L 7 AS 734/18 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 15 AS 1780/18 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 734/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ausnahmsweise sind dem Hauseigentümer entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch die Tilgungsraten als angemessene Kosten der Unterkunft anzuerkennen, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitestgehend abgeschlossen ist. Davon kann bei einer vollzogenen Tilgung im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung in Höhe von 93,62 % ausgegangen werden.
2. Ob der Grundstückseigentümer die zu leistenden Tilgungsraten an eine den Kaufpreis finanzierende Bank oder über die Abwicklung des eigentlichen Kaufvertrages an den Verkäufer des Grundstücks als Kaufpreisraten zahlt, spielt für die Frage der Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II durch den Grundsicherungsträger keine Rolle.
3. Die tatsächlichen Tilgungsraten sind auf die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft am jeweiligen Wohnort zu begrenzen.
I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 6. Juli 2018 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten auch in der Beschwerdeinstanz zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Bewilligung höherer Kosten der Unterkunft für das vom Antragsteller bewohnte Eigenheim und dabei speziell um die Frage, ob die Tilgungsraten als Bedarf nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) berücksichtigt werden müssen.

Der 1959 geborene Antragsteller bewohnt allein 50 m² eines ca. 300 m² großes Wohnhaus auf einem 524 m² großen Grundstück in der Y ...straße in X ... Nachdem der Antragsteller in diesem Haus zunächst mit seiner Frau und drei Kindern zur Miete gewohnt hatte, schloss er am 11.12.1996 mit der damaligen Eigentümerin einen notariellen Kaufvertrag, wonach er das Grundstück für 230.000,00 DM erwarb. Dabei wurde in Ziffer III. des Kaufvertrages u.a. geregelt: "Der Kaufpreis ist in monatlichen Raten zu je 1.200,00 DM jeweils zum 03. des laufenden Monats zu zahlen. Der jeweilige Restkaufpreis wird zinslos gestundet. Vorfristige Zahlungen sind zulässig. Der jeweilige Restkaufpreis ist in voller Höhe sofort zur Zahlung fällig und einziehbar, a) wenn der Käufer trotz Mahnung des Verkäufers mit der Zahlung einer Monatsrate ganz oder teilweise länger als 14 Bankarbeitstage in Verzug gerät b) wenn über das Vermögen des Käufers das Konkurs- oder Vergleichsverfahren eröffnet oder ein solches Verfahren mangels Masse abgelehnt wird oder wenn der Käufer seine Zahlungen einstellt c) wenn dem Verkäufer auf Verlangen nicht alsbald nachgewiesen wird, dass die Gebäude ausreichend gegen Brandschaden versichert sind d) wenn dem Verkäufer auf Verlangen nicht alsbald nachgewiesen wird, dass die das Grundstück betreffenden Steuern und Abgaben bis zum letzten Fälligkeitstermin gezahlt sind. Der Verkäufer kann statt dessen auch von diesem Vertrag zurücktreten ... Im Falle des Rücktritts sind die vom Käufer gezahlten Beträge nicht zu erstatten. Andererseits braucht der Käufer eine Entschädigung für bis dahin gezogene Nutzungen nicht zu leisten. Der Käufer kann auch nicht die bis dahin für das Grundstück aufgebrachten Kosten (Steuern, Reparaturen, Versicherung, usw.) erstattet verlangen. Sollte der Käufer bis zur Ausübung des Rücktrittsrechts den Wert des Grundbesitzes durch Neu-, An-, Um- und Zubauten verbessert haben, so ist ihm der Betrag zu erstatten, um den der Grundbesitz dadurch bis zur Rückübertragung wertvoller geworden ist. Die bis zum Beginn der Zahlung der Kaufpreisraten ab September 1996 durch den Käufer gezahlte monatliche Miete von 1.200,00 DM wird auf den Kaufpreis angerechnet. "

Das Wohnhaus besteht aus zwei Wohneinheiten. Zudem befindet sich angrenzend ein Nebengebäude, in welchem der Hauptanschluss für die Stromversorgung des Hauses liegt. Eine anderweitige Vermietung der restlichen Wohnfläche war dem Antragsteller bislang nicht möglich.

Für das von ihm bewohnte Grundstück entstehen dem Antragsteller Kosten für Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Abwasser, Trinkwasser, Abfall und Schornsteinfeger.

