S 11 KR 1004/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 1004/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 733,57 Euro nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.06.2016 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 733,57 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Vergütungsanspruch der Klägerin aus vollstationärer Behandlung eines bei der Beklagten versicherten Mitglieds in Höhe von 733,75 Euro.

Der Streitigkeit liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die bei der Beklagten versicherte N. M., geboren am 00.00.1900, wurde in der Zeit vom 27.10.2015 bis 30.10.2015 im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Am 10.11.2015 wurde unter Zugrundelegung der DRG G71Z die Rechnung in Höhe von 1.730,95 Euro erstellt. Die Beklagte beglich die Rechnungssumme vollständig.

Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Rechnungslegung beauftragt worden war, kam dieser zu dem Schluss, dass die zugrunde gelegte DRG G71Z korrekt gewesen sei, jedoch sei ein Abschlag aufgrund der geringeren Verweildauer vorzunehmen. Es ergebe sich ein effektiver Erlös von 944,48 Euro.

Mit Schreiben vom 10.03.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich aus dem Gutachten des MDK nach Entscheidung gemäß § 8 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 c SGB V (PrüfvV, Prüfverfahrensvereinbarung) eine Forderung in Höhe von 733,75 Euro ergebe. Es werde um Gutschrift bis zum 07.04.2016 gebeten.

Mit Schreiben vom 23.06.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Erstattungsanspruch in Höhe von 733,75 Euro nicht gutgeschrieben worden sei. Es werde eine Verrechnung des Leistungs- oder Erstattungsanspruchs nach § 9 PrüfvV vorgenommen. Die Forderung werde entsprechend aufgerechnet werden. Es werde auf das von dem Finanzbereich der Klägerin übermittelte Avis verwiesen. Der entsprechende Bereich übermittelte der Klägerin am 24.06.2016 eine Zahlungsmitteilung. Diese lautet wie folgt:

"Sehr geehrte Damen und Herren, mit Überweisung Nr. 762500660683 haben wir Ihnen 5.895,69 Euro auf Ihr Konto überwiesen. Die Zusammensetzung dieses Betrages ergibt sich aus der folgenden Aufstellung:

Buchungstext 10.11.2015 292236 3544721 SAMU:0001360504 997,20

10.11.2015 292236 3544721 SAMU:0001360504 -1.730,95

14.06.2016 305168 3620145 SAMU:0001360504 4.635,94

14.06.2016 305169 3621744 SAMU:0001360504 1.993,50

Zahlungsauftragsbeleg 762500660683 Datum 24.06.2016 Zahlbetrag 5.895,69

Mit der am 19.07.2016 bei dem hiesigen Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie habe Anspruch auf Zahlung der Behandlungskosten aus dem Behandlungsfall, gegen den die Beklagte eine Aufrechnung vorgenommen habe. Die Forderung sei unstreitig. Diese Forderung sei zudem auch nicht durch die erklärte Aufrechnung mit dem geltend gemachten Rückforderungsanspruch aus der Behandlung der Versicherten erloschen. Die Aufrechnung habe nicht erfolgen dürfen; sie widerspreche den Regelungen aus dem Landesvertrag Nordrhein-Westfalen sowie den Regelungen der Prüfverfahrensvereinbarung. Es fehle insbesondere an einer wirksamen, hinreichend bestimmten Aufrechnungserklärung. Leistungsanspruch sowie Erstattungsanspruch seien nicht genau benannt worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 733,57 Euro nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.06.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

Sie verweist auf das vorliegende MDK-Gutachten. Da die Rechnungskorrektur von der Klägerin nicht umgesetzt worden sei, habe eine Aufrechnung vorgenommen werden müssen. Dieses sei der Klägerin auch mitgeteilt worden. Es werde insbesondere auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes vom 25.10.2016 (Az.: B 1 KR 9/16 R) verwiesen. Die dort aufgestellten Bedingungen seien durch das Zahlungsavis an die Klägerin erfüllt worden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und dem sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die das Gericht beigezogen hat.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die formgerecht erhobene Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, da es sich um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt. Eine bestimmte Klagefrist ist nicht einzuhalten. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.03.2004, Az.: B 3 KR 3/03 R).

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat nach Überzeugung des Gerichtes Anspruch auf Zahlung der begehrten (Teil-) Rechnungssumme in Höhe von 733,57 Euro aus dem von der Beklagten nicht näher benannten Behandlungsfall, dessen Rechnungssumme unstreitig ist.

Die Beklagte hat zu Unrecht die unstreitige Vergütungsforderung der Klägerin aus dem nicht näher bezeichneten Behandlungsfall mit einem von ihr geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von 733,75 Euro aus dem Behandlungsfall der Versicherten Marion Lippmann verrechnet.

Zunächst steht einer solchen Aufrechnung die Regelung des § 9 PrüfvV entgegen. Diese Regelung besagt, dass die Krankenkasse einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 fristgerecht mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen kann. Dabei sind der Leistungsanspruch und der Erstattungsanspruch genau zu benennen.

Dies ist vorliegend nicht geschehen. Die Beklagte hat lediglich die Aufrechnung nach § 9 PrüfvV in ihrem Schreiben am 23.06.2016 erklärt. Auch das an die Klägerin übersandte Zahlungsavis vom 24.06.2016 wird der Regelung des § 9 PrüfvV nicht gerecht. Es wird gerade nicht der Leistungsanspruch sowie der Erstattungsanspruch genau bezeichnet. Die Beklagte war auch innerhalb des Verfahrens nicht in der Lage, dem Gericht mitzuteilen, gegen welchen Anspruch genau aufgerechnet worden ist. Die Mitteilung, aus der sich eine Überweisung von 5.895,69 Euro ergibt, ist unter dem zwischen den Beteiligten vereinbarten Maßstab der PrüfvV unbestimmt. Es fehlt an einer wirksamen, hinreichend bestimmten Aufrechnungserklärung in diesem Sinne. Da die Beteiligten die Prüfverfahrensvereinbarung zum Ziele des effektiven und konsensorientierten Verfahrens abgeschlossen haben, müssen sie sich an diese auch festhalten lassen. Entsprechend sind Aufrechnungen, die der PrüfvV nicht entsprechen, unzulässig.

Lediglich der guten Ordnung halber weist das Gericht darauf hin, dass die Aufrechnung auch gegen die Regelungen des Landesvertrages über die allgemeinen Bedingung der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen und den gesetzlichen Krankenkassen (Landesvertrag NRW) entspricht. § 15 Abs. 4 S. 1 des Landesvertrages NRW bestimmt, dass Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht werden können. Gemäß § 15 Abs. 4 S. 2 Landesvertrag NRW können überzahlte Beträge bei Beanstandungen rechnerischer Art sowie nach Rücknahme der Kostenzusage und falls eine Abrechnung auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruht, verrechnet werden.

Regelt der Vertrag explizit, in welchen Fällen eine Verrechnung vorgenommen werden kann, so ergibt sich im Umkehrschluss hieraus, dass eine Verrechnung in sonstigen Fällen ausgeschlossen sein soll (LSG NRW, Urteil vom 24.05.2012, Az.: L 16 KR 8/09). Zwar ist der Landesvertrag am 08.04.2002 gekündigt worden, die Vertragsparteien haben sich aber darauf verständigt, den Vertrag bis zu einer Neuregelung weiter zu praktizieren. Da ein neuer Vertrag bislang nicht zustande gekommen ist, ist der gekündigte Vertrag weiter anzuwenden (LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016, Az.: L 1 KR 358/15).

Soweit man entsprechend davon ausgehen würde, dass die PrüfvV keine Anwendung finden sollte, die dem Landesvertrag entsprechend § 11 der PrüfvV vorgeht, so findet der Landesvertrag NRW Anwendung, der ebenfalls eine Aufrechnung der vorgenommenen Art verbietet.

Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz folgt aus § 15 Abs. 1 S. 4 Landesvertrag NRW.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Gegenstandswert richtet sich gemäß § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz nach dem Wert des mit der Klägerin mit ihrem Anspruch verfolgten Gegenstandes.

Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die streitgegenständliche Rechtsfrage, ob eine Aufrechnung in der hier vorliegenden Form bei Bestehen der PrüfvV und des Landesvertrages vorgenommen werden darf, ist eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist bisher nicht geklärt und liegt im allgemeinen Interesse, was das Gericht bereits daran erkennt, dass eine Vielzahl von Fällen bei dem hiesigen Gericht zur Entscheidung anstehen.
Rechtskraft
Aus
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