L 32 AS 1105/17 B ER PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 148 AS 2448/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1105/17 B ER PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2017 aufgehoben. Dem Sozialgericht werden die weiteren Anordnungen zur Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übertragen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller hat vom Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorläufig Zahlung von 87,64 Euro für die Zeit vom 23. Februar 2017 bis 28. Februar 2017 und von 409 Euro monatlich für die Zeit vom 1. März 2017 bis 31. Mai 2017 begehrt.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2016 hatte der Antragsgegner dem im Februar 1987 geborenen Antragsteller Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis 31. März 2017, dabei ab Dezember 2016 in Höhe von 404 Euro monatlich (Regelbedarf) bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 18. Oktober 2016 hatte der Antragsgegner die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis 31. März 2017 vorläufig, dabei ab Dezember 2016 auf 736 Euro (Regelbedarf und Kosten für Unterkunft und Heizung) festgesetzt.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 teilte das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, beim Antragsgegner am 2. November 2016 eingegangen, mit, dass am 20. Oktober 2016 eine Klage gegen den Antragsteller auf Räumung der Wohnung Pstraße in B, gestützt auf Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges, eingegangen sei.

Am 16. Januar 2017 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er in die neue Wohnung Wstraße in B gezogen sei. Bei einem persönlichen Kontakt am 20. Januar 2017 verwies er auf massive finanzielle Probleme und seine problematische Wohnsituation. Am 6. Februar 2017 habe er einen Termin zur Ummeldung in die Wohnung seiner Mutter. Er legte das an ihn gerichtete Schreiben der Pflegekasse bei der AOK Nordost vom 1. Dezember 2016, mit dem er darüber informiert wurde, dass für ihn ab 20. November 2016 wegen seiner Pflegetätigkeit bei HD Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt würden, und das weitere an AG gerichtete Schreiben der Pflegekasse bei der AOK Nordost vom 10. Dezember 2016, mit dem ihr mitgeteilt wurde, dass H D ab 1. Januar 2017 Pflegegeld des Pflegegrades 5 in Höhe von 901 Euro pro Kalendermonat erhalte und sie ab diesem Zeitpunkt einen Entlastungsbetrag von bis zu 125 Euro pro Monat in Anspruch nehmen könne, der zweckgebunden unter anderem zur Entlastung privater Pflegepersonen einzusetzen sei, vor. Der Antragsteller teilte dazu mit, dass er sehr flexibel einsatzbereit sein müsse, um die Pflegetätigkeit durchzuführen.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2017 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass die Zahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorläufig ab Februar 2017 eingestellt würde: Der Antragsteller sei umgezogen. Unklar sei, wie hoch das Pflegegeld sei, das er erhalte, da er einen Verwandten pflege. Zugleich wurde er aufgefordert, bis 9. Februar 2017 einen Nachweis darüber, seit wann er die Pflegetätigkeit ausübe, und über die Höhe des erhaltenen Pflegegeldes sowie das Kündigungsschreiben des Vermieters vorzulegen.

Bei einer am 2. Februar 2017 erfolgten Vorsprache teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er seinen Bruder pflege, da seine Mutter aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage sei. Er überreichte mehrere Unterlagen. Die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt lehnte er ab; er wünsche sämtlichen Sachverhalt schriftlich zu klären. In seinem Weiterbewilligungsantrag vom 31. Januar 2017 gab er an, ab 6. Januar 2017 bei seiner Mutter A G in der Wstraße in B zu wohnen.

Mit Schreiben vom 6. Februar 2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zwecks Überprüfung, ob und inwieweit ein Anspruch auf Leistungen bestehe bzw. bestanden habe, auf, bis zum 23. Februar 2017 den Mietvertrag seiner Mutter, die aktuelle Betriebskostenabrechnung seiner Mutter, Nachweis über alle im Haushalt lebenden Personen (Meldebescheinigungen), Nachweis über das Einkommen aller im Haushalt lebenden Personen, Pflegegeldnachweis ab Beginn der Tätigkeit (der Nachweis liege erst ab 1. Januar 2017 vor) sowie die Geburtsurkunde von HD und seine Geburtsurkunde einzureichen.

Nach Eingang verschiedener Unterlagen erinnerte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 17. Februar 2017 daran, dass die Geburtsurkunde des Antragstellers in den eingereichten Unterlagen fehle, und bat um Einreichung bis zum 6. März 2017.

Mit dem am 23. Februar 2017 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, mit dem zugleich Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Unterlagen beantragt worden ist, begehrte der Antragsteller, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig für die Zeit vom 23. Februar 2017 bis 28. Februar 2017 Leistungen in Höhe von 87,64 Euro und für die Zeit vom 1. März 2017 bis 31. Mai 2017 Leistungen in Höhe von 409 Euro monatlich auszuzahlen.

Er trug vor, es seien alle Auflagen erfüllt worden. Trotzdem zahle der Antragsgegner keine Leistungen aus. Er erhalte kein Pflegegeld. Das Pflegegeld werde für den Lebensunterhalt seines Halbbruders verwendet. Er legte seine am 21. Februar 2017 ausgestellte Geburtsurkunde und seine eidesstattliche Versicherung vom 1. März 2017 vor.

Der Antragsgegner verwies zunächst darauf, dass ein Nachweis darüber, dass es sich bei Frau A auch um die Mutter des Antragstellers handele, nicht beigebracht worden sei. Daher sei bisher auch nicht nachgewiesen, dass es sich bei Herrn Hidircan D um den Bruder des Antragstellers handele. Soweit es sich bei der pflegenden Person um einen Angehörigen des Antragstellers handeln sollte, würde das Pflegegeld in Höhe von 901 Euro nicht als Einkommen zu berücksichtigen sein. Sollte sich aus der angeforderten Geburtsurkunde des Antragstellers ergeben, dass er einen Angehörigen pflege, würden die Zahlungen selbstverständlich wieder aufgenommen. Mit Schriftsatz vom 10. März 2017 teilte er sodann mit, dass durch die nunmehr im Rahmen des einstweiligen Antragsverfahrens vorgenommene Mitwirkung des Antragstellers die Zahlung der Leistungen ab Februar 2017 wieder aufgenommen worden sei. Er legte dazu den Änderungsbescheid vom 9. März 2017, mit dem Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Februar 2017 bis 31. März 2017 bewilligt wurden, vor.

Am 15. März 2017 erklärte der Antragsteller den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Beschluss vom 8. Mai 2017 hat das Sozialgericht u. a. den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt: Erfolgsaussichten hätten nicht bestanden, da die Antragstellung bei Gericht auf der zuvor mangelnden Mitwirkung des Antragstellers (fehlende Einreichung der Geburtsurkunde) beruht habe; der Eilantrag sei daher zum Zeitpunkt der Erhebung mutwillig gewesen, weil der Antragsteller ohne Weiteres die Unterlage hätte einreichen können.

Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 22. Mai 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am selben Tag eingelegte Beschwerde des Antragstellers.

Er meint, es habe eine reale Chance des Obsiegens bestanden. Der Rechtsstreit sei auch zugunsten des Antragstellers ausgegangen. Es sei aus den Schreiben des Antragsgegners nicht ersichtlich gewesen, warum eine Geburtsurkunde habe eingereicht werden sollen. Es erschließe sich auch nicht, warum der Antragsgegner das Pflegegeld beim Antragsteller habe anrechnen wollen. Dies sei im Verwaltungsverfahren nicht kommuniziert worden.

Der Antragsgegner verweist auf die den angefochtenen Beschluss tragenden Gründe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners (ein Band Behelfsakte; ), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig (§ 114 Abs. 2 ZPO) erscheint.

Hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn zum maßgebenden Zeitpunkt der Erfolgsprüfung der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Dies ist der Fall, wenn das erkennende Gericht den Rechtsstandpunkt des Prozesskostenhilfe beantragenden Beteiligten für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Auflage, § 73a Rdnrn. 7, 7a und 7d).

