L 4 AS 312/18 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AS 655/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 312/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts (SG) D.-R. und die Durchführung des Berufungsverfahrens zu ihrer Klage, mit der sie sich gegen eine anspruchsmindernde Berücksichtigung eines Betriebskostenguthabens in Höhe von 581,74 Euro in den Monaten Februar und März 2015 wenden.

Die im Jahr 1975 geborene Klägerin und ihr im Jahr 2005 geborener Sohn wohnen zur Miete in einer 68,62 qm großen Wohnung. Die Miete beträgt in dem hier betroffenen Leistungszeitraum insgesamt 458,34 Euro.

Die Betriebskostenabrechnung vom 13. November 2014 (für das Abrechnungsjahr 2013) für die von den Klägern genutzte Wohnung wies ein Guthaben in Höhe von 581,74 Euro aus. Es sollte nach dem Inhalt des Abrechnungsschreibens mit der Miete für den Monat Januar 2015 verrechnet werden. Ein dann noch verbliebenes Restguthaben sollte mit dem Folgemonat verrechnet werden.

Die Klägerin reichte die Abrechnung beim Beklagten mit der schriftlichen Bemerkung ein, das Guthaben solle mit rückständiger Miete verrechnet werden. Tatsächlich bestanden Mietschulden (zum 1. November 2014 in Höhe von 753,23 Euro, zum 1. Dezember 2014 in Höhe von 1.157,21 Euro). Ab dem Monat Januar 2015 zahlte die Klägerin die fällige Miete.

Der Beklagte bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 1. Januar 2015. Dabei ging er von einem Bedarf wegen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von 458,34 Euro aus. Allerdings berücksichtigte er das Guthaben, so dass er für den Monat Februar 2015 von keinem Bedarf wegen KdUH und für den Monat März 2015 nur von einem geminderten Bedarf wegen KdUH von 334,94 Euro ausging.

Die Klägerin reichte beim Beklagten ein Schreiben des Vermieters vom 9. Januar 2015 ein, worin dieser eine Übereinkunft vom 8. Januar 2015 zur Tilgung eines Mietsaldos bestätigte und erhob Widerspruch gegen die Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2015 als unbegründet zurück.

Nachfolgend bewilligte der Beklagte die Leistungen für den hier betroffenen Leistungszeitraum endgültig und behielt dabei die Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens unverändert bei (Bescheid vom 24. August 2015).

Das SG hat die am 17. März 2015 wegen der Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens erhobene Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2017 (zur Geschäftsstelle gelangt am 12. März 2018) abgewiesen. Ein höherer Leistungsanspruch stehe den Klägern nicht zu. Die Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens folge aus § 22 Abs. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Hiernach müsse ein Guthaben im Folgemonat des Zuflusses bedarfsmindernd berücksichtigt werden. Restliches Guthaben sei im nächsten Monat zu berücksichtigen. Die Betriebskostenabrechnung ergebe eine Verrechnung mit der Januarmiete bzw. Februarmiete. Der Beklagte habe daher zutreffend das Guthaben bedarfsmindernd bei den KdUH im Februar und teilweise noch im März 2015 berücksichtigt. Dass die Klägerin das Guthaben zur Schuldentilgung verwendet habe, begründe kein anderes Ergebnis. Der Vermieter habe die abweichende Verrechnung auf Wunsch der Klägerin vorgenommen. Sie habe über das Guthaben entsprechend verfügt. Dass die Vorauszahlungen zum Teil aus eigenem Einkommen bzw. dem Regelbedarf vorgenommen seien, ändere ebenfalls nichts.

Am 24. April 2018 haben die Kläger wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem ihnen am 26. März 2018 zugestellten Urteil Beschwerde erhoben und hierfür Prozesskostenhilfe beantragt: Nach der Rechtsprechung minderten Betriebskostenrückzahlungen dann nicht den Anspruch nach dem SGB II, wenn die Aufwendungen für die KdUH vollständig vom Leistungsträger erbracht worden seien. Habe der Leistungsträger die Leistungen wegen KdUH hingegen gekürzt, werde der Leistungsanspruch nur um den Betrag gemindert, der sich auf den tatsächlich erbrachten Anteil an Aufwendungen für die KdUH beziehe (Bezugnahme auf Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 14 AS 83/12 R). Außerdem habe das SG keine Stellungnahme des Vermieters zu den Umständen der Verrechnung eingeholt.

