L 16 KR 353/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 24 KR 517/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 353/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.05.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger auch für die Zeit vom 08.01.2016 bis einschließlich 01.07.2016 Krankengeld zu zahlen ist.

Der am 00.00.1964 geborene Kläger, der gelernter Diplom-Kaufmann ist, war seit dem 30.03.2015 über den Bezug von Arbeitslosengeld bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 18.09.2015 erkrankte er. Als Diagnose gab der Arzt F90.0 V an (Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung).

Die Agentur für Arbeit gewährte dem Kläger bis zum 29.10.2015 Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall. Sodann zahlte die Beklagte ihm ab dem 30.10.2015 Krankengeld. Mit Schreiben vom 26.10.2015 und in einem weiteren Schreiben vom 06.11.2015 wies sie den Kläger auf die Notwendigkeit hin, seine Arbeitsunfähigkeit nahtlos ärztlich feststellen zu lassen. Ein nahtloser Nachweis läge vor, wenn die Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit spätestens am nächsten Werktag festgestellt werde. Falls dies unterbleibe, könnten der Krankengeldanspruch und die Mitgliedschaft entfallen. Dem Kläger wurde in der Folgezeit Arbeitsunfähigkeit bis zum 04.12.2015 von dem in Praxisgemeinschaft mit Dr. L tätigen Allgemeinmediziner V bescheinigt. Die Arbeitsunfähigkeit wurde erneut am 08.12.2015 bis zum 07.01.2016 durch diesen Arzt attestiert.

Mit Bescheid vom 15.12.2015 stellte die Beklagte das Ende des Krankengeldanspruchs mit dem 04.12.2015 fest, weil nur bis zu diesem Tag eine nahtlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt sei. Der Kläger reichte daraufhin einen korrigierten Nachweis über eine am 07.12.2015 festgestellte Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten ein.

Daraufhin teilte diese dem Kläger mit, dass er das Schreiben vom 15.12.2015 als gegenstandslos betrachten solle, weil die Arbeitsunfähigkeit doch noch nahtlos nachgewiesen worden sei und Krankengeld über den 04.12.2015 gezahlt werden könne. Bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit sei auf einen lückenlosen Nachweis zu achten.

Am 11.01.2016 erfolgte die weitere Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.01.2016. Als Diagnosen wurden F 90.0 V, F 98.8 G (Sonstige näher bezeichnete Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend) und F 48.0 G (Neurasthenie) angegeben. Wegen dieser Diagnosen wurde bis zum 01.07.2016 weiterhin Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.

Mit Bescheid vom 13.01.2016 stellte die Beklagte erneut das Ende des Krankengeldanspruchs mit dem 07.01.2016 fest, weil nur bis zu diesem Tag eine nahtlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt sei.

Am 21.01.2016 ging bei der Beklagten eine unter dem 11.01.2016 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, in der der 07.01.2016 als Feststellungsdatum angegeben wurde. Daraufhin holte die Beklagte eine Stellungnahme des behandelnden Arztes ein, wegen deren Inhalts auf die Bescheinigung vom 25.01.2016 Bezug genommen wird.

