L 19 AS 1472/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AS 3121/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1472/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.08.2018 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 01.09.2018 bis zum 31.10.2018 vorläufig Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs i.H.v. 91,82 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 28.07.2018 bis zum 31.08.2018 und ab dem 01.11.2018 abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt 1/4 der Kosten der Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren und 1/3 der Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T aus L beigeordnet.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung auferlegte Verpflichtung, der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung des Einkommens ihres Lebensgefährten ab dem 28.07.2018 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31.01.2019 vorläufig zu zahlen.

Die am 00.00.1995 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben im März 2017 in die Bundesrepublik ein und ist seit dem 15.05.2017 unter der Anschrift L-straße 00, L, gemeldet. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten, Herrn O, zusammen, der ebenfalls bulgarischer Staatsangehöriger ist. Dieser war in der Zeit vom 15.11.2016 bis zum 21.11.2017 abhängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte Herrn O für die Zeit vom 29.11.2017 bis zum 21.11.2018 Arbeitslosengeld nach dem SGB III i.H.v. 28,03 Euro täglich bzw. - für einen vollen Kalendermonat - 840,90 Euro monatlich. Am 22.03.2018 erhielt Herr O eine Nachzahlung von Arbeitslosengeld i.H.v. insgesamt 1.520,88 Euro. Herr O besitzt ein Kraftfahrzeug und entrichtet Beiträge zur Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung i.H.v. 205,00 Euro vierteljährlich.

Die Antragstellerin gebar am 24.12.2017 in L ihre Tochter E O; diese besitzt ebenfalls die bulgarische Staatsangehörigkeit. Über die Geburt existiert keine Geburtsurkunde. Herr O erkannte am 13.03.2018 die Vaterschaft betreffend das Kind E O gegenüber dem Jugendamt der Stadt L an. Die Antragstellerin stimmte am selben Tag gegenüber dem Jugendamt der Stadt L der Vaterschaftsanerkennung zu. Die Antragstellerin und Herr O erklärten am selben Tag gegenüber dem Jugendamt der Stadt L, die elterliche Sorge betreffend das Kind E O gemeinsam übernehmen zu wollen.

Am 24.05.2018 beantragte Herr O bei dem Antragsgegner die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für sich, die Antragstellerin und ihr gemeinsames Kind.

Mit Bescheid vom 16.07.2018, adressiert an Herrn O, bewilligte der Antragsgegner Herrn O und dem gemeinsamen Kind für die Zeit vom 01.05.2018 bis zum 31.10.2018 nach § 41a SGB II vorläufig Grundsicherungsleistungen i.H.v. 246,96 Euro monatlich. Bei der Ermittlung der Höhe des Leistungsanspruches ging der Antragsgegner von einem Gesamtbedarf i.H.v. 1.057,86 Euro aus. Dieser setzt sich aus einem Bedarf des Herrn O i.H.v. 599,27 Euro (347,00 Euro Regelbedarf + 8,60 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 216,67 Euro Bedarf für Unterkunft und Heizung (1/3 der Bruttokaltmiete)) und einem Bedarf des Kindes E i.H.v. 458,59 Euro (240,00 Euro Regelbedarf + 1,92 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 216,67 Euro Bedarf für Unterkunft und Heizung (1/3 der Bruttokaltmiete)) zusammen. Auf den Gesamtbedarf von 1.057,86 Euro rechnete der Antragsgegner Einkommen des Herrn O i.H.v. 810,90 Euro (840,90 Euro Arbeitslosengeld abzgl. 30,00 Euro Versicherungspauschale) an. In dem dem Bescheid beigefügten Berechnungsbogen wird ebenfalls die Antragstellerin aufgeführt; unter ihrem Namen werden jedoch keine Beträge genannt.

Gegen diesen Bescheid legte die Prozessbevollmächtigte im Namen des Herrn O, der Antragstellerin und des gemeinsamen Kindes am 25.07.2018 Widerspruch ein. Sie rügte die Nichtberücksichtigung der Heizkosten sowie der Antragstellerin bei der Bewilligung der Leistungen.

Mit Bescheid vom 23.07.2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin "vom 16.07.2018" unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ab.