Im Juni 2018 hatte der Antragsteller 109.596,26 EUR vom gesamten Kaufpreis in Höhe von 117.597,13 EUR (=230.000,00 DM) bezahlt. Er überweist an die Verkäuferin des Grundstückskaufvertrages seit 01.09.2007 monatlich 250,00 EUR als Tilgung auf den Kaufpreis. Die letzte Rate in Höhe von 250,87 EUR ist im Februar 2021 fällig.

Der Antragsteller steht bei dem Antragsgegner wohl seit 2013 im dauernden Leistungsbezug nach dem SGB II. Er ist seit 2012 behindert mit einem Grad der Behinderung von 30 wegen einer Sehbehinderung und fehlender Niere. Die Kaufpreisrate in Höhe von 250,00 EUR wurde zunächst vom Antragsgegner bei der Bewilligung von SGB II-Leistungen nicht berücksichtigt. In der Folge eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Sozialgericht Leipzig ( ) bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit von Juni 2017 bis Mai 2018 vorläufig die Kosten der Unterkunft für die Bruttokaltkosten in Höhe der Richtlinie des Antragsgegners (243,46 EUR).

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 07.05.2018 Leistungen nach dem SGB II in monatlich unterschiedlicher Höhe für die Zeit vom 01.06.2018 bis 31.05.2019. Dabei berücksichtigte der Antragsgegner in den einzelnen Monaten die bereits bekannten, in der Zukunft anfallenden Nebenkosten für das Hausgrundstück des Antragstellers (Grundsteuer, Gebäudeversicherung in Höhe von 26,85 EUR monatlich, Trink- und Abwasser sowie Abfallgebühren), nicht jedoch die tatsächlichen Tilgungsraten in Höhe von 250,00 EUR monatlich bzw. die Bruttokaltkosten aus der Richtlinie des Landkreises Nordsachsen in Höhe von 243,46 EUR monatlich.

Mit Schreiben vom 04.06.2018 legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid ein.

Am 19.06.2018 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Leipzig gestellt und beantragt, vorläufig angemessene Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der aktuellen Richtlinie für den Landkreis in Höhe von 243,46 EUR monatlich für die Zeit vom 19.06.2018 bis 31.05.2019 zu gewähren. Die Kaufpreisraten seien ebenso wie Tilgungsraten im Ausnahmefall zu berücksichtigen, wenn diese Wohnungsanwartschaft bereits vor dem Leistungsbezug erworben wurde, die Finanzierung der selbstgenutzten Unterkunft bereits weitgehend abgeschlossen sei und konkret der Verlust des Wohneigentums drohe. Der Antragsteller habe in den letzten 20 Jahren bereits 93% des Kaufpreises abbezahlt.

Der Antragsgegner geht davon aus, dass es sich bei dem am 11.12.1996 geschlossenen Kaufvertrag nicht um einen Mietkaufvertrag handele, sondern um einen Grundstückskaufvertrag mit Kaufpreisstundung, da auch eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen sei. Tilgungsleistungen für den Erwerb von Wohneigentum seien aber grundsätzlich wegen des Verbots der Förderung privater Vermögensbildung nicht zu übernehmen. Ein Ausnahmefall liege nicht vor, denn der Antragsteller sei im Gegensatz zu den vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fällen noch nicht Eigentümer der Immobilie. Kosten, die über die tatsächlich angemessene Fläche für einen Ein-Personen-Haushalt hinausgehen sowie die Gebäudeversicherung für das Nebengebäude seien ohnehin nicht berücksichtigungsfähig.

Mit Beschluss vom 06.07.2018 hat das Sozialgericht Leipzig den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig – längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache – für den Zeitraum vom 19.06.2018 bis 31.05.2019 Leistungen der Unterkunft für kalte Betriebskosten und die vom Antragsteller zu leistenden Tilgungsraten in Höhe des jeweiligen KdU-Richtwertes, derzeit monatlich 243,46 EUR, nach der Richtlinie zum schlüssigen Konzept des Landkreises Nordsachsen vom 01.01.2013 zu den Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II und § 35 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu gewähren. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG könnten Tilgungsleistungen in Ausnahmefällen im Rahmen der Angemessenheitsgrenze gem. § 22 Abs. 1 SGB II als Kosten der Unterkunft berücksichtigt werden, wenn lediglich noch eine Restschuld abzutragen ist und der Aspekt der privaten Vermögensbildung deshalb in den Hintergrund trete. Es spiele keine Rolle, ob es sich um einen Mietkauf handele, ob der Erwerber des Grundstücks bereits Eigentümer wird oder das Eigentum erst mit vollständiger Kaufpreiszahlung übergehe. Nach einer Interessenabwägung habe der Antragsgegner hier die Bruttokaltkosten – bestehend aus den Nebenkosten und den Tilgungsleistungen – bis zur Höhe des in der Richtlinie genannten Wertes, aktuell 243,46 EUR, zu übernehmen. Mit 93 % der Kaufpreissumme sei die Finanzierung des Kaufpreises bereits weitgehend abgeschlossen und das Interesse des Antragstellers am Erhalt der von ihm seit Jahrzehnten bewohnten Wohnung stehe im Vordergrund. Nach Abzahlung des Kaufpreises lägen die Kosten der Unterkunft trotz der Größe des vorhandenen Wohnhauses deutlich unter der Angemessenheitsgrenze aus der Richtlinie des Landkreises.

Gegen den dem Antragsgegner am 11.07.2018 zugegangenen Beschluss hat dieser am 07.08.2018 Beschwerde zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Der Antragsgegner gehe von einem Kaufvertrag mit Kaufpreisstundung aus. Ein Ausnahmefall im Sine der BSG-Rechtsprechung liege zudem nicht vor, da das BSG nur über Sachverhalte entschieden habe, in denen die Kläger bereits Eigentümer der Immobilien waren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 06.07.2018 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Prozessakten beider Instanzen, die Verwaltungsakte des Antragsgegners (1 Band und 2 Heftungen e-Akte) sowie die vom Sozialgericht Leipzig beigezogenen Gerichtsakten (S 15 AS 1823/17 ER, S 15 AS 2837/17) Bezug genommen.

II. Die Beschwerde des Antragsgegners ist zwar statthaft, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner im Ergebnis zu Recht verpflichtet, dem Antragstelle höhere Kosten der Unterkunft zu gewähren.

1. Die Beschwerde ist statthaft. Nach § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte grundsätzlich zulässige Beschwerde nur dann ausgeschlossen, wenn in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hauptsache der Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 1 SGG bedürfte. Danach bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Der Antragsteller begehrte die Zahlung höherer Kosten der Unterkunft in Höhe von 243,46 EUR monatlich für die Zeit vom 19.06.2018 bis 31.05.2019, mithin für mehr als elf Monate (2.678,06 EUR), was ihm durch den Beschluss des Sozialgerichts zugesprochen wurde. Die Berufung in der Hauptsache bedürfte daher keiner Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, weshalb die Beschwerde nach § 172 Abs. 1, 3 SGG statthaft ist. Sie ist auch form- und fristgerecht nach § 151 SGG beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen.

2. Die Beschwerde des Antragsgegners ist jedoch unbegründet. Dem Antragsteller stehen über die bereits mit Bescheid vom 07.05.2018 bewilligten Leistungen hinaus höhere Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der Tilgungsraten auf den Grundstückskaufpreis zu, da diese im Zeitpunkt des weiteren Bezugs von Grundsicherungsleistungen weitgehend abgeschlossen ist.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).

In der Sache ist der Antrag des Antragstellers wirksam auf die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung – und zwar wegen der Beschwerde des Antragsgegners begrenzt auf die Höhe der vom Sozialgericht zugesprochenen 243,46 EUR monatlich – beschränkt, denn die Kosten der Unterkunft und Heizung können verfahrenstechnisch einen abtrennbaren Streitgegenstand bilden (st. Rsprg. des BSG, z.B. Urteil vom 06.08.2014 – B 4 AS 55/13 R, Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 42/13 R).

Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II sind bei Vorliegen der weiteren Leistungsvoraussetzungen Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit sie angemessen sind. Die Angemessenheit von mit der Nutzung von Eigentum verbundenen Kosten ist nach der Rechtsprechung des BSG an den Kosten zu messen, die für Mietwohnungen angemessen sind, d.h. die Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten ist für Mieter und Hauseigentümer nach einheitlichen Kriterien zu beantworten (vgl. BSG, Urteil vom 15.04.2008 – B 14/7b AS 34/06 R). Zu den anzuerkennenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in diesem Sinne rechnen nach gefestigter Rechtsprechung des BSG Tilgungsraten grundsätzlich nicht (vgl. Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 2/05 R, Rn. 24; Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 79/10 R, Rn. 18; Urteil vom 16.02.2012 – B 4 AS 14/11 R, Rn. 23; Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 42/13 R, Rn. 17). Die Leistungen nach dem SGB II sind auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollen nicht der Vermögensbildung dienen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Hinblick auf den im SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses "Wohnen" nur in besonderen Ausnahmefällen angezeigt, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitestgehend abgeschlossen ist.

Der Antragsteller ist leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II, weil er das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hat (Nr. 1), erwerbsfähig und hilfebedürftig ist (Nr. 2, 3) und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (Nr. 4).

Zwar stellt das Anwartschaftsrecht des Antragstellers bezogen auf das selbstbewohnte Grundstück, welches ihm aufgrund der Vormerkung im Grundbuch zusteht, einen Vermögenswert dar, der grundsätzlich geeignet scheint, die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu verringern bzw. aufzuheben (§ 9 Abs. 1 SGB II). Ob das Anwartschaftsrecht als solches aber der sofortigen Verwertung unterliegt bzw. ob damit die Hilfebedürftigkeit ganz entfällt, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht festgestellt werden und bleibt der Klärung in der Hauptsache vorbehalten. Dass der Antragsteller zudem bereits Verwertungsbemühungen im Hinblick auf eine Vermietung der weiteren Wohneinheit unternommen hat, ist durch ihn glaubhaft gemacht worden.

Neben den an die Voreigentümerin des Grundstücks zu überweisenden Tilgungsraten in Höhe von monatlich 250,00 EUR fallen beim Antragsteller folgende bereits feststehende Nebenkosten an: Juni 2018: 63,81 EUR (Gebäudeversicherung neuer Beitrag) Juli 2018: 63,81 EUR August 2018: 63,81 EUR 98,00 EUR (Grundsteuer) 72,00 EUR (Trink- und Abwasser) September 2018: 63,81 EUR Oktober 2018: 63,81 EUR 20,77 EUR (Abfallgebühren) November 2018: 63,81 EUR 98,00 EUR 72,00 EUR

Diese Nebenkosten hat der Antragsgegner zum Teil bereits im Bescheid vom 07.05.2018 berücksichtigt. Unberücksichtigt geblieben sind insoweit die erhöhten Prämienzahlungen für die Gebäudeversicherung seit 01.06.2018 wegen des Risikozuschlages aufgrund Sturmschäden. Insbesondere auch die Prämienzahlungen für die Gebäudeversicherung des Nebengebäudes hat der Antragsgegner unberücksichtigt gelassen, wobei eine Berücksichtigung der Prämienzahlungen in höherem Umfang dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss, weil hier allein der Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eingelegt hat.

Bei den vom Antragsteller monatlich zu zahlenden Kaufpreisraten in Höhe von 250,00 EUR handelt es sich um Tilgungsleistungen im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Dabei kommt es nicht darauf an, ob – wie der Antragsgegner meint – der Antragsteller bereits Eigentümer des von ihm bewohnten Hauses geworden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob die an die vormalige Grundstückseigentümerin gerichteten Zahlungen wie die Tilgung eines Darlehens zur Wohnraumfinanzierung oder eine Kaufpreisschuld zu werten sind oder ob sie einer (Miet-)Zahlung für die Wohnraumgebrauchsüberlassung gleich stehen. Dies beurteilt sich allein danach, wie der zugrunde liegende Vertrag konkret ausgestaltet ist (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 42/13 R, Rn. 17; Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.09.2017 – L 7 BK 6/15, Rn. 34).

In dem Kaufvertrag vom 11.12.1996, welcher weit vor dem erstmaligen Leistungsbezug des Antragstellers nach dem SGB II geschlossen wurde, haben die Kaufvertragsparteien unter II. und III. geregelt, dass der Grundbesitz zum Preis von 230.000,00 DM verkauft wird und der Kaufpreis in monatlichen Raten zu je 1.200,00 DM monatlich zu zahlen ist. Zur Sicherung des Anspruchs des Käufers auf Eigentumsübertragung wurde eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen. Es handelt sich damit eindeutig um die Erfüllung der Zahlungsansprüche aus dem gegenseitigen Kaufvertrag der Grundstücksüberlassung und die Raten dienen dem Erwerb des Grundstücks. Der Antragsteller bildet mit jeder Ratenzahlung ein Stück Vermögen in Form von Grundeigentum, da er nach Zahlung aller Raten einen Anspruch auf Eintragungsbewilligung im Grundbuch hat. Maßgeblich ist daher nach der Rechtsprechung des BSG, ob es nach den konkreten Umständen "um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitestgehend abgeschlossen ist" (BSG – B 14 AS 42/13 R, Rn. 19 m.w.N.).

Zu der Frage, wann Tilgungsleistungen ausnahmsweise als Bedarf für die Kosten der Unterkunft vom Grundsicherungsträger zu berücksichtigen sind, hat das BSG (Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 49/14 R, Rn. 20) entschieden:

Tenor:

"Ausnahmen von diesem Grundsatz sind aber nach der Rechtsprechung beider für das Recht der Grundsicherung zuständigen Senate im Hinblick auf den im SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses Wohnen in besonderen Ausnahmefällen angezeigt, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitgehend abgeschlossen (vgl nur BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 79/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 48 RdNr 18; BSG Urteil vom 16.2.2012 - B 4 AS 14/11 R - juris RdNr 23; BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 17) und der Erwerb der Immobilie außerhalb des Leistungsbezugs erfolgt ist (BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 79/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 48 RdNr 20; BSG Urteil vom 16.2.2012 - B 4 AS 14/11 R - juris RdNr 25). Der Grund für diese Ausnahme liegt darin, dass bei einer ausschließlichen Berücksichtigung von Schuldzinsen Leistungsbezieher, die Wohneigentum gerade erst erworben haben und bei denen die Zinszahlungen die Tilgungsraten weit übersteigen, ungerechtfertigt bevorzugt werden gegenüber denjenigen Hilfebedürftigen, die aufgrund der Besonderheiten etwa eines Annuitätendarlehens durch weitgehende Zahlung der Zinsen in Vorleistung treten mussten und bei denen schließlich die Abzahlungen fast nur noch aus Tilgungsleistungen bestehen. Geht es nur um die Tilgung einer Restschuld ist die Vermögensbildung bereits weitgehend abgeschlossen und der Aspekt des Vermögensaufbaus aus Mitteln der Existenzsicherung tritt gegenüber dem vom SGB II ebenfalls verfolgten Ziel, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, zurück (so BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 79/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 48 RdNr 19). Die Feststellung eines solchen Ausnahmefalles unterliegt jedoch weitgehend der Beurteilung des Tatrichters, dessen bestehender Entscheidungsspielraum von der Revisionsinstanz zu respektieren ist. Die Annahme, dass eine Finanzierung weitgehend abgeschlossen ist, bedarf einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung einer Prognose über eine mögliche Gefährdung des Wohneigentums. Solche Abwägungs- und Prognoseentscheidungen der Tatsacheninstanzen sind einer rechtlichen Überprüfung im Revisionsverfahren wegen der enthaltenen Tatsachenelemente unter Berücksichtigung von § 162 SGG nur begrenzt zugänglich (vgl zur Abgrenzung von Rechtsfragen und Tatsachenfragen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 162 RdNr 3 ff). Das Revisionsgericht ist in diesen Fällen darauf beschränkt zu prüfen, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (so zur Prüfung der Angemessenheit des selbstgenutzten Wohngrundstückes BSG Urteil vom 24.3.2015 - B 8 SO 12/14 R - SozR 4-3500 § 90 Nr 7 RdNr 15; zur Überprüfung eines schlüssigen Konzepts BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 9/14 R - BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81, RdNr 21 und BSG Beschluss vom 5.6.2014 - B 4 AS 349/13 B - juris RdNr 14; zur Prüfung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit einer Vermögensverwertung BSG Urteil vom 20.2.2014 - B 14 AS 10/13 R - BSGE 115, 148 = SozR 4-4200 § 12 Nr 23, RdNr 41 ff; zu vergleichbaren Fragen bei der Überprüfung der Angemessenheit der Dauer überlanger Verfahren BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 6 RdNr 28 mwN). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist nicht zu beanstanden, dass das LSG die Voraussetzungen bejaht hat, unter denen auch die Aufwendungen zur Tilgung von Baudarlehen - ausnahmsweise - als Leistungen für Kosten der Unterkunft zuschussweise zu übernehmen sind. Auch die Annahme des LSG, die Finanzierung der Immobilie sei weitgehend abgeschlossen und der Aspekt des Vermögensaufbaus durch Mittel der Existenzsicherung müsse zurücktreten, begegnet entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Bedenken. Nach den auch insoweit von dem Beklagten nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG hatte der Kläger sein Grundeigentum bereits im Jahre 1984 erworben und mittels eines Hypothekendarlehens und eines Bauspardarlehens finanziert. Während das Bauspardarlehen aufgrund der nur noch geringen Restschuld (bei entsprechend geringen Zinsraten) im streitgegenständlichen Zeitraum vollständig abgelöst werden konnte, bestand für das Hypothekendarlehen noch eine Restschuld von ca 25 000 Euro, deren Tilgung nach der von dem Kläger während des Leistungsbezugs vorgenommenen Anschlussfinanzierung über einen Zeitraum von weiteren ca 25 Jahren (bis 2037) vorgesehen war. Es widerspricht weder Denkgesetzen noch allgemeinen Erfahrungssätzen, wenn das LSG unter Berücksichtigung eines gegenüber dem Kaufpreis eher gestiegenen Wertes der Immobilie die Vereinbarung niedrigerer Tilgungsraten im Rahmen der Anschlussfinanzierung gerade während des SGB II-Leistungsbezugs zur Minimierung der aktuellen Kosten als nachvollziehbar und sogar geboten bewertet. Zwingende Folge einer solchen Vereinbarung ist notwendigerweise wegen der verzögerten Tilgung eine längere Restlaufzeit verbunden mit einer höheren Restschuld. Auch die besondere Würdigung des nach den Feststellungen des LSG bereits absehbaren Endes der Inanspruchnahme von SGB II-Leistungen wegen der Nähe zum Altersrentenbezug (mit höheren Einkünften) hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Dieser Umstand unterstreicht in besonderer Weise das klägerische Interesse an der Beibehaltung der Wohnung gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit, Vermögensaufbau durch öffentliche Mittel zu vermeiden. Der Vermögensaufbau findet nur in einer überschaubaren Übergangszeit statt und dient der Vermeidung möglicherweise noch höherer Kosten für die Allgemeinheit, etwa in Form der Übernahme von Umzugskosten oder höherer Mietkosten."