Am 24.03.2016 legte der Kläger, nachdem er sich bereits mit Schreiben vom 13.02.2016 ("Vorstandsbeschwerde"), 18.02.2016 ("Ergänzung zur Vorstandsbeschwerde") und 19.02.2016 (Dienstaufsichtsbeschwerde) über das Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten beschwert hatte, gegen den Bescheid vom 13.01.2016 Widerspruch ein. Er führte aus, dass er sich am 07.01.2016 in der Praxis V/Dr. L vorgestellt habe, um die am 07.01.2016 auslaufende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. den Auszahlschein verlängern zu lassen. An diesem Tag habe ihm darüber hinaus ein Fragebogen der Beklagten vorgelegen, der ebenfalls bei nächster Gelegenheit zusammen mit dem behandelnden Arzt ausgefüllt werden sollte. Die Mitarbeiterin seines Arztes habe den Fragebogen gesehen und erklärt, dass es dafür am 07.01.2016 zu voll sei. Da Dr. L am 08.01.2016 nicht da sei, solle er, der Kläger, am 11.01.2016 (Montag) wieder vorsprechen. Die Arbeitsunfähigkeit sei bereits am 07.01.2016 festgestellt und am 11.01.2016 bescheinigt worden. Außerdem habe die Arbeitsunfähigkeit durchgehend bestanden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2016 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass ein Anspruch auf Krankengeld ab dem 08.01.2016 entfallen sei, weil keine nahtlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit über den 07.01.2016 hinaus erfolgt sei. Ein nachgehender Anspruch für längstens einen Monat komme auch nicht in Betracht, weil der Kläger ab dem 08.01.2016 über seine pflichtversicherte Ehefrau familienversichert sei.

Dagegen hat der Kläger am 28.06.2016 Klage beim Sozialgericht (SG) Detmold erhoben. Unter Wiederholung seines bisherigen Vortrages hat er ergänzend ausgeführt, dass er krankheitsbedingt nicht immer Termine und Absprachen fristgerecht einhalten könne. Dies habe seine Psychiaterin, Dr. C, bestätigt. Insofern sei ihm die nicht rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht anzulasten. Ferner sei auf die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie zu verweisen, die eine rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erlaube. Außerdem habe der Fragebogen, den er von der Beklagten erhalten habe, am 07.01.2016 noch gar nicht ausgefüllt werden können, weil Testergebnisse noch nicht vorgelegen hätten.

In einem vom Kläger vorgelegten Attest vom 24.06.2016 hat Dr. C ausgeführt, dass bei diesem eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung und eine Anpassungsstörung mit depressiver Episode bei beeindruckenden Konzentrationsstörungen vorlägen. Der Kläger könne krankheitsbedingt nicht immer Termine und Absprachen einhalten. Er sei seit der Erstuntersuchung durch sie am 10.12.2015 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2016 zu verurteilen, ihm vom 08.01.2016 bis 01.07.2016 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass der angefochtene Bescheid der Sach- und Rechtslage entspreche.

Auf Nachfrage des SG, ob der Kläger am 07.01.2016 oder 08.01.2016 auf seine Arbeitsfähigkeit hin untersucht worden sei, teilte Dr. L mit, dass eine Konsultation am 11.01.2016 bei seinem Kollegen V stattgefunden habe. Dieser gab unter dem 11.11.2016 an, der Kläger sei am Donnerstag, dem 07.01.2016, in der Praxis gewesen und habe um das kurzfristige Ausfüllen seines Krankengeldscheines gebeten. Seine Mitarbeiterin habe im Computersystem erkennen können, dass der Kläger am 11.01.2016, einem Montag, einen Gesprächstermin gehabt habe. Sie habe den Kläger gebeten, sein Ansinnen doch auf den Montag zu verschieben, da kein kurzfristiger Termin bei den Ärzten frei gewesen sei. Dem habe der Kläger zugestimmt. Am nächsten Freitagmorgen, den 08.01.2016, sei der Kläger erneut in der Praxis gewesen, um sich die bis zu diesem Tag datierte Arbeitsunfähigkeitsfeststellung verlängern zu lassen. Da die Praxis sehr voll gewesen sei und der Kläger ohnehin am Montag einen Termin gehabt habe, habe seine Mitarbeiterin den Kläger gebeten, sich bis zum Montag zu gedulden. Dieses Fehlverhalten sei der Praxisorganisation zuzurechnen. Der Kläger habe sich korrekt verhalten. Aufgrund der Grunderkrankung sei dem Kläger die Tragweite des Formfehlers nicht bewusst gewesen. De facto müsse gesagt werden, dass der Kläger seit dem 18.09.2015 dauerhaft arbeitsunfähig gewesen sei.

