L 16 KR 705/17 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 68 KR 1058/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 705/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 05.09.2017 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L bewilligt.

Gründe:

Die Klägerin wurde aufgrund vertragsärztlicher Verordnung vom 24.11.2014 wegen einer endokrinen Orbitopathie stationär vom 30.11.2014 bis 02.12.2014 im Universitätsklinikum F versorgt (Durchführung einer Oberlidfettresektion in Kombination mit einer Blepharoplastik). Die Beklagte, bei der die Klägerin gesetzlich krankenversichert ist, lehnte gegenüber dem Universitätsklinikum die Übernahme der Behandlungskosten i.H.v. 2579,64 EUR ab, weil es sich um eine kosmetische Operation gehandelt habe. Letztere nahm daraufhin die Klägerin unter anderem auf Zahlung dieser Behandlungskosten in Anspruch. Mit rechtskräftigem Urteil vom 20.09.2017 verurteilte das Amtsgericht F die Klägerin unter anderem zur Zahlung dieses Betrages, weil sich die Klägerin durch den mit dem Universitätsklinikum F geschlossenen Behandlungsvertrag wirksam verpflichtet habe, alle durch die Behandlung nach den jeweils geltenden Tarifen entstandenen Kosten zu tragen, soweit sie nicht eine Krankenkasse oder ein anderer Kostenträger übernimmt.

Mit Bescheid vom 11.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2017 lehnte die Beklagte auch gegenüber der Klägerin die Kostenübernahme aufgrund mehrerer Stellungnahmen des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ab.

Für die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Dortmund mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 05.09.2017 Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die Klägerin den so genannten Beschaffungsweg nicht eingehalten habe, indem sie der Beklagten vor Durchführung der Operation keine Gelegenheit zu einer Entscheidung gegeben habe.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin ist nicht in der Lage, die Kosten des Verfahrens auch nur teilweise zu tragen. Ihre Klage hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Diese besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung ausgeht (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 73a Rn. 7a m.w.N.). Da die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen, darf Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 m.w.N.).

Es kann weder als hinreichend in Rechtsprechung und Literatur geklärt angesehen werden, inwieweit eine Kostenerstattung bzw. ein Kostenfreistellungsanspruch im Rahmen stationärer Versorgung von einer vorherigen Entscheidung der Krankenkasse abhängt, wenn Versicherte und Krankenhaus nach vertragsärztlicher Verordnung übereinstimmend von einer notwendigen Krankenhausbehandlung im Sinne der §§ 27, 39 SGB V zu Lasten der zuständigen Krankenkasse ausgegangen sind, noch lässt sich nach dem bisherigen Ermittlungen im Verwaltungsverfahren feststellen, ob ein Sachleistungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten bestanden hat.

Allerdings trifft die Auffassung des Sozialgerichts grundsätzlich zu, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V, der als Lex spezialis Grundlage von Kostenerstattungsansprüchen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2007 - B 1 KR 14/07 R - juris), außer bei unaufschiebbaren Leistungen verlangt, dass die Entstehung der streitigen Kosten auf einer Leistungsablehnung der Krankenkasse beruht, woran es regelmäßig fehlt, wenn dieser erst nachträglich die Prüfung ihrer Leistungspflicht ermöglicht wird. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einer dem vorliegenden Sachverhalt entsprechenden Konstellation jedoch gleichwohl allein auf die Frage der Verpflichtung der Krankenkasse zur Erbringung der streitigen Behandlung als Sachleistung abgestellt, weil sich der/die Versicherte gerade innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Systems habe behandeln lassen wollen (Urteil vom 09.06.1998 - B 1 KR 18/96 R - juris Rn.14 ff.; dem folgend LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.02.2003 - L 5 KR 51/02 - juris). Trotz gewisser Modifikationen in der Rechtsprechung des BSG (vergleiche Urteil vom 02.11.2007 a.a.O.) erscheint es angezeigt, diese Ausnahme hier weiter anzuwenden.

Es trifft zwar zu, dass die Klägerin vor dem Krankenhausaufenthalt trotz entsprechendem Hinweis auf der Verordnung keinen Antrag bei der Beklagten auf Genehmigung der stationären Behandlung gestellt hat; sie hat sich aber bei grundsätzlich bestehendem Versicherungsschutz als Mitglied der Beklagten unter Vorlage ihrer Krankenversichertenkarte mit vertragsärztlicher Verordnung in die Behandlung des Universitätsklinikums begeben. Dies ist ausreichend für den erforderlichen Antrag nach § 19 Satz 1 SGB IV (vergleiche Becker in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl., § 39 Rn. 33). Die Verordnung selbst muss dabei nicht von der Krankenkasse vorab geprüft und genehmigt werden. Die Prüfung der Behandlungsnotwendigkeit und Kostenübernahme erfolgt grundsätzlich zwischen zugelassenem Krankenhaus und Krankenkasse.

Nach § 2 Abs. 1 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V vom 06.12.1996 (Landesvertrag NRW) wird Krankenhausbehandlung im Sinne des § 1 des Vertrages im Rahmen des Versorgungsauftrages durchgeführt, wenn sie - von Notfällen abgesehen - von einem an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt oder einer ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtung verordnet und nach Art und Schwere der Krankheit die medizinische Versorgung gemeinsam mit pflegerischer Hilfeleistung nur mit den Mitteln eines Krankenhauses möglich ist, weil ambulante vertragsärztliche Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 SGB V oder eine ambulante Operation nach § 115 b SGB V nicht ausreicht. Bei einem zur Krankenhausbehandlung eingewiesenen Patienten wird von einem Krankenhausarzt unter Berücksichtigung der Eignung des Krankenhauses gemäß Abs. 1 abgeklärt, ob und gegebenenfalls welche Art der Krankenhausbehandlung notwendig ist (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Landesvertrag NRW). Die Notwendigkeit der vollstationären Aufnahme ist unverzüglich von dem für die Behandlung verantwortlichen Krankenhausarzt überprüfen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Landesvertrag NRW).

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann von der Versicherten nicht erwartet werden, dass sie vor Durchsetzung ihres gesetzlichen Behandlungsanspruchs eine zusätzliche Genehmigung seitens ihrer Krankenkasse einholt. Ohne diese wird ihr lediglich die Gefahr aufgebürdet, dass sie bei einem fehlenden Behandlungsanspruch gegenüber der Beklagten vom Krankenhausträger in Anspruch genommen werden kann. Dagegen ist es nicht gerechtfertigt, im Fall einer Einstandspflicht der Krankenkasse und der rechtswidrigen Inanspruchnahme durch den Krankenhausträger die Überprüfung Ersterer unter Hinweis auf die Verletzung des Beschaffungsweges auszuschließen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Zivilgerichte - wie auch hier - lediglich eine sehr eingeschränkte Überprüfung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus(Träger) und Versicherten auf Grundlage der privatrechtlich geschlossenen Verträge vornehmen und nicht die Berechtigung Letzterer prüfen, solche Verträge überhaupt auf Grundlage der Vertragsbeziehungen zu den Krankenkassen schließen zu dürfen (vergleiche dazu BSG, Urteil vom 02.11.2007 a.a.O. Rn. 16). Allein der Umstand, dass die Versicherte einen solchen Vertrag geschlossen hat, vermag insoweit keine andere Beurteilung zu rechtfertigen, weil es zwischenzeitlich dem regelmäßigen Vorgehen der Krankenhäuser entsprechen dürfte, sich über entsprechende Behandlungsverträge abzusichern.

Etwas anderes wird dann zu gelten haben, wenn das Krankenhaus ärztlich die Notwendigkeit der Operation zur Behandlung einer Krankheit im Sinne der §§ 12, 27, 39 SGB V geprüft, gegenüber der Versicherten verneint oder in Frage gestellt und deshalb auf dem Abschluss des Behandlungsvertrag bestanden hat. Dafür bestehen hier allerdings nach der Aktenlage bisher keine Anhaltspunkte. Gleichwohl wird das Sozialgericht die Umstände des Vertragsschlusses zu prüfen haben. Gleiches gilt hinsichtlich der Notwendigkeit der operativen Versorgung der Klägerin. Die im Wesentlichen allein aufgrund voroperativ gefertigter Fotografien des Gesichts der Klägerin vorgenommene Beurteilung des MDK bildet insoweit keine ausreichende Beurteilungsgrundlage.

Angesichts dieser Sach- und Rechtslage ist der Klägerin Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zu gewähren.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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