L 9 SO 521/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 SO 242/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 521/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Einer rückwirkenden Gewährung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII stehen sowohl die Zweckbindung der Leistung, als auch ihre Ausgestaltung als Deckung des individuellen, gerade aus der konkreten Erkrankung erwachsenden Bedarfs des Betroffenen entgegen.
2.
Ist eine besondere Ernährungsform unterblieben und auch nicht mehr nachholbar, kann ein Mehrbetrag nachträglich nicht gewährt werden.
3.
Bei einer dem Grunde nach nachgewiesenen Laktose-Intoleranz sind insbesondere die zu erhebenden Funktionsbefunde, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Ergebnisse eines Laktosetoleranztests, von maßgeblicher Bedeutung.
4.
Sofern die Auffassung, ein Laktosemangel könne ohne Mehrbedarf durch schlichten Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, abgelehnt wird, setzt dies nicht nur eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem gerichtlich eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, sondern auch mit den auf aktuellen ernährungswirtschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe, die Deckung des Calciumsbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthielten (reifer Käse, Sauermilchprodukte), voraus.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.08.2016 abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung für die Zeit vom 01.09.2013 bis 11.01.2016.

Die am 00.00.1948 geborene Klägerin beantragte am 10.06.2013 bei der Beklagten wegen Vollendung des 65. Lebensjahres Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf (weitere) Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Zuvor hatte sie vom Jobcenter (bis 31.08.2013) einen entsprechenden Mehrbedarf von 20% des Eckregelsatzes erhalten. Zur Begründung führte sie unter Beifügung einer Stellungnahme ihres behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin sowie diverser medizinischer Unterlagen aus, dass sie an einer Laktoseintoleranz und Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) leide.

Nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 07.08.2013 ab. Die Laktoseintoleranz bedinge keine besondere Ernährung, die mit Mehrkosten verbunden sei. Die Diagnose einer Zöliakie sei nach den vorliegenden Befunden immunologisch nicht gesichert. Mit Bescheid vom 08.08.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann, der im langjährigen Leistungsbezug bei der Beklagten stand, sodann Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 31.05.2014. Hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung des Mehrbedarfs nahm die Beklagte auf den "separat beigefügten Bescheid" Bezug.

Die Klägerin legte gegen beide Bescheide am 21.08.2013 mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung aufgrund der bei ihr gesicherten Diagnosen Sprue sowie Laktoseintoleranz vorlägen. Dies ergebe sich aus den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen.

Nach Einholung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes wies die Beklagte die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2013 als unbegründet zurück. Es könne nicht von einer gesicherten Diagnose der Zöliakie ausgegangen werden. Die Klägerin leide zwar an einer Laktoseintoleranz, für die sich jedoch keine Mehrkosten feststellen ließen. Den Betroffenen könne zugemutet werden, auf gewisse Milchprodukte zu verzichten. Durch den Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung müsse nicht sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt nicht verzehren könne, Ersatzprodukte erwerben könne. Ggf. müsse der Hilfebedürftige auf diese Produkte verzichten. Die Gewährung eines Mehrbedarfs sei erst dann angezeigt, wenn ohne (teurere) Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohten oder aber keine ausreichende Auswahl an Alternativprodukten zur Verfügung stehe.

Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin mit zwei an die Beklagte gerichteten Faxen vom 11.04.2014 an die Bescheidung der Widersprüche vom 21.08.2013 erinnerte, veranlasste die Beklagte am 28.04.2014 die - erneute - Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2013, der dem Bevollmächtigen (mit dem falschen Datum "28.04.2013" versehen) am 30.04.2014 zuging.

Die Klägerin hat hiergegen am 09.05.2014 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und zur Begründung unter Einreichung diverser medizinischer Unterlagen, eines Ernährungstagebuchs für Mai 2014 sowie Kaufbelegen ausgeführt, dass sie an Laktoseintoleranz leide. Die Ernährung mit laktosefreien Produkten sei auch mit Mehrkosten verbunden. Laktosefreie Milchprodukte seien teurer als die üblichen laktosehaltigen Produkte. Dies ergebe sich aus einer - mit eingereichten - Studie des Instituts für Ernährungswissenschaft und Verbrauchslehre der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, in der die Preise von laktosehaltigen Lebensmitteln mit denen der laktosefreien Varianten verglichen würden. Zudem leide sie an Glutenunverträglichkeit und habe auch insofern eine von ihrem Arzt verschriebene Diät einzuhalten. Auch diese sei mit Mehrkosten verbunden. Zwar ergebe sich nach der zwischenzeitlich ergangenen Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. T vom 12.08.2016, dass nach den neuesten Untersuchungen das Vorliegen einer Zöliakie bei ihr ausgeschlossen werden könne. Es ergäben sich jedoch Hinweise auf eine Glutensensitivität. Die therapeutischen Konsequenzen der Zöliakie und der Glutensensitivität seien dieselben, da beide die Einhaltung einer strengen glutenfreien Kost erfordern würden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.08.2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2013 (richtig 17.12.2013), zu verurteilen, ihr höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20% des Eckregelsatzes für die Zeit von September 2013 bis Januar 2016 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung seien bei der Klägerin nicht gegeben. Zwar leide sie unter Laktoseintoleranz. Diese sei jedoch durch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten und das Weglassen bestimmter Milchprodukte zu therapieren. Mehrkosten entstünden der Klägerin hierdurch nicht. Die Notwendigkeit des Erwerbs teurerer laktosefreier Lebensmittel könne nicht bestätigt werden. Durch das Weglassen von gewissen Milchprodukten drohten der Klägerin auch keine gesundheitlichen Einschränkungen. Ein Mehrbedarf wegen Zöliakie käme ebenfalls nicht in Betracht, da die Diagnose der Zöliakie nicht als zweifelsfrei gesichert anzusehen sei.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Sodann hat es Beweis durch Einholung eines schriftlichen internistischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. P erhoben, welches dieser aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.11.2015 erstellt hat. Zuvor hat es mit Beschluss vom 02.10.2015 ein Befangenheitsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen zurückgewiesen. Auf den Inhalt des Gutachtens (Bl. 128 ff. GA) wie auch der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 15.01.2016 (Bl. 189 ff. GA) auf Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten wird Bezug genommen. Ferner hat die Klägerin eine Stellungnahme des behandelnden Arztes und Allergologen Dr. T vom 12.08.2016 eingereicht.

Die Beklagte hat mit weiterem Bescheid vom 17.02.2016 einen erneuten, am 11.01.2016 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung abgelehnt.

Mit Urteil vom 26.08.2016 hat das Sozialgericht der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte unter Aufhebung bzw. Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt hat, "der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 10% des Eckregelsatzes für die Zeit von September 2013 bis Januar 2016 zu zahlen". Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:

Die zulässige Klage sei im tenorierten Umfang begründet, die angegriffenen Bescheide der Beklagten teilweise rechtswidrig. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Mehrbedarf i.H.v. 10% des Eckregelsatzes zu. Der Streitgegenstand, welcher zulässigerweise von der Klägerin inhaltlich auf die Frage begrenzt worden sei, ob ihr ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zustehe, erstrecke sich in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 11.01.2016. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 17.02.2016 einen neuerlichen Ablehnungsbescheid für den Zeitraum ab erneuter Antragstellung (11.01.2016) erlassen. Dieser zwischenzeitlich ergangene neue Bescheid führe für den von ihm betroffenen Zeitraum zu einer Erledigung des früheren Ablehnungsbescheides nach § 39 Abs. 2 SGB X.

Die Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfes nach § 30 Abs. 5 SGB XII lägen vor. Die Klägerin leide an einer Erkrankung, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwändige Ernährung erfordere. Insoweit werde auf das internistische Sachverständigengutachten des Dr. P Bezug genommen. Aus diesem ergebe sich - in Übereinstimmung mit den zuvor eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte -, dass die Klägerin an einer Laktoseintoleranz leide und den Laktose-Gehalt ihrer Nahrung reduzieren müsse. Das Gericht gehe davon aus, dass die bei der Klägerin vorliegende Laktoseintoleranz eine kostenaufwändige Ernährung erforderlich mache, die mit einer diätetischen Vollkost nicht ausreichend gewährleistet sei. Sie habe im streitgegenständlichen Zeitraum eine laktosefreie Diät eingehalten und entsprechende Mehrkosten gehabt, wie die zu den Akten gereichten Kaufbelege ergäben. Auch seien diese Mehrkosten als notwendig anzuerkennen. Insofern folge die Kammer nicht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. Dieser habe in seinem Gutachten das Weglassen bestimmter Milchprodukte empfohlen und dargelegt, dass die Klägerin insoweit auch keine gesundheitlichen Einschränkungen befürchten brauche. Die bei ihr vorhandene Laktoseintoleranz erfordere zwar eine Reduktion des Laktose-Gehaltes in der Nahrung, eine vollständig laktosefreie Diät sei für die Klägerin dagegen nicht von Nöten. So vertrage sie weiterhin bestimmte Milchprodukte, nämlich solche, bei denen der Milchzucker während des Reifungsprozesses weitgehend abgebaut werde, z.B. Hartkäse. Durch das Weglassen von Milchprodukten sei ein Calciummangel nicht zu erwarten, da Calcium auch in vielen anderen Speisen (z.B. Gemüse) vorkomme. Diese von dem Sachverständigen empfohlene Ernährungsform entspreche den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Auch diese sähen keine spezielle Diät bei Laktoseintoleranz vor. Die ernährungsmedizinische Behandlung bestehe im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen würden. Die Deckung des Calciumsbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthielten. Eine kostenaufwändige Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich.

Die Kammer könne sich dem nicht anschließen und lehne die Auffassung, der Laktasemangel könne ohne Mehrbedarf durch schlichten Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, ab. Erst ein Mehrbedarf i.H.v. 10% des Eckregelsatzes biete der Klägerin die Möglichkeit, die Ernährung auch mit erforderlichen Milchprodukten zu gewährleisten, welche den üblichen Ernährungsgewohnheiten entsprächen.

Dem Anspruch der Klägerin auf den hier zugesprochenen Mehrbedarf stehe auch nicht entgegen, dass es sich vorliegend um eine rückwirkende Bewilligung handele. Trotz des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit des Mehrbedarfes könne ausnahmsweise auf die objektive Bedarfslage abgestellt werden, ohne dass es einer tatsächlichen Umsetzung der erforderlichen kostenintensiven Ernährung bedürfe. Entscheidend sei insofern nur der objektive Bedarf und die subjektive Kenntnis davon, die tatsächliche Einhaltung einer besonderen Ernährung sei dagegen keine Voraussetzung. Zwar könne bei einer nachträglichen Gewährung des Mehrbedarfs dessen Zweck nicht mehr erreicht werden, da die besondere Ernährung für diesen Zeitraum nicht mehr nachholbar sei. In den Fällen jedoch, bei denen im Klageverfahren nachträglich die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Mehrbedarfs bestätigt würden, müsse eine nachträgliche Bewilligung unter dem Gesichtspunkt des Gebots des effektiven Rechtsschutzes, dem insoweit der Vorrang zukomme, möglich sein.

Demgegenüber komme die Gewährung eines Mehrbedarfs auch für die Glutenunverträglichkeit nicht in Betracht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass die Klägerin an einer Zöliakie leide. Insofern werde den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P gefolgt. Dieser sei in Übereinstimmung mit dem Befundberichten der behandelnden Ärzte zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegenden objektiven Befunde das Vorliegen einer Sprue nicht nachgewiesen hätten. Auch der behandelnde Arzt Dr. T habe in seinen Stellungnahmen vom 01.12.2014 und 12.08.2016 das Vorliegen einer Zöliakie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Auch wenn die Klägerin die Auffassung vertrete, dass bei ihr zumindest eine Glutensensitivität vorliege, könne dies die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht rechtfertigen. Aus der Stellungnahme von Dr. T ergäben sich keine objektiven Befunde, die diese Annahme stützten. Vielmehr würden die Untersuchungsergebnisse von diesem lediglich als ein Hinweis auf eine Glutensensitivität interpretiert. Jedenfalls für den hier gegenständlichen Zeitraum sei das Vorliegen einer Glutensensitivität nicht bewiesen worden.

Gegen dieses der Klägerin und der Beklagten jeweils am 13.09.2016 zugestellte Urteil wenden sich sowohl die Beklagte als auch die Klägerin mit der am 28.09.2016 (Beklagte) bzw. 11.10.2016 (Klägerin) eingelegten Berufung.

Zur Begründung macht die Beklagte im Wesentlichen das Folgende geltend:

Abgesehen davon, dass eine Laktoseintoleranz der Klägerin weiterhin nicht zweifelsfrei bewiesen sei, sei der Sachverständige Dr. P davon ausgegangen, dass es sich hierbei allenfalls um eine eher leichte Form mit einer erheblichen Toleranz von Laktose handele. Darüber hinaus habe der Gutachter eindeutig festgestellt, dass die bei der Klägerin erforderliche besondere Ernährung keine Mehrkosten verursache. Vor diesem Hintergrund könne nicht nachvollzogen werden, wie das Sozialgericht entgegen der gutachtlichen Stellungnahme und den Empfehlungen des Deutschen Vereins ohne substantiierte Begründung dazu gelange, die Beklagte zur Zahlung eines Mehrbedarfs i.H.v. 10% des Eckregelsatzes (= 40,40 EUR mtl.), ohne im Übrigen deren Höhe genau zu ermitteln, zu verpflichten. Ferner sei das Nichtvorliegen der gesicherten Diagnose einer Zöliakie oder einer Glutensensitivität bei der Klägerin aufgrund der gleichfalls zutreffenden Feststellungen des Sachverständigen, die auch durch die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte nicht widerlegt würden, bestätigt worden. Dem sei das Sozialgericht insoweit zutreffend gefolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.08.2016 abzuändern, die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.08.2016 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.08.2013 unter weitergehender Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2013, zu verurteilen, ihr höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20% des Eckregelsatzes für die Zeit vom 01.09.2013 bis 11.01.2016 zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin macht zur Begründung ihres Rechtsmittels im Wesentlichen das Folgende geltend:

Zu Unrecht habe das Sozialgericht einen weiteren Anspruch auf den Mehrbedarf in Höhe von insgesamt 20% des Eckregelsatzes verneint. Sie halte es für nachgewiesen, dass sie an einer Glutensensitivität leide, die therapeutisch die gleichen Konsequenzen wie eine Zöliakie habe. Dies führe zu einem weiteren Mehrbedarf. Hierzu berufe sie sich insbesondere auf die Stellungnahme von Dr. T vom 12.08.2016. Ferner könne die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben. Das Sozialgericht habe rechtsfehlerfrei und überzeugend festgestellt, dass sie einen Anspruch mindestens auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs i.H.v. 10% wegen der Laktoseintoleranz habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts ist begründet, die ebenfalls statthafte und fristgemäße Berufung der Klägerin hingegen unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben, weil sie vollumfänglich unbegründet ist. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 07.08.2013 und 08.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2013 nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 SGG beschwert, weil sich diese als rechtmäßig erweisen, soweit die Gewährung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung abgelehnt wird. Sie hat gegen den Beklagten bereits dem Grunde nach keinen Anspruch auf diese Leistung im streitigen Zeitraum vom 01.09.2013 bis 11.01.2016.

1.) Streitgegenständlich sind die Bescheide der als örtlicher Träger der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII sachlich und örtlich zuständigen Beklagten vom 07.08.2013 und 08.08.2013, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2013. Inhaltlich ist alleiniger Streitgegenstand der (behauptete) Anspruch der Klägerin auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII, den sie statthaft im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt (§ 54 Abs. 1 und 4 i.V.m. § 56 SGG). Nach der Rechtsprechung des für Sozialhilfe zuständigen 8. Senats des BSG können - im Unterschied zur Rechtslage nach dem SGB II (vgl. zu § 21 Abs. 5 SGB II BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 12) - u.a. auch die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII als eigenständige Ansprüche begehrt werden, soweit die entsprechenden Bewilligungsbescheide hierüber jeweils gesonderte Verfügungssätze enthalten, woraus wiederum die zulässige Beschränkung des Streitgegenstandes folgt (BSG, Urt. 26.08.2008 - B 8/9b SO 10/06 R -, juris Rn. 12 ff.; BSG, Urt. v. 19.05.2009 - B 8 SO 8/08 R -, juris Rn. 13). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil die Klägerin am 30.06.2013 ausdrücklich den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII (und nicht etwa sonstige höhere Leistungen der Grundsicherung, "insbesondere.", s. hierzu BSG, Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 11/10 R -, juris Rn. 11) beantragt und die Beklagte mit eigenständigem Bescheid vom 07.08.2013 und damit außerhalb der Entscheidung über die Gewährung der sonstigen Hilfe zum Lebensunterhalt als eigenständigen Verfügungssatz eine Regelung hierüber getroffen hat. Dem steht auch der anschließende Bewilligungsbescheid der Beklagten über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung vom 08.08.2013 nicht entgegen. Abgesehen davon, dass sie hierbei den Antrag der Klägerin auf Gewährung des Mehrbedarfs "Krankenkostzulage" erneut abgelehnt hat, hat sie auf den Ablehnungsbescheid vom 07.08.2013 ausdrücklich Bezug genommen ("Bitte beachten Sie meinen separat beigefügten Bescheid") und hiermit für einen objektiv verständigen Adressaten dieses Bescheides verdeutlicht, dass es sich bei der Ablehnung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung um einen eigenständigen Verfügungssatz handelt. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob es sich bei der entsprechenden Formulierung im Bewilligungsbescheid vom 08.08.2013 nicht bloß um eine wiederholende Verfügung gehandelt hat.

In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand auf den Zeitraum von 01.09.2013 bis 11.01.2016 beschränkt. Die Beklagte hat das Begehren der Klägerin auf Gewährung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung mit Bescheid vom 07.08.2013 zunächst ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt, so dass im Grundsatz über den geltend gemachten Anspruch für die gesamte bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt verstrichene Zeit, d.h. bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, zu befinden wäre. Da die Beklagte jedoch mit während des laufenden Klageverfahrens ergangenem Bescheid vom 07.02.2016 einen erneuten, am 11.01.2016 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung abgelehnt hat, hat dieser Bescheid die angefochtenen Bescheide für den von ihnen betroffenen Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, juris Rn. 8; BSG, Urt. v. 02.02.2010 - B 8 SO 21/08 R -, juris Rn. 9). Dagegen kommt eine weitere zeitliche Beschränkung des Streitgegenstandes in Ansehung des Bewilligungsbescheides der Beklagten vom 08.08.2013 auf die Zeit bis einschließlich Mai 2014 nicht in Betracht. Dem steht, wie bereits erwähnt, der eigenständige Regelungscharakter des Ablehnungsbescheides vom 07.08.2013, der seitens der Beklagten im Bewilligungsbescheid nochmals hervorgehoben worden ist, entgegen. Auch kann der ursprüngliche Antrag der Klägerin auf Gewährung des Mehrbedarfs vom 10.06.2013 nicht als solcher auf Abänderung von Bewilligungsbescheiden nach Maßgabe des § 48 SGB X ausgelegt werden, wodurch sich ggf. eine zeitliche Beschränkung auf den Bewilligungsabschnitt des betreffenden Bescheides ergeben würde. Denn zu diesem Zeitpunkt war noch kein Bewilligungsbescheid der Beklagten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII existent, da die Klägerin noch im Bezug von Leistungen nach dem SGB II stand. Vielmehr handelt es sich bei dem Bescheid vom 08.08.2013 um eine erstmalige Bewilligung ab dem 01.09.2013, was hier einer Anwendung von § 48 SGB X und damit einer Beschränkung des Streitgegenstandes auf den laufenden Bewilligungsabschnitt entgegensteht.

2.) Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII. Danach wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Da eine Vollkosternährung vom Regelbedarf gedeckt ist, besteht eine kostenaufwändige Ernährung grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährungsform (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 19). Erforderlich ist ferner ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung (s. BSG, Urt. v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R -, juris Rn. 20; BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R -, juris Rn. 21; BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 12; BSG, Urt. v. 20.01.2016 - B 14 AS 8/15 R -, juris Rn. 15 zur Parallelvorschrift des § 21 Abs. 5 SGB II). Die hierzu erforderlichen Feststellungen sind von Amts wegen zu ermitteln (§§ 20 SGB X, 103 SGG, vgl. BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R -, juris Rn. 25; BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 15). Dabei entbinden die auch hier einschlägigen Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, zuletzt vom 10.12.2014, nicht von der Ermittlungspflicht im Einzelfall, weil sie insbesondere nicht als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (s. BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 20 ff.). Sie dienen jedoch nach wie vor als wichtige Orientierungshilfe (BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 23; BSG, Urt. V. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 16; BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 19).

