S 13 KR 75/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 75/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 373,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2016 zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Der Streitwert wird auf 373,68 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf (Rest-)Vergütung wegen erbrachter Krankenhausbehandlungsleistungen in Höhe von 373,68 EUR. Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus. Dort behandelten ihre Ärzte stationär vom 25.09. bis 12.10.2015 die am 00.00.0000 geborene, bei der Beklagten versicherte M. T. (im Folgenden: Versicherte) zwecks operativer Totalkorrektur eines Herzfehlers. Während der Behandlung erhielt die Versicherte am 28.09.2015 eine Gabe Apherese-Thrombozytenkonzentrat (ATK), das ist ein durch Apherese vom Einzelspender gewonnenes Präparat. Für die Krankenhausbehandlung stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 06.11.2015 nach der Fallpauschale (DRG) A13A insgesamt 45.401,49 EUR in Rechnung. In diesem Betrag waren 373,42 EUR für die ATK-Gabe mit dem Zusatzentgelt (ZE) 147.01, Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-800.f0 enthalten. Die Beklagte zahlte den Rechnungsbetrag zunächst an die Klägerin. Im Rahmen einer anschließenden Überprüfung der Abrechnung kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in einer Stellungnahme vom 04.03.2016 hinsichtlich der Gabe von ATK zum Ergebnis: "Die zwei unstrittigen Indikationen für die Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentrate (ATK) – Patienten bei HLA-Alloimmunsierung* zur Auswahl HLA-kompatibler Spender und CMV-AK-negative Patienten, vor (geplanter) oder nach allogener Stammzelltransplantation zur Auswahl CMV-Ag-negativer Spender – sind im vorliegenden Einzelfall nicht gegeben. ln allen anderen Fällen, wie auch in dem hier zu beurteilenden Fall, wird die medizinische Indikation zur Gabe von ATKs kontrovers diskutiert. In der Frage des Infektionsrisikos oder der Recovery- und Überlebenszeit von Thrombozyten stehen MDK und AG StKB (AG der Ärzte staatlicher und kommunaler Bluttransfusionsdienste) im Dissens. Die zur Frage der Infektionsprophylaxe von der AG StKB postulierte Vorrangigkeit der selektiven Einzelspende (maximalen Minimierung der Spenderexposition) bei ATK wird vom MDK bestritten. Eine Plasmareduktion mittels Plasmaersatzlösungen, die Pathogeninaktivierung und die auf vier Tage verkürzte Lagerdauer stellen nach Auffassung des MDK gleichrangige Faktoren zur Senkung des Infektionsrisikos dar. Zur Problematik der Alloimmunisierung liegen keine Untersuchungsergebnisse vor, die belegen, dass Recovery und Überlebenszeit bei ATK besser wären als bei den in Deutschland verwendeten BC-PTK (Buffy Coat). Vorliegende zitierte Studien beziehen sich nur auf PRP-PTK (Plättchenreiches Plasma), die in Deutschland derzeit nicht hergestellt werden. Unabhängig hiervon ist allein mit Pool-Thrombozytenkonzentraten (PTK) eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung nicht möglich. Aus allgemeinen, einzelfallunabhängigen logistischen Gründen sind Apherese-Thrombozytenkonzentrate unverzichtbar, da allein mit Pool-Thrombozytenkonzentraten eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung nicht möglich wäre und insbesondere Kliniken, die Patienten mit hämatologischen Erkrankungen, wie Leukämien behandeln, deshalb zwingend auf die Herstellung von Apherese-Thrombozytenkonzentraten angewiesen sind. Ob im Einzelfall das kostengünstigere PTK verfügbar war, kann gutachterlich nicht bewertet werden. Die Bewertung erfolgt im Dissens mit der Klinik."

