonsum stark zu vermindern und es sind bestimmte Fischsorten (z. B. Sardellen und Ölsardinen) zu meiden. Auf Alkohol ist zu verzichten.

Das ergibt sich aus den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe. Darin wird unter Ziffer 3.1 davon ausgegangen, dass nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin u.a. bei den genannten Erkrankungen regelmäßig eine "Vollkost" angezeigt ist. Unter Vollkost ist dabei eine Kost zu verstehen, die den Bedarf an essenziellen Nährstoffen deckt, in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf berücksichtigt, Erkenntnisse der Ernährungsmedizin zur Prävention und auch zur Therapie berücksichtigt und in ihrem Zusammenhang den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist. Für die Erkrankungen des Klägers war bereits in den vorhergehenden Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 2008 "Vollkost" als medizinisch angemessene Ernährung erkannt worden, sodass ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsbedarf regelmäßig auszuschließen war. Eine fachliche Prüfung im Zuge der Erarbeitung der neuen Empfehlungen habe diese Auffassung bestätigt, sodass es nicht darauf ankommt, dass das SG in erster Instanz die neuen Empfehlungen aus dem Jahr 2014 noch nicht anwenden konnte.

Auch die nun in der Berufungsinstanz zusätzlich vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen Diabetes und Vitamin-B12-Mangel bedingen aus medizinischer Sicht keine andere Ernährungsform. Das ergibt sich zur Überzeugung des Senats ebenfalls aus der Stellungnahme von Dr. C ... vom 18.12.2017. Ihre Stellungnahme deckt sich auch diesbezüglich mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Danach gehört auch Diabetes mellitus zu den Krankheiten, die eine Vollkosternährung erfordern. Der Vitamin-B12-Mangel schließlich kann nur schwer mit einer entsprechenden vitaminreichen Ernährung ausgeglichen werden (vgl. www.vitaminb12.de/mangel/), erfordert deswegen auch keine besondere Ernährungsform, die kostenaufwändig ist, hat Dr. C ... zur Überzeugung des Senats festgestellt. Vielmehr kann die Behandlung eines Vitamin-B12-Mangels durch Einnahme von Vitamin-B12-Präparaten erfolgen.

Für eine im hier zu betrachtenden Einzelfall abweichende Beurteilung von der Orientierungshilfe der Empfehlungen des Deutschen Vereins sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Für ein medizinisch begründetes besonderes Ernährungsbedürfnis des Klägers lassen sich auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags zu seinem Ernährungsverhalten keine anderen Schlüsse ziehen.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Ein Mehrbedarf ist dann unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Einen solchen Mehrbedarf kann der Kläger hier wegen der besonderen Ausgaben für Schuhe und Strumpfwaren in Übergröße nicht geltend machen. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Urteil vom 09.10.2013 wird insoweit Bezug genommen. Zusätzlich weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3 zurück, wonach bis zum Zeitpunkt der Einführung zum 03.06.2010 eine Regelung fehlte, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsah. Eine solche Regelung ist aber nach Auffassung des BVerfG für denjenigen Bedarf erforderlich, der nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt werde, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Ein solcher Bedarf entsteht aber erst, wenn er so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Leistungsberechtigten gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Dies ist nach den Vorgaben des BVerfG angesichts der engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben.

Aufgrund der beim Kläger vorhandenen Schuhgröße handelt es sich bei dem Kauf von Schuhen um eine atypische Bedarfslage, denn dem Kläger ist es dann, wenn er sich aufgrund Verschleißes neue Schuhe kaufen muss, nicht möglich, diese zu einem durchschnittlichen Preis zu erstehen. Dem Kläger entstehen durch den Kauf von Schuhen und Strumpfwaren in Größe 50 H besondere Kosten, denn ein Erwerb ist mit Mehraufwendungen im Vergleich zu einem Kauf durchschnittlich großer Schuhe und Strumpfwaren verbunden. Wie die Gutachterin in erster Instanz festgestellt hat, sind für ein Paar Schuhe in Größe 50 H durchschnittlich 83,65 EUR zu zahlen, wohingegen ein Paar Schuhe in Normalgröße 42 für durchschnittlich 31,05 EUR zu erwerben sind. Auch der Kläger selbst hat im Verfahren durch Werbeangebote unterlegt mitgeteilt, dass ein Paar Schuhe in seiner Größe zwischen 80 und 90 EUR kosten. Es hat allerdings auch Angebote gegeben, die sich auf ca. 60 EUR beliefen. Der Bedarf des Klägers geht also dann, wenn er neue Schuhe braucht, über den Durchschnittsbedarf hinaus.

