S 49 AS 472/18 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
49
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 49 AS 472/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig dazu verpflichtet, den Antragstellerinnen für die Zeit vom 06.02.2018 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.07.2018, jeweils Regelbedarf und Kosten für Unterkunft und Heizung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II].

Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der minderjährigen Antragstellerin zu 2), die am 05.10.2000 geboren worden ist. Die Antragstellerinnen sind bulgarische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) ist ausweislich der vorliegenden Meldebescheinigung vom 06.05.2015 am 25.11.2008 erstmalig in Deutschland gemeldet gewesen. Seitdem ist die Antragstellerin zu 1) durchgehend unter verschiedenen Anschriften gemeldet gewesen. Lediglich für den Zeitraum vom 07.08.2013 bis zum 07.09.2013 ist der Meldebescheinigung keine gemeldete Adresse entnehmbar. Laut telefonischer Auskunft des Einwohnermeldeamtes am 01.03.2018 haben sich die Antragstellerinnen zuletzt am 22.10.2015 unter der Wohnung S.str. 13, 4xxxx angemeldet, welche die Antragstellerinnen als Anschrift im Eilverfahren angegeben hatten. Die Anmeldung aktuellen Adresse erfolgte unter zeitgleicher Abmeldung von der Wohnung D.Str. 8, 4xxxx Duisburg, die in der Meldebescheinigung vom 06.05.2015 seinerzeit als aktuelle Adresse aufgeführt ist.

Das einstweilige Rechtsschutzverfahrens zum Aktenzeichen S 32 AS 4553/17 ER ist für erledigt erklärt worden, nachdem der Antragsgegner den Antragstellerinnen mit Bescheid vom 12.12.2017 für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2017 vorläufige Leistungen in Höhe von insgesamt 1.015,84 EUR monatlich gewährte.

Am 15.12.2017 stellten die Antragstellerinnen bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II. Am 09.01.2018 erkundigten sie sich nach dem Bearbeitungsstand. Mit Schreiben vom 17.01.2018 forderten die Antragstellerinnen den Antragsgegner unter Fristsetzung erfolglos zur Leistungsgewähr auf.

Mit Schreiben vom 06.02.2018, beim Sozialgericht Duisburg eingegangen am selben Tag, haben die Antragstellerinnen einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung tragen sie vor, die Antragstellerin zu 1) lebe seit 2008 in Deutschland. Die Antragstellerin zu 2) sei 2010 eingereist. Die Antragstellerinnen seien nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II leistungsberechtigt, weil sie ununterbrochen seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet wohnen würden. Auch in der Zeit von August bis September 2013 habe sich die Antragstellerin zu 1) in Deutschland aufgehalten. Dies belege die eidesstattliche Versicherung vom 06.03.2018 und die Verdienstbescheinigungen für diese Monate, welche nachweisen würden, dass die Antragstellerin zu 1) in Deutschland einer Beschäftigung nachgegangen sei und sich deshalb in Deutschland aufgehalten haben müsse. Aus der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1) vom 06.03.2018 geht hervor, dass die Antragstellerinnen im August und September 2013 noch unter der Adresse "V.-Kamp 20" gewohnt hätten. Offensichtlich seien die Antragstellerinnen ohne ihr Wissen vom Vermieter, der die Wohnung verkauft und das Mietverhältnis gekündigt habe, abgemeldet worden. Nach Ansicht der Antragstellerinnen ist glaubhaft gemacht, dass der Aufenthalt in Deutschland nicht unterbrochen worden sei. Aus der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II werde entnommen, dass nur die Meldung bei der Meldebehörde zu Beginn der Meldefrist ordnungsgemäß sein müsse. Eine Meldung zwischendurch sei nach der Gesetzesbegründung nicht erforderlich, es genüge der "gewöhnliche Aufenthalt", der hier ausreichend nachgewiesen sei. Wenn sogar eine unwesentliche Unterbrechung gestattet sei, müsse dies erst recht für nicht dokumentierte Meldezeiten gelten, die durch andere Beweismittel nachgewiesen seien. Darüber hinaus habe die Antragstellerin zu 1) als ehemalige Arbeitnehmerin, die zuletzt bis zum 31.12.2016 beschäftigt gewesen sei, ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Gesetz über die Freizügigkeit von Unionsbürgern [FreizügG/EU], das aus mehreren Tätigkeiten herrühre, die zusammen eine Arbeit in Deutschland von mehr als einem Jahr begründeten. In der Zeit vom 01.08.2016 bis 01.09.2016 sei die Antragstellerin zu 1) nur befristet angestellt gewesen, so dass der daraufhin eingetretene Arbeitsplatzverlust immer unfreiwillig erfolgt sei. Ein anerkanntes Daueraufenthaltsrecht könne jedenfalls nicht durch einen späteren eventuell unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust wieder zerstört werden. Die Antragsteller seien mittellos. Der im Dezember 2017 ausgezahlte Nachzahlungsbetrag sei zwischenzeitlich aufgebraucht. Der Vermieter habe den Antragstellerinnen – auch in der Vergangenheit - noch nicht gekündigt. Es bestünde wegen zwei Monaten Mietrückständen aber eine Situation die jederzeit zur fristlosen Kündigung führen könne. Diese Situation reiche für einen Anordnungsgrund nach der Rechtsprechung des BVerfG aus. Dies gelte umso mehr, da der Antragsgegner hier bereits das vergangene einstweilige Rechtsschutzverfahren provoziert habe und auf den Fortzahlungsantrag in keiner Weise reagiere. Der Vermieter habe inzwischen die ausstehende Miete massiv angemahnt und die Kündigung für die 11. Kalenderwoche in Aussicht gestellt. Soweit dürfe es nicht kommen.