Mit Änderungsbescheid vom 09.08.2018 bewilligte der Antragsgegner Herrn O und dem Kind E für die Zeit vom 01.09.2018 bis zum 31.10.2018 höhere Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der Heizkosten. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2018 verwarf der Antragsgegner den Widerspruch, soweit eine fehlende Bewilligung von Leistungen für die Antragstellerin moniert worden sei, als unzulässig. Im Übrigen wies er den Widerspruch als unbegründet zurück. In dem Widerspruchsbescheid führte er aus, in dem Bescheid vom 16.07.2018 sei eine Entscheidung über die Ablehnung oder Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Antragstellerin nicht getroffen worden. Die Ablehnung sei vielmehr mit Bescheid vom 23.07.2018 erfolgt.

Mit Schreiben vom 22.08.2018 wandte sich die Prozessbevollmächtigte an den Antragsgegner und teilte mit, dass den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 10.08.2018 zu entnehmen sei, dass ein gesonderter Ablehnungsbescheid vom 23.07.2018 zum Leistungsanspruch der Antragstellerin erstellt worden sei. Dieser Bescheid sei der Antragstellerin nicht zugegangen. Dies könne daran liegen, dass der Briefkasten kaputt sei und die Post oft von Nachbarn entwendet werde. Es werde daher um erneute Zusendung gebeten. Daraufhin übersandte der Antragsgegner der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.08.2018 eine Zweitschrift des Bescheides vom 23.07.2018. Hiergegen legte die Antragstellerin, vertreten durch die Prozessbevollmächtigte, am 11.09.2018 Widerspruch ein. Sie trug vor, ihr sei der Bescheid vom 23.07.2018 erst am 02.09.2018 durch Bekanntgabe an ihre Prozessbevollmächtigte bekanntgegeben worden. Sie habe ein anderes Aufenthaltsrecht als zum Zwecke der Arbeitsuche. Sie sei Mutter eines freizügigkeitsberechtigten Kindes und damit im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) analog der Definition eines Familienangehörigen freizügigkeitsberechtigt. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) komme in dieser Fallkonstellation auch ein Aufenthaltsrecht nach § 28 AufenthG analog in Betracht. Sie unterliege jedenfalls keinem Ausschlusstatbestand.

Am 26.07.2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren.

Sie hat vorgetragen, ihr Lebensgefährte und Kindesvater verfüge über einen Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU, so dass das gemeinsame Kind E als Familienangehörige eines Arbeitnehmers freizügigkeitsberechtigt sei. Sie verfüge daher über ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung der persönlichen Sorge für ein freizügigkeitsberechtigtes Kind, so dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht greife. Nach Ansicht des LSG NRW ergebe sich dies durch eine analoge Anwendung des § 28 AufenthG. Der EuGH erkenne in diesen Fällen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Mutter zur Ausübung der persönlichen Sorge an, wenn das Unionsbürgerkind über ein aus Art. 21 AEUV geschütztes Aufenthaltsrecht verfüge. Anderenfalls würde dem Aufenthaltsrecht des Unionsbürgerkindes jede praktische Wirksamkeit genommen.

Durch Beschluss vom 27.08.2018 hat das Sozialgericht Köln den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitslose nach dem SGB II in Form des jeweiligen Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten der Antragstellerin ab dem 28.07.2018 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31.01.2019 vorläufig zu zahlen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 28.08.2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 29.08.2018 Beschwerde eingelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung des Einkommens ihres Lebensgefährten ab dem 28.07.2018 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31.01.2019 vorläufig zu zahlen. Soweit das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Übrigen, also hinsichtlich der Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 SGB II und für den Bedarf nach § 22 SGB II, abgelehnt hat, ist der Beschluss rechtskräftig. Denn die Antragstellerin hat keine Beschwerde gegen die insoweit ablehnende Entscheidung eingelegt.

Die Beschwerde ist insofern begründet, als die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 28.07.2018 bis zum 31.08.2018 nicht glaubhaft gemacht hat (1). Für die Zeit ab dem 01.09.2018 ist die Beschwerde unbegründet, da die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund hinsichtlich der Gewährung von Leistungen in Form des Regelbedarfs i.H.v. 91,82 Euro monatlich glaubhaft gemacht hat (2). Der Regelungszeitraum wird - ohne dass insofern die Beschwerde des Antragsgegners begründet wäre - auf den 31.10.2018 begrenzt (3).

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R - und Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B).

1. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 28.07.2018 bis zum 31.08.2018 nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin bildet mit Herrn O und ihrem gemeinsamen Kind eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) und 4 SGB II. Zwischen der Antragstellerin und Herrn O besteht eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II. Eine solche setzt voraus, dass eine auf Dauer angelegte eheähnliche Gemeinschaft besteht, die Partner in einem gemeinsamen Haushalt im Sinne einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenleben und ein wechselseitiger Wille besteht, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein Einstandswillen wird u. a. nach § 7 Abs. 3a Nr. 2 SGB II vermutet, wenn Partner mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben. Dies ist vorliegend der Fall.

Der Regelbedarf der Antragstellerin als Partnerin nach § 20 Abs. 4 SGB II i.H.v. 374,00 Euro ist in der Zeit vom 28.07.2018 bis zum 31.08.2018 durch das anrechenbare Einkommen ihres Partners gedeckt gewesen, so dass die Antragstellerin insoweit nicht hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 SGB II gewesen ist. Herr O hat in diesem Zeitraum ein Einkommen i.H.v. 1.094,38 Euro monatlich erzielt, das sich aus einer laufenden Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 2 SGB II i.H.v. 840,90 Euro monatlich (Arbeitslosengeld) und einer einmaligen Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 3 S. 2 und 4 SGB II i.H.v 253,48 Euro monatlich (1.520,88 Euro Nachzahlung Arbeitslosengeld / sechs Monate [März bis August 2018]) zusammengesetzt hat. Von dem monatlichen Einkommen i.H.v. 1.094,38 Euro sind die Beiträge zur Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung i.H.v. 68,33 Euro monatlich nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II und eine Versicherungspauschale i.H.v. 30,00 Euro nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO abzusetzen. Dies ergibt ein zu berücksichtigendes Einkommen i.H.v. 996,05 Euro, das nach der horizontalen Berechnungsmethode auf die Bedarfe der drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen ist, wobei es nach § 19 Abs. 3 S. 2 SGB II zunächst die Regelbedarfe deckt. Die Regelbedarfe belaufen sich insgesamt auf 988,00 Euro (374,00 Euro + 374,00 Euro + 240,00 Euro). Damit übersteigt das anrechenbare Einkommen die Summe der Regelbedarfe.

2. Für die Zeit ab dem 01.09.2018 hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund hinsichtlich der Gewährung von Leistungen für den Regelbedarf i.H.v. 91,82 Euro glaubhaft gemacht.

a) Das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II ist für die Zeit ab dem 01.09.2018 glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (Nr. 1), ist erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II (Nr. 2) und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4). Sie ist hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 SGB II. Denn das anrechenbare Einkommen ihres Partners deckt ihren Regelbedarf ab dem 01.09.2018 nur teilweise. Da die einmalige Einnahme aus der Nachzahlung von Arbeitslosengeld nach § 11 Abs. 3 S. 4 SGB II ab dem Zuflussmonat März auf sechs Monate und damit nur bis August 2018 aufzuteilen ist, beläuft sich das anrechenbare Einkommen von Herrn O in der Zeit vom 01.09.2018 bis zum 31.10.2018 auf 742,57 Euro monatlich (840,90 Euro - 68,33 Euro - 30,00 Euro). Dieses Einkommen deckt die Summe der Regelbedarfe der drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nur teilweise und ist daher nach der horizontalen Berechnungsmethode auf die Regelbedarfe zu verteilen (§ 19 Abs. 3 S. 2 SGB II). Der Anteil des Bedarfs der Antragstellerin nach den §§ 20 ff. SGB II an dem Gesamtbedarf beträgt ca. 38%, so dass auf den Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 374,00 Euro 38% des anrechenbaren Einkommens des Herrn O, also 282,18 Euro, anzurechnen sind. Damit ist der Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 91,82 Euro nicht gedeckt.

b) Die Antragstellerin ist nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von dem Bezug von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Denn sie verfügt über ein materielles Aufenthaltsrecht, das von den Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht erfasst ist.