Mit Urteil vom 05.05.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 19.05.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.05.2017 Berufung eingelegt. Er macht unter Bezug auf die Entscheidung des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.05.2017 (B 3 KR 22/15) geltend, aus dem Befundbericht seines behandelnden Arztes V vom 11.11.2016 ergebe sich, dass die fehlende Bescheinigung dessen Praxisorganisation zuzurechnen sei. Aus dem Bericht ergebe sich auch, dass ihm aus medizinischen Gründen "kein schuldhaftes Verhalten (Versagen)" angekreidet werden könne, weil gerade seine Grunderkrankung dafür gesorgt habe, dass ihm die Tragweite dieses Formfehlers nicht bewusst gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.05.2017 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2016 zu verurteilen, ihm vom 08.01.2016 bis zum 01.07.2016 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Eine andere Entscheidung sei auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 11.05.2017 gerechtfertigt. Zwar habe dieses einen neuen, engen Ausnahmefall anerkannt. Die hierzu aufgestellten Voraussetzungen erfülle der Kläger jedoch nicht. Es fehle sowohl an dem persönlichen Aufsuchen des Arztes als auch der Schilderung seiner Beschwerden diesem gegenüber. Es habe weder am 07.01.2016 noch am 08.01.2016 einen persönlichen Kontakt zu seinem behandelnden Arzt gegeben. Damit habe der Kläger nicht alles in seiner Macht stehende getan, um seine Ansprüche zu wahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen, weil der Kläger mangels Anspruchs auf Krankengeld im streitigen Zeitraum durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert ist.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte u.a. Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 32/13 R, Rn. 15 m.w. N. = juris). Nach § 46 Abs. 2 S. 1 SGB V in der seit dem 23.07.2015 gültigen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der GKV (BGBl I 1211) bleibt der Anspruch auf Krankengeld abweichend von dem hier nicht vorliegenden Fall der Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, § 24, § 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage.

Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger, hier die durch den Bezug von Arbeitslosengeld begründete Mitgliedschaft, besteht nach Wegfall des Arbeitslosengeldes unter den Voraussetzungen des § 192 SGB V fort. Sie bleibt nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V u.a. erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht (vgl. BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 Rn. 16; BSG SozR 4-2500 § 192 Nr. 6 Rn. 15). § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V verweist damit wieder auf die Vorschriften über den Krankengeld-Anspruch, die ihrerseits voraussetzen, dass ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld vorliegt. Um diesen Anforderungen zu genügen, reicht es aus, dass Versicherte spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit - hier also am 08.01.2016 - alle Voraussetzungen erfüllen, um spätestens an diesem Tag einen Krankengeld-Anspruch entstehen zu lassen (zur Rechtslage vor dem 23.07.2015 vgl. BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 5, Rn. 12).

Die danach spätestens am 08.01.2016 notwendige weitere Feststellung (und Bescheinigung) der Arbeitsunfähigkeit ist nicht erfolgt. Eine körperliche Untersuchung des Klägers durch seinen Arzt, die regelmäßig zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, hat zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden. Dieser Umstand geht zulasten des Klägers, weil es seine Obliegenheit ist, rechtzeitig für die erforderliche Feststellung zu sorgen. Ein Ausnahmefall, der eine nachträgliche Erfüllung dieser Pflicht rechtfertigt, ist hier nicht gegeben.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind dem Versicherten Krankengeld-Ansprüche zuerkannt worden, wenn die rechtzeitige ärztliche Feststellung (oder die fristgerechte Meldung der Arbeitsunfähigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die entweder auf einer Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten beruhten (BSG SozR 4-2500 § 192 Nr. 5 Rn. 23) oder dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht demjenigen des Versicherten zuzurechnen sind (BSG SozR 4-2500 § 46 Nr. 1 Rn. 18 ff.). Letzteres ist angenommen worden im Falle des verspäteten Zugangs der Arbeitsunfähigkeits-Meldung bei der Krankenkasse aufgrund von Organisationsmängeln, die diese selbst zu vertreten hat, für Fälle einer irrtümlichen Verneinung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten aufgrund ärztlicher Fehlbeurteilung sowie bei einem von der Krankenkasse rechtsfehlerhaft bewerteten Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach Aufgabe des letzten Arbeitsplatzes (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R Rn. 24 ff = juris). Schließlich ist in Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung ein solcher Ausnahmefall auch bejaht worden, wenn der Versicherte das Seinige zur Erlangung der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit getan hat, trotz des rechtzeitig erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts aber die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gleichwohl aus Gründen unterbleibt, die dem Verantwortungsbereich des Arztes zuzuordnen sind (BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 8 Rn. 23).

Eine im Sinne einer Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit bestehende Willensbeeinträchtigung kann dem Kläger nicht zugute gehalten werden. Die ihm von seinen behandelnden Ärzten, insbesondere von Dr. C, bescheinigte Schwierigkeit, krankheitsbedingt Termine und Absprachen fristgerecht einzuhalten, begründet keinen vergleichbaren Zustand. Solche Defizite waren hier ohnehin nicht ausschlaggebend, weil der Kläger sowohl um die Bedeutung der termingerechten Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit wusste als auch zu einem entsprechenden Zeitpunkt in der Praxis seines behandelnden Arztes vorgesprochen hat. Dass es gleichwohl nicht zu seiner Untersuchung und der erforderlichen Bescheinigung seiner Arbeitsunfähigkeit gekommen ist, beruht wesentlich auf dem Umstand, dass er anlässlich seiner Vorsprache am 07.bzw. 08.01.2016 ein weiteres Anliegen - Ausfüllen des Fragebogens der Beklagten - verfolgt hat. Soweit dem Kläger diesbezüglich bescheinigt worden ist, dass er die Reichweite seines Handelns nicht habe überblicken können, widerspricht dem, dass er sich in der Folgezeit immer rechtzeitig um die erforderlichen Bescheinigungen gekümmert hat. Selbst wenn aber am 07./08.01.2016 etwas anderes gegolten haben sollte, so war dem Kläger sein entsprechendes Defizit bekannt, so dass er entsprechende Vorsorgemaßnahmen, etwa durch Sicherstellung einer Begleitung, hätte ergreifen müssen.

Die Beklagte hat auch nicht durch ihr Verhalten Anlass für die verspätete Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gegeben. Allein der Umstand, dass sie im Dezember 2015 eine Lücke in den ärztlichen Bescheinigungen nachträglich als behoben angesehen hat, vermag eine solche Folge nicht zu zeitigen. Dieser Umstand beruhte nämlich auf einer (möglicherweise fälschlich) nachträglich korrigierten ärztlichen Bescheinigung bezüglich des Untersuchungs- und Feststellungszeitpunkts der Arbeitsunfähigkeit, so dass bei dem Kläger kein Vertrauen dahin begründet werden konnte, er könne auch in anderen Fällen gleichwohl seine Arbeitsunfähigkeit nachträglich feststellen und bescheinigen lassen.

Schließlich kann auch nicht aufgrund eines ärztlichen Fehlverhaltens die verspätete Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als unbeachtlich angesehen werden. Das BSG hat zwar die Unschädlichkeit ärztlicher Fehlbeurteilung nicht nur auf die Fälle der von einem Vertragsarzt aus medizinischen Gründen zu Unrecht verneinten Arbeitsunfähigkeit beschränkt, sondern für alle Fälle angenommen, in denen der Versicherte den Arzt rechtzeitig zur Erlangung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufsucht und trotz eines Arzt-Patienten-Kontakts die Ausstellung der erbetenen Bescheinigung aus Gründen unterbleibt, die dem Arzt zuzurechnen sind (BSG SozR 4-2500 § 46 Nr. 8 Rn. 25 f.). Der Senat lässt dahinstehen, ob infolgedessen das Erfordernis eines Arzt-Patienten-Kontakts unerlässliche Voraussetzung für die Nichtvorwerfbarkeit der Obliegenheitsverletzung ist. Diesbezüglich könnten auch Fälle als erfasst angesehen werden, in denen z.B. der Arzt den Versicherten nicht sieht, dies aber auf Verhaltensweisen des Arztes beruht, auf die der Patient keinen Einfluss hat, wie z.B. das Fortschicken des Patienten wegen einer Schließung der Praxis oder der Beschränkung auf Untersuchungen von Patienten mit besonders schweren Leiden an dem betreffenden Tag, ohne dass der Versicherte zumutbar anderweitig die erforderliche Feststellung/Bescheinigung erlangen könnte.

Ein solcher oder vergleichbarer Fall ist hier aber nicht gegeben. Vielmehr ist der Kläger, wie sich aus dem Gesamtergebnis der Ermittlungen zur Überzeugung des Senates ergibt, lediglich wegen der Anzahl der wartenden Patienten und seinem Wunsch, nicht nur untersucht zu werden, sondern auch den ihm von der Beklagten zugesandten Fragebogen ausfüllen zu lassen, von der Sprechstundenhilfe der Arztpraxis gebeten worden, einen späteren bereits feststehenden Termin wahrzunehmen, ohne dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger auf die Notwendigkeit der zeitgerechten Bescheinigung seiner Arbeitsunfähigkeit hingewiesen hätte. Allein der Umstand, dass dies der Sprechstundenhilfe auch aufgrund der gespeicherten Daten hätte auffallen können, ist nicht geeignet, den Kläger zu entlasten.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Unschädlichkeit eines Fehlverhaltens des Arztes für die Erteilung einer verspäteten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung finden ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende getan hat, die Feststellung und Bescheinigung seiner Arbeitsunfähigkeit zeitgerecht zu erlangen, er aber durch eine Fehlentscheidung des Arztes hieran gehindert wird, es mit dem Schutzgedanken und -Bedürfnis des Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung auch in Ansehung von § 2 Abs. 2 SGB I nicht zu vereinbaren ist, ihn von in Zeiten seiner Erkrankung wirtschaftlichen, existenzsichernden Leistung auszuschließen (BSG a.a.O. Rn. 28). Dies ist insbesondere bei Beziehern von mittleren und niedrigen Einkommen auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten im Lichte von Art. 2 Abs. 1 GG geboten (BSG a.a.O.). Diese Überlegungen greifen aber dann nicht, wenn wie hier der Versicherte seine Handlungsoptionen nicht in vollem Umfang ausgeschöpft hat. Dabei ist es ihm mindestens zuzumuten, nachdrücklich um einen Kontakt zum Arzt nachzusuchen und unter Umständen lange Wartezeiten auf sich zu nehmen, wenn dies hierfür erforderlich ist. Vorliegend steht für den Senat aber außer Zweifel, dass der Kläger zeitgerecht von seinem Arzt untersucht worden wäre, wenn er hierauf gegenüber der Sprechstundenhilfe bestanden hätte. Er hätte sich lediglich ein zweites Mal wegen seines weiteren Anliegens vorstellen müssen. Auch wenn er hierauf im Interesse der Praxisgegebenheiten verzichtet haben sollte und/oder, wie er vor dem Senat erläutert hat, Angst hatte, andernfalls als Querulant zu gelten, ist dies nicht geeignet, diese Verhaltensweise des Versicherten im Ergebnis dem Arzt und über diesen der Beklagten zuzurechnen. Denn es verbleibt bei dem Umstand, dass der Kläger nicht alles unternommen hat, um seine Rechte zu wahren und die eingetretene Obliegenheitsverletzung seiner Sphäre zuzurechnen ist.

Die Berufung ist daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen für den Senat nicht.
Rechtskraft
Aus
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