a) Einem Anspruch der Klägerin auf den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII steht nach Auffassung des Senats bereits entgegen, dass hier ausschließlich eine Leistung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum begehrt wird. Zwar hat das BSG zur parallelen Regelung des § 21 Abs. 5 SGB II entschieden, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bereits bei "Vorliegen der objektiven Bedarfslage" erfüllt seien und es deshalb nicht mehr darauf ankomme, dass bei einer nachträglich verpflichtenden Gewährung des Mehrbedarfs dessen Zweck nicht mehr erreicht werden könne, da die besondere Ernährung für diesen Zeitraum nicht mehr nachholbar und damit auch die Einflussnahme auf die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht mehr möglich sei. In diesen Fällen sei dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Vorrang zu geben, da andernfalls der Sozialleistungsträger durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Leistung oder gar den ab Antragstellung entstandenen Anspruch vereiteln könne und so die Einklagbarkeit abgelehnter Leistungen nicht effektiv wäre (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 24). Dies hält der Senat für nicht überzeugend. Einer rückwirkenden Gewährung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII stehen vielmehr, anders als das BSG meint, sowohl die Zweckbindung der Leistung, als auch ihre Ausgestaltung als Deckung des individuellen, gerade aus der konkreten Erkrankung erwachsenen Bedarfes des Betroffenen entgegen. Soweit das BSG ausführt, dass der Gesetzgeber das Erfordernis eines zweckentsprechenden Einsatzes der konkreten Leistung in § 21 SGB II nicht normiert habe, obwohl ihm die Möglichkeit einer solchen Regelung bekannt gewesen sei (BSG, a.a.O. -, juris Rn. 23), übersieht es, dass sich die Zweckbindung von Leistungen auch ohne deren ausdrückliche Normierung ergeben kann. Es reicht aus, dass die Zweckbestimmung aus den Voraussetzungen für die Leistungsgewährung folgt, soweit sich aus dem Gesamtzusammenhang die vom Gesetzgeber gewollte Zweckbindung eindeutig ableiten lässt (zutr. Stotz, in: jurisPR-SozR 20/2014 Anm. 2 unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 03.12.2002 - B 2 U 12/02 R - BSGE 90, 172). Bei § 21 Abs. 5 SGB II bzw. § 30 Abs. 5 SGB XII ergibt sich die Zweckbindung aus dem zwingenden Nachweis der medizinischen Erforderlichkeit der kostenaufwändigen Ernährung (s. auch BT-Drs. 15/1516, S. 57), womit der Gesetzgeber deutlich gemacht hat, dass der Mehrbedarf keine Erschwerniszulage, sondern eine der Krankenbehandlung dienende Leistung sein soll. Dies folgt auch aus dem Sinn und Zweck des krankheitsbedingten Mehrbedarfs. Denn dieser besteht darin, drohende oder bestehende Gesundheitsschäden durch die bedarfsgerechte Ernährung abzuwenden oder zu lindern (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R -, juris Rn. 20). Dieser Zweck kann jedoch nicht erreicht werden, wenn nicht zugleich von den Anspruchstellern verlangt werden darf, dass sie den gewährten Mehrbedarf auch tatsächlich für die Anschaffung der besonderen kostenaufwändigen Ernährung einsetzen (zutr. Stotz, a.a.O.). Hierfür spricht auch nicht zuletzt der Wortlaut des § 30 Abs. 5 SGB II, denn anders als die übrigen Mehrbedarfe des § 30 SGB XII wird er nicht pauschal, sondern individuell entsprechend der Erkrankung des Betroffenen ("in angemessener Höhe") gewährt (so auch Stotz, a.a.O.). Damit unterscheidet sich diese Leistung gerade von solchen, die pauschaliert gewährt werden und bei denen entsprechend der gesetzgeberischen Grundkonzeption im Leistungsrecht des SGB II/SGB XII davon ausgegangen wird, dass es dem Leistungsberechtigten überlassen bleibt, wie er die Pauschale einsetzt. Dementsprechend hat der für Sozialhilfe zuständige 8. Senat des BSG im Zusammenhang mit einer rückwirkenden Bewilligung von Sozialhilfe im Rahmen des § 44 SGB X entschieden, dass Mehrbedarfe, bei denen nur die Höhe des Bedarfs, nicht aber der (nachzuweisende) Bedarf als solcher vom Gesetzgeber typisierend unterstellt wird, so etwa auch für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII, für die Vergangenheit nicht mehr zu erbringen sind, wenn etwa der Leistungsberechtigte auf die kostenaufwändige Ernährung verzichtet. Dann sind Sozialhilfeleistungen trotz rechtswidriger Leistungsablehnung nicht nachträglich zu erbringen, weil die Sozialhilfe ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann. Entsprechend haben sich die ablehnenden Bescheide bereits auf andere Weise erledigt, § 39 Abs. 2 SGB X (BSG, Urt. v. 29.09.2009 - B 8 S 16/08 R -, juris Rn. 17). Soweit der 14. Senat des BSG hiergegen einwendet, dass die Entscheidung des 8. Senats zu seinem Urteil nicht im Widerspruch stehe, weil diese im Kontext der Anwendbarkeit von § 44 SGB X im Sozialhilferecht zu sehen sei (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 24 a.E.), beruht dies auf einer Verkennung dieser Entscheidung. Denn die Besonderheit einer Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Sozialhilferecht resultiert in erster Linie aus der einschränkenden Voraussetzung des ununterbrochenen Fortbestehens von Hilfebedürftigkeit, während der Frage, ob ein ausschließlich in der Vergangenheit liegender Bedarf noch zu decken ist oder sich nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat, auch außerhalb des § 44 SGB X Bedeutung zukommt. Schließlich ist auch das Argument des BSG, dass es das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordere, den Mehrbedarf nachträglich zu gewähren, nicht überzeugend. So hat ein Leistungsberechtigter bei einer Verweigerung des Mehrbedarfs durch den Leistungsträger die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Gerade für solche Fälle, in denen aus medizinischen Gründen eine besondere, kostenaufwändige Ernährung eingehalten werden muss, dem Betroffenen aber die finanziellen Mittel dazu fehlen, erscheint der einstweilige Rechtsschutz die sich aufdrängende zumutbare Rechtsschutzform für den Anspruchsteller, um effektiven Rechtsschutz zu erhalten (so auch überzeugend Stotz, a.a.O.). Auch hieran zeigt sich im Übrigen die Sinnwidrigkeit, einen Mehrbedarf erst nachträglich zu gewähren, obwohl die besondere Ernährung nicht mehr nachholbar ist. Letzten Endes mutiert der entsprechende Mehrbedarf dadurch zu einem reinen Entschädigungsanspruch, dessen Unvereinbarkeit mit dem dargestellten Sinn und Zweck des § 30 Abs. 5 SGB XII quasi mit Händen zu greifen ist.

b) Aber selbst für den Fall der Zulässigkeit einer rückwirkenden Gewährung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII scheidet unabhängig hiervon ein entsprechender Anspruch der Klägerin aus, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen ("objektive Bedarfslage") nicht vorliegen. Zwar besteht bei ihr eine (leichte) Laktose-Intoleranz. Diese bedingt jedoch keine von der Vollkost abweichende, kostenaufwändige Ernährung. Ferner ist eine Gluten-Überempfindlichkeit in Form der Zöliakie oder nur als Glutensensitivität bei der Klägerin objektiv nicht nachweisbar, so dass auch insoweit eine kostenaufwändige, glutenfreie Kost bei ihr nicht erforderlich war bzw. ist.

Der Senat stützt sich hierbei maßgeblich auf das Ergebnis der im Klageverfahren durchgeführten medizinischen Sachaufklärung (§ 103 SGG) durch Einholung des internistischen Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. P vom 23.11.2015 einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016. Der Sachverständige hat die Klägerin am 20.11.2015 persönlich untersucht, dazu laborchemische Untersuchungen sowie einen Laktose-Toleranztest vorgenommen, die aktenkundigen medizinischen Unterlagen (einschließlich der Befundberichte der behandelnden Ärzte) beigezogen und ist zu einer schlüssigen, vollständigen und überzeugenden Gesamtbeurteilung gelangt.

Danach ist bei der Klägerin zwar eine Laktose-Intoleranz dem Grunde nach nachgewiesen. Jedoch handelt es sich auf der Grundlage der vom Sachverständigen erhobenen Funktionsbefunde unter Berücksichtigung der Ergebnisse des von ihm durchgeführten Laktosetoleranztests um eine eher leichte Form mit einer erheblichen Toleranz von Laktose, die eine Reduktion des Laktose-Gehaltes in der Nahrung erforderlich macht, um eine Intoleranz-Symptomatik zu vermeiden. Dagegen ist eine vollständig laktosefreie Diät für die Klägerin nicht vonnöten. Insbesondere kann sie solche Milchprodukte ohne Gefährdung ihrer Gesundheit konsumieren, bei denen der Milchzucker bei fortschreitendem Reifungsprozess weitgehend abgebaut wird, wie z.B. bei Hartkäse. Gleiches gilt auch für zahlreiche Sauermilch-Produkte, da diese trotz ihres Laktose-Gehaltes milchzucker-speisende Enzyme enthalten, die wiederum einer Intoleranz-Symptomatik vorbeugen. Auch hat der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt, dass ein etwaiger Calciummangel durch das Weglassen von Milchprodukten nicht zu erwarten ist, da Calcium auch in vielen anderen Speisen (z.B. Brokkoli oder andere Kohlgemüse) vorkommt und auf diesem Wege ohne Weiteres mit einer Mischkost substituiert werden kann. Folglich besteht die Notwendigkeit einer "besonderen" Ernährung der Klägerin darin, den Laktose-Gehalt der Nahrung zu reduzieren. Hierfür ist jedoch eine kostenaufwändige Ernährung, d.h. eine von der Vollkost abweichende Ernährungsform, deren Kosten höher sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist, etwa durch teure Ersatzprodukte, gerade nicht erforderlich. Die Klägerin kann vielmehr über Vollkostprodukte mit der Möglichkeit einer variantenreichen Ernährung die typischen Anzeichen einer Laktoseintoleranz vermeiden und ansonsten nicht verträgliche Milchprodukte einfach weglassen.

Dieses Ergebnis stimmt auch mit den auf aktuellen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (4. Aufl. 2014) überein. Darin heißt es unter Punkt 3.2.1 (Laktoseintoleranz), dass die Verträglichkeit von Laktose keinen eindeutigen systematischen Regeln unterliege, sondern individuell unterschiedlich sei. In der Regel würden jedoch 12 g bis 15 g, teilweise bis zu 24 g Laktose pro Tag toleriert, so dass eine Substitution mit speziellen Nahrungsmitteln nicht erforderlich sei. Therapeutisch gebe es bei Laktoseintoleranz keine spezielle Diät. Es werde eine Vollkost mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen. Die ernährungsmedizinische Behandlung bestehe im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen würden. Die Deckung des Calciumbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthielten (z.B. reifer Käse). Eine kostenaufwändige Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich. Diese Erkenntnisse decken sich weitgehend mit den Feststellungen des Sachverständigen Dr. P sowie im Übrigen mit dem durch die Klägerin eingereichten Ernährungsplan für Mai 2014, aus dem im Wesentlichen eine normale Vollkosternährung (Obst, Gemüse, Käse) hervorgeht, ohne dass die Klägerin hinsichtlich der Laktoseintoleranz eine hieraus erwachsende Gesundheitsgefährdung auch nur ansatzweise dargelegt hätte. Etwas Anderes geht auch aus den aktenkundigen Befundberichten der behandelnden Ärzte nicht hervor.

