S 46 AS 2799/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
46
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 2799/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Während des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB i.V.m. Bayerischem Maßregelvollzugsgesetz (BayMRVG) besteht ein eigenständiges umfassendes Leistungssystem für alle Bedarfe der Existenzsicherung. Dies gilt auch für die Vollzugslockerung des Probewohnens nach Art. 18 BayMRVG; dieses Probewohnen ist ein Bestandteil des Maßregelvollzugs.

Das Leistungssystem des Maßregelvollzugs nach BayMRVG geht dem SGB II und dem SGB XII vor. Es besteht keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 1 SGB II und zugleich ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II. Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt sind nachrangig gemäß § 2 SGB XII. Dies gilt auch für die Vollzugslockerung Probewohnen.
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. November 2016 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld II von August bis November 2016. Er befand sich in dieser Zeit im Maßregelvollzug nach § 63 StGB und Bayerischem Maßregelvollzugsgesetz (BayMRVG) in der Lockerungsstufe Probewohnen.

Der 1990 geborene Kläger befindet sich seit März 2009 bis aktuell im Maßregelvollzug nach § 63 StGB, d.h. er ist auf Anordnung des Strafgerichts in dem psychiatrischen Krankenhaus B-Klinikum untergebracht, weil er eine rechtswidrige Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit begangen hatte. Von der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt der Kläger eine Waisenrente von monatlich 141,20 Euro.

Ab Juli 2016 erfolgte stufenweise die Vollzugslockerung Probewohnen nach Art. 18 BayMRVG im ambulant betreutem Einzelwohnen in einer Wohngemeinschaft außerhalb des Klinikums: In der 29. Kalenderwoche (ab 18.07.2016) übernachtet der Kläger dort ein mal, in der Folgewoche hatte er dort zwei Übernachtungen, usw. Für das Einzelzimmer in dem Wohnheim wurde ein Nutzungsentgelt von 420,- Euro pro Monat festgelegt, davon pauschal 20,- Euro für Haushaltsstrom. Dieses Nutzungsgeld wurde vom Bezirk (Beigeladener zu 2) im Rahmen des Maßregelvollzugs bezahlt. Der Kläger war vor und während des Probewohnens durchgängig in der Arbeitstherapie der Forensik des B-Klinikums tätig, bis auf die Zeiten im September und November 2016, in denen er bei einem privaten Arbeitgeber in der Vollzugslockerung Außenbeschäftigung nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayMRVG beschäftigt war.

Der Kläger beantragte am 23.08.2016 die Gewährung von Arbeitslosengeld II beim Beklagten und verwies auf das Probewohnen in der Wohngemeinschaft. Der Beklagte lehnte den Leistungsantrag mit Bescheid vom 09.09.2016 ab. Es bestehe gemäß § 7 Abs. 4 SGB II kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II, weil der Kläger in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht sei.

Der Kläger erhob dagegen Widerspruch, den er dahingehend begründete, dass er dauerhaft beurlaubt sei, um sich in einer eigenen Wohnung mit einer festen Tagesstruktur zu erproben. Dies diene seiner endgültigen Entlassungsvorbereitung und Resozialisierung. Er habe wöchentliche Einzelgespräche und eine 14-tägige Visite im Klinikum. Der Maßregelvollzug würde nur noch formal fortbestehen. Weiter teilte der Kläger mit, dass er im September an vier Arbeitstagen bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet habe.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2016 zurückgewiesen. Es bestehe ein Leistungsausschluss wegen richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II. Auch bei eigenständigem Wohnen handle es sich um Maßregelvollzug. Die Rückausnahme der tatsächlichen Erwerbstätigkeit nach § 7 Abs. 4 S. 3 SGB II sei auf Satz 2 nicht anwendbar. Außerdem habe der Kläger nur an vier Tagen im September gearbeitet.

Die Vollzugslockerung Probewohnen wurde am 28.11.2016 abgebrochen. Der Kläger befindet sich seitdem wieder in der Forensik des Klinikums.

Der Kläger erhob ebenfalls am 28.11.2016 Klage zum Sozialgericht München. In der 32. Kalenderwoche (ab 08.08.2016) habe er vier mal in der therapeutischen Wohngemeinschaft übernachtet und damit überwiegend im Probewohnen.

