L 7 AS 633/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 21 AS 888/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 633/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.03.2018 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 01.03.2018 bis zum 31.08.2018, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens S 21 AS 889/18 vor dem Sozialgericht Düsseldorf, in Höhe von 560,02 EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I, N, beigeordnet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt mit seiner Beschwerde im Wege des einstweiligen Rechtschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.03.2018.

Der am 00.00.1989 geborene Antragsteller zog im November 2012 von Italien nach Deutschland und war in der Zeit vom 28.11.2012 bis zum 31.12.2015 in einer Asylbewerberunterkunft unter der Anschrift I-Straße 00, N gemeldet. In der Zeit vom 27.11.2012 bis zum 30.11.2014 bezog der Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Am 15.12.2014 unterzeichnete der Antragsteller zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder einen Mietvertrag über eine 70 m² große Wohnung unter der Anschrift N 00, N. Das Mietverhältnis begann zum 01.01.2015. Seitdem ist der Antragsteller unter dieser Adresse gemeldet. Die Gesamtmiete für diese Wohnung beträgt 575 EUR (360 EUR Grundmiete + 130 EUR Betriebskosten + 85 EUR Heizkosten). Der Antragsteller bezog ab dem 01.12.2014 bis zum 31.03.2017 Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des SGB XII.

Vom 01.03.2017 bis zum 31.05.2017 ging der Antragsteller einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bei der Firma M und in der Zeit vom 13.06.2017 bis zum 02.09.2017 einer Beschäftigung als Paketzusteller für die Firma N aus I nach. Letzteres Beschäftigungsverhältnis wurde durch den Antragsteller gekündigt.

Der Antragsteller beantragte in der Folgezeit bei dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Der Antragsgegner, der davon ausging, dass der Antragsteller rumänischer Staatsangehöriger ist, lehnte eine Leistungsgewährung unter Bezugnahme auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Hiergegen hat der Antragsteller erfolglos Widerspruch eingelegt (Widerspruchsbescheid vom 15.02.2018). Die am 01.03.2018 erhobene Klage vor dem SG Düsseldorf ist noch unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 21 AS 889/18 anhängig.

Am 01.03.2018 hat der Antragsteller bei dem SG Düsseldorf beantragt, den Antragsgegner, hilfsweise den beizuladenden SGB XII-Leistungsträger im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise nach dem SGB XII zu bewilligen.

Das SG Düsseldorf hat mit Schreiben vom 13.03.2018, per Fax am 14.03.2018 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers abgesandt, eine eidesstattliche Versicherung oder andere Belege für einen dauerhaften Aufenthalt des Antragstellers in N seit 2012 vom Antragsteller angefordert. Unter dem 22.03.2018 hat das SG an die Verfügung vom 13.03.2018 erinnert und um Erledigung "bis spätestens 22.03.2018" gebeten.

