L 19 AS 423/18 B ER und L 19 AS 424/18 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 477/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 423/18 B ER und L 19 AS 424/18 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 14.03.2018 insoweit geändert, als dem Antragsteller zu 1) Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt und Rechtsanwältin B beigeordnet wird. Im Übrigen werden die Beschwerden der Antragsteller zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Mit ihren Beschwerden wenden sich die Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrags vom 31.01.2018 auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung eines Darlehens von mindestens 2033,24 EUR (Schriftsatz vom 30.01.2018) zum Ausgleich von Mietschulden und zur Abwendung des Wohnungsverlustes vor dem Hintergrund vermieterseitiger Kündigung wegen Zahlungsrückstandes und der Räumungsklage im Verfahren 201 C 00/17 des Amtsgerichts L sowie gegen die Ablehnung des zugleich gestellten Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 14.03.2018 den Erlass einer Regelungsanordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragsteller haben gegen den am 15.03.2018 zugestellten Beschluss am 16.08.2018 Beschwerde eingelegt und für diese Prozesskostenhilfe beantragt.

II.

Die zulässigen Beschwerden sind im tenorierten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

A. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer Regelungsanordnung ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

1. Die Antragsteller zu 2) bis zu 7) haben keinen Anordnungsanspruch auf Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II glaubhaft gemacht. Danach können Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen, also vorliegend der Antragsteller zu 1) als Mieter, können die Gewährung eines Darlehens zur Übernahme von Mietschulden beim Antragsgegner beantragen. Die Gewährung eines Darlehens zwecks Tilgung von Mietschulden an Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, die zivilrechtlich gegenüber dem Vermieter nicht zur Mietzahlung verpflichtet sind, sieht § 22 Abs. 8 SGB II nicht vor (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr. 80). Die Antragstellerin zu 2) (Ehefrau des Antragstellers zu 1) und die Antragsteller zu 4) bis 7) (deren minderjährige Kinder) sind nicht Partei des für die gemeinsam genutzte Wohnung geschlossenen Mietvertrages ab dem 01.12.2012 (Bl.352 VA) und daher zivilrechtlich gegenüber der Vermieterin auch nicht zur Zahlung eines Mietzinses verpflichtet.

2. Der Antragsteller zu 1) hat einen Anordnungsanspruch auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung eines Darlehens zwecks Tilgung der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II nicht glaubhaft gemacht. Denn die Übernahme der Mietschulden durch den Antragsgegner kann den Erhalt der Wohnung nicht dauerhaft sichern. Das zwischen dem Antragsteller zu 1) und der Vermieterin bestehende Mietverhältnis ist nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte spätestens durch den Ausspruch der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs seitens der Vermieterin mit Räumungsklage vom 20.12.2017 nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3a) und b) BGB wirksam beendet worden. Die Rechtmäßigkeit der Kündigung wird vom Antragsteller zu 1) auch nicht bestritten.

Die Übernahme der Schulden aus dem Mietverhältnis nach § 22 Abs. 8 SGB II kann die außerordentliche Kündigung des Mietvertrages nicht abwenden, da § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB nicht mehr zu Gunsten des Antragstellers zu 1) eingreift. Danach kann die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses mit Begleichung der Schulden abgewendet werden, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Eine Abwendung der spätestens in der Klageschrift vom 20.12.2017 erfolgten fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses ist aber auf Grundlage dieser Norm nicht mehr möglich. Die Klageschrift der Vermieterin auf Räumung der Wohnung vom 20.12.2017 im Verfahren 201 C 00/17 des Amtsgerichts L ist dem Antragsteller zu 1) am 16.01.2018 zugestellt worden. Die Zwei-Monats-Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB lief damit am Tag der Beschwerdeeinlegung, Freitag, dem 16.03.2016, fruchtlos ab.

Die Vermieterin ist nach ihren vorgelegten Erklärungen auch nicht bereit, nach Ausgleich des Mietrückstandes einen neuen Mietvertrag über die vom Antragssteller zu 1) und seinen Familienangehörigen genutzte Wohnung abzuschließen, also ein neues Mietverhältnis zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Nach Vorstehendem liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht vor (§§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ZPO).

B. Die Beschwerde der Antragsteller zu 2) bis zu 7) gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ist unbegründet. Die Beschwerde des Antragstellers zu 1) ist begründet.

Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit - neben weiteren Voraussetzungen - die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist. Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347). Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, indem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussicht für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dürfen dabei nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.12.2012 - 1 BvR 1263/11).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht ist in der Regel der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs, der dann gegeben ist, wenn der Antragsteller einen bewilligungsreifen Antrag vorgelegt (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10) und der Gegner nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat (Senatsbeschluss vom 23.12.2013 - L 19 AS 1814/13 B).

Zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesshilfegesuchs am 05.02.2018, dem Eingang der Stellungnahme des Antragsgegners, hat der Antrag der Antragsteller zu 2) bis zu 7) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 114 ZPO geboten. Ein Anordnungsanspruch auf Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II hat nicht bestanden. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesshilfegesuchs am 05.02.2018 hatte aber des Begehrens des Antragsstellers zu 1) auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs. 8 SGB II noch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach dem nachvollziehbaren Vortrag der Prozessbevollmächtigten in der Antragschrift war das Mietverhältnis spätestens mit Zugang der Räumungsklage wirksam gekündigt worden und der Erhalt der vom Antragsteller zu 1) angemieteten Wohnung konkret gefährdet.

Aufgrund der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses des Antragsstellers zu 1) zum 06.01.2018 war Hilfebedürftigkeit des Antragsstellers zu 1) i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II und damit ein Anspruch auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auszuschließen. Des Weiteren bestand nach dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten seinerzeit wahrscheinlich noch die Möglichkeit, durch Nachholung rückständiger Mietzahlungen z.B. durch die Vorlage einer Verpflichtungserklärung des Antragsgegners die auf Mietzahlungsverzug gestützte Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB unwirksam werden zu lassen.

§ 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB hat den Zweck, eine auf einen erheblichen Mietzahlungsverzug gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nachträglich ungeschehen zu machen und einem grundsätzlich leistungsfähigen Mieter so - auch im allgemeinen Interesse - seine Wohnung zu erhalten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 04.02.2015 - VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134). Die von einer sogenannten "Schonfristzahlung" ausgehende Rechtswirkung - nachträgliche Unwirksamkeit der Kündigung - tritt - was zumindest der Antragsgegner bzw. die Stadt L, Fachstelle Wohnen verkannt hat - unabhängig vom Willen des Vermieters ein, das Mietverhältnis fortzusetzen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.07.2010 - VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020).

Im Hinblick auf das bei der Wohnungssicherung eingeschränkte Ermessen des Antragsgegners (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R, BSGE 106, 190) und die konkrete Gefährdung der Wohnung einer siebenköpfigen Familie bestand daher weiterer Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II. Dies genügt für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO, zumal ein Anordnungsgrund im Hinblick auf die erhobenen Räumungsklage und die mit derer Zustellung angelaufene Zweimonatsfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB vorgelegen hat.

Der Antragsteller zu 1) ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande gewesen, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 115 ZPO), so dass ihm Prozesskostenhilfe für den erstinstanzlichen Rechtszug ratenfrei zu bewilligen und die zu seiner Vertretung bereite Rechtsanwältin beizuordnen ist.

Kosten des Beschwerdeverfahrens gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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