S 58 AL 243/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
58
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 243/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Bestätigung der AA zur Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit nach § 2 Abs. 3 FreizügG ist kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt, sondern eine das Alg II-Bewilligungsverfahren begleitende, unselbstständige Verfahrenshandlung i. S. von § 56a SGG.

2. Die Bestätigung der AA zur Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit nach § 2 Abs. 3 FreizügG hat für den vom Jobcenter festzustellenden Leistungsanspruch keine Tatbestandswirkung.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die von der Agentur für Arbeit (AA) zu erteilende Bestätigung über die Unfreiwil-ligkeit der Arbeitslosigkeit zur Erlangung eines SGB II-Leistungsanspruchs für arbeitsuchende EU-Bürger ein anfechtbarer Verwaltungsakt ist und ob per Feststellungsklage gegen die Be-klagte eine Änderung der Bestätigung erreicht werden kann.

Der Kläger ist bulgarischer Staatsbürger, außerdem verfügt er über die türkische Staatsange-hörigkeit. Er reiste laut eigener Angabe im Oktober 2013 ins Bundesgebiet ein.

Einen Alg II-Antrag vom 19.6.2017 des seinerzeit wohnungs- und arbeitslosen Klägers hatte der Beigeladene unter Verweis auf den Status "Arbeitsuchender EU-Bürger" zurückgewiesen (Bescheid vom 7.7.2017).

Ab 2.8.2017 fand der Kläger eine Beschäftigung bei der Fa. XXX Personaldienste. Im Vorfeld – u. a. am 31.7.2017 – hatte er das Jobcenter aufgesucht und eine Überbrückungshilfe bis zur Auszahlung des ersten Gehalts (nach Angabe des Klägers am 31.8.2017) beantragt. Insbe-sondere hatte er auf seine Wohnungslosigkeit hingewiesen. Der Arbeitsvertrag war beigefügt worden.

Mit Mitwirkungsschreiben vom 3.8.2017 forderte der Beigeladene eine Reihe von Unterlagen an, darunter die erste Gehaltsbescheinigung der Fa. XXX.

Der Antrag auf Überbrückungshilfe blieb ohne Reaktion, ebenso ein weiterer Antrag, der am 2.8.2017 per Post beim Jobcenter einging.

Am 11.8.2017 wurde dem Kläger fristlos gekündigt. Er teilte dies dem Beigeladenen in Form eines Schreibens mit, in dem er den Abbruch der Arbeit mit fehlenden finanziellen Mitteln für Fahrkosten und für Nahrungsmittel begründete.

Nach telefonischem Hinweis des Beigeladenen, dass Alg II nur auf der Grundlage einer von der AA bestätigten, unfreiwilligen Arbeitslosigkeit gezahlt werden könne, sprach der Kläger auf der AA vor und erhielt am 24.8.2017 eine Bescheinigung, wonach die "unfreiwillige Arbeitslosigkeit i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 3 FreizügG/EU" nicht bestätigt werden könne. Dem liegt eine Anfrage der Beklagten bei der Fa. XXX zugrunde, die die Kündigung mit einer "Arbeits-verweigerung" begründete; der Kläger habe erklärt, ohne Vorschuss nicht arbeiten gehen zu können. Mit seinem Einverständnis sei daher gekündigt worden. Der Arbeitgeber hatte wegen der ersten Lohnzahlung auf den Arbeitsvertrag verwiesen, der als Zahlungstermin den 15. des Folgemonats bestimmte.

Als leistungsrechtliche Folge der Bescheinigung der Beklagten bewilligte der Beigeladene nur Leistungen für die Dauer der Beschäftigung vom 2.8. bis 11.8.2017 (Bescheid vom 18.8.2017), im Übrigen sei der Kläger nach § 7 Abs. 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen (Bescheid vom 14.9.2017).

Mit Widerspruch und einstweiliger Anordnung hat der Kläger Alg II-Leistungen für die Zeit vom 21.10.2017 bis zum 11.1.2018 erhalten (S 38 AS 13505/17 ER). Die Klage auf Gewährung von Alg II ab 1.6.2017 ist noch anhängig (S 38 AS 15024/17).

In der Klageerwiderung in diesem Verfahren vertritt der Beigeladene die Auffassung, die Be-scheinigung der Beklagten über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 3 Frei-zügG/EU habe für die Beigeladene Tatbestandswirkung und stehe einer Bewilligung ohne weitere Ermittlungen entgegen. Gleichwohl hatte der Beigeladene im Widerspruchsbescheid auch Gründe angeführt, wonach die Aufgabe des Arbeitsplatzes bei der Fa. XXX freiwillig erfolgt sei.

Der Kläger hatte deshalb die Bescheinigung der Beklagten mit Widerspruch angefochten: Wenn sie für den Anspruch auf Alg II konstitutive Bedeutung habe, beinhalte sie auch eine Regelung mit Außenwirkung, sei mithin als Verwaltungsakt zu qualifizieren. In der Sache sei die Bescheinigung fehlerhaft, weil die Umstände so gelegen hätten, dass der Arbeitsplatz mit langen Fahrwegen unter den damaligen Lebensumständen ohne die abgelehnten Überbrü-ckungsleistungen nicht länger zu bewältigen war.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.1.2018 als unzulässig zurück; die gerügte Bescheinigung bestätige lediglich einen Sachverhalt ohne weiteren Rege-lungscharakter. Es handle sich mithin nicht um einen Verwaltungsakt.

Mit Klage vom 26. Februar 2018 macht der Kläger geltend, angesichts des Charakters, den der Beigeladene der Bescheinigung beimesse, beinhalte diese eine Regelung mit Außenwir-kung, zumindest müsse es möglich sein, gegen die Beurteilung der AA eine unfreiwillige Ar-beitslosigkeit feststellen zu lassen.

Die Unfreiwilligkeit liege darin begründet, dass trotz Notlage keine überbrückenden Leistungen vom Beigeladenen gewährt worden seien, was eine Fortführung der Arbeit unter zumutbaren Bedingungen vereitelt habe.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

den Bescheid vom 24.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2018 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger am 11.8.2017 unfreiwillig arbeitslos geworden ist.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die zur Bescheinigung für einen Alg II-Anspruch nach § 2 Abs. 3 Frei-zügG/EU ergangenen Durchführungshinweise.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Das Gericht hat im Termin am 3.8.2018 eine präsente Zeugin zu den Umständen der Kündi-gung und der vorangegangenen Bemühungen zur Erlangung überbrückender Hilfen vernom-men. Insoweit wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die im Termin überreichten Durchführungshinweise vom 15.2.2018, den beigezo-genen Verwaltungsvorgang und die ebenfalls vorliegenden Akten zu den Verfahren S 38 AS 13505/17 ER und S 38 AS 15024/17 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die fristgemäß erhobene Klage ist unzulässig. Die streitgegenständliche Bescheinigung stellt keinen Verwaltungsakt dar; es handelt sich vielmehr um eine das Alg II-Bewilligungsverfahren begleitende, unselbstständige Verfahrenshandlung i. S. von § 56a SGG.

Die Feststellung einer (etwaigen) Rechtswidrigkeit der Bescheinigung in Zusammenhang mit einer anfechtbaren Sachentscheidung – dem Alg II-Ablehnungsbescheid – ist daher nicht möglich. Der Kläger muss die Richtigkeit der Bescheinigung im Klageverfahren gegen den Beigeladenen klären lassen, der nicht im Sinne einer Tatbestandswirkung an die Bescheini-gung der Beklagten gebunden ist.

Die in § 56 a Satz 2 SGG genannten Ausnahmen für eine Überprüfung der Bescheinigung im hiesigen Verfahren liegen nicht vor.

Auch die ungeschriebene Ausnahme, dass die streitgegenständliche Bescheinigung zur Ge-währleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 GG) überprüfbar sein muss, kommt hier nicht zum Tragen; weder entfaltet die Bescheinigung eine unmittelbare Rechtswirkung zu Lasten des Klägers, noch käme Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung zu spät, was der in der 38. Kammer erwirkte Eilbeschluss demonstriert.