Nachdem bis zum 27.03.2018 keine eidesstattliche Versicherung beim SG Düsseldorf einging, hat das SG den Antrag mit Beschluss vom 27.03.2018 abgelehnt. Es hat ausgeführt, der Antragsteller habe ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche nicht glaubhaft gemacht, so dass er dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der europarechtskonform sei, unterliege. Eine Ausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II, mithin einen gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat dem SG am 29.03.2018 per Fax eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers übermittelt, in der dieser angegeben hat, seit 2012 seinen dauerhaften Aufenthalt in N zu haben. Im Anschluss hat der Antragsteller gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 05.04.2018 zugestellten Eilbeschluss am 13.04.2018 Beschwerde eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Eilverfahren. Ergänzend hat er eine weitere eidesstattliche Versicherung vom 17.05.2018 vorgelegt, in der er angibt, weiterhin mit seinem Bruder und seinem Vater unter der Anschrift N 00, N zu leben. Daneben hat der Antragsteller Bescheinigungen der Stadtverwaltung N vom 18.05.2018 und 05.06.2018 über den Leistungsbezug nach dem AsylbLG vom 27.11.2012 bis 30.11.2014 sowie den Leistungsbezug nach dem SGB XII in der Zeit vom 01.12.2014 bis 31.03.2017 zu den Gerichtsakten gereicht. Aufgrund des lückenlosen Aufenthalts im Bundesgebiet seit 2012 sei ein Anordnungsanspruch gegeben. Auch ein Anordnungsgrund liege vor, da der Antragsteller über kein Einkommen oder Vermögen verfüge und die Krankenkasse mit Schreiben vom 26.03.2018 ein Ruhen des Krankenversicherungsschutzes wegen Beitragsschulden in Höhe von 4.835,72 EUR angedroht habe. Der Antragsteller lebe von den Zuwendungen seines Vaters und Bruders, die ausweislich des Bewilligungsbescheides des Antragsgegners vom 19.02.2018 ALG II in Höhe von monatlich 1.178,98 EUR (davon Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von insgesamt 430,98 EUR) erhielten und damit auch den Bedarf des Antragstellers decken müssten.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.03.2018 aufzuheben und den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II ab Rechtshängigkeit an den Antragsteller zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt der Antragsgegner im Wesentlichen auf den Inhalt des sozialgerichtlichen Beschlusses vom 27.03.2018 Bezug. Der Antragsteller habe weiterhin nicht nachgewiesen, dass er sich seit mindestens fünf Jahren fortlaufend im Bundesgebiet aufhalte. Hiergegen spreche, dass der Antragsteller bei der Agentur für Arbeit, bei der er arbeitsuchend gemeldet sei, mehrere Meldetermine versäumt habe. Außerdem habe er an dem Sprachschulunterricht nicht bzw. nur selten teilgenommen, sodass er weiterhin nur rudimentär die deutsche Sprache spreche. Nach dem Kenntnisstand des Antragsgegners lebe und arbeite die Mutter des Antragstellers weiterhin in Rumänien. Insofern sei es dem Antragsteller möglich, sich in Rumänien aufzuhalten, wenn er in Deutschland keiner Beschäftigung nachgeht.

Der erkennende Senat hat eine Stellungnahme der Ausländerbehörde der Stadt N vom 22.06.2018 eingeholt. Darin teilt diese mit, dass der Antragsteller nach Kenntnis der Ausländerbehörde am 27.11.2012 nach Deutschland einreiste und seither ununterbrochen in der Bundesrepublik lebe. Der Antragsteller habe am 30.10.2014 erstmalig beim Einwohnermeldeamt eine rumänische Identitätskarte, gültig vom 27.03.2012 bis 01.06.2019 vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist überwiegend begründet. Der Antragsteller hat im tenorierten Umfang Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Gegenstand des Verfahrens ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 01.03.2018.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antrag-steller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).

Gemessen hieran hat der Antragsteller im tenorierten Umfang einen Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft gemacht.

1.

Der Antragsteller hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II hingegen noch nicht erreicht (Nr. 1), ist erwerbsfähig (Nr. 2), hilfebedürftig (Nr. 3) und hat jedenfalls aktuell seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4).

Ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sind vom ALG II-Leistungsbezug ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben, b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen (Nr. 2), Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3).

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geht der Senat nach summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller rumänischer Staatsangehöriger ist. Zweifel hieran sind allerdings dadurch begründet, dass die Duldungsbescheinigung der Stadt N, die zuletzt bis zum 15.01.2015 verlängert worden ist, den Antragsteller als moldauischen Staatsangehörigen bezeichnet, der Antragsteller einen nicht für EU-Bürger erforderlichen Aufenthaltstitel erhalten und Leistungen nach dem AsylbLG bezogen hat, die für EU-Bürger allenfalls in Ausnahmefällen zur Verfügung stehen. Da die Stadt N den Antragsteller in der Meldebescheinigung vom 07.03.2016 jedoch als rumänischen Staatsangehörigen bezeichnet hat und sich diese Staatsangehörigkeit sich auch aus der vom Senat beigezogenen Ausländerakte ergibt, geht der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einer rumänischen Staatsangehörigkeit aus. Die rumänische Staatsangehörigkeit bestand nach der am 27.03.2012 ausgestellten rumänischen Identitätskarte bereits bei Einreise in das Bundesgebiet.