Es bestehen aber bereits Zweifel, ob der Bedarf des Erwerbs von Schuhen ein laufender Bedarf ist. Nach der Urteilsbegründung des BVerfG und der Gesetzesbegründung muss es sich um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf handeln. Für die Beurteilung der Regelmäßigkeit soll dabei auf den Bewilligungszeitraum (zum Zeitpunkt der Gesetzeseinführung und der Beurteilung des Bedarfs des Klägers in den Jahren 2011 bis 2013: sechs Monate) abgestellt werden. Um einen laufenden Bedarf handelt es sich daher dann, wenn er zumindest innerhalb der sechs Monate nicht nur einmalig, sondern mehrfach auftritt. Aber auch wenn die prognostische Möglichkeit besteht, dass der Bedarf im nächsten Bewilligungszeitraum erneut auftreten wird, kann von einem laufenden Bedarf ausgegangen werden. Bei dem Kauf von Schuhen ist im Regelfall nicht davon auszugehen, dass diese jedes halbe Jahr neu gekauft werden müssen. Auch wenn der Bedarf zum Kauf von jeweils einem Paar Winter-, Sommer und Hausschuhen nachvollziehbar erscheint, so ergibt sich daraus jedoch keine Notwendigkeit diese Schuhe jedes Jahr bzw. Halbjahr neu zu erwerben.

Der Bedarf des Klägers zum Erwerb neuer Schuhe in seiner speziellen Größe ist ungeachtet dessen nicht unabweisbar. Nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II ist ein unabweisbarer Bedarf insbesondere gegeben, wenn er nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Eine gewisse Erheblichkeit der besonderen Aufwendungen ist erforderlich. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zum Sozialhilferecht kann darauf abgestellt werden, dass es sich um eine Abweichung von nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang handeln muss (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 21/06 R). Wann diese "Geringfügigkeitsgrenze" überschritten ist, unterliegt einer Beurteilung im Einzelfall. Dauer und Häufigkeit des auftretenden Bedarfs werden dabei ebenso berücksichtigt werden müssen, wie die besonderen Umstände des Leistungsberechtigten.

Wie bereits das SG in seinem Urteil ausführt, kann hier von einer Erheblichkeit in diesem Sinne nicht ausgegangen werden. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten unter Darlegung der Vorgehensweise zur Umrechnung der konkreten Mehraufwendungen auf einen monatlichen Betrag Mehrkosten in Höhe von 5,61 EUR bis 11,71 EUR errechnet. Ihre Annahmen haben dabei auf einer Studie aus dem Jahr 2013 beruht, d.h. sie hat ihren Ergebnissen damals aktuelle Preisvergleiche zugrunde gelegt. Bereits aus der Höhe dieser Beträge, die der Kläger aufwenden müsste, um sich Schuhe seiner Größe zu beschaffen, lässt sich eine Erheblichkeit über der "Geringfügigkeitsgrenze" nicht ableiten. Wegen der weiteren Begründung zu den Anforderungen eines Preisvergleichs beim Schuhkauf durch den Kläger wird auf die Urteilsgründe des SG Bezug genommen. Ein Vergleich der Kaufpreise kann auch sinnvoll nur bei einer Herunterrechnung auf den Monatsbetrag erreicht werden, denn der erstrebte Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II wird ebenso monatlich gewährt.

An der Einschätzung des SG, dass die von der Sachverständigen errechneten Werte jedenfalls unterhalb der "Geringfügigkeitsschwelle" liegen, kann der Senat keine Fehler im dem Gericht zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraum erkennen.

Im Ergebnis kann vom Kläger erwartet werden, dass er den konkreten Bedarf zum Kauf von Schuhen in seiner Größe durch Leistungen aus dem ihm gewährten Regelbedarf deckt. Wie auch das SG bereits zutreffend zitiert hat, kann der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs. 6 SGB II (BT-Drs. 17/1465, S. 8 bis 9) entnommen werden, dass der atypische und überdurchschnittliche Mehrbedarf vorrangig durch alle verfügbaren Mittel, insbesondere auch durch Einsparmöglichkeiten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu decken ist. Dem Hilfebedürftigen ist es insoweit zumutbar, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen. Der Gesetzgeber geht ausdrücklich bei der Fallgestaltung "Bekleidung bzw. Schuhe in Über- oder Untergrößen" davon aus, dass grundsätzlich kein zu übernehmender zusätzlicher Mehrbedarf besteht. Besondere, davon abweichende Gründe, die zur Gewährung eines entsprechenden Mehrbedarfs führen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen und solche sind auch nicht ersichtlich.

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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