Bei summarischer Prüfung in tatsächlicher Hinsicht unter Zugrundelegung der maßgebenden Rechtsgrundlagen hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine einstweilige Anordnung zugunsten des Antragstellers erlassen werden wird, bestanden.

Nach § 86b Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG gilt: Soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG liegt nicht vor, denn diese Vorschrift setzt den Erlass eines (in Rechte des Betroffenen eingreifenden) Verwaltungsakts voraus. Weder die vorläufige Zahlungseinstellung noch die Mitteilung darüber stellen einen Verwaltungsakt dar.

Nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II sind die Vorschriften des SGB III über die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III mit der Maßgabe entsprechend anwendbar, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen.

§ 331 Abs. 1 SGB III bestimmt: Die Agentur für Arbeit kann die Zahlung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig einstellen, wenn sie Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist. Soweit die Kenntnis nicht auf Angaben der Person beruht, die die laufende Leistung erhält, sind ihr unverzüglich die vorläufige Einstellung der Leistung sowie die dafür maßgeblichen Gründe mitzuteilen, und es ist ihr Gelegenheit zu geben, sich zu äußern.

Damit liegt bereits nach dem Gesetzeswortlaut in der vorläufigen Zahlungseinstellung kein Verwaltungsakt. Es handelt sich bei der Zahlungseinstellung vielmehr um schlichtes Verwaltungshandeln. Das Schreiben, mit dem einem Leistungsberechtigten die vorläufige Zahlungseinstellung mitgeteilt wird, stellt ebenfalls keinen Verwaltungsakt, also eine Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X), dar, sondern ist - so wie es § 331 Abs. 1 Satz 2 SGB III vorsieht - lediglich eine Mitteilung über diese Tatsache nebst Begründung, denn dieses Schreiben dient ausschließlich der Information des Leistungsberechtigten über dieses Verwaltungshandeln. Bereits die vorläufige Zahlungseinstellung bewirkt unmittelbar kraft Gesetzes, dass die Fälligkeit des sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebenden Anspruches beseitigt wird und dem Leistungsträger ein Zurückbehaltungsrecht zusteht (Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage, § 40 Rdnrn. 121 und 122; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB, 07/16, § 40 SGB II, Rdnr. 555; Radüge in Hauck/Noftz, SGB, 05/12, § 331 SGB III, Rdnr. 12; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40, Rdnr. 103; Schaumberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 331 SGB III, Rdnrn. 12 und 31; Conradis in Lehr- und Praxiskommentar (LPK), Sozialgesetzbuch II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 6. Auflage, § 40 Rdnr. 9).

Ist die vorläufige Zahlungseinstellung und das Schreiben dazu kein Verwaltungsakt, kann der Leistungsberechtigte zur Durchsetzung des auf der Grundlage des Bescheides über die Bewilligung der Leistung begründeten Zahlungsanspruchs die (echte) Leistungsklage erheben, denn mit dieser Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte (§ 54 Abs. 5 SGG). Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine vorläufige Zahlungseinstellung kommt anknüpfend daran in Form einer Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht, denn sie ermöglicht, dass die durch die vorläufige Zahlungseinstellung bewirkte Veränderung des bis dahin bestandenen Zustandes durch Anordnung der vorläufigen Weiterzahlung der Leistung beseitigt und dadurch dem beeinträchtigten Recht auf Auszahlung der Leistung Geltung verschafft werden kann (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, a. a. O., § 40 SGB II, Rdnr. 559; Radüge in Hauck/Noftz, a. a. O., § 331 SGB III, Rdnr. 13; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, a. a. O., § 40, Rdnr. 103; Schaumberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, a. a. O., § 331 SGB III, Rdnrn. 31 und 32.1).

Voraussetzung einer solchen Sicherungsanordnung sind ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund, welche glaubhaft zu machen sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Für den Antrag auf die Sicherungsanordnung haben auch die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis, vorgelegen, so dass entgegen der Ansicht des Sozialgerichts der Eilantrag nicht mutwillig gewesen ist.

