L 7 AS 2969/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 236/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2969/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Werden Leistungen nach dem SGB II beantragt, obliegt es dem Antragsteller, dem Leistungsträger Kontoauszüge vorzulegen. Der Leistungsträger nach dem SGB II ist berechtigt und verpflichtet, diese Kontoauszüge zur Akte zu nehmen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Zeit vom 1. Juli bis 3. Oktober 2016. Streitig ist, ob der Beklagte berechtigt ist, Kontoauszüge des Klägers zur Akte zu nehmen.

Der Kläger ist 1960 geboren und selbständig tätig. Im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I beantragte er am 11. Juni 2015 die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Der Beklagte bewilligte ihm vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2015 (Bescheid vom 15. Dezember 2015) und auf den Weiterbewilligungsantrag vom 22. Januar 2016 vorläufig Leistungen für Januar bis Juni 2016 (Bescheid vom 27. Januar 2016).

Am 27. Juli 2016 beantragte der Kläger erneut die Weiterbewilligung von Leistungen. Er trug dabei vor, dass Nachweise wie Kontoauszüge nur vorzulegen seien und nicht kopiert werden dürften. Dies sei datenschutzrechtlich nicht zulässig und verstoße gegen das Übermaßverbot. Das Gleiche gelte auch für Personalausweise, Krankenversicherungskarten et cetera. Die Vorlage entsprechender Nachweise setze daher eine Terminvereinbarung voraus.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2016 forderte der Beklagte den Kläger zur Vorlage u.a. der Kontoauszüge der letzten drei Monate lückenlos in Kopie bis zum 15. August 2016 auf. Wenn er bis zu diesem Termin nicht reagiere oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht würden, könnten die Geldleistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagt werden. Mit Schreiben vom 15. September 2016 forderte der Beklagte den Kläger auf, die Kontoauszüge der letzten drei Monate bis zum 2. Oktober 2016 lückenlos in Kopie vorzulegen. Anderenfalls könnten Geldleistungen ganz versagt werden.

Der Kläger brachte mit Schreiben vom 28. September 2016 vor, dass die Kontoauszüge der letzten drei Monate aus datenschutzrechtlichen Gründen nur zur Einsichtnahme und Prüfung vorzulegen, aber nicht zur Akte zu nehmen seien, von einzelnen klärungsbedürftigen Vorgängen abgesehen. Die Ablage in der Akte stehe einer elektronischen Speicherung gleich. Eine notwendige Datenerhebung gemäß § 67 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bedeute nicht automatisch, dass diese auch zu speichern seien. Grundsätzlich sei die Vorlage der Kontoauszüge zur Prüfung und Einsichtnahme geeignet, abschließend festzustellen, ob eine Bedürftigkeit vorliege. Soweit der Beklagte dieses Beweisangebot weiterhin durch Nichtgewährung eines Termins ablehne, befinde er sich im Annahmeverzug, der im Ergebnis dazu führe, dass ein berechtigter Leistungsbezug verhindert werde. Außerdem teilte er mit, dass er voraussichtlich ab 4. Oktober 2016 eine versicherungspflichtige Tätigkeit in einem anderen Bundesland aufnehmen werde. Somit ende sein Antrag vom 27. Juli 2016 auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 1. Juli 2016 am 3. Oktober 2016.

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 erinnerte der Beklagte den Kläger an die Aufforderung zur Mitwirkung vom 15. September 2016 und forderte den Kläger erneut u.a. zur Vorlage der Kontoauszüge der letzten drei Monate lückenlos in Kopie auf. Er setzte eine Frist bis zum 21. Oktober 2016 und wies auf die Möglichkeit, dass andernfalls Geldleistungen ganz versagt werden könnten, hin.

Der Kläger reagierte hierauf nicht.

