L 5 KR 537/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 68 KR 990/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 537/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 12.07.2017 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein im Rahmen der Widerklage geltend gemachter Erstattungsanspruch der Beklagten i.H.v. 4.520,93 EUR.

Die bei der Beklagten versicherte, am 00.00.1958 geborene L Q (fortan: Versicherte) wurde nach einem Sturz mit Femurfraktur vom 18.5. bis 13.6.2012 im Plankrankenhaus (§§ 107, 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V) der Klägerin stationär behandelt. Sie war zum Behandlungszeitpunkt 53 Jahre alt. Die von der Klägerin mit Rechnung vom 19.6.2012 auf Basis der DRG I34Z (Geriatrische, frührehabilitative Komplexbehandlung) unter Anwendung des OPS-Codes 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) in Rechnung gestellte Summe von 10.811,35 EUR beglich die Beklagte im Jahr 2012 vorbehaltlos.

Mit Schreiben vom 23.3.2016 teilte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) mit, sie habe keine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung abrechnen dürfen, da die Versicherte noch nicht 60 Jahre alt gewesen sei. Die Beklagte verrechnete den Rechnungsbetrag mit Zahlungsavis vom 31.3.2016 mit unstreitigen Forderungen der Klägerin und zahlte an die Klägerin entsprechen der DRG I08F (Andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur ohne komplexen Mehrfacheingriff, ohne sehr komplexe Diagnosen, ohne komplexen Eingriff, ohne äußerst schwere CC, ohne Osteotomie oder Muskel-/Gelenkplastik) 6.290,42 EUR.

Mit ihrer am 13.6.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin die Zahlung von 4.520,93 EUR wegen Nichtzahlung stationärer Behandlungskosten begehrt. Die seitens der Beklagten erklärte Aufrechnung sei wegen des landesvertraglich vereinbarten Aufrechnungsverbots unwirksam. Das seitens der Beklagten zusammen mit ihrer Widerklage am 2.9.2016 erklärte Anerkenntnis hat die Klägerin angenommen.

Die Beklagte hat widerklagend vorgetragen, jederzeit die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung überprüfen zu können. Durch das nach der Behandlung der Versicherten ergangene Urteil des BSG vom 23.6.2015 (a.a.O.) liege ein Fall der sachlich-rechnerischen Unrichtigkeit vor. Vor der höchstrichterlichen Entscheidung sei entgegen der klägerischen Darstellung nicht auf das biologische Alter, sondern nach den "Abgrenzungskriterien Geriatrie Version I.3" aus den Jahren 2003 und 2004 und damit noch vor Einführung des OPS 8-550 auf das kalendarische Alter abgestellt worden. Ausschließlich in dem hier streitigen Fall habe die Klägerin für die Behandlung einer noch nicht mindestens 60-jährigen Versicherten die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung abgerechnet; weitere Fälle seien zwischen ihnen nicht streitig.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klägerin und Widerbeklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 4.520,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageantrags zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Beklagte könne sich wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und wegen Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) nicht rückwirkend auf das Urteil vom 23.6.2015 stützen. Ihre Rechnung habe der damals anerkannten Rechtsprechung und den einschlägigen Abrechnungsregeln entsprochen. Denn der Bundesverband Geriatrie, die geriatrischen Fachgesellschaften und die Beklagte hätten bis dato zur Identifizierung eines geriatrischen Patienten immer auf die geriatrietypische Morbidität und das biologische Alter abgestellt. So sei sie auch im vorliegenden Fall verfahren und habe darauf vertraut, dass die Vergütung nicht zurückgefordert werde. Da die Beklagte in Kenntnis des Alters der Versicherten die Rechnung im Jahr 2012 vollständig und vorbehaltlos beglichen habe, sei die nach 3 ½ Jahren geltend gemachte Rückforderung verwirkt. Jedenfalls aber habe die Beklagte in Kenntnis ihrer Nichtschuld nach § 814 BGB analog gezahlt, da sie zu diesem Zeitpunkt auf das kalendarische Alter der Versicherten abgestellt habe. Der Widerklage stehe auch die Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c SGB V entgegen, die bei Auffälligkeitsprüfungen Anwendung finde. Denn wenn die Beklagte bemerke, dass ein Krankenhaus einen noch nicht mindestens 60-Jährigen einer geriatrischen Komplexbehandlung unterziehe, werde sie Zweifel an der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots haben und folglich eine Auffälligkeitsprüfung durchführen.

Das SG hat der Widerklage (nach Anhörung) mit Gerichtsbescheid vom 12.7.2017 stattgegeben und den Verfahrensbeteiligten die Kosten jeweils zur Hälfte auferlegt. Wegen des Alters der Versicherten habe der OPS-Kode 8-550.1 nicht abgerechnet werden dürfen, sodass die Beklagte den Rückzahlungsanspruch zu Recht geltend mache. Dem stehe § 814 BGB nicht entgegen, da eine Krankenkasse nur dann mit ihrer Rückforderung ausgeschlossen sei, wenn sie vorbehaltlos und in positiver Kenntnis ihrer nicht bestehenden Zahlungsverpflichtung geleistet habe (BSG, Urteil vom 30.6.3009 - B 1 KR 24/08 R). Auch wenn der Beklagten das Alter der Versicherten bekannt gewesen sei, könne daraus allein nicht geschlossen werden, dass sie positive Kenntnis davon gehabt habe, nicht leistungspflichtig zu sein. Für die Annahme einer Verwirkung fehle es an dem erforderlichen Umstandsmoment. Denn die Beklagte habe nichts Aktives getan, was die Klägerin dazu habe veranlassen können, auf die Zahlung zu vertrauen. Insbesondere habe sie nicht in anderen Fällen mit Unter-60-Jährigen geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlungen vergütet. Der Ablauf der 6-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c SGB V bewirke keinen Einwendungsausschluss, sondern führe lediglich dazu, dass die Krankenkasse bei Auffälligkeitsprüfungen nur die Daten prüfen könne, die ihr das Krankenhaus zur Verfügung gestellt habe.

Gegen den ihr am 14.7.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.8.2017 Berufung eingelegt und ihr Anliegen weiterverfolgt. Die Anwendung des BSG-Urteils vom 23.6.2015 stelle wegen seiner Unvorhersehbarkeit eine nicht zulässige echte rückwirkende Anwendung der Rechtsprechung des BSGs auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Fall dar. Denn sie widerspreche der bis dahin angewandten jahrzehntelangen Praxis und widerspreche beispielsweise auch der Entscheidung des BSG vom 14.10.2014 (B 1 KR 26/13 R), in der das BSG für die Feststellung des individuellen medizinischen Rehabilitationsbedarfs die Art und Schwere der Erkrankung und die individuellen Voraussetzungen wie Lebensalter und Morbidität des Patienten zu Grunde gelegt habe. Unabsehbar sei auch gewesen, dass der 1. Senat des BSG in eigener Kompetenz und ohne vorherige Ankündigung erweiternde Abrechnungsgrundsätze des OPS definiert habe, obwohl er immer betont habe, dass Abrechnungsregelungen stets streng an ihrem Wortlaut auszulegen seien. Das Prinzip der verantwortungsvollen Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen werde im Übrigen ad absurdum geführt, wenn man aus nicht vorhersehbaren und nicht im Einklang mit den Abrechnungsgrundsätzen stehenden höchstrichterlichen Entscheidungen in die Vergangenheit zurückweisende öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche der Krankenkassen begründe. Die Beklagte habe ihren Erstattungsanspruch auch verwirkt, indem sie unter Anwendung einer gezielten, aber unzulässigen Abrechnungsstrategie nach dem Vorliegen der hier in Rede stehenden BSG-Entscheidung etliche bereits abgerechnete Fälle aufgegriffen habe. Im Übrigen müsse die Rechtsprechung zur Verwirkung im Sinne einer praktischen Konkordanz gleichermaßen auf Krankenkassen und Krankenhäuser angewendet werden. Sofern das BSG (Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 2/13 R und Urteil vom 5.7.2016 - B 1 KR 40/15 R) die Nachforderung eines Krankenhauses nach vorbehaltlos erteilter Schlussrechnung außerhalb des auf die Rechnung nachfolgenden Kalender-/ Haushaltsjahres der Krankenkassen für verwirkt halte, müsse dies in Fällen, in denen die Abrechnung des Krankenhauses den seinerzeit angewendeten Abrechnungsregeln entsprochen habe, ebenso für öffentlich-rechtliche Erstattungsforderungen von Krankenkassen außerhalb dieses Zeitraums gelten. Die Beklagte habe ihren Erstattungsanspruch im vorliegenden Fall daher bis spätestens Ende 2013 anmelden müssen. Zudem habe die Beklagte gegen den ebenfalls aus § 242 BGB abzuleitenden Grundsatz des venire contra factum proprium verstoßen, da sie ihrer jahrzehntelangen Praxis, auf die die Klägerin habe vertrauen dürfen, den Rücken gekehrt und den Grundsatz der unerlässlichen vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern verletzt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 12.7.2017 abzuändern und die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf den aus ihrer Sicht zutreffenden Gerichtsbescheid. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil es hier nicht um die rückwirkende Anwendung eines Gesetzes, sondern die Auslegung einer Norm durch die Rechtsprechung gehe. Im Unterschied zu Gesetzen, die in der Regel für die Zukunft wirkten, sei es der Rechtsprechung immanent, Sachverhalte im Nachhinein rechtlich zu bewerten. Die Rechtsordnung habe keine genaue Altersgrenze für die geriatrische Komplexbehandlung festgesetzt. Indem das BSG im Wege der Auslegung eine Altersgrenze gezogen habe, sei es auch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung abgewichen. Eine Verwirkung liege nicht vor, da dieser Begriff innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht passe und nur in besonderen Fallkonstellationen in Betracht komme, wie das BSG in seinem Urteil vom 23.6.2015 (a.a.O.) entschieden habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Patientenakte der Versicherten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Rechtsgrundlage für den Zahlungsanspruch, den die Beklagte im Rahmen der zulässigen Widerklage nach § 100 SGG im Wege der (echten) Leistungsklage i.S. des § 54 Abs. 5 SGG geltend macht (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R -), ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (zur Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung stRspr, BSG, Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 62/12 R, LSG NRW, Urteil vom 27.10.2016 - L 5 KR 132/16). Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat (zB BSG SozR 4-2500 § 264 Nr. 3 RdNr. 15) und seiner Rückforderung keine Einwendungen und Einreden entgegenstehen. So liegt der Fall hier.

Die Beklagte hat 4.520,93 EUR ohne Rechtsgrund an die Klägerin gezahlt. Denn diese war nicht berechtigt, die Krankenhausbehandlung der Versicherten als geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach DRG I34Z bzw. unter Anwendung des OPS-Codes 8-550.1 für 10.811,35 EUR abzurechnen. Sie hatte nur einen Vergütungsanspruch i.H.v. 6.290,42 EUR gem. DRG I08F.

Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer KK entstehen - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs. 1 S 2 SGB V erforderlich ist (stRspr, vgl. zB BSG, Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 33/15 R -, BSGE 121, 101-107, SozR 4-2500 § 109 Nr. 57 BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 13, RdNr 11; BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 15, RdNr 15; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr. 2, RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 27 RdNr 9; BSG SozR 4-7610 § 204 Nr. 2, RdNr 8). Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Klägerin wegen der hier streitigen Behandlung war § 109 Abs. 4 S 3 SGB V iVm § 7 S 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEngtG) und der Anlage 1 Teil a) Fallpauschalenkatalog der G-DRG-Version 2012 sowie der zwischen den Beteiligten geltende Krankenhausbehandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 S 1 Nr. 1 SGB V.

Gemäß § 7 S 1 Nr. 1 iVm § 9 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen nach Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog abgerechnet. Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 V-301) verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 S 2 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Kodierrichtlinien" beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als "Groupierung" bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS-301 eine bestimmte DRG angesteuert (vgl. BSG, Urteil vom 18.7.2013 Az B 3 KR 7/12 R; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 11 RdNr. 16; LSG NRW, Urteil vom 13.11.2011 - L 5 KR 363/10).

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) den Begriff "geriatrisch" definiert und festgelegt, dass von einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung nur bei Patienten ab Vollendung des 60. Lebensjahrs gesprochen werden kann. Da die behandelte Versicherte das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, war die Klägerin nicht berechtigt, die DRG I34Z bzw. den OPS 8-550.1 (Stand 2012) abzurechnen. Dass die Beklagte diese höchstrichterliche Auslegung des Begriffs auch auf die 2012 erfolgte Behandlung der Versicherten übertragen hat, verstößt nicht gegen das sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Verbot echter Rückwirkung (vgl. zu den Voraussetzungen der echten Rückwirkung BVerfG vom 22.3.1983 - BVerfGE 63, 343 - Juris RdNr 42 f und BVerfGE 72, 200, Juris RdNr 85 ff). Denn im vorliegenden Fall geht es nicht um eine durch die Legislative festgelegte Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Vielmehr wird hier der jedenfalls seit 2005 in dem OPS 8-550 verwandte Begriff der "geriatrischen rehabilitativen Komplexbehandlung", der in der Rechtsordnung gerade nicht definiert ist (siehe BSG, Urteil vom 23.6.2015, a.a.O. Rz.17), höchstrichterlich ausgelegt. Für diese - naturgemäß immer in der Vergangenheit liegende Sachverhalte betreffende - Aufgabe der Rechtsprechung kann das Verbot der echten Rückwirkung nicht gelten. Im Übrigen ist es im vorliegenden Fall auch keinesfalls so gewesen, dass es vor der Entscheidung des BSG eine gefestigte - anderslautende - Rechtsprechung zu der Frage der Auslegung des Begriffs der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung gegeben hat. Das BSG ist der vom LSG Hamburg vertretenen Auslegung (z.B. L 1 KR 34/12 - Urteil vom 20.2.2014 oder vom 18.12.2014 - L 1 KR 126/13), die auf das biologische Alter des Versicherten abstellte, eben nur nicht gefolgt.