(1) Zwar verfügt die Antragstellerin über kein Aufenthaltsrecht aus dem FreizügG/EU. Die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU liegen nicht vor. Die Antragstellerin übt keine (abhängige oder selbständige) Tätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FreizügG/EU) und hält sich nicht zu dem Zwecke auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU ist nicht glaubhaft gemacht. Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind danach Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Anhaltspunkte für andauernde und erfolgversprechende Bewerbungsbemühungen sind weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen. Sie verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU).

Die Antragstellerin ist als Partnerin des Herrn O keine Familienangehörige i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Denn der Personenkreis mit der Berechtigung zur Begleitung oder zum Familiennachzug ist in § 3 FreizügG/EU abschließend geregelt und erfasst bei Partnern nur den Ehegatten und den Lebenspartner (vgl. Art. 2 Nr. 2 b) RL 2004/38/EG, wonach der Begriff "Familienangehöriger" u.a. den Lebenspartner bezeichnet, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind; vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60 m.w.N.; vgl. ebenso EUGH, Urteil vom 17.04.1986 - C-59/85, wonach ein lediger Partner eines Arbeitnehmers nicht einem Ehegatten gleichgestellt werden kann). Das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II begründet damit kein Aufenthaltsrecht i.S.v. § 3 FreizügG/EU.

Die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht liegen für die 2017 in die Bundesrepublik eingereiste Antragstellerin ebenfalls nicht vor (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU).

(2) Jedoch steht der Antragstellerin nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte ein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV zu.

Nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU (vgl. zu den Voraussetzungen VGH Hessen, Urteil vom 16.11.2016 - 9 A 242/15). Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist es nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R) unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG tatsächlich erteilt worden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre.

§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (§ 28 Abs. 1 S. 2 AufenthG) - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG findet aufgrund des in Art. 18 Abs. 1 AEUV statuierten Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auf minderjährige Unionsbürger, die über ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU verfügen, und ihre Eltern Anwendung (vgl. Beschlüsse des Senats vom 30.11.2015 - L 19 AS 1713/15 B ER, vom 20.01.2016 - L 19 AS 1824/15 B ER, vom 22.06.2016 - L 19 AS 924/16 B ER und vom 01.08.2017 - L 19 AS 1131/17 B ER; Urteil des Senats vom 01.06.2015 - L 19 AS 1923/14; LSG NRW, Beschluss vom 26.09.2017 - L 6 AS 380/17 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.06.2016 - L 25 AS 1331/16 B ER; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2017, § 11 FreizügG/EU, Rn. 38 f.; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.05.2017 - L 31 AS 1000/17 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 27.07.2017 - L 21 AS 782/17 B ER; SG Berlin, Urteil vom 09.07.2018 - S 135 AS 23938/15).

Der Senat sieht auch im Hinblick auf die gegen seine Rechtsprechung erhobenen Einwände keinen Anlass, diese aufzugeben. Jeder Unionsbürger kann sich in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 18 Abs. 1 AEUV berufen. Zu diesen Situationen gehören diejenigen, die die Ausübung der durch Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 a) AEUV und Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit betreffen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13). Art. 21 AEUV verleiht einem minderjährigen Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat, sofern er die in Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt. Wenn dies der Fall ist, erlaubt Art. 21 AEUV nach Auffassung des EuGH dem die elterliche Sorge für den Unionsbürger tatsächlich wahrnehmenden Elternteil, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten (EuGH, Urteil vom 30.06.2016 - C-115/15). Ein minderjähriger Unionsbürger erfüllt die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG, wenn er ein Familienangehöriger ist, der einen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a bis c RL 2004/38/EG freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht (Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EG). Nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH hat somit ein die elterliche Sorge tatsächlich ausübendes Elternteil, das mit dem anderen Elternteil, von dem sich das Aufenthaltsrecht des gemeinsamen Kindes nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EG ableitet, nicht verheiratet ist, aus Art. 21 AEUV ein Aufenthaltsrecht.

In Ausübung dieses Aufenthaltsrechts kann sich sodann der die elterliche Sorge tatsächlich ausübende Elternteil auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV berufen. Zwar gilt dieses nur "unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge".