Das Klinikum bestätigte die wochenweise Steigerung des Probewohnens um jeweils einen Tag und das durchgehende Wohnen in der Wohngemeinschaft ab dem 29.08.2016 (35. Kalenderwoche). Der Kläger erhielt während des Probewohnens vom Bezirk neben der Miete ein Verpflegungsgeld von 10,- Euro pro Tag bzw. von 404,- Euro pro Monat ab 14.11.2016. Auf das Verpflegungsgeld wurden aber die Waisenrente von 141,20 Euro und die Arbeitsbelohnung für die Arbeitstherapie angerechnet. Im August leistete der Kläger 106,5 Stunden Arbeitstherapie bei 149,10 Euro Belohnung (1,40 Euro pro Stunde), im September 73,5 Stunden für 102,90 Euro, im Oktober 29 Stunden für 40,60 Euro und von 1. bis 13. November 18 Stunden für 24,20 Euro.

Das Klinikum bestätigte weiter, dass Personen im Maßregelvollzug eine Tagesstrukturierung nachweisen müssen, der Kläger in der strittigen Zeit entweder Arbeitstherapie oder externe Beschäftigung. Das Verpflegungsgeld werde gezahlt, um den Regelbedarf zu decken. Dabei würden aber sämtliche andere Einkünfte angerechnet. Auch die Betreuungsleistungen im Rahmen des betreuten Probewohnens seien als Kosten des Maßregelvollzugs vom Klinikum bzw. Bezirk übernommen worden.

Der Träger der Wohngemeinschaft teilte mit, dass er lediglich eine ambulante Betreuung leiste und nicht die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Bewohner übernehme. Eigene tagesstrukturierende Maßnahmen seien nicht angeboten worden. Hierzu wurde auch die Konzeption der therapeutischen Wohngemeinschaft übermittelt. Der Kläger sei in die Maßnahmen des Klinikums eingebunden gewesen. Das Klinikum habe auch die finanziellen Angelegenheiten des Klägers geregelt. Wegen Fehlzeiten in der Arbeitstherapie sei das Probewohnen im September unterbrochen worden; der Kläger habe sich in dieser Zeit ganz in der Forensik befunden.

Für die vier Arbeitstage im September 2016 bei der Zeitarbeitsfirma erhielt der Kläger am 17.10.2016 einen Nettolohn von 245,73 Euro (brutto 298,90 Euro) auf sein Girokonto ausgezahlt. Für die weitere Arbeit bei dieser Firma von 08.11.2016 bis 23.12.2016 wurde ein Lohnvorschuss von 100,- Euro am 21.11.2016 an den Kläger ausgezahlt, der Rest erst ab Dezember 2016.

Das Sozialgericht lud den Landkreis als örtlichen Träger der Sozialhilfe (Beigeladener zu 1) und den Bezirk als überörtlichen Träger der Sozialhilfe (Beigeladener zu 2) bei wegen möglicher alternativer Leistungspflicht.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2016 zu verurteilen, dem Kläger in der Zeit von 01.08.2016 bis 28.11.2016 Arbeitslosengeld II zu gewähren, hilfsweise einen Beigeladenen zu verurteilen, Sozialhilfe zu gewähren.

Der Beklagte, der Beigeladene zu 1) und der Beigeladene zu 2) beantragen, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II. Die Beigeladenen führen aus, dass es sich bei dem Probewohnen lediglich um eine Vollzugslockerung handle und der Maßregelvollzug gleichwohl fortdauere. Die gesamten Kosten des Maßregelvollzugs einschließlich des Probewohnens seien gemäß Art. 52, Art. 18 Abs. 1 S. 3 BayMRVG vom Freistaat Bayern zu tragen. Dazu würden alle anfallenden Kosten zählen einschließlich Lebensunterhalt, Unterkunft, Krankenbehandlung und Betreuung. Sozialhilfe sei demgegenüber gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII nachrangig. Ein ablehnender Bescheid zur Sozialhilfe sei nicht ergangen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der angegriffene Bescheid dem Gesetz entspricht und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist. Der Kläger ist nicht hilfebedürftig nach SGB II und SGB XII, weil gemäß BayMRVG im Maßregelvollzug ein umfassendes vorrangiges Leistungssystem besteht. Außerdem besteht auch beim Probewohnen ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II.

Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II, hilfsweise Sozialhilfe zum Lebensunterhalt, in der Zeit von 01.08.2016 bis 28.11.2016. Der Beklagte hat diesen Anspruch mit Bescheid vom 09.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2016 verneint. Statthaft ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

1. Der Kläger war in der strittigen Zeit nicht hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II nicht, wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält. Die Regelungen des BayMRVG vom 17.07.2015 (in Kraft ab 01.08.2015) stellen für den Maßregelvollzug ein eigenständiges umfassendes vorrangiges Leistungssystem für alle Bedarfe dar.

Das BayMRVG ist eine umfassende Regelung für die Gestaltung aller Lebensbereiche im Maßregelvollzug. Es gibt einen Behandlungs- und Vollzugsplan (Art. 5) sowie Regelungen zur räumlichen Unterbringung (Art. 8), zum Tragen von Kleidung und Wäsche (Art. 9), zur Krankenbehandlung (Art. 6 und 7), zu Arbeitspflichten (Art. 10), zur Freizeitgestaltung (Art. 11), für Besuch (Art. 12) und Außenkontakte (Art 13). Daneben gibt es genaue Regelungen zu den Finanzen des Betroffenen: Für die Leistungen in der Arbeitstherapie gibt es ein Motivationsgeld (Art. 29 Abs. 1). Bei Mittellosigkeit gibt es einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung, auf den das Motivationsgeld angerechnet werden kann (Art. 29 Abs. 3). Auch Arbeitsentgelt, das ein Betroffener durch begleitete oder unbegleitete Außenbeschäftigung, das sind Vollzugslockerungen nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayMRVG, verdient, wird durch die Maßregelvollzugsbehörden bewirtschaftet, d.h. es kann verwahrt werden (Art. 31) oder dem Überbrückungsgeld für die Zeit nach der Entlassung zugeführt werden (Art. 30 Abs. 1). Zuständige Behörden sind die Bayerischen Bezirke (Art. 45 Abs. 1 BayMRVG, Bayerische Bezirksordnung). Kostenträger ist der Freistaat Bayern (Art. 52 Abs. 1 BayMRVG).

Die Regelungen des Maßregelvollzugs sorgen auch für eine Deckung alle Bedarfe der Existenzsicherung, insbesondere Wohnen, Regelbedarfe und Krankenbehandlung. Das gilt auch für die Kosten des Probewohnens, die nach Art. 18 Abs. 1 S. 3 BayMRVG Kosten des Maßregelvollzugs sind. Dabei sind diese Kosten nicht auf die Kosten der Unterkunft im Sinn von § 22 SGB II begrenzt, sondern umfassen die Kosten des Wohnens, der ergänzenden Betreuung und des laufenden Regelbedarfs.

Für den Regelbedarf wurde das Verpflegungsgeld gezahlt und die laufenden Stromkosten mit 20,- Euro pro Monat übernommen. Rechtsgrundlage für das Verpflegungsgeld ist Art. 29 Abs. 3 BayMRVG. Der dort festgelegte Barbetrag zur persönlichen Verfügung für Mittellose ist auch während des Probewohnens zu gewähren (vgl. Ziffer 24.2 der Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Maßregelvollzugsgesetz des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 17.01.2017) und so zu bemessen, dass der existentielle Bedarf gedeckt ist. Soweit das Verpflegungsgeld bis 14.11.2016 unter dem Regelbedarf nach § 20 SGB II lag, ist das eine Frage der Gestaltung des Maßregelvollzugs, keine Frage der Verpflichtung des Beklagten oder eines der Beigeladenen zur Leistung. Es kann ausreichende Gründe gegeben haben, um bei betreutem Wohnen von einer anderweitigen Bedarfsdeckung auszugehen, etwa wegen der Bereitstellung von Haushaltsgegenständen und Wohnungseinrichtung. Dem ist hier aber nicht nachzugehen, weil die Klage nicht auf höhere Leistungen nach BayMRVG gerichtet ist.

Ein weiterer gewichtiger Grund, von einer umfassenden Bedarfsdeckung durch das BayMRVG auszugehen, liegt darin, dass neben dem System des Maßregelvollzugs eine Bedarfsberechnung und Leistungsgewährung über das SGB II oder das SGB XII nicht funktionieren kann. Einkommen, das aus Sicht der Sozialleistungsträger nach entsprechender Bereinigung (vgl. §§ 11 ff SGB II und § 82 Abs. 3 SGB XII) dem Leistungsempfänger zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen müsste, unterliegt wegen Art. 30 Abs. 1, Art. 31 BayMRVG dem Zugriff der Behörden des Maßregelvollzugs. Auch auf Arbeitslosengeld II oder Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt können die Behörden des Maßregelvollzugs zugreifen und diese nach Art. 30 Abs. 1 BayMRVG dem Überbrückungsgeld zuführen oder nach Art. 30 BayMRVG verwahren. Auch diese Regelungen zeigen, dass das BayMRVG ein abgeschlossenes System ist, das eine Kombination oder Ersetzung durch ein anderes System der Grundsicherung nicht gestattet.

Nach Art. 52 Abs. 1 BayMRVG trägt der Freistaat Bayern die Kosten des Maßregelvollzugs, soweit nicht ein Träger von Sozialleistungen oder ein Dritter zur Gewährung von gleichartigen Leistungen verpflichtet ist. Dieser Kostenvorbehalt führt nicht zu einer Verpflichtung des Beklagten. Dieser ist nicht zu gleichartigen Leistungen verpflichtet, weil der Kläger, wie dargelegt, nicht hilfebedürftig nach § 9 Abs. 1 SGB II ist. Außerdem ist der Kläger auch beim Probewohnen gemäß § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen nach SGB II ausgeschlossen (siehe 2.). Der Kostenvorbehalt ist dahingehend zu verstehen, dass andere Sozialleistungen als Grundsicherungsleistungen, etwa Rentenzahlungen wie hier die Waisenrente, vorrangig wären.

Eine darlehensweise Gewährung der Leistungen im Maßregelvollzug kann dies nicht ändern. Dies wurde hier angedeutet vom Beigeladenen zu 2), wonach das Klinikum mit dem Kläger eine Rückzahlung vereinbart habe, wenn ein Dritter, gedacht war an den Beklagten, gleichartige Leistungen erbringe (so auch der Sachverhalt im Fall Bay LSG, Beschluss vom 02.02.2016, L 7 AS 35/16 B ER). Der Kläger hat dies nicht bestätigt. Eine Rechtsgrundlage für derartige Darlehensvereinbarung ist im BayMRVG nicht ersichtlich und ein Darlehnsvertrag kann den gesetzlich festgelegten Vorrang nicht aushebeln. Dies kann der Kläger ggf. im Rahmen des BayMRVG gerichtlich klären lassen.

Auch das vom Kläger benannte Urteil Bay LSG vom 17.09.2014, L 16 AS 813/13, vermag seinen Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld II nicht zu begründen: Es ging dort um einen Zeitraum in 2012, also vor Inkrafttreten des BayMRVG und vor der Neufassung des § 7 Abs. 4 S. 3 SGB II.

2. Der Kläger ist auch gemäß § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

a) Nach dieser Vorschrift erhält Leistungen nach dem SGB II unter anderem nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist (Satz 1). Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt (Satz 2). Eine Rückausnahme ist möglich, wenn jemand in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht ist und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (Satz 3 Nr. 2).

b) Der Maßregelvollzug erfolgt gemäß § 63 StGB auf richterliche Anordnung und ist eine Maßnahme der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung. Er fällt deshalb unter § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Dies gilt auch für die Vollzugslockerung zum Zwecke des Probewohnens nach Art. 18 BayMRVG.

Das Probewohnen ist als eine der Maßnahmen der Lockerung des Maßregelvollzugs Teil des Maßregelvollzugs. Es ist Bestandteil des umfassenden Behandlungs- und Vollzugsplans nach Art. 5 BayMRVG. Die Tagesstruktur wird auch beim Probewohnen durch den Träger des Maßregelvollzugs vorgegeben: Entweder besteht die Pflicht zur Teilnahme an der Arbeitstherapie im Klinikum oder es erfolgt eine Außenbeschäftigung nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayMRVG. Mit dem Probewohnen wird lediglich das Übernachten an eine ambulant betreute Wohngemeinschaft "ausgelagert". Dabei sind auch beim Probewohnen die Disziplinarmaßnahmen nach Art. 22 BayMRVG möglich. Der Einrichtung zum Probewohnen können Zwangsbefugnisse übertragen werden nach Art. 18 Abs. 3 BayMRVG. Einzelweisungen sind nach Art. 20 Abs. 1 BayMRVG auch bei Vollzugslockerungen möglich. Diese Regelungen zeigen, dass auch beim Probewohnen ein umfassender Zugriff des Maßregelvollzugs besteht. Das Probewohnen stellt sich deshalb als integraler Bestandteil des gesamten Maßregelvollzugs dar, nicht etwa als "Dauerbeurlaubung" bei nur formal fortbestehendem Maßregelvollzug. Damit ist auch die Zeit des Probewohnens ein Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II (a. A. Bay LSG, Urteil vom 17.09.2014, L 16 AS 813/13, Rn. 32 ff unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BSG vom 05.06.2014, die gerade keinen Maßregelvollzug betraf).

Ergänzend ist auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.03.2015, L 7 AS 1504/13, zu verweisen. Dort wird ausgeführt, dass die richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung einen Anspruch auf volle Alimentierung in der Einrichtung einschließlich Einbindung in fremdbestimmte Tagesabläufe bewirkt, was den automatischen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II zur Folge hat. An diesem Status ändere sich auch durch die Gewährung von Vollzugslockerungen nichts. Das gelte auch für Wohnprojekte, die der Klinik angeschlossen sind (LSG, a.a.O., Rn. 21 und 22). Dem ist zuzustimmen. Ob bei einer unbefristeten Entlassung in eine eigene Wohnung mit vollständiger Befreiung aus dem Ordnungsregime der Vollzugsanstalt (so der dortige Sachverhalt laut Rn. 22) ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestehen kann, braucht hier nicht entschieden werden, weil hier ein anderer Sachverhalt vorliegt und der dortige Sachverhalt im BayMRVG keine Rechtsgrundlage fände.

c) Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II durch tatsächliche Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens 15 Wochenstunden ist nicht möglich. Nach der Gesetzesänderung zum 01.08.2016 mit der Einfügung "nach Satz 1" hinter "in einer stationären Einrichtung" ist klargestellt, dass Personen, die sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten auch dann nicht leistungsberechtigt sind, wenn sie als Freigänger eine Beschäftigung in dem genannten Umfang nachgehen (Becker in Eicher, SGB II, 4. Auflage 2017, § 7 Rn. 152; Schumacher in Oestreicher, SGB II / SGB XII, Stand Sept. 2016, SGB II, § 7 Rn. 28). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die viertägige Beschäftigungen im September die nötigen Wochenstunden hatte und dass der Kläger auch ab 08.11.2016 einer Außenbeschäftigung nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayMRVG nachging.

Zu ergänzen ist, dass die tatsächliche Erwerbstätigkeit des Klägers auch in der Sache kein Argument für eine Zuordnung zum Leistungssystem des SGB II wäre. Die Beschäftigungen bei der Zeitarbeitsfirma waren Arbeitsmaßnahmen nach Art. 10 BayMRVG im Rahmen der Vollzugslockerung Außenbeschäftigung nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayMRVG. Die Maßregelvollzugsbehörde entscheidet darüber, ob eine Berufstätigkeit angezeigt ist bzw. als Vollzugslockerung in Frage kommt. Eine eigenständige Eingliederung in Arbeit durch das Jobcenter nach §§ 14 ff SGB II wäre unter diesen Bedingungen nicht sinnvoll möglich.

II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe zum Lebensunterhalt.

Nach § 75 Abs. 2, 5 SGG kann ein Träger der Sozialhilfe nach Beiladung verurteilt werden, wenn er als alternativ leistungspflichtigen beigeladen wurde. Eine derartige Verurteilung kommt hier nicht in Betracht.

Wie bereits dargelegt, stellen die Regelungen des BayMRVG vom 17.07.2015 (in Kraft ab 01.08.2015) für den Maßregelvollzug ein eigenständiges umfassendes Leistungssystem für alle Bedarfe dar. Regelbedarf, Kosten des Wohnens und Krankenbehandlung sind abgedeckt. Einige Regelungen lehnen sich erkennbar an das System des SGB XII an und treten an dessen Stelle, wie etwa der Anspruch auf einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung nach Art. 29 Abs. 3 S. 1 BayMRVG.

Das umfassende Leistungssystem des BayMRVG ist auch im Verhältnis zur Grundsicherung der Sozialhilfe vorrangig. Es besteht ein Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 1. verwiesen. Die Verweisung auf andere Leistungserbringer in Art. 52 Abs. 1 BayMRVG führt zu keinem anderen Ergebnis, weil die Sozialhilfe wegen des Nachrangs gerade nicht zur Gewährung von gleichartigen Leistungen verpflichtet ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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