Die Antragstellerinnen beantragen mit Schriftsatz vom 06.02.2018,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 26.02.2018,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner trägt vor, die Antragstellerinnen seien nur noch zum Zwecke der Arbeitssuche aufenthaltsberechtigt nach dem FreizügG/EU und damit nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Auf einen Arbeitnehmerstatus könne sich die Antragstellerin zu 1) nicht mehr berufen. Sie sei vom 01.08.2013 bis zum 28.02.2015 bei der Firma "Grünhage" beschäftigt gewesen und zunächst einen dauerhaften Arbeitnehmerstatus innegehabt. Die erneut eingetretene Arbeitslosigkeit nach dem Ende einer anderen Beschäftigung vom 01.08.2016 bis 19.08.2016 sei nach der Feststellung der Bundesagentur für Arbeit jedoch nicht unfreiwillig gewesen, so dass ein (fortwirkender) Arbeitnehmerstatus nicht weiter gegeben gewesen sei. Die Beendigung der nächsten Beschäftigung vom 11.10.2016 bis zum 31.12.2016 sei unfreiwillig erfolgt, allerdings habe ein daraus abgeleiteter Arbeitnehmerstatus nur für sechs Monate bis zum 30.06.2017 bestanden. Seitdem gründe sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Ein Leistungsanspruch ergebe sich vorliegend auch nicht aus der Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II. Ausweislich der Meldebescheinigung der Stadt Duisburg sei die Antragstellerin zum 07.08.2013 von Amts wegen abgemeldet worden und erst zum 07.09.2013 sei eine Neuanmeldung an einer anderen Adresse erfolgt. Die Frist des fünfjährigen Aufenthaltes sei damit erst mit Ablauf des 06.09.2018 erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogene Leistungsakte des Antragsgegners Bezug genommen. Diese Inhalte sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Der nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG] statthafte Eilantrag der Antragstellerinnen ist zulässig und begründet.

1. Für die Begehren der Antragstellerinnen, eine sofortige Auszahlung (noch) nicht bewilligter Leistungen zu erreichen ist die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthaft. In einem Hauptsacheverfahren wäre hierfür eine – ggf. nach Erlass einer Ablehnungsentscheidung – eine Leistungsklage (ggf. kombiniert mit einer Anfechtungsklage) zu erheben, so dass kein Fall eines vorrangigen einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG vorliegt (Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn. 37 m.w.N.). Dem steht nicht entgegen, dass vorliegend mangels Ablehnungsentscheidung über den bislang unbeschiedenen Weiterbewilligungsantrag vom 15.12.2017 in einem Hauptsacheverfahren vorrangig eine Untätigkeitsklage auf Bescheidung nach § 88 SGG erhoben werden müsste. Denn wenn hierzu teilweise ausgeführt wird, dass ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren im Falle einer Untätigkeitsklage im Eilverfahren nicht statthaft sei, weil dann nur ein Verfahrensrecht verfolgt werde - nämlich der Anspruch auf Bescheiderteilung - während die einstweilige Anordnung allein der Verfolgung materieller Rechte diene (so: Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn. 19, 37 unter Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 21.12.2005 – L 20 (9) B 37/05 SO ER, juris, Rn. 19), ist diese Darstellung missverständlich. Denn eine einstweilige Regelungsanordnung ist zum Schutz materieller Leistungsrechte immer dann statthaft, wenn im Falle eines noch nicht beschiedenen Antrages – wie hier - vorrangig die Durchsetzung der materiellen Leistungsrechte begehrt wird, nicht das Verfahrensrecht auf Bescheidung des Antrages. Denn das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz [GG] gebietet, dass mit der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ein Mittel zur einstweiligen Sicherung materieller Leistungsrechte auch vor Ablauf der Sperrfrist von sechs Monaten für die Erhebung einer (Hauptsache-) Untätigkeitsklage bei Nichtbescheidung eines Leistungsantrages gegeben sein muss.

Streitgegenständlich ist im Hinblick auf die begehrte Regelungsanordnung der Zeitraum ab Eilantragstellung bei Gericht, dem 06.02.2018. Maßgeblich für den Beginn einer Regelungsanordnung ist der Tag der Antragstellung bei Gericht, da im einstweiligen Rechtsschutz eine Verpflichtung des Antragsgegners für Zeiträume, die vor der Antragstellung bei Gericht liegen, grundsätzlich nicht in Betracht kommt (vgl. zur ausführlichen Herleitung: Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rn. 259 m.w.N.).

2. Der Antrag auf Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist begründet, da Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO].

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zu Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Eilbedarf besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; Beschl. v. 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Wenn die Hauptsacheklage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, Rn. 29). Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 29a).

Im vorliegenden Fall sind Anordnungsanspruch und –grund glaubhaft gemacht.

a) Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, spricht viel dafür, dass die Antragstellerinnen im streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Der Anordnungsanspruch ist insofern glaubhaft gemacht.

aa) Der Antragstellerinnen, die soweit für das Gericht erkennbar ist nicht über andere Finanzmittel verfügen, haben glaubhaft gemacht, dass sie hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 2 SGB II sind, da sie prognostisch nicht einmal in der Lage sind den laufenden Regelbedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft von summarisch 732,00 EUR monatlich zu decken (416,00 EUR und 316,00 EUR). Die Antragstellerin zu 1), die gegenwärtig ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), liegt innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 7a SGB II und ist auch erwerbsfähig i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 8 SGB II. Die Antragstellerin zu 2) ist hingegen nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte nach § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II.

bb) Nach summarischer Prüfung erscheint bzgl. des Antragstellers auch kein Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II verwirklicht. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, die kein Aufenthaltsrecht haben (a)), deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (b)) oder die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1) ableiten, die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist (c)). Insofern greift der Leistungsausschluss für Unionsbürger nicht, sofern ein anderes Aufenthaltsrecht als zu Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU oder nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 besteht.

Es kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, inwieweit der Antragstellerin zu 1) (auch) ein materielles Aufenthaltsrecht aufgrund eines fortwirkenden Arbeitnehmerstatus zusteht, da eine Anwendung des Ausschlussgrundes nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II jedenfalls aufgrund der Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II hier nicht in Betracht kommt. Nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von Satz 2 Nr. 2 Leistungen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 5 SGB II beginnt die Frist nach Satz 4 mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden nach § 7 Abs. 1 S. 6 SGB II auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 ZPO ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, soweit ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich erscheint (Wehrhan, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 86b, Rn. 92). Nach dem Bundessozialgericht reicht hierfür die gute Möglichkeit aus, dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände im Vergleich mit den anderen ernsthaften Möglichkeiten mehr für diese als für die anderen Möglichkeiten spricht. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht hingegen nicht aus (BSG, Urt. v. 14.12.2006 – B 4 R 29/06 R, juris, Rn. 116).

Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin zu 1) seit mehr als fünf Jahren, nämlich seit dem 25.11.2008 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Aufgrund der eingereichten Meldebescheinigungen, der telefonischen Auskunft des Einwohnermeldeamtes und der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1) vom 06.03.2018, die übereinstimmend einen Aufenthalt seit 2008 bestätigen, ist mehr als wahrscheinlich, dass die Antragstellerin zu 1) sich tatsächlich seit 2008 in Deutschland aufgehalten hat und hier ihren Lebensmittelpunkt hatte. Hierfür spricht auch die vorgetragene Einreise der Antragstellerin zu 2) zu ihrer Mutter aus 2010.

Dass die amtliche Meldebescheinigung eine Lücke der dokumentierten Wohnsitzmeldungen vom 07.08.2013 bis zum 07.09.2013 aufweist, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Dass Gericht stimmt der Auslegung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen zu § 7 Abs. 1 S. 4 und S. 5 SGB II insofern zu, dass entsprechend dem Wortlaut der Vorschriften zum Fristbeginn eine amtliche Wohnsitzmeldung vorliegen muss, während die Dauer des folgenden Aufenthaltes auch mit anderen Beweismitteln nachgewiesen werden kann und gerade nicht – nur - eine durchgehende, lückenlose melderechtliche Wohnsitzdokumentation voraussetzt. Für diese Auslegung spricht zum Einen die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. BT-Drs. 587/16, S. 9). Zum Anderen spricht für diese Auslegung der Umstand, dass mit der gesetzgeberischen Bezugnahme auf die Dauer des "gewöhnlichen Aufenthaltes" auf ein Tatbestandsmerkmal abgestellt wird, welches – unabhängig von melderechtlichen Verpflichtungen - gerade auf die tatsächlichen Lebensumstände und Lebensgewohnheiten des Leistungsberechtigten abstellt (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R, juris, Rn. 18; Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 68 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Insofern ließen sich die tatsächlichen Aufenthaltserfordernisse eines gewöhnlichen Aufenthaltes niemals - nur - über entsprechende Meldebescheinigungen nachweisen. Dass hingegen eine ununterbrochene Wohnsitzmeldung des Ausländers im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II unabdingbare Grundvoraussetzung für den – darauf aufbauenden – Nachweis eines ständigen Aufenthaltes für fünf Jahre wäre, kann der Vorschrift nicht entnommen werden.

Vorliegend hat die Antragstellerin zu 1) eine in sich glaubhafte Erklärung für die zwischenzeitliche Meldelücke über August und September 2013 vorgetragen (Abmeldung durch Vermieter infolge des Wohnungsverkaufes), die - zusammen mit der kurzen Dauer der Abmeldung und den für diesen Zeitraum vorgelegten Unterlagen zu einer in Deutschland ausgeübten Erwerbstätigkeiten - nach summarischer Prüfung nicht geeignet ist, ernsthafte Zweifel am Vorliegen eines durchgehenden gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II ab November 2008 zu begründen.

b) Der Anordnungsgrund ist für die Zeiten ab Eilantragstellung beim SG Duisburg, dem 06.02.2018, ebenfalls glaubhaft gemacht. Dies gilt gleichermaßen für den geltend gemachten Regelbedarf als auch die laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung.

aa) In Bezug auf Regelbedarf ist auch ein Anordnungsgrund gegeben, da nicht ersichtlich ist, wie die Antragstellerinnen ihren gegenwärtig laufenden Unterhaltsbedarf anders als durch staatliche Leistungen decken sollen.