Mit Bescheid vom 7. November 2016 versagte der Beklagte Leistungen ab dem 1. Juli 2016 ganz. Der Kläger habe trotz Aufforderung, die Kontoauszüge der letzten drei Monate lückenlos in Kopie vorzulegen, diese nicht vorgelegt. Es lägen keine Gründe vor, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden könnten. Die Vorlage von Kontoauszügen zur Einsicht sei eine rechtmäßige Erhebung von Daten nach § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Aufbewahrung der Kontoauszüge im Original oder in Kopie in der Verwaltungsakte sei eine rechtmäßige Speicherung von Daten nach § 67c SGB X. Die Aufbewahrung der Kontoauszüge sei zunächst erforderlich, um die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu überprüfen. Die Kontoauszüge seien sorgfältig auf Einkommen, Vermögen und Bedarf zu prüfen. Eine kurze Einsichtnahme genüge dafür nicht. Für Kontoauszüge, die Einnahmen enthielten, liege dies auf der Hand. Das anrechenbare Einkommen festzustellen, erfordere komplexe Berechnungen. Aber auch Kontoauszüge, die kein anrechenbares Einkommen aufwiesen, seien leistungserheblich. Der Bedarf, insbesondere Miethöhe und Betriebskosten der Unterkunft, ließen sich teilweise aus den Kontoauszügen ablesen. Länger dauernde Ausgaben könnten zu anrechenbarem Vermögen führen. Die Kontoauszüge der letzten Monate könnten Anlass für eine Direktüberweisung der Unterkunftskosten an den Vermieter nach § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II geben. Aus Kontoauszügen ablesbares unwirtschaftliches Verhalten könne zu einer Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 SGB II führen. Kontoauszüge seien somit eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und als solche zur Verwaltungsakte zu nehmen. Nach Abwägung des Sinns und Zwecks der Mitwirkungsvorschriften mit dem Interesse des Klägers an den Leistungen sowie dem öffentlichen Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit würden die Leistungen ganz versagt.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 Widerspruch, ohne diesen zu begründen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 2016 zurück. Der Widerspruchsführer sei wiederholt aufgefordert worden, die lückenlosen Kontoauszüge der letzten drei Monate in Kopie vorzulegen. Sämtliche Schreiben hätten eine vollständige und verständliche Belehrung über die Rechtsfolgen, die einträten, wenn er diesen Pflichten zur Mitwirkung nicht nachkomme, enthalten. Die Vorlage von Kontoauszügen sei erforderlich, weil ohne sie der Leistungsanspruch nicht festgestellt werden könne. Kontoauszüge seien ein geeignetes Mittel zur Aufklärung der Einkommens- und Vermögenssituation eines Antragstellers. Die Aufforderung zur Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate sei rechtlich unbedenklich. Auch die Aufbewahrung der Kontoauszüge in der Akte sei rechtlich zulässig. Die erforderliche Ermessensentscheidung liege vor. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Interessen des Klägers seien angemessen berücksichtigt worden. Anhaltspunkte, die ein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Zahlung des Arbeitslosengeldes II gegenüber den Interessen der Allgemeinheit rechtfertigten, lägen nicht vor. Der Kläger habe auch keine benannt. Auch die Tatsache, dass er ab dem 4. Oktober 2016 wohl eine Tätigkeit aufgenommen habe und der Bewilligungszeitraum nun den Zeitraum 1. Juli bis 3. Oktober 2016 umfasse, ändere hieran nichts.

Hiergegen hat der Kläger am 30. Januar 2017 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und ursprünglich neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide auch die Verurteilung des Beklagten zur Leistungserbringung beantragt. Er habe bis heute keinen Termin beim Beklagten erhalten, um offene Fragen zu klären und fehlende Unterlagen vorzulegen. Bei dem Beklagten sei es ohne Termin grundsätzlich nicht möglich, Unterlagen persönlich abzugeben und eine Eingangsbestätigung zu erhalten. Er habe einmal im Oktober 2015 an einem Freitag eine halbe Stunde vor Dienstschluss versucht, ein Dokument in Kopie abzugeben. Die zuständige Mitarbeiterin habe ihn sofort aus dem Dienstzimmer verwiesen und sei nicht bereit gewesen, das Dokument oder eine Erklärung entgegenzunehmen. Das nahezu durchgängig unfreundliche Personal in R. und in der Außenstelle M. sei nicht gewillt, Unterlagen entgegenzunehmen. Vielmehr werde man als Antragsteller genötigt, den Briefkasten an der Außenseite des Gebäudes zu nutzen. Mitgebrachte Unterlagen müssten also im Jobcenter kuvertiert und dann während der ganz normalen Öffnungszeiten außen in den Briefkasten eingeworfen werden. Effizientes Arbeiten einer Behörde sehe anders aus. Durch die perfide Vorgehensweise des Beklagten, einerseits Aufforderungen zur Mitwirkung zu versenden und andererseits keinen Termin zur Vorlage eben dieser angeforderten Unterlagen zu gewähren, sei eine abschließende Bearbeitung seines Antrages zielgerichtet verhindert worden. Anschließend seien die Leistungen versagt worden, obwohl die Voraussetzungen für den Leistungsbezug zweifelsfrei vorgelegen hätten. Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vom 29. Mai 2017 hat der Kläger erklärt, lediglich eine Anfechtungsklage führen zu wollen.

Der Beklagte ist der Klage unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Juni 2017 abgewiesen. Die Klage sei nicht begründet. Das SG hat auf die "zutreffenden Gründe" im Widerspruchsbescheid verwiesen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass der Beklagte vom Kläger die Vorlage der Kontoauszüge und ebenso eine Dokumentation dieser Kontoauszüge in Kopie in den Verwaltungsakten verlangen dürfe. Datenschutzrechtliche Gründe oder das Übermaßverbot stünden dem nicht entgegen. Das SG hat auf seinen gegenüber den Beteiligten ergangenen Beschluss vom 23. August 2016 (S 7 AS 2004/16 ER; bestätigt durch Beschluss des Senats vom 24. Oktober 2016 – L 7 AS 3615/16 ER-B – n.v.) verwiesen. Gesichtspunkte, von der darin vertretenen Auffassung abzurücken, ergäben sich für die Kammer aus dem weiteren Verfahren und insbesondere aus dem weiteren Vorbringen des Klägers nicht. Die Ausführungen des Klägers zur Terminvergabe beim Beklagten seien für die Entscheidung irrelevant, da der Kläger angekündigt habe, auch im Rahmen eines Termins die ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen (Gestattung der Dokumentation der Kontoauszüge in den Verwaltungsakten des Beklagten) zu verweigern.