Für einen Antrag auf die Sicherungsanordnung müssen die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen. Insbesondere muss ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Ein solches ist gegeben, wenn die gerichtliche Entscheidung dem Antragsteller einen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rdnrn. 7a und 26 b). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sicherungsanordnung dem einstweiligen Rechtsschutz im Bereich der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG näher als der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG steht, denn in beiden Fällen ist zuvor durch die Behörde in ein bereits begründetes Recht, im einen Fall durch Verwaltungsakt und im anderen Fall durch schlichtes Verwaltungshandeln, eingegriffen worden, während es bei der Regelungsanordnung um die Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition geht, die die Behörde bisher nicht eingeräumt hat.

Soweit daher zum Rechtsschutzbedürfnis zusätzlich gefordert wird, dass der Antragsteller sein Begehren nicht auf einfachere, schnellere und billigere Art durchsetzen kann, also der Antragsteller die ihm zumutbaren Möglichkeiten zuvor anderweitig auszuschöpfen hat, um das erstrebte Ziel ohne Einschaltung des Gerichts zu erreichen, was beinhaltet, dass er sich zur Durchsetzung des Rechtsschutzziels zunächst an die Verwaltung wendet oder mit ihr Kontakt aufnimmt, es sei denn dass ausnahmsweise die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, bei der Verwaltung kein Gehör zu finden (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rdnr. 26 b), betrifft dies die Regelungsanordnung. Für den einstweiligen Rechtsschutz im Bereich der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG wird hingegen nicht gefordert, dass sich der Antragsteller zunächst an die Verwaltung wendet (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rdnr. 7a). Dies ist deswegen nicht erforderlich, da der Eingriff in ein bereits begründetes Recht das Rechtsschutzbedürfnis bereits intendiert, weil damit zugleich die Klagebefugnis nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG, also die Behauptung durch das Verhalten der Behörde (Verwaltungsakt) beschwert zu sein, gegeben ist (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 54, Rdnrn 9 und 10), so dass es bei vorhandener Klagebefugnis nur ausnahmsweise am Rechtsschutzbedürfnis fehlen kann (Meyer-Ladewig, a.a.O., vor § 51 Rdnr. 16).

Ausgehend davon hat es für den Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung nicht am Rechtsschutzbedürfnis gemangelt, denn es sind insoweit keine höheren Anforderungen an dieses als beim einstweiligen Rechtsschutz im Bereich der aufschiebenden Wirkung zu stellen.

Voraussetzung der vorläufigen Einstellung der Leistung ist nach § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III, dass die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist.

Die Behörde muss von den Ruhens- bzw. Wegfalltatsachen positive Kenntnis erhalten. Schlichte Vermutungen reichen nicht aus (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, a. a. O., § 40 SGB II, Rdnr. 549; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, a. a. O., § 40, Rdnr. 99; Radüge in Hauck/Noftz, a. a. O., § 331 SGB III, Rdnr. 8; Schaumberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, a. a. O., § 331 SGB III, Rdnnr.17, 22). Kenntnis setzt somit voraus, dass das bei der Behörde vorhandene Wissen den Erlass eines rechtmäßigen Aufhebungsbescheides ermöglicht. Die Informationen über die die Aufhebung rechtfertigenden Fakten müssen damit einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen lässt (BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 14/93, Rdnr. 29, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 74, 20 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 32: zur Kenntnis i. S. des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Dieses Ausmaß an positiver Kenntnis ist auch für die vorläufige Zahlungseinstellung erforderlich, denn diese dient lediglich der Vermeidung (weiterer) Überzahlungen in Vorbereitung eines nachfolgend zu erlassenden rechtmäßigen Bescheides über die ganz oder teilweise Aufhebung des ursprünglichen Bescheides über die Bewilligung der Leistung.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner bei der vorläufigen Einstellung der Zahlung sichere Kenntnis davon hatte, dass der Antragsteller Einkommen aus der Pflege seines Halbbruders H D erzielte und deswegen die ihm gewährte Leistung, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geltend gemacht wird (Regelbedarf in Höhe von 409 Euro monatlich) zumindest zum teilweisen Wegfall des Anspruchs führen würde und daher der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben wäre.