Da unstreitig ist, dass sich der Antragsteller schon länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhält und er auch keine Leistungen nach dem AsylbLG mehr erhält, kommen die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 SGB II vorliegend nicht in Betracht.

Im Ergebnis scheidet auch ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bei der im Eilverfahren notwendig eingeschränkten Prüfungsdichte aus. Zwar hat das SG zutreffend herausgearbeitet, worauf insoweit Bezug genommen wird, dass der kinder- und arbeitslose Antragsteller ein anderes Aufenthaltsrecht als das der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU in der Zeit ab dem 01.03.2018 nicht glaubhaft gemacht hat, so dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II einschlägig ist. Jedoch bestimmt § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II, dass abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch erhalten, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Hiervon geht das Gericht bei summarischer Prüfung im Eilverfahren aus.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II beginnt die Fünfjahresfrist mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Ausweislich der mit Schriftsatz vom 08.03.2018 vorgelegten Meldebestätigung der Stadt N vom 07.03.2018 ist der Antragsteller am 28.11.2012 aus Italien nach Deutschland zugezogen. Vom 28.11.2012 bis 31.12.2014 war er in der I-Straße 00, N gemeldet. Seit dem 01.01.2015 ist er unter der Anschrift N 00, N gemeldet. Diese Meldedaten decken sich mit den eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers vom 29.03.2018 und 17.05.2018 und sind auch im Übrigen plausibel. Denn ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Duldungsdokumente der Stadtverwaltung N hatte der Antragsteller bis zum 15.01.2015 nur den Status eines Geduldeten inne, sodass eine Ausreise aus dem Bundesgebiet gemäß § 60a Abs. 5 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Folge gehabt hätte, dass die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erloschen wäre und der Antragsteller nach § 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG abgeschoben worden wäre. Es spricht mithin viel dafür, dass der Antragsteller jedenfalls in der Zeit vom 28.11.2012 bis zum 15.01.2015 das Bundesgebiet nicht verlassen hat. Ähnliches gilt auch für den Zeitraum bis zum 31.03.2017, denn bis dahin hat der Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten. Da diese Form der Sozialhilfe Ausländern nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nur dann gewährt wird, wenn sie "sich im Inland tatsächlich aufhalten", ist mangels anderer Erkenntnisse davon auszugehen, dass sich der Antragsteller auch in dieser Zeit im Bundesgebiet lückenlos aufgehalten hat. Da der Antragsteller hiernach nahezu ohne Ausnahme bis zum 02.09.2017 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgegangen war, was faktisch nur möglich ist, wenn der Antragsteller im Tagespendelbereich dieser Beschäftigungsorte wohnhaft war, spricht auch aus diesem Gesichtspunkt viel dafür, dass der Antragsteller - wie er es eidesstattlich versichert hat - durchgehend seit mehr als fünf Jahren in N lebt. Zudem hat der Antragsteller weitere Dokumente vorgelegt, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet glaubhaft machen. So konnte der Antragsteller eine Mitgliedsbescheinigung eines N Sportvereins vom 11.04.2013 bis 03.11.2016, Sozialversicherungsdokumente, Krankenkassenkorrespondenz (mehrmonatiger Beitragsrückstand), Kontoauszüge und Sprachkurszeugnisse vorlegen.