Auch die übrigen Einwendungen und Einreden gegen den im Rahmen der sachlich-rechnerischen Prüfung geltend gemachten Erstattungsanspruch greifen nicht durch:

Die Erstattung ohne Rechtsgrund gezahlter Krankenhausvergütung ist insbesondere nicht in entsprechender Anwendung des § 814 BGB ausgeschlossen. Danach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete u.a. nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Zahlt eine Krankenkasse vorbehaltlos auf eine Krankenhausrechnung, kann sie deshalb mit der Rückforderung - und damit auch mit dem späteren Bestreiten ihrer Zahlungspflicht - ganz ausgeschlossen sein, wenn sie (positiv) gewusst hat, dass sie zur Leistung nicht verpflichtet war (vgl. BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 17, RdNr 30; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr. 2, RdNr 47; zustimmend Wahl in jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 109 RdNr 194). Daran fehlt es in dem vorliegenden Fall. Denn die Beklagte zahlte im Jahr 2012 nicht in Kenntnis ihrer Nichtschuld. Aus der Rechnung vom 19.6.2012 sind zwar das Geburtsdatum der Versicherten ebenso wie die Behandlungsdaten ablesbar, nicht jedoch Anhaltspunkte, die Fragen nach dem biologischen Alter der Versicherten hätten beantworten können. Da es zum Zeitpunkt der Rechnungslegung im Sommer 2012 keine gefestigte Rechtsprechung zu der Auslegung des Begriffs der "geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung" gab und das biologische Alter nicht erkennbar war, könnte man zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis nur gelangen, wenn es zwischen den Beteiligten eine Praxis oder Vereinbarung dahingehend gab, das kalendarische Alter zu Grunde zu legen. Dies war ersichtlich nicht der Fall.

Der innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemachte Erstattungsanspruch ist ferner nicht verwirkt. Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Sie setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr; vgl. BSGE 112, 141 = SozR 4-2500 § 275 Nr. 8, RdNr 37; BSGE 109, 22 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 14, RdNr 36; BSG SozR 4-2400 § 24 Nr. 5 RdNr 31; BSG SozR 4-2600 § 243 Nr. 4 RdNr 36; BSG SozR 4-4200 § 37 Nr. 1 RdNr 17; BSG SozR 3-2400 § 4 Nr. 5 S 13). Aus dem Umstand, dass die Beklagte die Rechnung ohne Erklärung eines Vorbehalts zahlte, ergibt sich kein die Verwirkung auslösendes Verhalten. Denn § 15 Abs. 1 S 1 Sicherstellungsvertrag schreibt ein Begleichen der Rechnung innerhalb von 15 Kalendertagen vor. Auch sonstige die Verwirkung auslösende Umstände sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Klägerin nicht näher (beispielsweise anhand in der Vergangenheit entsprechend abgerechneter Fälle) dargelegt, dass es zwischen den Beteiligten üblich war, die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach dem biologischen Alter der Patienten zu beurteilen und abzurechnen. Die Beteiligten haben überdies angegeben, dass es sich bei dem vorliegenden Streit um einen Einzelfall handelt. Insofern kann der Senat den Vorwurf einer zielgerichteten unzulässigen Abrechnungsstrategie ebenso wenig nachvollziehen wie den Vorwurf des "venire contra factum proprium". Der bloße Zeitablauf und der Umstand, dass die Klägerin bis kurz vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist mit der Geltendmachung ihrer Forderung gewartet hat, genügt deshalb als ein Verwirkung begründendes Verhalten nicht.

Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, die Rechtsprechung zur Verwirkung müsse im Sinne einer praktischen Konkordanz bei Nachforderungen der Krankenkassen nach vorbehaltlos erteilter Schlussrechnung und bei Erstattungsansprüchen der Krankenkassen gleich sein, herleiten. Zwar sieht der Senat die diesbezüglichen deutlichen Unterschiede der Rechtsprechung des 1. Senats des BSGs. Er folgt jedoch der Rechtsprechung des BSGs, da gesetzliche Wertungen des SGB V zur Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen nicht mit einem bloßen Hinweis auf ein diffuses, gleichsam überpositives Gebot der Waffengleichheit überlagert werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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