Das aufgezeigte sich aus Art. 21 AEUV ergebende Aufenthaltsrecht des die elterliche Sorge tatsächlich ausübenden Elternteils ist jedoch weder in der RL 2004/38/EG noch in den §§ 2 ff. FreizügG/EU, die die Bestimmungen der RL 2004/38/EG in nationales Recht umsetzen, geregelt. Auf die obigen Ausführungen zum Begriff des Familienangehörigen i.S.v. § 3 FreizügG/EU wird Bezug genommen. Mithin schränken die Bestimmungen der RL 2004/38/EG, insbesondere Art. 24 RL 2004/38/EG, weder das aus Art. 21 AEUV resultierende Aufenthaltsrecht des die elterliche Sorge tatsächlich ausübenden Elternteils eines nach Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein noch konkretisieren sie in dieser Fallgestaltung das Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV.

Soweit gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinsichtlich der Berücksichtigung von Aufenthaltsrechten aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU ohne erteilten Aufenthaltstitel eingewandt wird, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels konstitutiv für die Begründung eines Aufenthaltsrechts nach dem AufenthG ist, hat der Senat in seine Überlegungen mit einbezogen, dass die Antragstellerin nach Aufforderung des Senats zwischenzeitlich ein Verfahren zur Klärung ihres Aufenthaltsstatus beim zuständigen Ausländeramt eingeleitet hat. Die Entscheidung des Ausländeramtes wird auch Tatbestandswirkung gegenüber dem Antragsgegner bzw. den Sozialgerichten entfalten (vgl. zur Tatbestandswirkung von Aufenthaltserlaubnissen BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 8/13 R, Rn. 12 m.w.N., wonach die Leistungsträger nicht zur Überprüfung und ggf. Nichtbeachtung aufenthaltsrechtlicher Statusentscheidungen befugt sind).

Die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts der Antragstellerin aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV liegen vor. Die Antragstellerin hat für ihre Tochter - eine minderjährige Unionsbürgerin - das elterliche Sorgerecht inne und übt dieses aus. Aus dieser Rechtsstellung kann sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 Abs. 1 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn ihre Tochter selbst ein materielles Aufenthaltsrecht hat. Dies ist der Fall, da ihre Tochter ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU hat. Sie ist die Tochter eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers, Herrn O. Dieser kann sich aufgrund seiner mehr als einjährigen abhängigen Beschäftigung auf einen nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU fortwirkenden Arbeitnehmerstatus berufen, der nach Ende der Beschäftigung zum 21.11.2017 zumindest zwei Jahre fort gilt.

c) Im Hinblick auf fehlende Eigenmittel zur Deckung des Regelbedarfs ist ein Anordnungsgrund gegeben.

3. Den Regelungszeitraum hat der Senat in Ausübung seines Ermessens nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG, § 938 Abs. 1 ZPO auf den 31.10.2018 begrenzt. Zwar orientiert sich der Senat hinsichtlich der Dauer der Verpflichtung des Antragsgegners grundsätzlich an der regelmäßigen Dauer einer vorläufigen Leistungsbewilligung von sechs Monaten (§ 41 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II). Im vorliegenden Fall sieht der Senat es jedoch als sachgerecht an, den Regelungszeitraum entsprechend dem für die Leistungsbewilligung an die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltenden Bewilligungszeitraum zu bestimmen. Der in dem Bescheid vom 16.07.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 09.08.2018 bestimmte Bewilligungszeitraum endet zum 31.10.2018. Bei unveränderten Einkommensverhältnissen, die durch den Wegfall des Arbeitslosengeldes zum 31.10.2018 geprägt sind, wird Herr O einen Weiterbewilligungsantrag mit Wirkung zum 01.11.2018 stellen. Dieser Antrag gilt nach § 38 Abs. 1 S. 1 SGB II auch für die Antragstellerin, so dass der Antragsgegner erneut eine Entscheidung über den Leistungsanspruch der Antragstellerin zu treffen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Antragstellerin ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO vor. Gemäß § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO erfolgt eine Prüfung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht, wenn - wie hier - der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Die Antragstellerin ist auch nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten für die Rechtsverfolgung aufzubringen, so dass ihr ratenfrei Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts erscheint erforderlich (§ 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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