Anders als der Antragsgegner meint konnte auch plausibel rekonstruiert werden, wie der Antragsteller seit seiner Übersiedlung in das Bundesgebiet seinen Lebensunterhalt finanzieren konnte. Denn zunächst erhielt der Antragsteller als Geduldeter in der Zeit vom 27.11.2012 bis zum 30.11.2014 Leistungen nach dem AsylbLG und in der Zeit vom 01.12.2014 bis 31.03.2017 Sozialhilfe. Hiernach erzielte der Antragsteller über mehr als fünf Monate bedarfsdeckendes Einkommen. Zwar ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass der Antragsteller zuletzt über kein Einkommen verfügte, jedoch hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er von seinem Bruder und Vater, mit denen er eine Wohnung angemietet hat, derzeit unterstützt wird. Es ist im Übrigen wenig überzeugend von der Antragsgegnerin, weil zirkelschlüssig, dem Antragsteller Grundsicherungsleistungen zu versagen und dies als Argument dafür anzuführen, dass sich der Antragsteller nicht im Bundesgebiet aufhalten würde, weil hier sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Nicht nachvollziehbar ist ferner, dass der Antragsgegner dem Bruder und Vater des Antragstellers bei nahezu inhaltsgleicher Biographie ALG II gewährt, dem Antragsteller hingegen nicht.

Nach alledem geht der Senat bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II seit über fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Es mag sein, dass der Antragsteller in der Vergangenheit Meldetermine und Sprachkurse versäumt hat, jedoch kann dies allenfalls Sanktionstatbestände auslösen, rechtfertigt aber nicht allein die Annahme, dass der Antragsteller sich nicht gewöhnlich im Bundesgebiet aufhält oder aufgehalten hat. Dies gilt erst recht, nachdem der Antragsteller mittels Zeugnissen nachgewiesen hat, dass er sehr wohl wiederholt Sprachkurse besucht hat.

Hieraus folgt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht durchgreift. Rückausnahmen, weil der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 des FreizügG/EU festgestellt wurde (§ 7 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II) oder weil eine Ausreisepflicht bestand (§ 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II) waren beim Antragsteller ebenfalls nicht gegeben, denn dieser verfügt eine seit dem 27.03.2012 über eine rumänische Identitätskarte, ohne dass der Verlust der hieraus folgenden Freizügigkeit festgestellt wurde. Dies bestreitet auch der Antragsgegner nicht, sodass insgesamt ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde.

2.

Auch einen Anordnungsgrund hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dies im Wesentlichen auch bezogen auf die Unterkunfts- und Heizbedarfe.

a) Der Antragsteller verfügt ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge und PKH-Unterlagen über keinerlei bereite Mittel, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Daher ist ihm das Zuwarten auf den Abschluss des Hauptsacheverfahrens - bezogen auf den Regelbedarf von aktuell 416 EUR - nicht möglich und zumutbar. Dies gilt insbesondere auch aufgrund der Drohung des Ruhens des Krankenversicherungsschutzes seitens der Krankenkasse des Antragstellers (AOK). Mit der Leistungsgewährung nach dem SGB II wird ein Ruhen des Krankenversicherungsschutzes ausgeschlossen oder - soweit das Ruhen von der Krankenkasse bereits ordnungsgemäß ausgesprochen wurde - beendet, ohne dass hierfür die Beitragsrückstände getilgt werden müssten (§ 16 Abs. 3a Satz 4 SGB V).

b) Bezogen auf die Unterkunfts- und Heizbedarfe, die bei dem Antragsteller, der in Haushaltsgemeinschaft mit seinem Vater und Bruder lebt, grundsätzlich kopfanteilig in Höhe von 191,67 EUR (575 EUR: 3) zu berücksichtigen sind, ist jedenfalls in Höhe von 144,02 EUR ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden.

Der erkennende Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes bezogen auf die Unterkunfts- und Heizbedarfe keine Räumungsklage und/oder "Kündigungslage" erforderlich ist (vgl. Beschlüsse vom 04.05.2015 - L 7 AS 139/15 B ER und vom 06.12.2017 - L 7 AS 2133/17 B). Die Rechtsprechung des Senats deckt sich mit dem Beschluss des BVerfG vom 01.08.2017 (1 BvR 1910/12), das klargestellt hat, dass in Verfahren des Eilrechtsschutzes zu den Kosten der Unterkunft nicht allein schematisch auf die Erhebung der Räumungsklage abgestellt werden darf, sondern zu prüfen ist, welche Folgen im konkreten Einzelfall drohen.