Die Beklagte teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom 09.03.2016 mit und bat um Überweisung eines bereits gezahlten Betrages von "378,13 EUR". Mit Schreiben vom 20.04.2016 ihrer Abteilung "Medizinisches Controlling und Qualitätsmanagement" teilte die Klägerin dem MDK mit: "Ihrer Feststellung, dass das Apherese-Thrombozytenkonzentrat bei dem drei Monate alten Säugling gleichwertig durch gepoolte Präparate ersetzt werden können, wird widersprochen. In aktuellen Publikationen der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, des Berufsverbandes der Deutschen Transfusionsmediziner e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Ärzte staatlicher und kommunaler Bluttransfusionsdienste e.V. wird der Stellenwert der Apherese-Thrombozytenkonzentrate dargestellt. Insbesondere in den ersten Lebensmonaten sind Apherese-Thrombozytenkonzentrate wegen des nicht ausgereiften Immunsystems aus infektiologischen und immunologischen Gründen den gepoolten vorzuziehen. Hinzukommt, dass das Kind mit komplexem Herzfehler auch nach Korrektur- Operation wahrscheinlich einen wiederholten Bedarf an Substitution von Blutprodukten hat." Die Beklagte blieb bei ihrer Auffassung und forderte die Klägerin mit weiteren Sachreiben vom 19.07., 02.08. und 29.08.2016 zur Rückzahlung von "378,13 EUR" auf. Da die Klägerin nicht zahlte, rechnete die Beklagteeinen von ihr ermittelten Erstattungsanspruch in Höhe von nunmehr 373,68 EUR gegen den Vergütungsanspruch der Klägerin aus einem anderen (unstreitigen) Behandlungsfall auf. In der Aufrechnungserklärung vom 31.08.2016 bezeichnete sie genau – unter Angabe des Patientennamens (B. G.), der Aufnahme- und Rechnungsnummern und des Rechnungsbetrages (1.744,02 EUR) – die Forderung aus diesem Behandlungsfall und ihre zur Aufrechnung gestellte Erstattungsforderung aus dem Behandlungsfall der Versicherten M.T ... Am 08.03.2017 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 373,68 EUR erhoben. Sie verweist auf ihre Stellungnahme vom 20.04.2016 und eine Entscheidung des Sozialgerichts Aachen vom 15.12.2016 (S 15 KR 61/13). Sie ist der Auffassung, die von der Beklagten unterstellte Gleichwertigkeit der ATK-Blutprodukte gegenüber Poolpräparaten sei wissenschaftlich nicht belegt, sodass die Produkte nicht ohne weiteres austauschbar seien. Die Klägerin hat die in einem anderen sozialgerichtlichen Verfahren eingeholte Stellungnahme (Auszug) des Q.-F.-Instituts vom 18.05.2016 vorgelegt. In dieser heißt es u.a., dass ATKs bei transfusionspflichtigen Kindern eingesetzt werden sollten, um das Risiko noch nicht stattgehabter Immunisierungen gegen HLA- und HPA-Antigene oder die Boosterung potentiell stattgehabter, unter der Nachweisgrenze liegender Immunantworten zu reduzieren. Des Weiteren hat die Klägerin eine Empfehlung des MDK C. vom 19.08.2015 vorgelegt, wonach aus medizinischer Sicht die Indikation von ATK u.a. bei Kindern mit angeborenen Vitien bestehe; zu dieser Personengruppe gehöre die Versicherten. Das Gericht hat zur Klärung der medizinischen Umstände, insbesondere der Indikation und Notwendigkeit der Gabe von ATK anstatt von PTK ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage von dem Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie, spezielle pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie Dr. T. eingeholt. Der Sachverständige hat die Notwendigkeit der Gabe von ATK unter Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Behandlungsfalls der Versicherten bejaht. Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 16.03.2018 verwiesen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich, die Beklagte zur Erstattung der restlichen Behandlungskosten für den stationären Aufenthalt der Patientin B. G. (geb. am 00.00.0000) vom 04.08. bis 06.08.2016 in Höhe von 373,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 09.09.2016 zu verurteilen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Stellungnahme des MDK vom 04.03.2016. Sie meint, die Stellungnahme des Q.-F.-Instituts vom 18.05.2016 habe für die hier strittige Frage keine Relevanz. Für maßgeblich hält sie dagegen eine ältere "Stellungnahme des Q.-F.-Instituts (QFI) zur Sicherheit von Pool-Thrombozytenkonzentraten (PTK) und Apherese-Thrombozytenkonzentraten (ATK)" vom 29.11.2011, aktualisiert am 06.11.2012, in der das von 1997 bis 2012 beobachtete Infektionsrisiko nach Gabe von Thrombozytenkonzentraten dargestellt wird. Die Beklagte meint, diese Studie habe ergeben, dass es keinerlei signifikante Unterschiede gebe, schon gar kein erhöhtes Infektionsrisiko. Dass man hier wieder versuche, auf dem Faktor "Kind" herumzureiten, sei bedauerlich. Auch das eingeholte Sachverständigengutachten sei zur Streitentscheidung nicht von Bedeutung; es sei vielmehr "ein Freifahrtschein für jedes Gartenhaus in Deutschland auch bei neugeborenen Säuglingen ausnahmslos Apherese-Thrombozytenkonzentrate zu verabreichen"; dem trete sie deutlich entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer auf Zahlung der (Rest-)Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhauses gegen eine Krankenkasse geht es um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2000 - B 3 KR 33/99 R = BSGE 86,166 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten. Die Klage ist auch begründet. Gegenstand der Klageforderung ist nicht der Vergütungsanspruch der Klägerin aus der Behandlung der Versicherten M.T ... Denn dieser ist durch die Zahlung der Beklagten in vollem Umfang erfüllt. Gegenstand der Klageforderung ist vielmehr der Anspruch auf (Rest-)Vergütung aufgrund der in der Aufrechnungserklärung vom 31.08.2016 näher bezeichneten stationären Behandlung einer anderer Versicherter der Beklagten (B. G.), aus der die Klägerin – dies ist unstreitig – zunächst Anspruch auf die in Rechnung gestellte Vergütung in Höhe von 1.744,02 EUR hatte. Darauf hat die Beklagte jedoch nur den um 373,68 EUR gekürzten Betrag von 1.370,34 EUR gezahlt und die Restforderung mit einem vermeintlichen Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall der Versicherten M. T ... aufgerechnet. Diese Aufrechnung ist zwar gem. § 9 der Prüfverfahrensvereinbarung 2015 formell ordnungsgemäß erfolgt. Jedoch war die Beklagte zur Aufrechnung nicht berechtigt, da ihr der behauptete Erstattungsanspruch nicht zustand. Die Forderung der Klägerin aus dem Behandlung der Versicherten M. T. war (und ist) in vollem Umfang berechtigt; die Beklagte hat zu Unrecht die Forderung der Klägerin aus dem anderen in der Aufrechnungserklärung vom 31.08.2016 bezeichneten Behandlungsfall um 373,68 EUR gekürzt. Dies gilt bereits im Hinblick auf einen Teilbetrag 0,26 EUR, da die Klägerin nicht 373.68 EUR, sondern nur 373,42 EUR für die Gabe von ATK an die Versicherte M. T. in Rechnung gestellt hatte. Aber auch dieser Betrag ist zurecht von der Klägerin geltend gemacht worden. Rechtsgrundlage des geltend gemachten restlichen Vergütungsanspruchs der Klägerin ebenso wie des Vergütungsanspruchs aus der Behandlung der Versicherten M. T. ist § 109 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch der Versicherten. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherten (BSG, Urteil vom 13.12.2001 - B 3 KR 11/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 2; Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Die näheren Einzelheiten über Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kostenübernahme, Abrechnung der Entgelte sowie die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ist in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkassen sowie Landesverbänden der Krankenkasse andererseits geschlossenen Verträge nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt. Es sind dies der Vertrag über allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (KBV) und der Vertrag zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung (KÜV). Allein die Gabe von Thrombozytenkonzentrat ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Umstritten ist ausschließlich, ob die Gabe des Apherese-Thrombozytkonzentrates (ATK) gerechtfertigt war oder aber die kostengünstigere Verabreichung von Pool- Thrombozytenkonzentrat (PTK) ausgereicht hätte. Die Klägerin durfte für die Behandlung der Versicherten M. T. das Zusatzentgelts ZE 147.01 nach dem hier einschlägigen Fallpauschalenkatalog 2015 abrechnen, weil die Gabe des ATK erforderlich war. Dies ergibt sich aus dem für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend begründeten Abrechnungsgutachten des Sachverständigen Dr. T ... Dieser ist dem Gericht aus zahlreichen anderen, (Kleinst-) Kinder betreffende Gutachten als erfahrener Facharzt bekannt. Dr. T. war früher leitender Arzt großer Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin. Von daher verfügt er über profunde Kenntnisse in Bezug auf die hier zu entscheidende medizinische Fragestellung. Er hat das Gutachten unter Berücksichtigung und Beachtung der einschlägigen Leitlinie, fachlicher Stellungnahmen und der patientenindividuellen Besonderheiten erstellt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 16.03.2018 ausgeführt: "Weder die Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blut-komponenten und Plasmaderivaten in der 4. überarbeiteten Auflage aus dem Jahre 2014 noch die wissenschaftlichen Erläuterungen zur Stellungnahme "Bewertung von Apherese- und Pool-Thrombozytenkonzentraten" des Arbeitskreises Blut, veröffentlicht im Bundesgesundheitsblatt 2015, noch die Stellungnahme der Ärzte staatlicher und kommunaler Bluttransfusionstransfusionsdienste e.V. geht auf die Besonderheiten kleiner Säuglinge und Neugeborener, die mit Herz-Lungen-Maschine operiert werden müssen – wie in vorliegendem Fall – ein. Besonderheiten von Patienten, die mit Herz-Lungen-Maschine operiert werden müssen, werden überhaupt nicht erwähnt. Dieses, obwohl bei diesen Patienten insbesondere bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen auf der einen Seite die Gerinnungs- und Thrombozytensituation und auf der anderen Seite die Volumensituation für den Operationserfolg und das Überleben der Patient von entscheidender Bedeutung ist. Aus den angegebenen wissenschaftlichen Stellungnahmen ist ausschließlich zu entnehmen, dass in jedem Fall die Infektionsgefährdung bei Transfusion von Pool-Thrombozytenkonzentraten rechnerisch mindestens viermal, andere Untersucher geben bis zu 12-mal höher ist als bei Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentraten. Es gibt zwar eine Stellungnahme von Herrn Professor Dr.H., der angibt, dass bei Patienten, bei denen mehrere Transfusionen stattfinden müssen, sich das Risiko weiter reduziert. Aber auch selbst bei dieser Berechnung ist das Infektionsrisiko bei Gabe von Pool-Thrombozytenkonzentraten immer noch höher als bei Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentraten. Weiterhin ist zumindest tendenziell aus den wissenschaftlichen Stellungnahmen zu entnehmen, dass Apherese-Thrombozytenkonzentrate eine bessere Wirksamkeit aufweisen als Pool-Thrombozytenkonzentrate. Dieser Unterschied mag, weil bei einer Blutmenge von 70 ml Menge/Kg Körpergewicht für einen erwachsenen Patienten, dementsprechend ca. 4-7 I Gesamtblutmenge, marginal sein, da wiederholte Gaben von 100 ml Thrombozytenkonzentrat nicht zu einer relevanten Volumenbelastung führen. Bei einem kleinen Säugling, wie in vorliegendem Fall, von 5 kg Körpergewicht und einer maximalen Gesamtblutmenge von 450ml (ca. 70 ~max.100ml/Kg Körpergewicht) stellen 100 ml Thrombozytenkonzentrat bereits 20-25 % des Gesamtblutvolumens dar, welches bei einem schwer herzkranken Kind zu einer massiven Volumenbelastung führt und insbesondere im Zusammenhang mit einer Operation