S 24 R 565/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 24 R 565/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Bescheides vom 25.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14.07.2017 wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin wegen ihrer ab dem 01.09.2012 bei der I. & F. GmbH ausgeübten Beschäftigung für die Zeit bis einschließlich März 2014 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI zu befreien. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Voraussetzungen einer rückwirkenden Befreiung der Klägerin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b Satz 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI.

Die Klägerin ist Assessorin und war im streitgegenständlichen Zeitraum selbstständige Rechtsanwältin. Zudem ist sie seit dem 01.09.2012 bei der I. & F. GmbH in E. beschäftigt. Sie war und ist – zunächst jedenfalls für ihre selbstständige Tätigkeit – Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte des Landes Nordrhein-Westfalen.

Sie beantragte am 17.09.2013 eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bei der Beklagten für ihre Tätigkeit bei der I. & F. GmbH. Mit Schreiben vom 12.01.2016 beantragte sie bei der Rechtsanwaltskammer Hamm die Zulassung als Syndi-kusrechtsanwältin. Sie beantragte am 19.01.2016 – nunmehr gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI – eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bei der Beklagten für ihre Tätigkeit bei der I. & F. GmbH. Die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin erfolgte mit Wirkung vom 05.07.2016. Mit Bescheid vom 14.04.2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 17.09.2013 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklag-te mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2015 als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 28.09.2016 befreite die Beklagte die Klägerin auf ihren Antrag vom 19.01.2016 hin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit bei der I. & F. GmbH gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI mit Wirkung vom 05.07.2016 an. Mit Bescheid vom 24.11.2016 befreite die Beklagte die Klägerin von der gesetzlichen Rentenversicherungs-pflicht wiederum für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis einschließlich 04.07.2016 gemäß § 231 Abs. 4b Satz 1 und 3 SGB VI. Mit Bescheid vom 25.11.2016 versagte die Beklagte eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis zum 31.03.2014. Sie begründete dies damit, dass die Klägerin nicht die von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI geforderten einkommensbezogenen Beiträge an das zuständige Versorgungswerk gezahlt habe.

Gegen diesen Bescheid vom 25.11.2016 erhob die Klägerin Widerspruch und wies auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 19.07.2016 und 22.07.2016 (BVerfG, Beschluss vom 22.07.2016, Aktenzeichen: 1 BvR 2534/14, NZS 2016, 825 (827); BVerfG, Beschluss vom 19.07.2016, Aktenzeichen: 1 BvR 2584/14, DStR 2016, 2170 (2172) hin. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2017 wies die Beklagte den Wider-spruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe nur freiwillige Beiträge an das Versor-gungswerk geleistet, somit lägen einkommensbezogene Beiträge nicht vor. Der Hinweis auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19.07.2016 und 22.07.2016 ver-fange nicht, weil es sich um Nichtannahmebeschlüsse handele, die keine materielle Ent-scheidung darstellten. Pauschale Beiträge, die keinen Bezug zum Einkommen haben, könnten nicht einkommensbezogen im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI sein.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 22.03.2018, Aktenzeichen: B 5 RE 12/17 B, NJW 2018, 1997 hat das Gericht mit Be-schluss vom 01.08.2018 das Verfahren insoweit abgetrennt als es einerseits den Antrag vom 17.09.2013 und andererseits vom 19.01.2016 betraf.

Nachdem das Gericht mit Beschluss vom 06.11.2018 den Teil des Verfahrens abgetrennt hat, der sich auf den Zeitraum ab April 2014 bezog, beantragt die Klägerin nunmehr, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides 25.11.2016 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 14.07.2017, mit dem die Befreiung von der Rentenver-sicherungsrecht für den Zeitraum bis einschließlich März 2014 abgelehnt wurde, zu verurteilen, die Klägerin wegen ihrer ab dem 01.09.2012 bei der I. & F. GmbH aus-geübten Beschäftigung für die Zeit bis einschließlich März 2014 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI von der ge-setzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Verwaltungsentscheidung, insbesondere hinsichtlich der Befrei-ungsmöglichkeit der Klägerin nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, wei-terhin für rechtmäßig. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Sinn und Zweck der Regelung sei es, für Syndikus-Rechtsanwälte, die bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber eine Tätigkeit ausüben und bereits bis zu den Urteilen des Bun-dessozialgerichts vom 03.04.2014 ihre einkommensbezogenen Rentenversicherungsbei-träge an ein berufsständiges Versorgungswerk entrichteten, rechtsprechungsbedingte Nachteile zu vermeiden. § 231 Abs. 4b SGB VI knüpfe unmittelbar an § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI an, der die Befreiungsmöglichkeit von der Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge an Versorgungswerke abhängig mache. Im Zusammenhang mit der Inter-pretation des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sei die Notwendigkeit des Vorliegens von Beiträgen, die eine unmittelbare Relation zum Einkommen aufweisen, bislang unbestritten.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Be-teiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin ist gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, weil die Ablehnung der von ihr beantragten Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungs-pflicht durch die Beklagte mit Bescheid vom 25.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 14.07.2017, zwar nicht formell, aber materiell rechtswidrig ist.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der gesetzlichen Ren-tenversicherung gemäß § 231 Abs. 4b Satz 1 und 4 SGB VI.

Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjeni-gen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird, § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI.

Die Klägerin ist mit Bescheid vom 28.09.2016 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung in diesem Sinne als Syndikusrechtsanwältin von der gesetzlichen Rentenversi-cherungspflicht befreit worden.

Diese auf die Beschäftigung (bei der I. & F. GmbH; Beginn: 01.09.2012) wirkende Befrei-ung wird in ihrer Rückwirkung nach § 231 Abs. 4b Satz 3 SGB VI auf den Zeitraum ab dem 01.04.2014 begrenzt. Sie wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versor-gungswerk gezahlt wurden, § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI. Der Antrag auf die vorgenann-ten, rückwirkenden Befreiungen kann zudem nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden, § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI.

Die Klägerin hat den Antrag im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI am 19.01.2016 und damit vor Ablauf der nach § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI maßgeblichen Frist gestellt.

Sie hat auch einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versor-gungswerk geleistet.

Auch bei den von der Klägerin gezahlten Mindestbeiträgen in Höhe von 10&8201;% des Regel-pflichtbeitrags handelt es sich um einkommensbezogene Pflichtbeiträge (vgl. BVerfG, Be-schluss vom 22.07.2016, Aktenzeichen: 1 BvR 2534/14, NZS 2016, 825 (827); BVerfG, Beschluss vom 19.07.2016, Aktenzeichen: 1 BvR 2584/14, DStR 2016, 2170 (2172); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.2018, Aktenzeichen: L 13 R 4841/17, juris, Rn. 16; SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 44; SG Freiburg, Urteil vom 14.11.2017, Aktenzeichen: S 20 R 2937/17, BeckRS 2017, 147157, Rn. 16; SG Berlin, Urteil vom 11.01.2017, Aktenzeichen: S 11 R 645/16 WA, ju-ris, Rn. 53; und wohl auch SG München, Urteil vom 15.03.2018, S 31 R 1340/17, juris, Rn. 20; ausdrücklich a.A. SG München, Urteil vom 08.02.2018, Aktenzeichen: S 30 R 1473/17, juris, Rn. 18).

Anders als zum Teil angenommen wird, steht der Annahme von einkommensbezogenen Pflichtbeiträgen im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB IV auch nicht entgegen, dass diese Pflichtbeiträge nicht für die Beschäftigung entrichtet worden sind, für die die Befrei-ung begehrt wird. Ein solcher Konnex zwischen den entrichteten Pflichtbeiträgen und der zu befreienden Tätigkeit ist nach Ansicht der Kammer nicht erforderlich.

Gegen die z.T. vertretene Auffassung, bei den einkommensbezogenen Beiträgen im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI müsse es sich um solche aus der zu befreienden Be-schäftigung selbst handeln, spricht zunächst der Wortlaut der Norm, der eine solche Ein-schränkung nicht vorsieht (so zunächst auch: SG München, Urteil vom 30.01.2018, Ak-tenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 47). So spricht schon der Wortlaut des Satzes 4 des § 231 Abs. 4b SGB VI von Beiträgen "für diese Zeiten", nicht jedoch von solchen "für diese Beschäftigung".

Auch systematische Erwägungen sprechen jedenfalls nicht zwingend für ein solches – be-schäftigungsbezogenes – Verständnis der Norm. Soweit sich dies aus einer In-Bezug-Setzung der Regelung zu den Sätzen 1 bis 3 und Satz 5 des § 231 Abs. 4b SGB VI erge-ben soll, verfängt dieses Argument nach Überzeugung der Kammer nicht (vgl. so aber ausdrücklich: SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 48). Der Beschäftigungsbezug in den vorgenannten Sätzen 1 bis 3 und Satz 5 findet sich lediglich jeweils auf Rechtsfolgenseite, nicht jedoch auf Tatbestandsseite der jeweili-gen Norm. Es ist zweifelsfrei, dass Satz 4 des § 231 Abs. 4b SGB VI ebenfalls einen sol-chen Beschäftigungsbezug, allerdings auf Rechtsfolgenseite hat. Soweit hieraus gefolgert wird, dass auch die Regelung des Satz 4 einen Bezug auf die zu befreienden Beschäfti-gung fordert (ausdrücklich so: SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 48), so ist dies nach Ansicht der Kammer zweifelsfrei, gilt jedoch für die Rechtsfolgen-, nicht jedoch (zwingend) auch für die Tatbestandsseite der jeweiligen Regelung.

Systematische Erwägungen sprechen aber auch gegen ein solches Verständnis der Rege-lung. Läge man dieses der Norm des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI zu Grunde, so hätte die Regelung des § 286f SGB VI für Zeiträume vor dem 01.04.2014 kaum noch einen An-wendungsbereich mehr (so auch: Schafhausen, NJW 2018, 1135 (1137)). Die Personen-gruppe, die keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung, sondern allein an das Versorgungswerk geleistet hat, würde zwar (nach § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB IV) befreit, hätte jedoch – mangels Zahlung an die gesetzliche Rentenversicherung – keinen Bedarf für eine Erstattung im Sinne des § 286f SGB VI. Die Personengruppe, die im Sinne der Rechtsprechung aus dem Jahre 2014 des Bundessozialgerichts und der geänderten Pra-xis der Beklagten Beiträge aus dem Einkommen aus der jeweiligen Beschäftigung aus-schließlich an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt hat, erfüllt bereits die Voraus-setzung der Befreiungsvorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI nicht, so dass es auch nicht zu einer Erstattung im Sinne des § 286f SGB VI kommen könnte (so auch: Schafhausen, NJW 2018, 1135 (1137)). Eine Einschränkung des Ausgleichs auf April 2014 ergibt sich aus der Ausgleichsnorm des § 286f SGB VI selbst jedenfalls nicht.

Eine solche Interpretation der Norm im Sinne einer Beschäftigungsbezogenheit ließe sich allein durch eine teleologische Reduktion erreichen. Anders als bei der telelogischen Ex-tension ist der Wortlaut in einem solchen Falle nicht zu eng, sondern für Sinn und Zweck der einschlägigen Norm zu weit gefasst (Larenz, Methodenlehre [1979], S. 377). Er muss zur Verwirklichung der gesetzlichen Wertung reduziert werden, was ebenfalls einen Ein-griff in den Gesetzeswortlaut bedeutet und daher einer (besonderen) Rechtfertigungslast unterliegt (vgl. Meier/Jocham, JuS 2015, 490 (495)).

Dies setzt zunächst aber eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Regelungslücke vo-raus. Dass eine solche vorliegt, ist vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber den Be-schäftigungsbezug in anderen Regelungen (namentlich in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buch-stabe b) SGB VI) expressis verbis vorgesehen hat, nach Ansicht der Kammer jedenfalls zweifelhaft.

Den Vertretern eines beschäftigungsbezogenen Normverständnisses ist jedoch zuzuge-ben, dass hierfür die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und die Gesetzesbegründung streiten (historisch-genetische Auslegung; vgl. so auch Schafhausen, NJW 2018, 1135 (1138)). So heißt es in der Gesetzesbegründung (Entwurf eines Gesetzes zur Neuord-nung des Rechts der Syndikusanwälte, Bundestagsdrucksache 18/5201 vom 16.06.2015, S. 47):

"Satz 4 regelt, dass die Begrenzung der Rückwirkung der Befreiung auf April 2014 nicht in den Fällen gilt, in denen insbesondere in der Annahme des Bestehens einer gültigen Be-freiung seinerzeit nur einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versor-gung gezahlt wurden, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung ... Hiermit wird umfassend eine Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Bei-träge vermieden und im Ergebnis die tatsächliche Beitragszahlung legalisiert."

Hieraus wird gefolgert, dass einkommensbezogene Beiträge nur solche sein können, die aufgrund satzungsrechtlicher Regelungen des Versorgungswerkes für eine abhängige Be-schäftigung anstelle von Beiträgen an die gesetzliche Rentenversicherung an das Versor-gungswerk gezahlt wurden (SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 54). Die Begründung betone durch die Verwendung des Wortes "nur", dass eine Befreiung alleine im Fall einer ausschließlichen Beitragszahlung an das Versor-gungswerk anstelle von Zahlungen an die Rentenversicherung möglich sein soll (SG Mün-chen, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 54). Solche Beiträ-ge stünden zwingend im Zusammenhang mit einer abhängigen Beschäftigung und könn-ten nicht aus einer selbständigen Tätigkeit resultieren (SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 54). Diese Befreiungsmöglichkeit solle nur diejenigen Rechtsanwälte erfassen, die keinerlei Beiträge an die gesetzliche Ren-tenversicherung abgeführt haben, sondern alleine einkommensbezogene Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt haben (SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 55). Diese Einschränkung des Personenkreises, der von der Be-freiung profitieren kann, werde insbesondere durch den Hinweis auf die Vermeidung der Rückabwicklung der an die berufsständische Versorgung entrichteten Beiträge und die Legalisierung der tatsächlichen Beitragszahlung bestätigt (SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 55). Die Gesetzesbegründung strei-tet damit für eine Reduktion des § 231 Abs. 4b SGB VI.