Der Antragsteller teilte dem Antragsgegner anlässlich seiner Vorsprache am 20. Januar 2017 lediglich mit, dass er eine Pflegetätigkeit durchführe. Er legte dazu die Schreiben der Pflegekasse bei der AOK Nordost vor. Daraus geht zum einen hervor, dass H D Pflegegeld von 901 Euro pro Kalendermonat bewilligt wurde und dass für den Antragsteller wegen dessen Pflegetätigkeit bei H D ab 20. November 2016 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden.

Angesichts dessen mag der Antragsgegner vermutet haben, dass der Antragsteller wegen seiner Pflegetätigkeit auch Einnahmen hatte, die zum teilweisen Wegfall seines Anspruchs führten. Er mag dabei folgendes berücksichtigt haben:

Einnahmen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen, so dass diese auf die Höhe der Leistungen nach dem SGB II Einfluss haben und zum ganz oder teilweisen Ruhen oder Wegfall dieses Leistungsanspruches führen (§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) sind allerdings nicht als Einkommen zu berücksichtigen die nicht steuerpflichtigen Einnahmen einer Pflegeperson für Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dazu bestimmt § 3 Nr. 36 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG), dass steuerfrei Einnahmen für Leistungen zu körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen oder Hilfen bei der Haushaltsführung bis zur Höhe des Pflegegeldes nach § 37 SGB XI sind, wenn diese Leistungen von Angehörigen des Pflegebedürftigen oder von anderen Personen, die damit eine sittliche Pflicht im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG gegenüber dem Pflegebedürftigen erfüllen, erbracht werden. Zu den Angehörigen rechnen nach § 15 Abs. 1 EStG unter anderem neben Verwandten und Verschwägerten gerader Linie (Ziffer 3) auch Geschwister (Ziffer 4).

Ob und welcher Sachverhalt insoweit vorlag, war jedoch bei der vorläufigen Einstellung der Zahlung völlig unklar. Positive Kenntnis insbesondere zu einem Einkommen des Antragstellers hatte der Antragsgegner nicht. Weder Angaben des Antragstellers noch vorliegenden Unterlagen war bei der vorläufigen Einstellung der Zahlung zu entnehmen, dass der Antragsteller wegen der Pflege Einnahmen erzielte. Dementsprechend teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Schreiben vom 23. Januar 2017 auch mit, dass unklar sei, wie hoch das ihm gezahlte Pflegegeld sei, und bat um entsprechenden Nachweis.

Angesichts dessen erfolgte die vorläufige Einstellung der Zahlung zu Unrecht, so dass, insbesondere weil der Antragsteller keine Einnahmen aus der Pflegetätigkeit erzielte, der Antragsteller auch keine Mitwirkungshandlung unterließ, die ihm oblegen hätte.

Es fehlte somit nicht am Rechtsschutzbedürfnis, da die Voraussetzungen des § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht vorlagen. Damit war zugleich der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit, war ebenfalls glaubhaft gemacht.

Lagen nach alledem die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne einer Sicherungsanordnung vor, hat auch hinreichende Erfolgsaussicht bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bestanden, so dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg abgelehnt werden kann. Es kann daher dahin stehen, ob auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne einer Regelungsanordnung (bezogen auf den Zeitraum ab 1. April 2017) erfüllt waren.

Die Vertretung des Antragstellers durch einen Rechtsanwalt erscheint geboten (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Ob der Antragsteller die Kosten der Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, kann der Senat hingegen nicht entscheiden, weil keine entsprechende aktuelle Erklärung dazu vorliegt. Der Senat hat daher dem Sozialgericht insoweit die entsprechenden weiteren Anordnungen übertragen (§ 202 SGG i. V. m. § 572 Abs. 3 ZPO).

Die Beschwerde hat daher im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Erfolg.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundesozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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