Soweit endlich nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins "bei Besonderheiten des Einzelfalls" und damit im Ausnahmefall eine besondere Ernährungsform bei Laktoseintoleranz erforderlich ist, hat der Sachverständige eine solche außergewöhnliche Situation aufgrund der erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar verneint. Dies gilt im Übrigen auch, soweit die Klägerin gegen das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme eingewendet hat, dass eine kostenaufwändige Ernährung gerade beim Zusammenwirken mehrerer Nahrungsmittelunverträglichkeiten entsprechend Punkt 3.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins gerechtfertigt sei. Dies wäre jedoch (allenfalls) nur dann denkbar, wenn sich das von der Klägerin behauptete zusätzliche Bestehen einer Glutenunverträglichkeit in Form der Zöliakie oder zumindest einer Glutensensitivität durch entsprechende objektive Befunde bestätigt hätte. Dies ist nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen unter besonderer Berücksichtigung seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016 jedoch gerade nicht der Fall (s. hierzu sogleich), so dass die Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung auch nicht auf diesen Aspekt gestützt werden kann.

In Anbetracht dieses eindeutigen, durch Befundtatsachen unterlegten Ergebnisses ist es schlechterdings nicht nachvollziehbar, wie das Sozialgericht, noch dazu ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten, zur Erforderlichkeit eines Mehrbedarfs von (pauschal) 10% des Eckregelsatzes unter bloßer "Ablehnung" der Auffassung, der Laktasemangel könne ohne Mehrbedarf durch schlichten Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, gelangt ist. Im Gegenteil hat Dr. P gerade in Übereinstimmung mit anerkannten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen schlüssig dargelegt, warum ein Meiden oder die Reduktion laktosehaltiger Lebensmittel gerade keine Mehrkosten verursacht, weil eine variantenreiche Mischkost für die Klägerin ausreicht und daher eine Substitution durch teure Ersatzprodukte nicht erforderlich ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt auch ein ernährungsbedingter Mehrbedarf wegen einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie, Sprue) oder nur Glutenempfindlichkeit nicht in Betracht. Denn es fehlt bereits an objektiven Befunden, die die gesicherte Diagnose des Vorliegens einer Zöliakie oder nur einer Glutensensitivität begründen. Dementsprechend bedarf es auch keiner kostenaufwändigen Ernährung der Klägerin in Form glutenfreier Produkte. Auch insoweit folgt der Senat den schlüssigen Feststellungen des Sachverständigen Dr. P in seinem Gutachten vom 23.11.2015 und der ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016. Dieser hat unter Auswertung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, etwa der Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin und Gastroenterologie Dr. Q vom 21.10.2014 sowie des Berichts des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. L vom 08.12.2014, überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin zwar histologische Hinweise auf eine möglicherweise bestehende Sprue vorgelegen hätten, die sich jedoch ausweislich einer ergänzenden laborchemischen Untersuchung nicht im Sinne eines nachgewiesenen Krankheitsbildes erhärten ließen. Ferner hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016 auf Einwendungen der Klägerin ausgeführt, dass auch auf der Grundlage bisher durchgeführter Untersuchungsmethoden, insbesondere einer serologischen Diagnostik (Blutuntersuchung), kein objektiv sicherer Nachweis für das Vorliegen einer Zöliakie geführt werden kann. Soweit die Klägerin ihr Begehren im Berufungsverfahren schließlich weiterhin auf die Stellungnahme des Allergologen Dr. T vom 12.08.2016 stützt, ist diese nicht geeignet, das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme - erst recht bezogen auf den hier streitigen Zeitraum - ernsthaft infrage zu stellen. So hat er, wie bereits in seinem Befundbericht vom 01.12.2014, das Vorliegen einer Zöliakie "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" selbst ausgeschlossen. Hinsichtlich der von ihm in den Vordergrund gerückten (bloßen) Glutenempfindlichkeit hat er in seiner Bescheinigung vom 12.08.2016 lediglich von einem "Verdacht" oder "Hinweis" gesprochen, den er aus dem Auftreten von in der Vergangenheit deutlich erhöhen sog. igA Antikörpern ableitet. Somit fehlt es auch aus der Sicht des Dr. T an einer gesicherten Diagnose, die sich aus entsprechenden objektiven Befunden ableiten lässt. Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. P, wie soeben erwähnt, den "Beweiswert" bloßer serologischer Untersuchungen zum Nachweis einer Glutenunverträglichkeit bzw. - empfindlichkeit, deutlich infrage gestellt, wogegen der Senat nichts zu erinnern hat.

Da nach alledem ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII im streitigen Zeitraum vom 01.09.2013 bis 11.01.2016 nicht besteht, war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

4.) Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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