Eine solche teleologische Reduktion, die aufgrund des Wortlautes ohnehin unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck steht, verbietet sich nach Ansicht der Kammer jedoch vor dem Hintergrund des Postulats einer verfassungskonformen Auslegung einfachen Rechts. Ist eine Auslegung, die dem Verfassungsprinzip nicht widerspricht, nach den übri-gen Auslegungskriterien (insbesondere nach dem Wortlaut) möglich, so ist sie jeder ande-ren, bei der die Bestimmung verfassungswidrig sein würde, vorzuziehen (Larenz, Metho-denlehre [1979], S. 329). Daraus folgt, dass unter mehreren, den übrigen Kriterien nach möglichen Auslegung immer diejenige den Vorzug verdient, die mit dem Prinzip der Ver-fassung am Besten übereinstimmt (Larenz, Methodenlehre [1979], S. 329).

Es wäre im Lichte des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) als kritisch zu erachten, dass mit der Auslegung im Sinne der Beklagten diejenigen Anwälte benachteiligt werden, deren Ar-beitgeber sich – insbesondere nachdem bekannt geworden war, dass die Beklagte ihre bisherige Befreiungspraxis anhand der Vier-Kriterien-Theorie nicht mehr so (großzügig) handhabt wie in der Vergangenheit – korrekt verhalten haben und mangels Vorliegens ei-nes Befreiungsbescheides die Meldung zur Rentenversicherung vorgenommen haben und für die daher an das Versorgungswerk nur Beiträge für ihre neben der Beschäftigung aus-geübte selbständige Tätigkeit gezahlt wurden (SG München, Urteil vom 30.01.2018, Ak-tenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 57). Von einer (neuerlichen) Befreiung würden da-mit im Ergebnis nur diejenigen profitieren, deren Arbeitgeber entgegen der Rechtsauffas-sung des Bundessozialgerichts die Beiträge weiterhin allein an das jeweilige Versorgungs-werk abgeführt haben. Die vom Gesetzgeber verfolgte Legalisierung von Beitragszahlun-gen zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und Vermeidung der Rückab-wicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge (Entwurf eines Ge-setzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, Bundestagsdrucksache 18/5201 vom 16.06.2015, S. 46 f.) wäre aber auch durch eine wortlautgetreue Auslegung zu errei-chen, die dann aber auch diejenigen erfasst, die bislang ihre Beiträge (ausschließlich) an die Deutsche Rentenversicherung entrichtet haben.

Vor dem Hintergrund dieser Ungleichbehandlung bestünden an einer verfassungsrechtli-chen Rechtfertigung Zweifel der Kammer. Der an sich legitime Zweck der Vermeidung von Rückabwicklungen wäre jedenfalls nicht in angemessener Weise umgesetzt worden.

Die vom Gesetzgeber verfolgte Legalisierung einer erfolgten Beitragszahlung zu den be-rufsständischen Versorgungseinrichtungen der Rechtsanwälte soll ein durch die frühere Rechtspraxis bei der Befreiung von Syndikusrechtsanwälten geschaffenes schutzwürdiges Vertrauen berücksichtigen (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syn-dikusanwälte, Bundestagsdrucksache 18/5201 vom 16.06.2015, S. 46). Woraus sich ein solches Vertrauen der Rechtsanwälte ergibt, ist vor dem Hintergrund der Tatsache, dass diesen ein schon nach alter Rechtslage zwingend erforderlicher Befreiungsbescheid nicht erteilt wurde, für die Kammer nicht ersichtlich.

Auch das verfassungsrechtliche Postulat der Folgerichtigkeit erschiene bei Auslegung der Norm im Sinne der Beklagten als zumindest beeinträchtigt. Hiernach läge folgende Rege-lungssystematik und Gesetzesbegründung der Norm vor, die nach Ansicht der Kammer jedenfalls in Teilen inkonsistent wäre: Der Gesetzgeber wollte den Status quo, wie er vor den Urteilen des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2014 bestand, wieder herstellen, wollte einen Ausgleich zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und den Versorgungswerken andererseits aber einschränken. Durch die Möglichkeit einer rückwir-kenden Befreiung gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI hat der Gesetzgeber allerdings erst die Voraussetzungen für eine solche Ausgleichsverpflichtung selbst geschaffen. Eine Ein-schränkung des Ausgleichs auf April 2014 ergibt sich aus der Ausgleichsnorm des § 286f SGB VI selbst jedenfalls nicht. § 286f SGB VI verlöre vielmehr für den Zeitraum vor dem April 2014 jeglichen Anwendungsbereich. Ein dies erklärendes schutzwürdiges Vertrauen derjenigen, die von der Befreiung profitieren würden, ist nicht erkennbar. Auch ist unklar, inwieweit ein tatsächlicher Anwendungsbereich des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI verblie-be, also wie viele Arbeitgeber von Syndikus-Anwälten sich über die geänderte Praxis der Beklagten und die geänderte Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit hinweggesetzt ha-ben.

Weiterhin waren die Entscheidungen des BSG vom 03.04.2014 Gegenstand von verfas-sungsgerichtlichen Verfahren. Das BVerfG hat allerdings mit Beschlüssen vom 19.07.2016 (Aktenzeichen: 1 BvR 2584/14, DStR 2016, 2170 (2172)) und vom 22.07.2016 (Aktenzei-chen: 1 BvR 2534/14, NZS 2016, 825 (827)) entschieden, dass den Verfahren aufgrund der Gesetzesänderung (Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl I Jahr 2015, S. 2517)) der Boden in Folge des Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses vollständig entzo-gen worden sei. Etwaige "Rest-Probleme bzw. Altfälle" könnten über eine verfassungsmä-ßige Auslegung des Satzes 5 "gelöst" werden.

Durch eine solche Auslegung der Norm im Sinne einer Beschäftigungsbezogenheit der Beiträge werden aber die verfassungsrechtlichen Probleme und Fragestellungen der alten Rechtslage für Zeiträume bis einschließlich März 2014 perpetuiert. Das Bundesverfas-sungsgericht ist aber offensichtlich davon ausgegangen, dass dies nicht länger der Fall ist, und hat den anhängigen Verfassungsbeschwerden (nachträglich) das Rechtsschutzbe-dürfnis versagt. Dass das Bundesverfassungsgericht diese Problematik in seinen Be-schlüssen vom 19.07.2016 und 22.07.2016 ggf. überhaupt nicht gesehen hat (so SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 69), würde je-denfalls vor dem Hintergrund des Wortlauts nicht verwundern. Dass es die Problematik nicht hat entscheiden "wollen" (in diese Richtung wohl SG München, Urteil vom 30.01.2018, Aktenzeichen: S 56 R 1003/17, juris, Rn. 69), erscheint einerseits im Lichte seiner Ausführungen zu § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI und der Tatsache, dass das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer, die auch lediglich die Mindestbeiträge ge-zahlt haben, bei dieser Lesart (wohl) nicht entfallen wäre und die Verfassungsbeschwer-den gemäß § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz zur Entscheidung hätten an-genommen werden können, fraglich. Unter Zugrundelegung der Lesart der Beklagten der Bestimmung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI hätte das Bundesverfassungsgericht nach Ansicht der Kammer die Nichtannahmebeschlüsse vom 19.07.2016 und 22.07.2016 nicht – jedenfalls nicht mit dieser Begründung – erlassen können.

Ein Ausschluss der vorgenannten Befreiung der Klägerin von der gesetzlichen Rentenver-sicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI greift ebenfalls nicht.

Hiernach gelten die Sätze 1 bis 4 des § 231 Abs. 4b SGB VI nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt auf Grund einer vor dem 04.04.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde.

Da der ursprüngliche Bescheid der Beklagten, mit dem diese den ursprünglichen Antrag der Klägerin auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht (vom 17.09.2013) abgehlehnt hat, vom 14.04.2014 stammt und damit nach dem 04.04.2014 datiert, liegt dem Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Syn-dikusrechtsanwältin keine Beschäftigung zu Grunde, für die eine Befreiung auf Grund ei-ner vor dem 04.04.2014 ergangenen Entscheidung im vorgenannten Sinne bestandskräf-tig abgelehnt wurde.

Vor dem Hintergrund dessen erübrigen sich Ausführungen der Kammer zu der Frage, welcher Fall vom Wortlaut des § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI in Anbetracht der Tatsache erfasst werden soll, dass der Gesetzgeber den gesetzlichen Begriff des "Syndikusrechts-anwalts" erstmals mit Wirkung zum 01.01.2016 in § 46 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsord-nung statuiert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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