Hier hat der Antragsteller durch Glaubhaftmachung der bereits getilgten Kaufpreisraten in Höhe von 109.596,00 EUR zum 30.06.2018 zur Überzeugung des Senats den weitestgehenden Abschluss der Finanzierung des erworbenen Wohneigentums nachgewiesen. Bis zur vollständigen Begleichung des Kaufpreises für das vom Antragsteller bewohnte Hausgrundstück sind noch 7.501,13 EUR (117.597,13 EUR - 109.596,00 EUR - 500,00 EUR für Juli und August 2018) zu zahlen. Damit sind im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung 93,62% des Kaufpreises getilgt und die Vermögensbildung beim Antragsteller ist damit weitestgehend abgeschlossen. Der Aspekt des Vermögensaufbaus aus Mitteln der Existenzsicherung tritt daher gegenüber dem auch vom SGB II verfolgten Ziel, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, zurück. Denn könnte der Antragsteller die Kaufpreistilgungsraten nicht mehr zahlen, wäre die Voreigentümerin zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, wodurch der Antragsteller gezwungen wäre, seine Wohnung aufzugeben. Insbesondere im Rahmen einer im einstweiligen Rechtsschutz durchzuführenden Folgenabwägung tritt in diesem Fall der Aspekt der Wohnraumsicherung in den Vordergrund.

Die Höhe der monatlich angemessen Kosten der Unterkunft richtet sich zwar grundsätzlich nach den monatlich zu leistenden Tilgungen auf den Kaufpreis, wird aber durch die Angemessenheit der Kosten für einen Ein-Personen-Haushalt des Antragstellers begrenzt. Diese bestimmen sich nach der Richtlinie des Landkreises Nordsachsen zur Regelung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II und § 35 SGB XII ab 01.04.2017. Die angemessene Bruttokaltmiete für einen Ein-Personen-Haushalt in Arzberg beträgt danach 243,46 EUR. Dies entspricht der Verpflichtung, die das Sozialgericht dem Antragsgegner im angefochtenen Beschluss vom 06.07.2018 auferlegt hat.

Dass das Sozialgericht die Dauer der vorläufigen Gewährung von Leistungen unter Berücksichtigung von Tilgungsleistungen bis zum 31.05.2019 erstreckt und nicht zunächst auf sechs Monate begrenzt hat (vgl. § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II) ist unter Beachtung des vom Antragsgegner festgelegten Bewilligungszeitraumes vom 01.06.2018 bis 31.05.2019 ohne Vorläufigkeitsvorbehalt nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde des Antragsgegners konnte aus den genannten Gründen keinen Erfolg haben und war daher zurückzuweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Anders Czarnecki Lang
Rechtskraft
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