Gegen den ihm am 28. Juni 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25. Juli 2017 beim SG Berufung eingelegt. Er würde in einem Termin die ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen, also die Vorlage vollständiger Kontoauszüge, erbringen. Er wende sich gegen die Dokumentation der gesamten Kontoauszüge mittels Fotokopien in der Akte des Beklagten. Er habe Mitwirkungspflichten daher nicht verletzt. Er sei nicht verpflichtet, eine unbeschränkte Dokumentation durch Fotokopien zu dulden. Das Gesetz fordere lediglich die Einsichtnahme und die Prüfung. Dies gewähre er ohne Einschränkung. Er sei nicht verpflichtet, jegliche Dokumentation zu ermöglichen, insbesondere da dies auch unter keinem Vorbehalt gestellt werde und es keine Regelungen gebe, die der Beklagte ihm hätte aufzeigen können, wann, wie und wo die Dokumentation verbleibe und ob und wann diese vernichtet werde. Auch nicht durchgreifend sei das vorgebrachte Argument, dass man alle Unterlagen wegen etwaiger Rückforderungen in der Akte dokumentieren müsse. Es sei zudem darauf hinzuweisen, dass die Bescheide vorläufiger Natur gewesen seien. Die Leistungsbewilligung habe daher sowieso unter dem Vorbehalt der Überprüfung gestanden. Überprüft worden seien regelmäßig die selbständigen Tätigkeiten. Auch hierzu habe er alle Mitwirkungshandlungen erbracht. Im Übrigen habe es auch kein mögliches Folgeverfahren gegeben, da er ja anschließend keinerlei Leistungen mehr erhalten habe. Insofern wäre die Datenspeicherung auch völlig unzulässig gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juni 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Dezember 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest. Er verweist auf die angefochtenen Bescheide und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da sich der Kläger gegen die Versagung von Leistungen von mehr als 750,00 Euro wendet (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), nämlich gegen die Versagung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 1. Juli bis 3. Oktober 2016. Dabei geht es nach Darstellung des Klägers um den Regelsatz (dieser betrug im Jahr 2016 für alleinstehende Personen 404,00 Euro monatlich), Miet- und Heizkosten in Höhe von 180,00 Euro monatlich sowie (nicht bezifferte) Krankenkassenbeiträge, so dass insgesamt ein Betrag von 750,00 überschritten ist.

2. Die Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 7. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2016 ist rechtmäßig.

a) Allein diese Bescheide sind zulässiger Streitgegenstand. Soweit der Kläger im Klageverfahren ursprünglich noch die Verurteilung des Beklagten, ihm Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, begehrt hat, hat der Kläger diese Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) bereits erstinstanzlich zurückgenommen (§ 102 Abs. 1 SGG). Damit hat er zu Recht dem Umstand Rechnung getragen, dass mit dem hier vorliegenden Bescheid nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht über den materiellen Anspruch entschieden wurde, sondern über Pflichten des Antragsstellers im Verwaltungsverfahren (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 4/02 R – juris Rdnr. 12); § 54 Abs. 4 SGG ist hier nicht anwendbar (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 SB 3/13 R – juris Rdnr. 11), weswegen der Kläger ein Leistungsbegehren im vorliegenden Verfahren nicht zulässigerweise geltend machen konnte (vgl. dazu – und zu den hier nicht vorliegenden Ausnahmen – Urteil des Senats vom 22. September 2016 – L 7 AS 3613/15 – juris Rdnr. 17).

b) Die streitgegenständlichen Bescheide finden ihre Grundlage in § 66 Abs. 1 SGB I. Die Regelungen der §§ 60 ff. SGB I gelten auch im Anwendungsbereich des SGB II (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 13 f.; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 42/12 R – juris Rdnr. 14).

aa) Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der Leistungsträger, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Zu den Mitwirkungspflichten gehört die Pflicht des Antragstellers und Beziehers von Sozialleistungen, die Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I), sowie Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I). Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist (§ 66 Abs. 3 SGB I).

bb) Diese Voraussetzungen für eine Leistungsversagung lagen hier vor.

(1) Der Beklagte hat den Kläger mehrmals, zuletzt mit Schreiben vom 4. Oktober 2016, das diesem unstreitig zugegangen ist, aufgefordert, Kopien seiner Kontoauszüge der letzten drei Monate lückenlos in Kopie bis zum 21. Oktober 2016 vorzulegen. Der Kläger ist zugleich darauf hingewiesen worden, dass die begehrte Leistung wegen fehlender Mitwirkung versagt werden kann, wenn er seiner Mitwirkungspflicht nicht binnen der gesetzten Frist nachkommt.

Der Kläger war zur Vorlage der Kontoauszüge seines eigenen Kontos auch verpflichtet (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 13 ff.; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 12 ff.). Bei den Kontoauszügen handelt es sich um Beweismittel bzw. Beweisurkunden im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 15). Die in den Kontoauszügen enthaltenen Daten geben Aufschluss über die Höhe der Ein- und Ausgänge, das Buchungsdatum, den Empfänger bzw. Absender der Buchung und im Regelfall auch über den Grund des Ein- bzw. Ausgangs der Zahlung (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 15). Dabei kann der Senat offenlassen, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger zur Vorlage der Kontoauszüge verpflichtet war. Jedenfalls die Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate zu verlangen, ist nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 16).

Die Pflicht bzw. Obliegenheit zur Vorlage der Kontoauszüge der letzten drei Monate ist auch nicht durch § 65 SGB I begrenzt. Nach § 65 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Bei den vom Kläger begehrten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt es sich um bedarfsabhängige Leistungen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 9 SGB II), die nur demjenigen erbracht werden, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Zur Prüfung dieser Voraussetzungen kann die Vorlage auch von Kontoauszügen verlangt werden. Im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems, das strikt an die Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger als Anspruchsvoraussetzung anknüpft, stellt es keine unzumutbare und unangemessene Anforderung dar, Auskunft über den Bestand an Konten und die Kontenbewegungen (durch die Vorlage von Kontoauszügen) zu geben (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 16). Dies gilt auch für den Fall, dass der Betroffene schon Leistungen bezogen hat und Grundsicherungsleistungen für Folgezeiträume geltend macht (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 16). Angesichts der Vielfalt jederzeit möglicher Änderungen gibt es für eine differenzierende Beurteilung der Vorlagepflicht keinen Grund.

Ein konkreter Verdacht des Leistungsmissbrauchs ist für die Vorlagepflicht nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 19; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 18; Landessozialgericht [LSG] Bayern, Urteil vom 14. November 2017 – L 11 AS 368/17 – juris Rdnr. 18). Eine solche Voraussetzung kann dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I nicht entnommen werden. Auch aus § 65 SGB I kann keine Einschränkung der Mitwirkungsobliegenheit dahingehend abgeleitet werden, dass nur bei einem konkreten Verdacht jeweils die Vorlage von bestimmten Beweisurkunden vom Sozialleistungsempfänger gefordert werden könnte. Die Mitwirkungsobliegenheiten der §§ 60 ff. SGB I bestehen unabhängig vom Vorliegen von Verdachtsmomenten gegen den Leistungsempfänger. Die vom Kläger geforderten Unterlagen sind von ihm schließlich auch nicht unverhältnismäßig schwer beizubringen; etwas anderes behauptet der Kläger auch nicht. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich der Beklagte die vom Kläger gewünschten Informationen auf leichtere Weise beschaffen könnte (vgl. dazu näher BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris Rdnr. 19)

Die Vorlagepflichten des Klägers im Rahmen seiner generellen Obliegenheitspflichten gemäß § 60 SGB I werden auch durch die Regelungen des Sozialdatenschutzes nicht grundsätzlich eingeschränkt. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis).

Eine Einschränkung der Mitwirkungspflichten des Klägers ist nicht den §§ 50 ff. SGB II zu entnehmen. §§ 50 ff. SGB II enthalten zwar bereichsspezifische Datenschutznormen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende, die den allgemeinen Vorschriften des Sozialdatenschutzes der §§ 67 ff. SGB X vorgehen (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 22). § 51b SGB II in der hier anzuwendenden, seit dem 1. April 2011 geltenden Fassung regelt indes nur die Datenerhebung zum Zwecke der Übermittlung an die Bundesagentur für Arbeit zum Aufbau eines einheitlichen Informationssystems (Harich in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 51b Rdnr. 1) und damit einen speziellen Teilbereich (O`Sullivan in Estelmann, SGB II, § 51b Rdnr. 5 [Dezember 2016]; Wagner in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 51b Rdnr. 32), der hier nicht einschlägig ist, so dass jenseits dessen die allgemeinen Regelungen der §§ 67a SGB X ff. anwendbar sind (BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 3/15 R – juris Rdnr. 22; Harich in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 51b Rdnr. 1; O`Sullivan in Estelmann, SGB II, § 51b Rdnr. 5 [Dezember 2016]; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 51b Rdnr. 8 [Dezember 2017] m.w.N.), und deshalb für die Frage der Vorlagepflicht von Kontoauszügen hierauf abzustellen ist.

Nach § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X ist das Erheben von Sozialdaten (§ 67 Abs. 5 SGB X) durch in § 35 SGB I genannte Stellen zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist. Dies ist hier der Fall, soweit die Einnahmeseite betroffen ist. Wie oben bereits zu § 65 SGB I ausgeführt, ist die Vorlage der Kontoauszüge (ebenso wie die Kenntnis sämtlicher Konten) erforderlich, um die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit des Grundsicherungsempfängers zu ermitteln und zu überprüfen (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 23).

Allerdings gilt dies nach der Rechtsprechung des BSG nicht in vollem Umfang für die Ausgabenseite, das heißt für die Frage, wofür der Grundsicherungsempfänger seine begrenzten Mittel verwendet (zum Folgenden BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 24). Nach § 67a Abs. 1 Satz 2 SGB X ist für besondere Arten personenbezogener Daten gesondert zu prüfen, ob deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgabe der erhebenden Stelle erforderlich ist. § 67 Abs. 12 SGB X nennt als besondere Arten personenbezogener Daten Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben. Für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Grundsicherungsträgers – Sicherung des Lebensunterhalts und Eingliederung in Arbeit (vgl. § 1 Abs. 3 SGB II) – ist es nicht erforderlich, dass dieser Kenntnis über das Ausgabeverhalten der Grundsicherungsempfänger in den in § 67 Abs. 12 SGB X genannten Bereichen erlangt. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Adressaten/Empfänger der Zahlungen. Geht etwa aus den Empfängerangaben hervor, dass der Grundsicherungsempfänger Beiträge an eine politische Partei, Gewerkschaft oder Religionsgemeinschaft überweist, so ist die Kenntnis der jeweils begünstigten Partei, Religionsgemeinschaft etc. für die Aufgaben des Grundsicherungsträgers grundsätzlich irrelevant. Allerdings muss im Hinblick auf die Regelungen in § 31 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, § 34 SGB II, die Sanktionen und Ersatzansprüche bei unwirtschaftlichem Verhalten des Hilfebedürftigen vorsehen, gewährleistet bleiben, dass die vom jeweiligen Grundsicherungsempfänger überwiesenen Beträge der Höhe nach erkennbar bleiben. Geschützt ist mithin nur die Geheimhaltung des Verwendungszwecks bzw. des Empfängers der Überweisung, nicht deren Höhe. Würde sich aus den insoweit geschwärzten Kontoauszügen eines Leistungsempfängers ergeben, dass in auffälliger Häufung oder Höhe Beträge überwiesen werden, so ist im Nachfolgenden jeweils im Einzelfall zu entscheiden, inwieweit ausnahmsweise nicht doch eine Offenlegung auch des bislang geschwärzten Adressaten gefordert werden kann.

Die Pflicht zur Vorlage der Kontoauszüge erschöpft sich – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht darin, diese dem zuständigen Sachbearbeiter zur ad-hoc-Einsicht vorzulegen, sondern – nur dies ist zwischen den Beteiligten streitig – umfasst auch die Pflicht, die Kontoauszüge oder Kopien derselben (ggf. mit den oben dargestellten zulässigen Schwärzungen) dem Leistungsträger zu überlassen (so auch LSG Bayern, Beschluss vom 14. November 2013 – L 7 AS 579/13 B ER – juris Rdnr. 17 ff.; LSG Bayern, Beschluss vom 21. Mai 2014 – L 7 AS 347/14 B ER – juris Rdnr. 16 ff.; LSG Bayern v. 15. September 2015 – L 16 AS 523/15 B ER – juris Rdnr. 28; vgl. auch BSG, Beschluss vom 21. Februar 2017 – B 4 AS 379/16 B – juris Rdnr. 6; BSG, Beschluss vom 8. März 2017 – B 4 AS 449/16 B – juris Rdnr. 7; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. März 2015 – L 31 AS 2974/14 – juris Rdnr. 18 ff.). Die entsprechende Speicherung von Sozialdaten beruht auf § 67c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGB X. Gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X ist das Speichern von Sozialdaten zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit liegenden gesetzlichen Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben worden sind. Gemäß § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X dürfen diese Daten auch für andere Zwecke gespeichert werden, wenn sie für die Erfüllung von Aufgaben nach anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs erforderlich sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn der Leistungsträger ist verpflichtet, die Kontoauszüge zur Akte zu nehmen. Er ermittelt die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die ihm dabei zur Kenntnis gelangten Tatsachen hat er aktenkundig zu machen. Dies folgt auch aus dem Gebot der Aktenvollständigkeit. Bei Rechtsvorgängen, die sich – wie der Bezug von Sozialleistungen – meist über längere Zeit erstrecken, ist die den Behörden nach dem Grundgesetz obliegende Vollziehung der Gesetze nicht ohne eine Dokumentation der einzelnen Verwaltungsvorgänge denkbar, die das bisherige sachbezogene Geschehen sowie mögliche Erkenntnisquellen für das zukünftig in Frage kommende behördliche Handeln enthält (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 u.a. – juris Rdnr. 2 zur Ausländerakte; Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 16. März 1988 – 1 B 153/87 – juris Rdnr. 10 zum Melderecht). Erst derartige schriftliche Akten gestatten der vollziehenden Gewalt eine fortlaufende Kenntnis aller für sie maßgeblichen Umstände ohne Rücksicht darauf, ob aus innerorganisatorischen Gründen oder wegen der Zuständigkeitsbegründung einer anderen Behörde ein neuer Bediensteter, der kein eigenes Wissen über die Vorgeschichte besitzt, mit der Bearbeitung der Sache betraut wird (BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 u.a. – juris Rdnr. 2). Zudem können Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen und vollständigen Aktenführung zu einer Umkehr der Beweislast führen (Oberverwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 18. Dezember 2013 – S3 A 205/12 – juris Rdnr. 81 m.w.N.).