an der Herz-Lungen-Maschine zu einer akuten Dekompensation, Ödemen und sogar Versterben führen kann. Insofern ist die Situation bei kleinen Säuglingen völlig anders zu bewerten als zum Beispiel bei einem erwachsenen Patienten. Auch marginale Wirksamkeitsunterschiede zwischen den unterschiedlichen Thrombozytenkonzentraten spielen insofern hier eine große Rolle. In diesem Zusammenhang ist auch weiterhin darauf zu verweisen, dass Pool-Thrombozytenkonzentrate gegenüber Apherese-Thrombozytenkonzentraten Plasma reduziert sind. Während Pool-Thrombozytenkonzentrate nur noch ca. 25-30 % Plasma enthalten, ist dieses bei Apharese-Thrombozytenkonzentraten mit 85-90 % anzugeben. Bezogen auf die Haltbarmachung der Konzentrate ist der niedrige Anteil des Plasmas in Pool-Thrombozytenkonzentraten gewünscht. Bei Patienten, die mit der Herz-Lungen-Maschine operiert werden, ist dieses jedoch nicht erwünscht, da sich eine unterschiedliche Viskosität daraus ergibt und beim sogenannten Priming der Herz-Lungen-Maschine die Maschine mit Erythrozytenkonzentraten, Kochsalzlösung, Mannit und Natriumbicarbonat und Heparin vorausgefüllt wird, um die Fließeigenschaften des Blutes während der Operation zu verbessern und die Gefahr der Bildung von Blutgerinnseln zu verringern. Aus dem Perfusionsprotokoll in vorliegendem Fall geht hervor, dass von insgesamt 305ml Priming Volumen 180 ml aus Kochsalzlösung, Mannit und Natriumbicarbonat bestanden. Nach Abschluss der Operation muss jedoch der physiologische Zustand wiederhergestellt werden, deswegen muss Plasma (FFP) gegeben werden. Würde in diesem Zustand notwendiges Thrombozytenkonzentrat als Pool-Konzentrat verabreicht, könnte der beabsichtigte Ausgleich und die Normalisierung der Eigenschaften, die nach Abschluss der Operation resultieren sollen, nicht erreicht werden, da wiederum ein Anteil von ca. 20 % des Blutvolumens mit der Stabilisationslösung des Pool-Thrombozytenkonzentrates aufgefüllt würden. Die Gabe von Thrombozytenkonzentrat am Ende Operation an der Herz-Lungen-Maschine ist in der Regel deswegen erforderlich, da die Thrombozyten auf der einen Seite in der Herz-Lungen-Maschine geschädigt werden und auf der anderen Seite im Primingvolumen keine Thrombozyten vorhanden waren. Weiterhin durch das verabreichte Heparin einer beabsichtigten Hemmung der Plasmatischen Gerinnung, kann durch die Gabe von Protamin antagonisiert werden, nicht allerdings die Nebenwirkung auf die Thrombozyten: Heparin induzierte Thrombozytopenie, die zu einem Abfall der Thrombozytenwerte führt." Zusammenfassend beantwortet der Sachverständige die Beweisfragen wie folgt: "Zu 1. Fallgestaltungen, bei denen eine Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentraten anstatt der Gabe von Pool-Thrombozytenkonzentrat absolut indiziert und notwendig ist, ergeben sich bei bestimmten Fällen von Immunschwäche, im Hämato-Onkologischen Bereich und bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen, bei denen die Volumenbelastung mit Stabilisationslösung, wie sie in Thrombozytenkonzentraten mit Anteilen von ca. 70 Volumenprozent verwendet werden, nicht tolerierbar sind. Zu 2. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Fallgestaltung, bei der infolge des Körpergewichtes des behandelnden Kindes des daraus resultierenden Blutvolumens sowie der Tatsache, dass eine Operation an der Herz-Lungen-Maschine stattgefunden hatte, bei der im Anschluss an die Operation eine Thrombozytengabe erfolgte und aufgrund der Gesamtkonstellation der höhere Plasmaanteil im Apherese-TK gegenüber dem Pool-TK einen therapeutischen Effekt hat. Zu 3. Im vorliegenden Fall wäre aus oben genannten Gründen die Gabe von Pool-Thrombozytenkonzentrat nicht ausreichend und hinreichend geeignet gewesen und wäre nur im Notfall mangelnder Verfügbarkeit eines Apherese-Thrombozytenkonzentrates anzuwenden gewesen. Zu 4. Die Notwendigkeit der Verabreichung des Apherese-Thrombozytenkonzentrates ergibt sich aus der Operation mit der Herz-Lungen-Maschine."

Dem schließt sich die Kammer an. Die weiteren gegen die Feststellungen erhobenen Einwände der Beklagten überzeugen die Kammer angesichts der dargestellten Beurteilung des Sachverständigen nicht. Dies gilt zunächst für die völlig unsachlich geäußerten Zweifel an der Qualifikation des Sachverständigen; diese entbehren jeglicher Grundlage; schon wegen der gewählten Wortwahl enthält sich die Kammer jeglichen Kommentars dazu. Soweit die Beklagte auf die "Stellungnahme des Q.-F.-Instituts (QFI) zur Sicherheit von Pool-Thrombozytenkonzentraten (PTK) und Apherese-Thrombozytenkonzentraten (ATK)" vom 29.11.2011, aktualisiert am 06.11.2012, verweist, in der das von 1997 bis 2012 beobachtete Infektionsrisiko nach Gabe von Thrombozytenkonzentraten dargestellt wird, ist diese 4-5 Jahre älter als die von der Klägerin in das Verfahren eingeführte Stellungnahme desselben Instituts vom 18.05.2016, die diese in einem anderen sozialgerichtlichen Verfahren abgegeben hat. Auch wenn nach der älteren, zuletzt 2012 aktualisierten Stellungnahme des Q.-F-Instituts ATK und PTK ein gleich hohes Maß an Sicherheit aufweisen, ergibt sich aus der weiteren Stellungnahme aus dem Jahre 2016 und anderen Fachstellungnahmen, dass die Indikation und Notwendigkeit, welches Produkt jeweils zu verabreichen ist, differenziert und nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist. Der MDK selbst hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 04.03.2016 unstrittige Indikationen für die Gabe von ATK anstatt PTK eingeräumt. Das Q.-F.-Institut hat – ganz allgemein und deshalb durchaus auf den vorliegenden Fall übertragbar – in seiner Stellungnahme vom 18.05.2016 erklärt: "Die Querschnitts-Leitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten geben dabei eine Orientierung zum differenzierten Einsatz von Apherese-Thrombozytenkonzentraten im Sinne besonderer medizinischer Indikationen, soweit die bestehende Evidenzlage es zulässt. Die Auswahl des geeigneten Produktes für einen Patienten obliegt schlussendlich aber dem behandelnden Arzt und ist Folge einer differenzierten Nutzen-Risiko-Abwägung unter fachmedizinischen Aspekten im Einzelfall." Aufgrund der Darlegungen des Sachverständigen Dr. T. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass im hier streitbefangenen Behandlungsfall die einzelfallbezogene Entscheidung der Ärzte der Klägerin, die Gabe von ATK (statt PTK) zur Behandlung der damals 3 ½ Monate alten Patientin als notwendig und erforderlich anzusehen, richtig war. Dementsprechend war die Klägerin berechtigt, auch das ZE 147.01 in Höhe von 373,42 EUR in Rechnung zu stellen. Aus allen dargelegten Gründen war die am 31.08.2016 erklärte Aufrechnung seitens der Beklagten in Höhe von 373,68 EUR unberechtigt und ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin diesen Betrag zur Erfüllung der Restforderung aus dem Behandlungsfall B. G. zu zahlen. Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt des Verzuges begründet. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KBV sind Rechnungen innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang zu begleichen. Da die Rechnung vom 23.08.2016 über die Krankenhausbehandlungskosten der in der Aufrechnungserklärung genannten Versicherten B. G. fällig war und die Beklagte nur den gekürzten Betrag zur Zahlung angewiesen hat, ist die Beklagte jedenfalls seit dem 09.09.2016 mit der Vergütung der Restforderung in Verzug. Daher ist das Zinsbegehren der Klägerin sowohl nach dessen Beginn als auch der Höhe nach (vgl. § 15 KBV) begründet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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