Die Kläger beantragen schriftlich sinngemäß,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Oktober 2017 zuzulassen und das Berufungsverfahren durchzuführen.

Der Beklagte beantragt schriftlich sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt vor: Entgegen der Ansicht der Kläger sei aus der zitierten Entscheidung des BSG zu folgern, dass es nicht darauf ankomme, wer die Vorauszahlungen mit welchem Mitteln erbracht habe. Einen Verfahrensmangel habe die Klägerseite nicht hinreichend bezeichnet bzw. nicht dargelegt, dass das Urteil hierauf beruhen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Sie ist jedoch unbegründet. Nachdem die Berufung aufgrund des Streitgegenstands nicht bereits gesetzlich eröffnet ist (hierzu unter 1.), hat das SG die Berufung gegen das Urteil vom 12. Oktober 2017 zu Recht nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe (hierzu unter 2.) vorliegt.

1. Ohne Zulassung ist die Berufung nur bei wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr statthaft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG), was bei einem Begehren nach einer für zwei Monate höheren Leistung nicht der Fall ist. Das Begehren der Kläger überschreitet zudem nicht den Wert von 750 Euro, ab dem bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, eine Berufung ohne Zulassung eröffnet ist (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG).

2. Ist die Berufung nicht bereits gesetzlich eröffnet, ist sie gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3).

a) Der Entscheidung in der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn ein Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn. 28).

Ungeklärte Rechtsfragen sind aber weder von den Beteiligten aufgeworfen noch aus dem Inhalt der Verfahrensakten für den Senat ersichtlich.

Die rechtlichen Maßgaben zur Berücksichtigung von Betriebskostenguthaben sind für den Streitzeitraum bereits hinreichend geklärt. Die Regelung § 22 Abs. 3 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung sah vor, dass Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift mindern. Nur Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, blieben außer Betracht.

Das BSG hat zu der Vorgängervorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II (§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F.) für den Fall der Rückzahlung von Betriebskosten entschieden, dass eine Minderung des Anspruchs auf SGB II-Leistungen nur dann mit dem vollem Rückzahlungsbetrag erfolgt, wenn die Aufwendungen des Leistungsberechtigten für die KdU durch den hierauf entfallenden Anteil der SGB II-Leistungen vollständig gedeckt waren. Wurden dagegen nur abgesenkte Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht, mindern Betriebskostenerstattungen den SGB II-Leistungsanspruch in den folgenden Monaten nur um den Betrag, der nach ihrer Anrechnung auf die tatsächlich erbrachten Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung verbleibt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 14 AS 83/12 R, juris Rn. 11).

In Anrechnungsfällen des § 22 Abs. 3 SGB II kommt es nicht darauf an, wie das als Einkommen zu berücksichtigende Guthaben erwirtschaftet wurde und für welche Zeit die Kosten angefallen sind. Denn maßgeblich sind allein die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Berücksichtigung (vgl. zur Vorgängervorschrift § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F.: BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 4 AS 139/11 R, juris Rn. 15 f.; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 14 AS 83/12 R, juris Rn. 15).

Gleichsam spiegelbildlich zu der Verpflichtung des SGB II-Leistungsträgers, fällige Nachzahlungen unabhängig vom Zeitpunkt der Entstehung der Nachzahlungsverpflichtung zu übernehmen, ist für Erstattungen allein der Zeitpunkt der Berücksichtigung maßgeblich. Die gesetzliche Regelung differenziert nicht nach dem Ursprung der Rückzahlung oder des Guthabens. Eine Beschränkung auf Abrechnungen, die allein aus Zahlungen des Leistungsberechtigten resultieren, ist der Norm nicht zu entnehmen. Genauso wie Guthaben, die aus Zeiten stammen, zu denen kein Hilfebedarf bestand, zu berücksichtigen sind, ist es unerheblich, wer die Zahlungen im Abrechnungszeitraum getätigt hat und ob es sich ausschließlich um die zuvor ausgereichten SGB II-Leistungen für die KdU handelte, oder ob die Leistungsberechtigten Teile der als unangemessen erachteten Zahlungsverpflichtung aus ihrem Regelbedarf oder anderen Geldquellen aufgebracht haben (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 4 AS 139/11 R, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 14 AS 83/12 R, juris Rn. 15). Es handelt sich um eine typisierende Ausgestaltung der Anrechnungsregelung, die auf die Aufbringung der Mittel im Einzelnen nicht abstellt. Für diese Lösung spricht u.a. ihre Praktikabilität. Selbst wenn Betriebskostenerstattungen wirtschaftlich - teilweise - den Leistungsberechtigten selbst zuzuordnen sind, weil diese einen Teil der Nebenkosten aus eigenen Mitteln getragen haben, kann die Anrechnung des Guthabens auf die tatsächlichen Unterkunftsaufwendungen - unabhängig von deren leistungsrechtlicher Angemessenheit - nach den Ausführungen des BSG unproblematisch als Ausgleich dafür angesehen werden, dass die partielle Übernahme der Vorauszahlungen auf die Nebenkosten in der Vergangenheit für die Anrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II ansonsten unbeachtlich ist. Durch die Anrechnung auf die tatsächlichen Unterkunftskosten werde ein ausgewogener Ausgleich der beiderseitigen Interessen erreicht.

Danach ist nicht mehr grundsätzlich zu klären, ob wegen der in der Vergangenheit (für den Abrechnungszeitraum) teilweise aus eigenen Mitteln oder den SGB II-Leistungen erbrachten Betriebskostenvorauszahlungen eine Verminderung der Berücksichtigung erfolgen kann.

Erst mit der Änderung des § 22 Abs. 3 SGB II zum 1. August 2016 bleiben neben den Rückzahlungen, die sich auf Kosten für Haushaltsenergie beziehen auch jene außer Betracht, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen (Fassung durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl. I S. 1824, 2718). Die Neuregelung beansprucht keine Vorwirkung (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juni 2018 - B 14 AS 22/17 R, derzeit nur in Form des Terminberichts bekannt; im Ergebnis ebenso Senatsurteil vom 1. Dezember 2016 - L 4 AS 610/15, juris Rn. 29).

b) Das SG weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von der Rechtsprechung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab (Divergenz). Divergenz ist anzunehmen, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das SG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhanden abstrakten Rechtssatz der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte aufgestellt hat. Solche Rechtssätze hat das SG nicht aufgestellt.

c) Schließlich haben die Kläger keinen beachtlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG gerügt. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift zum Ablauf des sozialgerichtlichen Verfahrens, deren Inhalt zwingend zu beachten ist. Insofern kann die Beschwerde nicht auf einen sachlichen bzw. inhaltlichen Mangel der Entscheidung, sondern nur auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg dorthin gestützt werden. Bei der Beurteilung, ob ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel unterlaufen ist, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden (zum Vorstehenden vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 144 Rn. 32 f.).

Die Kläger rügen durch den Hinweis auf die fehlende Aufklärung der Umstände der Verrechnung sinngemäß einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Ein Verstoß gegen § 103 SGG liegt, vor, wenn sich das Gericht vor der Entscheidung zu einer weiteren Aufklärung hätte gedrängt fühlen müssen. Die Kläger legen aber nicht dar, weshalb aus Sicht des SG die Umstände der Verrechnung noch weiter aufzuklären gewesen wären. Das SG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Klägerin selbst die Verrechnung des Betriebskostenguthabens mit dem rückständigen Mietsaldo verfügt hat. Dabei hat es die Bestätigung des Vermieters der Klägerin vom 9. Januar 2014 und den eigenen Vortrag der Klägerin in der Nichtöffentlichen Sitzung vom 9. März 2017 zu Grunde gelegt. Die Kläger legen nicht dar, welche Umstände noch ermittelt hätten werden können. Deshalb ist auch keine Relevanz des vorgeblichen Verfahrensverstoßes in der Weise zu erkennen, dass die Entscheidung durch die weitere Sachaufklärung hätte beeinflusst werden können.

Weitere Verfahrensrügen lassen sich dem Vortrag der Kläger nicht entnehmen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

4. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen (§ 73a SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung).

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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