bb) In Bezug auf Kosten der Unterkunft und Heizung ist ebenfalls ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dies gilt unabhängig davon, wie die besonderen Anforderungen des BVerfG auf den Einzelfall der Antragstellerinnen zu übertragen sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v 01.08.2017 – 1 BvR 1910/12, juris, Rn. 14 ff.). Denn vorliegend sind wegen der summarisch überragend deutlichen Leistungsberechtigung der Antragstellerinnen i.S.d. Anordnungsanspruches nur noch sehr geringere Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen, welche die mittellosen Antragstellerinnen vorliegend erfüllen. Zwischen Anordnungsanspruch und –grund ist eine Wechselwirkung in der Weise anzunehmen, dass die Anforderungen an die Eilbedürftigkeit umso geringer ausfallen umso deutlicher der Anordnungsanspruch gegeben ist (vgl. statt vieler: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.07.2017 – L 20 AY 4/17 B, juris, Rn. 23 – "Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund allerdings nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.").

3. Für die Dauer der gerichtlichen Regelungsanordnung bestimmt das Gericht den Zeitraum vom 06.02.2018 bis zum 31.07.2018. Für den Endzeitpunkt der Regelungswirkung der gerichtlichen Regelungsanordnung, den 31.07.2018, orientiert sich das Gericht bei seiner gerichtlichen Ermessensentscheidung (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO) an der regelmäßigen Bewilligungsdauer für vorläufige Leistungen nach dem SGB II von sechs Monaten (§ 41 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II), wobei der Zeitraum von sechs Monaten hier ausgehend ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht, dem 06.02.2018, bemessen und auf Ende Juli 2018 verlängert wird.

Die Verpflichtung des Antragsgegners erfolgt analog § 130 SGG dem Grunde nach. Die Vorschrift des § 130 SGG ist aufgrund des Gebotes eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) im Eilverfahren anwendbar, wenn – wie vorliegend – noch weitere Ermittlungen der Behörde zur individuellen Anspruchshöhe vorzunehmen sind, die Berechtigung eines Antragstellers dem Grunde nach aber feststeht (vgl. Bayerisches LSG, Beschl. vom 01.07.2016 – L 7 AS 350/16 B ER, juris, Rn. 26 m.w.N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 30). Der Antragsgegner hat die individuellen Leistungsansprüche der Antragstellerinnen zu ermitteln und zu erfüllen. Im Rahmen einer einstweiligen Rechtsschutzes ist dabei Einkommen des Leistungsberechtigten auch ohne Abzug von Freibeträgen nach § 11b Abs. 1 Nr. 1 bis 6 SGB II, Abs. 2 oder Abs. 3 SGB II anzurechnen, da dem Leistungsberechtigten ein zeitweises Ausschöpfen dieser Freibeträge zumutbar ist (vgl. hierzu: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 26.10.2015 – L 19 AS 1623/15 B ER, juris, Rn. 3; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 01.08.2017 – L 19 AS 1131/17 B ER, juris, Rn. 30 m.w.N.).

4. Durch die entsprechenden Verpflichtungen des Antragsgegners wird die Hauptsacheentscheidung auch nicht in unzulässiger Weise vorweggenommen. Maßstab hierfür ist, ob die fragliche Maßnahme noch nachträglich für die Vergangenheit korrigiert werden könnte (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 21.12.2005 – L 20 (9) B 37/05 SO ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 31 m.w.N.). Der Antragsteller ist im Falle eines späteren Unterliegens im Hauptsacheverfahren entsprechend § 50 Abs. 2 SGB X zur vollumfänglichen Rückzahlung (BSG, Urt. v. 13.12.2016 – B 1 KR 1/16 R, juris, Rn. 8; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 09.06.2010 – L 13 AS 147/10 B ER; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rn. 334; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 22, 49 m.w.N.) und ggf. zum Schadensersatz (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 945 ZPO; vgl. auch: BSG, Urt. v. 13.12.2016 – B 1 KR 1/16 R, juris, Rn. 8) verpflichtet, so dass insoweit auch eine vollumfängliche Korrektur für die Vergangenheit möglich bleibt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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