Die Pflicht zur Aktenführung soll den Geschehensablauf wahrheitsgetreu und vollständig dokumentieren und dient damit in zweifacher Weise der Sicherung gesetzmäßigen Verwaltungshandelns (BVerwG, Beschluss vom 16. März 1988 – 1 B 153/87 – juris Rdnr. 11 – auch zum Folgenden). Die Dokumentation soll den Geschehensablauf so, wie er sich ereignet hat, in jeder Hinsicht nachprüfbar festhalten. Sie soll hierbei nicht lediglich den Interessen der Beteiligten oder der entscheidenden Behörde dienen, sondern auch die Grundlage für die kontinuierliche Wahrnehmung der Rechts- und Fachaufsicht und für die parlamentarische Kontrolle des Verwaltungshandelns bilden. Damit wirkt die Pflicht zur wahrheitsgetreuen und vollständigen Aktenführung zugleich auch präventiv insofern auf das Verwaltungshandeln ein, als sie die Motivation zu allseits rechtmäßigem Verwaltungshandeln stärkt und rechtswidriges Verwaltungshandeln erschwert. Diese Sicherung gesetzmäßigen Verwaltungshandelns durch wahrheitsgetreue und vollständige Aktenführung dient auch dem Schutz derjenigen Beteiligten, deren persönliche Daten in den Akten festgehalten sind und über die die Akten gegebenenfalls Nachteiliges oder Belastendes auch enthalten; sie werden durch die wahrheitsgetreue und vollständige Dokumentation des Geschehensablaufs in der dargelegten Weise vor nicht rechtmäßigem Verwaltungshandeln geschützt.

Die Pflicht zur Führung wahrheitsgetreuer und vollständiger Akten kann ihre präventive und ihre nachträgliche Sicherungsfunktion nur entfalten, wenn die Akten so lange aufbewahrt werden, dass sie ihre Nachweisfunktion im Bedarfsfall tatsächlich erfüllen können (BVerwG, Beschluss vom 16. März 1988 – 1 B 153/87 – juris Rdnr. 12 – auch zum Folgenden). Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass sie zur Vermeidung von Verletzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung schon dann vernichtet werden müssten, wenn kein Beteiligter mehr aktuelle Ansprüche gegen die Behörde erheben und diese die Akten nicht mehr zur Grundlage von aktuellen Maßnahmen gegen einen Beteiligten oder zugunsten eines Beteiligten machen könnte.

Die Aktenführung liegt damit zugleich im wohlverstandenen Interesse des betroffenen Einzelnen, der nur auf der Grundlage möglichst vollständiger Erfassung aller rechtlich erheblichen Tatsachen seinen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf angemessene Behandlung seiner Angelegenheit durch die zuständigen Behörden – und gegebenenfalls durch die Gerichte – mit Erfolg geltend machen kann (BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 u.a. – juris Rdnr. 2). Ist – wie hier – die Datenerhebung rechtmäßig, so kann Rechtsfolge nur die Aufnahme der erlangten Kenntnisse in die Akten sein (BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 u.a. – juris Rdnr. 3). Denn die Leistungsakten sind, wie schon erwähnt, die Grundlage allen weiteren behördlichen Handelns und müssen daher vollständig sein, soll die Behörde ihrer aus der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Pflicht zur Objektivität nachkommen können (BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 u.a. – juris Rdnr. 3). Die Pflicht der Behörden zur vollständigen Aktenführung steht auch die Entfernung aus den Akten entgegen, wenn sie erst einmal rechtmäßig dort hingelangt sind (BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 u.a. – juris Rdnr. 4).

Dies folgt im vorliegenden Kontext auch aus folgenden Gesichtspunkten: Die Kontoauszüge bilden nicht nur die Grundlage für den Erlass des den Leistungsantrag bescheidenden Verwaltungsaktes; schon deshalb wäre die Aufbewahrung mindestens bis zum Ablauf des jeweiligen Bewilligungszeitraumes bzw. der Bestandskraft des Bescheides, falls dieser Zeitpunkt erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes eintritt, erforderlich. Eine lediglich kurze Einsichtnahme würde die sorgfältige Prüfung ohnehin nicht ermöglichen (LSG Bayern, Beschluss vom 21. Mai 2014 – L 7 AS 347/14 B ER – juris Rdnr. 19). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass in der Vergangenheit die Leistungsbewilligungen wegen des schwankenden Einkommens des Klägers aus selbständiger Tätigkeit nur vorläufig erfolgt sind, also auch nach Bestandskraft des Bescheides schon wegen ihrer Vorläufigkeit unter dem Vorbehalt der Überprüfung stehen (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 SGB III; seit dem 1. August 2016 § 41a SGB II). Mit Blick auf die Möglichkeit, auch bestandskräftige Bescheide nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X zu überprüfen und diese Überprüfung ggf. auch einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, reicht die Notwendigkeit, die Kontoauszüge in den Akten zu belassen, in zeitlicher Hinsicht aber noch darüber hinaus (so auch LSG Bayern, Beschluss vom 21. Mai 2014 – L 7 AS 347/14 B ER – juris Rdnr. 21). Eine Vernichtung von Akten kann deshalb nur für einen Zeitpunkt in Betracht gezogen werden, in dem mit Sicherheit feststeht, dass die Akten ihre die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sichernde Dokumentationsfunktion nicht mehr erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 16. März 1988 – 1 B 153/87 – juris Rdnr. 13). Ob und wann (LSG Bayern, Beschluss vom 21. Mai 2014 – L 7 AS 347/14 B ER – juris Rdnr. 21, und LSG Bayern, Beschluss vom 15. September 2015 – L 16 AS 523/15 B ER – juris Rdnr. 28, verweisen auf den Zeitraum von zehn Jahren für Ersatzansprüche nach §§ 34, 34a SGB II und die Erbenhaftung gemäß § 35 SGB II; kritisch dazu Ziebarth, NZS 2015, 569 [571 f.]) ein Anspruch auf Entfernung der Kontoauszüge aus der Akte besteht, muss der Senat hier nicht entscheiden; entgegen der Darstellung des Klägers besteht hierfür mit § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB X aber grundsätzlich eine Anspruchsgrundlage.

Ob der Umstand, dass der Beklagte den Kläger in den Mitwirkungsaufforderungen nicht auf die grundsätzliche Möglichkeit der Schwärzung bestimmter Angaben (siehe oben) hingewiesen hat, zur Rechtswidrigkeit der Aufforderung führt, hat das BSG ausdrücklich offengelassen (BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 28). Es kann auch im vorliegenden Verfahren dahinstehen, denn der Kläger hat sich von vornherein grundsätzlich geweigert, die Kontoauszüge bzw. Kopien derselben dem Beklagten zu überlassen; es ging ihm gerade nicht um den Schutz konkreter Daten (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R – juris Rdnr. 28).

(2) Der Kläger ist seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Er hat bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2016 die verlangten Kontoauszüge nicht vorgelegt. Es ist dem Kläger möglich und zumutbar, die Kontoauszüge oder Kopien derselben dem Beklagten per Post zu übersenden oder selbst vor Ort in den Briefkasten des Beklagten zu werfen; eine persönliche Vorsprache und entsprechend eine Terminvereinbarung ist hierfür nicht notwendig. Auf die Frage, ob der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nach Erlass des Widerspruchsbescheides nachgekommen ist, kommt es nicht an. Für die Beurteilung der angefochtenen Bescheide kommt es im Rahmen der vorliegenden, allein zulässigen isolierten Anfechtungsklage auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 SB 3/13 R – juris Rdnr. 19; Urteil des Senats vom 22. September 2016 – L 7 AS 3613/15 – juris Rdnr. 23 m.w.N.; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. März 2012 – L 10 AS 97/09 – juris Rdnr. 45; LSG Bayern, Beschluss vom 28. Juli 2015 – L 16 AS 118/15 – juris Rdnr. 28). Im Übrigen hat der Kläger aber auch wiederholt – auch im Berufungsverfahren – geäußert, dass er zur Vorlage der Kontoauszüge nicht bereit sei, sondern nur zur Einsichtnahme durch den Beklagten ohne die Möglichkeit, die Kontoauszüge oder Kopien derselben zur Akten zu nehmen.

(3) Der Beklagte hat auch das bei einer Entscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I auszuübende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Ausführungen zur Ermessensausübung sind zwar knapp gehalten. Sie lassen aber hinreichend erkennen, dass sich der Beklagte bewusst war, Ermessen ausüben zu müssen (vgl. Urteil des Senats vom 23. Februar 2017 – L 7 SO 2952/16 – n.v.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. März 2010 – L 12 AS 15/08 – juris Rdnr. 59), so dass dahinstehen kann, ob sogar von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X erforderliche Darlegung von Ermessensgesichtspunkten in einem Ermessensverwaltungsakt kein Selbstzweck ist, sondern voraussetzt, dass ernsthafte Ermessenserwägungen auch anzustellen waren, was in Fällen der vorliegenden Art gerade nicht der Fall ist (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. März 2012 – L 10 AS 97/09 – juris Rdnr. 66). Der Beklagte konnte mangels Mitwirkung des Klägers nicht feststellen, ob dieser hilfebedürftig ist. Auch ein alternativer Weg, das Vorliegen der Hilfebedürftigkeit zu überprüfen, kam nicht in Betracht. Gesichtspunkte, die im Rahmen der Ermessensausübung zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen wären, sind damit nicht erkennbar (vgl. Urteil des Senats vom 23. Februar 2017 – L 7 SO 2952/16 – n.v.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. September 2015 – L 13 AS 170/13 – juris Rdnr. 22). Insbesondere hat der Kläger außer seiner Rechtsauffassung zum Umfang seiner Mitwirkungspflichten auch keine Gesichtspunkte vorgetragen, aus welchen konkreten Gründen ihm die verlangte Mitwirkung nicht zuzumuten sei.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Bl. 179 der Akten des Beklagten. Der Kläger hat behauptet, dass in den dort zur Akte genommenen Dienstanweisungen der Beklagten angeordnet werde, dass die Kontoauszüge nur vorzulegen seien und dies durch Vermerk zu bestätigen sei, aber nur im Ausnahmefall Kopien anzufertigen seien. Indes handelt es sich bei der insofern in Bezug genommenen Tabelle entgegen der Darstellung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht um eine Dienstanweisung des Beklagten, sondern um eine vom Kläger selbst im Verwaltungsverfahren vorgelegte Tabelle, bei der es sich nach seiner damaligen Darstellung (Schreiben vom 28. September 2016) um Empfehlungen des Bundesdatenschutzbeauftragen handelt. Hierbei handelt es sich freilich lediglich um Meinungsäußerungen, die den Ermessensspielraum des Beklagten nicht berühren.

c) Schließlich begegnet die Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies gilt auch für die Speicherung der Kontoauszüge in den Akten; hiervon ist auch das BSG in seinem Urteil vom 19. September 2008 (B 14 AS 45/07 R – juris) ausgegangen (so ausdrücklich BSG, Beschluss vom 21. Februar 2017 – B 4 AS 379/16 B – juris Rdnr. 6; BSG, Beschluss vom 8. März 2017 – B 4 AS 449/16 B – juris Rdnr. 7). Zwar liegt in der Statuierung einer solchen Pflicht ein Eingriff in das sog. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht als Element des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (kritisch zu dieser normtextlichen Zuordnung etwa Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 [Juli 2001] Rdnr. 128; Höfling in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 1 Rdnr. 68) verortet (BVerfGE 65, 1 [41 ff.]; seither ständige Rechtsprechung, siehe etwa BVerfGE 80, 367 [373]; 100, 313 [358 f.]; siehe auch Hufen in Festschrift 50 Jahre BVerfG, Band 2, 2001, S. 105 [116 ff.]; Murswiek/Rixen in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rdnr. 72 f.) und das das Recht des Bürgers umfasst, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (BVerfGE 80, 367 [373]; BVerwGE 84, 375 [378]).

Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt nicht schrankenlos (BVerfGE 80, 367 [373]). Der einzelne hat kein Recht im Sinne einer absoluten uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten (BVerwGE 84, 375 [379]). Eingriffe in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechte sind vielmehr im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, das heißt hier aufgrund der Gesamtheit aller formell und materiell verfassungsmäßigen Normen zulässig (ständige Rechtsprechung, siehe nur BVerfGE 90, 145 [171 f.]; BVerwGE 84, 375 [379]; Höfling in Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 2 Rdnr. 67 [2000]), so dass letztlich ein einfacher Gesetzesvorbehalt vorliegt (Höfling in Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 2 Rdnr. 69 [2000]). § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I und § 67a Abs. 1 Satz 1, § 67c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB X stellen solche, formell und materiell verfassungsmäßige Normen dar, die damit taugliche Schranken des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind.

Freilich muss die Anwendung der Normen ihrerseits dem Übermaßverbot standhalten, also verhältnismäßig sein (zu diesem Grundsatz etwa Schlink in Festschrift 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 445 ff.). Der Betroffene muss Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, die durch überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt sind (BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 – 1 BvR 1737/09 – juris Rdnr. 3 m.w.N.) Es ist aber bereits im Kontext der einfachrechtlichen Situation dargelegt worden, dass die Vorlage der Kontoauszüge ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Erreichung eines legitimen Zweckes ist. Die Vorlagepflicht ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, weil sie für den Kläger auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Stellenwertes seiner Rechtsposition zumutbar ist. Das Ziel, von der Allgemeinheit finanzierte Leistungen nur an wirklich Hilfebedürftige auszuzahlen und die Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs stellen ein überwiegendes Allgemeininteresse (BVerfGE 80, 367 [373]) dar (vgl. BVerfGE 118, 168 [196]; BVerwGE 67, 163 [168]). Die Überprüfung der Leistungsberechtigung bei Sozialleistungen ist ein bedeutsamer Gemeinwohlbelang (BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 – 1 BvR 1737/09 – juris Rdnr. 3). Es widerspricht nämlich dem Gedanken des sozialen Rechtsstaates, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, mangels genügender Kontrolle auch in Fällen in Anspruch genommen werden können, in denen wirkliche Bedürftigkeit nicht vorliegt (BVerfGE 9, 20 [35]; BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 – 1 BvR 1737/09 – juris Rdnr. 3). Will jemand aus Steuermitteln finanzierte öffentliche Leistungen ohne eigenes Leistungsäquivalent erhalten, müsste er daher auch schwerwiegendere Eingriffe in sein informationelles Selbstbestimmungsrecht dulden, ohne dass dies gegen Verfassungsrecht verstößt. Die bloße Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen berührt aber bei weitem nicht den Kern der Intimsphäre, sondern stellt einen eher leichten Eingriff in den grundrechtlich geschützten Schutzbereich im Bereich der (bloßen) Privatsphäre dar (vgl. zu der vom BVerfG regelmäßig vorgenommen Unterscheidung zwischen Intim-, Privat- und Sozialsphäre ["Sphärentheorie"] Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 [Juli 2001], Rdnr. 157 ff. m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat sogar Tagebuchaufzeichnungen, die einen weitaus größeren privaten Charakter als Kontoauszüge haben, nicht dem "unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung" zugeordnet (BVerfGE 80, 367 [374 f.]).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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