Das erkennende Gericht setzt sich damit nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 13.7.2017 – B 4 AS 17/16 R). Denn sofern dort ausgeführt wird, die Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit durch die AA sei Voraussetzung für das Fortbe-stehen des Freizügigkeitsrechts im Sinne einer "konstitutiven Bedingung" (Rn 34), ist damit nicht über eine inhaltliche Bindung der Jobcenter an diese Bescheinigung entschieden worden (s. dazu auch LSG NRW vom 2.2.2018 - L 7 AS 2308/17 B ER).

Zwar reicht eine Bestätigung der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit in aller Regel als Nachweis für den Fortbestand der Arbeitnehmer-Freizügigkeit aus. Der Alg II-Anspruch kann aber nicht allein von einer Bescheinigung der AA abhängig gemacht werden; umgekehrt indiziert eine Negativ-Bescheinigung den Status eines bloß Arbeit Suchenden, kann aber im Streitverfahren über den SGB II-Leistungsanspruch widerlegt werden.

Das Verfahren zur Bestätigung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit bei EU-Bürgern durch die AA gleicht dem der Arbeitsuchmeldung zur Erlangung eines Anspruchs auf Kindergeld. Auch hier ist es so, dass die Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. die daran anknüpfenden Bescheinigung der Agentur für Arbeit zwar konstitutive Bedingung für den Leistungsanspruch ist, eine fehlerhafte oder unterbliebene Registrierung den Kindergeldanspruch aber nicht aus-schließt. Entscheidend ist dann darauf abzustellen, ob sich das Kind im konkreten Fall tat-sächlich bei der Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender gemeldet bzw. diese Meldung alle drei Monate erneuert hat und damit seine kindergeldrechtlichen Mitwirkungspflichten wahrgenom-men hat (BFH vom 25.9.2008 – III R 91/07; vom 22.9.2011 – III R 78/08).

Die Parallele zum Kindergeldrecht findet ihre Schlüssigkeit darin, dass sowohl die Registrierung als Arbeit suchendes Kind, als die Bescheinigung zur Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit bloße Mitwirkungspflichten der Betroffenen im Verfahren über einen Leistungsanspruch kon-kretisieren.

Von Teilen der Rechtsprechung wird eine eigenständige Bescheinigung der AA zur Freiwillig-keit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit daher sogar als entbehrlich angesehen, wenn die für die Leistungsgewährung zuständigen Behörden keine Grundlage für eine Sanktion oder Sperrzeit haben (OVG Schleswig-Holstein vom 26.6.2014 – 4 LB 22/13; SG Landshut vom 31.1.2018 – S 11 AS 624/16).

Dass die Bescheinigung zur Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit keine echte Tat-bestandswirkung für einen Alg II-Anspruch entfaltet, erhellt im Übrigen auch daraus, dass die AA nicht prüft bzw. beurteilt, ob die verloren gegangene Arbeit/die aufgegebene Selbständigkeit nach Art und Umfang überhaupt einen Arbeitnehmerstatus nach EU-Recht begründet hat.

Als weiteres Argument für den Charakter der Bestätigungs-Bescheinigung als behördliche Verfahrenshandlung i. S. von § 56a SGG lässt sich anführen, dass ein bestehender Alg-Anspruch nach dem SGB III bei Hilfebedürftigkeit stets einen Anspruch auf ergänzende SGB II-Leistungen nach sich zieht (s. dazu LSG Berlin-Brandenburg vom 27.10.2015 - L 20 AS 2197/15 B ER). Die Bestätigungs-Bescheinigung hat mithin nur eine dienende Funktion im Verfahren auf Gewährung von SGB II-Leistungen.

Damit bleibt festzuhalten, dass die grundrechtlich gebotene Existenzsicherung des Klägers über eine Anfechtungs- und Leistungsklage gegen Alg II-Bescheide gewährleistet ist, in deren Rahmen die Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit voller gerichtlicher Kontrolle un-terliegt.

Eine Verurteilung des Beigeladenen im hiesigen Verfahren war wegen der noch anhängigen Klage auf Grundsicherungsleistungen, darunter solche im hier streitigen Zeitraum, ausge-schlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved