L 18 SO 38/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 20 SO 239/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SO 38/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird ein Versagungsbescheid nach § 66 SGB I aufgehoben und ergeht ein Ablehnungsbescheid über die beantragte Leistung, so wird der Ablehnungsbescheid nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.02.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen einen - mittlerweile aufgehobenen - Versagungsbescheid der Beklagten nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).

Die 1948 geborene Klägerin, die eine Altersrente bezieht, erhielt von der Beklagten bis zum 31.03.2016 (letzter Bewilligungsbescheid vom 22.02.2016) Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) - Viertes Kapitel (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung).

Am 24.03.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Fortzahlung der Leistungen ab April 2016. Mit Schreiben vom 07.04.2016 forderte die Beklagte die Klägerin auf, Nachweise über das aktuelle Einkommen und Vermögen von Herrn Kurt A. (im Folgenden: R) vorzulegen, mit dem sie in einer Haushaltsgemeinschaft lebe. R teilte daraufhin der Beklagten mit Schreiben vom 14.04.2016 mit, dass er kein Vermögen besitze und übersandte einen Kontoauszug sowie seinen Rentenbescheid vom 23.11.2015. Mit Schreiben vom 23.05.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass geplant sei, den Antrag auf Weitergewährung der Leistungen nach dem SGB XII abzulehnen, da der Bedarf der Klägerin unter Berücksichtigung des Einkommens des R gedeckt sei. Um den Leistungsanspruch abschließend klären zu können, würden jedoch noch eine ausgefüllte Erklärung des R über seine Vermögensverhältnisse, die Rentenbescheide des R aus dem Zeitraum 01.10.2015 bis 31.03.2016 sowie gegebenenfalls Nachweise über Haftpflichtversicherung, Hausratversicherung o.ä. benötigt.

Die Klägerin bestritt darauf hin, mit R in einer Bedarfsgemeinschaft zu leben. Es bestünde eine getrennte Haushaltsführung. Des Weiteren wurden Rentenbescheide des R vom 15.04.2016 und 20.05.2016 übersandt. Am 14.06.2016 sprach die Klägerin mit einer weiteren Person, die sich als "Herr F." bezeichnete, zur Klärung der persönlichen Verhältnisse bei der Beklagten vor. Da aus Sicht der Beklagten ein klärendes Gespräch mit der Klägerin aufgrund der Einflussnahme von "Herr F." nicht möglich war und es zu Auseinandersetzungen zwischen "Herr F." und der Sachbearbeiterin der Beklagten kam, wurde das Gespräch beendet.

Mit Bescheid vom 18.07.2016 lehnte die Beklagte den mündlichen Antrag vom 24.03.2016 auf Weitergewährung der Grundsicherungsleistungen ab. In der Begründung wurde ausgeführt, dass es aufgrund der fehlenden Mitwirkung der Klägerin nicht möglich gewesen sei, den Sachverhalt zu klären und festzustellen, ob die Klägerin die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Grundsicherung nach dem SGB XII erfüllt. In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach § 66 Abs. 1 SGB I werde daher der Antrag versagt. Es bestünde aber nach § 67 SGB I die Möglichkeit, die Mitwirkung nachzuholen, wenn sich die Klägerin zu einem Einzelgespräch zur Klärung von diversen Fragen bereit erklären würde. Im Falle der Nachholung der Mitwirkung und soweit die Leistungsvoraussetzungen vorlägen, könnten Leistungen nachträglich ganz oder teilweise erbracht werden.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 02.08.2016 Widerspruch ein.

Die Beklagte erließ am 27.10.2016 einen weiteren Bescheid, mit dem sie den Bescheid vom 18.07.2016 wie folgt änderte: Der mündliche Antrag vom 24.03.2016 auf Weitergewährung der Grundsicherungsleistungen wird bis zur Nachholung der Mitwirkung abgelehnt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2016 wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt M. Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 18.07.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 27.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag der Klägerin vom 24.03.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Mit Schriftsatz vom 06.02.2017 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegenüber dem SG erklärt, dass er das Mandat niedergelegt habe. Mit Schreiben vom 16.02.2017 hat die Klägerin R bevollmächtigt.

Am 20.11.2017 hat die Beklagte einen weiteren Bescheid erlassen. Mit diesem hat sie den Bescheid vom 18.07.2016 sowie den Änderungsbescheid vom 27.10.2016 aufgehoben (1. Verfügungssatz). Des Weiteren hat sie den mündlichen Antrag vom 24.03.2016 auf Weitergewährung der Grundsicherung ab 01.04.2016 abgelehnt (2. Verfügungssatz). Dies hat sie damit begründet, dass im Falle der Klägerin keine Hilfebedürftigkeit ab 01.04.2016 vorliege. Die Klägerin lebe mit R in einer eheähnlichen Gemeinschaft, so dass sie mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft bilde. Aufgrund der Anrechnung des seinen Bedarf übersteigenden Einkommens des R ergebe sich für die Klägerin kein Leistungsanspruch. Der Bescheid hat eine Bedarfsberechnung für die Zeit ab 01.04.2016 beinhaltet und ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit des Widerspruchs versehen gewesen. Widerspruch gegen den Bescheid ist jedoch nicht eingelegt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.02.2018 hat das SG den Rechtsstreit entschieden. Es hat gemäß Teilanerkenntnis der Beklagten festgestellt, dass der Bescheid vom 18.07.2016 in der Fassung des Bescheides vom 27.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2016 rechtswidrig war bis zu dessen Aufhebung durch Bescheid der Beklagten vom 20.11.2017. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Bezüglich der Klageabweisung hat das SG ausgeführt, dass der über den ursprünglichen Anfechtungsantrag gegen die Versagungsbescheide hinaus gestellte Verpflichtungs- oder gar Leistungsantrag von Anfang an unzulässig gewesen sei. Im vorliegenden Fall sei lediglich eine Anfechtungsklage statthaft gewesen. Die durch den Bescheid vom 20.11.2017 getroffene Sachentscheidung sei nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.

Gegen die Entscheidung hat R als Bevollmächtigter der Klägerin am 26.02.2018 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Mit Beschluss vom 03.07.2018 hat der Senat R als Bevollmächtigten der Klägerin zurückgewiesen. Mit Schreiben vom gleichen Tag, das an beide Beteiligte zur Kenntnis gelangt ist, hat der Senat die Klägerin darauf hingewiesen, dass er die erstinstanzlich am 16.02.2017 von der Klägerin an R erteilte Prozessvollmacht als ausreichend für die Berufungseinlegung vom 26.02.2018 sehe, so dass die Berufung zulässig sei. Allerdings sehe der Senat die Klage im Wesentlichen aus den im Gerichtsbescheid des SG vom 14.02.2018 genannten Gründen als unzulässig und die Berufung damit als unbegründet an. Dem (schwer entzifferbaren, sinngemäßen) Antrag vom 22.06.2018 (Eingang per Fax am Bayerischen Landessozialgericht) des R auf Terminsverlegung werde nicht entsprochen, da er nicht begründet worden sei. Mit weiterem Schreiben vom 05.07.2018, das am 06.07.2018 per Fax bei Gericht eingegangen ist, hat die Klägerin - soweit dem schwer entzifferbaren Schreiben entnehmbar - erneut Antrag auf Verlegung des Termins vom 12.07.2018 gestellt. Auch diesen Antrag hat das Gericht mit Schreiben vom 09.07.2018 abgelehnt, da er nicht begründet worden sei.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keinen Berufungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Akte S 20 SO 46/17 ER des SG, der Akte L 18 SO 103/17 B ER des LSG sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte eine mündliche Verhandlung durchführen und aufgrund dieser ein Urteil verkünden, obwohl zur Verhandlung keiner der Beteiligten erschienen ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 25.01.2018 - L 18 SO 19/17; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 126 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen). Die Beteiligten waren zum Termin vom 12.07.2018 ordnungsgemäß geladen worden; die Ladungen enthielten jeweils den Hinweis, dass auch im Falle des Ausbleibens entschieden werden kann.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Die Berufung wurde fristgemäß und wirksam durch R eingelegt. Zwar hat der Senat R als Bevollmächtigten der Klägerin mit Beschluss vom 03.07.2018 zurückgewiesen. Allerdings sind gemäß § 73 Abs. 3 S. 2 SGG die von ihm als Prozessbevollmächtigter der Klägerin bis zu seiner Zurückweisung vorgenommenen Prozesshandlungen wirksam.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist bereits unzulässig.

1. Mit Aufhebung des Bescheids vom 18.07.2016 durch den Bescheid der Beklagten vom 27.10.2016 hat sich der ursprünglich mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X) und infolgedessen auch die Anfechtungsklage erledigt.

Die von der Klägerin zugleich erhobene Klage auf Verpflichtung der Beklagten, ihren Antrag vom 24.03.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, war von Anfang an unzulässig. Grundsätzlich ist gegen einen Versagungsbescheid nur eine isolierte Anfechtungsklage möglich (vgl. u.a. BSG v. 25.02.2013 - B 14 AS 133/12 B und v. 01.07.2009 - B 4 AS 78/08 R, jeweils veröffentlicht in juris). Nur in besonderen Fällen kommt zusätzlich eine unmittelbare Klage auf Leistungen in Betracht, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versagung wegen fehlender Mitwirkung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde. Eine solche Klage auf Leistungen der Beklagten wurde jedoch - entsprechend dem Antrag ihres Prozessbevollmächtigten in erster Instanz - von der Klägerin nicht erhoben. Im Übrigen besteht für den Antrag der Klägerin auf Neubescheidung durch die Beklagte infolge der am 27.10.2016 zugleich ergangenen ablehnenden Sachentscheidung über den Antrag der Klägerin vom 24.03.2016 auf Leistungen nach dem SGB XII auch kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.

2. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27.10.2016 ist auch nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, denn er hat den angefochtenen Verwaltungsakt vom 18.07.2016 (Versagungsbescheid) nicht abgeändert oder ersetzt.

Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt (§ 96 Abs. 1 SGG).

Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden. Keine Abänderung oder Ersetzung liegt deshalb grundsätzlich bei anderem Streitstoff oder bei veränderten Tatsachen, uU auch nicht bei veränderten Rechtsgrundlagen vor (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 96 Rn. 4a).

Im vorliegenden Fall beruhen der Verwaltungsakt vom 18.07.2016 und der Verwaltungsakt vom 27.10.2016 auf verschiedenen Rechtsgrundlagen. Während die Versagung vom 18.07.2016 auf Grundlage des § 66 SGB I erfolgt ist, erfolgte die Ablehnung vom 27.10.2016, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII nicht gegeben waren. Die Versagungsentscheidung enthält somit anders als die Ablehnungsentscheidung schon keine Entscheidung über den Leistungsanspruch selbst (vgl. dazu BSG vom 24.11.1987 - 3 RK 11/87, juris). Während im Falle der Versagungsentscheidung vom 18.07.2016 streitgegenständlich ist, ob die Beklagte wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin berechtigt war, ihr Leistungen nach dem SGB XII bis zur Nachholung der Mitwirkung zu versagen, liegt der Entscheidung vom 27.10.2016 die Frage zu Grunde, ob beim vorliegenden Sachverhalt ein Anspruch der Klägerin nach dem SGB XII infolge vorhandenen, anrechenbaren Einkommens ihres Mitbewohners R nicht besteht. Somit sind weder die Regelungsgegenstände der Verwaltungsakte vom 18.07.2016 und vom 27.10.2016 - auch nicht teilweise - identisch noch ist der Streitstoff der gleiche. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten über den Leistungsantrag der Klägerin in der Sache, die auf den fehlenden Leistungsvoraussetzungen beruht, ersetzt somit die vorangegangene Versagungsentscheidung nach § 66 SGB I nicht und ändert diese auch nicht ab (so auch SG München vom 12.10.2017 - S 46 AS 899/17, juris; im Ergebnis ebenso Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht vom 11.11.2015 - L 9 SO 58/12, juris).

Da die Klage somit unzulässig ist, ist die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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