Ausnahmen von diesem Grundsatz erkennt der Senat nur in besonderen Ausnahmekonstellationen an, etwa wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfungsdichte belastbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vertraglichen Pflichten des Antragstellers jedenfalls während der Nichtzahlung von Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs gestundet sind, etwa weil es sich um ein Mietverhältnis unter Verwandten handelt oder eine sonstige Nähebeziehung zwischen dem Vermieter und dem Anspruchsteller besteht. Gleiches gilt, wenn feststeht, dass das Mietverhältnis trotz Zusprechens der Leistungen nicht erhalten werden kann und es daher nur noch darum geht, Ansprüche des Vermieters zu sichern (zusammenfassend: Beschluss vom 06.12.2017 - L 7 AS 2133/17 B), oder wenn es sich nicht um erhaltenswerten Wohnraum, etwa wegen einer ordnungsbehördlichen Schließungsverfügung oder eines Verstoßes gegen eine Wohnsitzauflage handelt.

Eine Ausnahme greift indes nicht ein, wenn - wie vorliegend - die durch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung entstehende Bedarfslücke durch Haushaltsgemeinschafsmitglieder gedeckt wird. Zwar entstehen auch in dieser Konstellation keine Mietschulden und der Leistungsbezieher wird nicht gedrängt, einen zivilrechtlichen Kündigungsgrund entstehen zu lassen, eine Kündigung hinzunehmen, eine Räumungsklage abzuwarten und auf die nachfolgende Beseitigung der Kündigung zu hoffen. Zudem entfällt in dieser Konstellation der vom BVerfG monierte Wertungswiderspruch, wenn von einem hilfebedürftigen Bürger verlangt wird, dass dieser sich gegenüber einem Dritten vertragswidrig verhält, indem er seine vertraglich geschuldete Miete nicht vollständig zahlt und damit die Kündigung des Mietverhältnisses provoziert. Gleichwohl verbleibt eine ganz erhebliche Bedarfslücke, die von den übrigen Haushaltsgemeinschaftsmitgliedern, die selbst im SGB II-Leistungsbezug stehen und keine Freibeträge ausweisen, allenfalls unter erheblichen Einschränkungen kompensiert werden kann. Angesichts des existenzsichernden Charakters der Leistungen muss dies auch vorübergehend nicht hingenommen werden.

Hinsichtlich der Leistungshöhe ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner an den Vater und den Bruder bereits Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von insgesamt 430,98 EUR zahlt, sodass bei einer Gesamtmiete von 575 EUR allenfalls eine Bedarfsunterdeckung für die Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von 144,02 EUR (575 EUR - 430,98 EUR) verblieb. Nur insoweit kann in Bezug auf die Unterkunfts- und Heizbedarfe ein Anordnungsgrund angenommen werden.

Nach alledem war die einstweilige Anordnung im vorliegenden Einzelfall auf den Regelbedarf und die ungedeckten Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von 560,02 EUR (416 EUR + 144,02 EUR) zu beschränken. Der Zeitraum der Verpflichtung des Antragsgegners orientiert sich dabei an § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II.

Da die Rechtsverfolgung von Beginn an hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat, steht dem Antragsteller auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ff. ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung. Zwar wäre bei einer kopfanteiligen Leistungsgewährung hinsichtlich der Unterkunfts- und Heizbedarfe ein höherer Betrag in Höhe von 191,67 EUR anzusetzen, den der Antragsteller hier offensichtlich geltend gemacht hat. Das erkennende Gericht sah insoweit aber nur eine geringfügige Abweichung vom Prozessantrag, sodass von einer Kostenquotelung abgesehen werden konnte (Rechtsgedanke aus § 92 Abs. 2 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved