L 3 P 6/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 P 23/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 P 6/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
L 3 P 6/17 S 9 P 23/15 Landessozialgericht Hamburg Urteil Im Namen des Volkes In dem Rechtsstreit hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Hamburg ohne mündliche Verhandlung am 13. November 2018 Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. November 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Gewährung von Pflegesachleistungen im EU-Ausland.

Der bei der Beklagten versicherte und zwischenzeitlich am 20. Oktober 2018 verstorbene L.S. war der Ehemann der Klägerin. Er bezog seit 8. November 2012 Pflegegeld gemäß Pflegestufe I von der Beklagten. Er lebte in S ... Am 17. Oktober 2014 beantragte er unter Benennung eines Pflegedienstes in seinem Wohnort C. anstelle des Pflegegelds die Gewährung von Sachleistungen, da seine ihn pflegende Ehefrau sich nach D. begeben müsse.

Unter Hinweis auf § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Elftes Buch (SGB XI), nämlich das grundsätzliche Ruhen von Leistungen aus der Pflegeversicherung, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. November 2014 den Antrag ab und wies darauf hin, dass ein Anspruch auf Sachleistungen im Ausland bei mehr als sechswöchigem Auslandsaufenthalt nicht bestehe.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Ehemanns der Klägerin vom 14. November 2014 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2015 unter Hinweis auf den gesetzlichen Ruhenstatbestand des § 34 Abs. 1 SGB XI zurück. Gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Aktenzeichen C-160/96 (Molenaar) vom 5. März 1998 sei § 34 Absatz 1 a des SGB XI eingeführt worden. Danach könne Pflegegeld nun auch ins Ausland an deutsche Versicherte geleistet werden. Sachleistungen könnten hingegen nicht gleichermaßen übertragen werden. Es bestünden keine Versorgungsverträge gemäß § 72 SGB XI über Sachleistungen im Sinne des SGB XI mit Leistungserbringern. Nach der EG-Verordnung (EGV) 1408/71 vom 13. September 2006 sowie nach dem gemeinsamen Rundschreiben zu § 34 SGB XI sei jedoch eine sogenannte Leistungsaushilfe nach den dort geltenden Bestimmungen für Rechnung der Beklagten möglich. Ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft liege nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Aktenzeichen C- 562/10 vom 12. Juli 2012 nicht vor. Danach verstoße die Regelung, wonach die Zahlung der Pflegesachleistungen im Ausland nach deutschem Recht ausgeschlossen ist, nicht gegen Art. 48 und Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und die hierin verankerte Dienstleistungsfreiheit. Vielmehr könne der Versicherte berechtigterweise auf die aus der EGV 1408/71 folgende Möglichkeit verwiesen werden, Sachleistungen vom Träger des Aufenthalts- und Mitgliedsstaats für Rechnung des zuständigen Trägers in D. zu beziehen. Art. 48 AEUV sehe zwar eine Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vor, jedoch keine komplette Harmonisierung. Insbesondere könnten und müssten die Regeln dieses Vertrags für den freien Dienstleistungsverkehr Versicherten nicht garantieren, dass ein örtlicher Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit vollkommen neutral sei. Aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den verschiedenen Systemen der Mitgliedstaaten bestünden, könne ein solcher Wechsel sowohl finanzielle Vorteile als auch Nachteile haben.

Weiter verwies die Beklagte auf die EGV 883/04, wonach für solche nicht exportfähigen Sachleistungen vom Träger des Wohnorts, im Fall des Klägers also vom s. Sozialversicherungsträger (S.), Leistungen bezogen werden könnten. Versicherte erhielten bei entsprechender Antragstellung die Sachleistungen nach den Bestimmungen der "Ley de Dependencia". Sofern das s. Recht allerdings bestimmte Sachleistungen nicht vorsehe, könnten solche eben auch nicht in Anspruch genommen werden. Soweit jedoch Sachleistungen beziehbar seien in S., würden sie vom s. Sozialversicherungsträger der deutschen Pflegekasse in Rechnung gestellt und in voller Höhe erstattet mit der Folge einer Kürzung des Pflegegelds. Hierzu übersandte die Beklagte dem Versicherten ein Merkblatt.

Mit der am 12. Februar 2015 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage hat der Versicherte sein Begehren weiterverfolgt und eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gerügt, die darin liege, dass in D. lebende Pflichtversicherte uneingeschränkt Pflegesachleistungen erhielten, während pflichtversicherte Pflegebedürftige, die sich im EU-Ausland aufhielten, diese nicht uneingeschränkt erhalten könnten. Hierin liege eine vom Gesetzgeber veranlasste grundlose Ungleichbehandlung. Diese sei mit der Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 AEUV nicht vereinbar und darüber hinaus verfassungswidrig.

Die soziale Pflegeversicherung sei als Pflichtversicherung eingeführt worden, um das Risiko einer Pflegebedürftigkeit abzusichern. Es bestehe bei dieser Pflichtversicherung für jeden Versicherten die Möglichkeit, Pflegegeld oder Pflegesachleistungen oder eine Kombination aus beiden in D. in Anspruch zu nehmen, worüber die Versicherten jeweils frei entscheiden könnten.

Die Europäische Kommission habe mehrere Verstöße Deutschlands gegen das europäische Recht gesehen und die Bundesrepublik deswegen verklagt. Insbesondere habe sie das Ruhen von Ansprüchen nach der Vorschrift des § 34 SGB XI bei Auslandsaufenthalt von Pflichtversicherten gerügt. In dem Vertragsverletzungsverfahren, über das der EuGH zu entscheiden gehabt habe, seien sich die Prozessbeteiligten einig gewesen, dass hierin eine diskriminierende Beschränkung aller im Ausland lebenden Pflichtversicherten liege und damit ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht in Gestalt der EGV 1408/71 und des Art. 56 AEUV. Deswegen sei vom Gesetzgeber § 34 Absatz 1 a SGB XI im Lauf des Verfahrens eingefügt worden. Aufgrund dessen erhielten nun anerkannte Pflegebedürftige bei Auslandsaufenthalt im EU- Ausland uneingeschränkt Pflegegeld.

Unverständlich und nicht nachvollziehbar sei jedoch, dass in diese Gesetzesänderung nicht auch der Bezug von Pflegesachleistungen miteinbezogen worden sei. Die verbliebene Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik nach der Gesetzesänderung habe der EuGH zwar kostenpflichtig zum Ende des streitigen Verfahrens abgewiesen, worauf sich die Beklagte und auch andere Pflegeversicherungen nachvollziehbar beriefen. In Wahrheit habe der EuGH jedoch keine Sachentscheidung über die streitige Frage getroffen, sondern lediglich festgestellt, dass die klagende Europäische Kommission nicht substantiiert und schlüssig zu den verschiedenen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten vorgetragen, die von ihr behaupteten Vertragsverletzungen tatsächlich nicht nachgewiesen habe, nicht auf den Vortrag der Bundesrepublik bezüglich der Dienstleistungsfreiheit geantwortet und nicht in "zweckdienlicher Weise" vorgetragen habe. Keine der Rügen, auf die die Kommission ihre Klage gestützt habe, sei begründet worden, weswegen die Klage abgewiesen worden sei. Der EuGH habe damit jedoch nicht über Pflegesachleistungen im Ausland entschieden. Die Bundesrepublik habe in dem Verfahren beim EuGH darauf hingewiesen, dass bei einem Export auch von Pflegesachleistungen Mehrbelastungen von 100.000.000 EUR im Jahr anfallen würden

Sofern die Pflegekassen geltend machten, es bestünden keine Verträge mit ausländischen Pflegediensten und anerkannten Einzelpersonen europaweit, bleibe es Ihnen unbenommen, Verträge mit solchen Einrichtungen und Einzelpersonen abzuschließen und diese gegebenenfalls durch den MDK überprüfen zu lassen. Im Übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass eine vorherige Anerkennung durch das Versicherungsunternehmen nicht zwingend vorausgesetzt werde.

Unter erneutem Hinweis auf Verstöße gegen das EU-Recht und die deutsche Verfassung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers neben seinem Sachantrag beantragt, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Vereinbarkeit von §§ 34 Abs. 1 Nummer 1, 36 SGB XI mit Art. 2, Art. 3 Abs. 1 und weiterer Grundrechte des Grundgesetzes vorzulegen.

Das Sozialgericht hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid mit Gerichtsbescheid vom 27. November 2017 die Klage abgewiesen. Dem geltend gemachten Anspruch stünde die eindeutige Regelung des § 34 Abs. 1 SGB XI entgegen, wonach der Leistungsanspruch bei einem länger als sechs Wochen dauernden Auslandsaufenthalt ruht. Ein Verstoß gegen europäisches Recht oder das Grundgesetz liege nicht vor. Der Gesetzgeber habe der Rechtsprechung des EuGH dadurch Rechnung getragen, dass mit § 34 Abs. 1a SGB XI ein Anspruch auf Pflegegeldzahlungen bei einem Aufenthalt in einem EU-Staat bestehe.

Die Entscheidung des EuGH vom 16. Juli 2009 – C 208/07 zeige, dass die nationale Regelung des § 34 SGB XI im Hinblick auf das Verbot des Exports von Pflegesachleistungen nicht gegen europäisches Recht verstoße. Das ergebe sich aus der Begründung, auch wenn eine inhaltliche materielle Entscheidung für diesen Bereich nicht getroffen worden sei. Die Kommission habe die behaupteten Vertragsverletzungen tatsächlich nicht nachweisen können und sei auch nicht auf den Vortrag der Bundesrepublik bezüglich der Dienstleistungsfreiheit eingegangen und auch nicht auf verschiedene sozialversicherungsrechtliche Regelungen der Mitgliedstaaten. Diese Auffassung werde von der Kommentarliteratur und dem BSG geteilt, wonach weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken gegen die Regelung in § 34 Abs. 1 und 1a SGB XI bestehen. Das BSG (Urteil vom 20. April 2016 – B 3 P 47/14 R in juris) habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Exportfähigkeit einer Leistung der sozialen Sicherheit nach Art. 19 und 22 Verordnung (EWG) 1408/71 von der Unterscheidung zwischen Sach- und Geldleistungen abhänge. Sachleistungen können nur in solchen Ländern erbracht werden, deren nationales Recht der sozialen Sicherheit ebenfalls Sachleistungen vorsieht, weil der zuständige Versicherungsträger dann auf die so genannte Sachleistungsaushilfe zurückgreifen könne. Ohne diese Sachleistungsaushilfe könnten lediglich Geldleistungen exportiert werden.

Ein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht, insbesondere Art. 3 GG sei nicht gegeben. Ein im europäischen Ausland lebender pflichtversicherter pflegebedürftige Menschen müsse nicht exakt gleich behandelt werden wie ein in D. lebender Pflichtversicherter der sozialen Pflegeversicherung. Es handele sich nicht um gleiche Sachverhalte. Mit den vorhandenen Ansprüchen auf Pflegegeldleistungen und der Möglichkeit, auch Sachleistungen des zuständigen Sozialversicherungsträger im Ausland in Anspruch zu nehmen, sei eine ausreichende Koordination der Leistungssysteme gewährleistet. Ein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes sei nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 25. Februar 2015 – B 3 P 6/13 R) nicht ersichtlich und auch aus Art. 14 GG könne ein Grundrechtsverstoß nicht abgeleitet werden. Es handele sich um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Absatz 1 S. 2 Grundgesetz. So sei das Ruhen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung während eines Auslandsaufenthalts (§ 16 SGB V) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber dürfe sozial relevante Tatbestände im eigenen Staatsgebiet regeln. Die Dienst- und Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung könnten aber nur im Inland erbracht werden. Daher sei es sachlich gerechtfertigt, die Leistungen der Krankenversicherung im Ausland von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. Eine Vorlage beim EuGH sei deshalb nicht geboten.

Gegen den am 29. November 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Versicherte, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 18. Dezember 2017 Berufung eingelegt. Es sei nicht ersichtlich, warum die Regelung zu Pflegesachleistungen mit dem europäischen Recht vereinbar sein solle. Wie das Sozialgericht bereits zutreffend dargelegt habe, habe der EuGH letztendlich nicht eine inhaltlich materielle Entscheidung zu dieser Fragestellung getroffen. Die Rechtsauffassung des BSG, wonach geeignete Pflegekräfte im Ausland in der Regel nicht zur Verfügung stünden, könne nicht nachvollzogen werden. Denn eine qualifizierte Pflegekraft mit dreijähriger Berufsausbildung und Berufserfahrung könne für die Pflegekasse in D. und im europäischen Ausland tätig werden. Es sei auch möglich, anstelle eines Pflegedienstes Einzelkräfte zu beauftragen (§ 77 SGB XI). Bei der Pflegeperson des Klägers handele es sich um eine von der Beklagten anerkannte qualifizierte Fachkraft, die über ausreichende Erfahrung und Praxis verfüge. Die Beklagte müsse lediglich detaillierte vertragliche Vereinbarungen treffen. Kontrollmöglichkeiten gebe es in ganz Europa. Das Ruhen der Pflegesachleistungen im Ausland nach sechs Wochen sei sachlich nicht begründet und willkürlich. Es ergebe sich keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG sei gegeben. Darüber hinaus sei die Freizügigkeit des Personenverkehrs, des Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit betroffen. Insbesondere sei von einem Verstoß gegen das Freizügigkeitsgebot des Art. 18 EGV auszugehen. Durch eine Verlagerung ihres Wohnsitzes ins EU-Ausland würden Versicherte Nachteile erleiden, was nicht zulässig sei. Es sei deshalb gerechtfertigt, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EGV einzuholen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27.11.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 3.11.2014 und den Widerspruchsbescheid vom 22.1. 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten L.S. antragsgemäß Pflegeleistungen als Sachleistung an seinem Wohnort in C./ S. zu gewähren und 2. das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Vereinbarkeit von §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 36 SGB XI mit Art. 2, 3 und weiteren Grundrechten des Grundgesetzes vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf eine aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf (Urteil vom 16. Juli 2017 – S 5 P 281/13), welches die Auffassung der Beklagten bestätige. Möglicherweise sei das System verbesserungswürdig, aber wie vom erstinstanzlichen Gericht, einer Vielzahl an Kommentarliteratur und höchstrichterlicher Rechtsprechung zutreffend erkannt, weder europarechtswidrig noch verstoße es gegen das Grundgesetz. Dem Ehemann der Klägerin sei es unbenommen gewesen, Pflegesachleistungen über den s. Sozialversicherungsträger der auf Rechnung der Beklagten in Anspruch zu nehmen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) erteilt.

Herr Sawall ist am 20. Oktober 2018 verstorben. Der Rechtsstreit ist von seiner Ehefrau als Rechtsnachfolgerin fortgesetzt worden. Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid abgewiesen. Denn es bestand kein Anspruch auf die Gewährung von Pflegesachleistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung und somit nach dem Tod des Versicherten auch kein Erstattungsanspruch.

Die Klägerin hat keinen Anspruch als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten auf Pflegesachleistungen, die mit Wirkung für die Zukunft bereits nicht mehr erbracht werden können, weil der Versicherte verstorben ist. Es besteht auch kein Erstattungsanspruch für bereits erbrachte Pflegeleistungen, so dass auch ein hierauf gerichteter Antrag unbegründet ist. Denn der grundsätzlich gemäß § 36 SGB XI bestehende Anspruch auf Gewährung von Pflegesachleistungen war gemäß § 34 Abs. 1 SGB XI ausgeschlossen, weil sich der Versicherte für einen längeren Zeitraum als sechs Wochen im Ausland aufgehalten hat. § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI sieht vor, dass der Anspruch auf Leistungen ruht, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält. Bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt von bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr ist das Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder anteiliges Pflegegeld nach § 38 SGB XI weiter zu gewähren. Für die Pflegesachleistung gilt dies nur, soweit die Pflegekraft, die ansonsten die Pflegesachleistung erbringt, den Pflegebedürftigen während des Auslandsaufenthaltes begleitet.

Aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung ruhte der Leistungsanspruch des Versicherten, der sich dauerhaft in S. aufhielt. Die genannten Ausnahmekriterien liegen nicht vor. Der Versicherte erfüllte auch nicht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1a SGB XI, wonach der Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder anteiliges Pflegegeld nach § 38 SGB XI nicht bei pflegebedürftigen Versicherten ruht, die sich in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten. Der Versicherte begehrte nunmehr ausdrücklich Pflegesachleistungen gemäß § 36 SGB XI und nicht mehr Pflegegeld, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1a SGB XI nicht mehr vorlagen.

Der Leistungsausschluss wegen dauerhaftem Auslandsaufenthalt verstößt weder gegen das Grundgesetz (1) noch gegen europarechtliche Bestimmungen (2).

(1) a Die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 GG unterliegt dem einfachen Gesetzesvorbehalt und gilt nicht schrankenlos. Es ist bereits nicht ersichtlich – so wie es das Sozialgericht bereits dargelegt hat – inwiefern durch das Ruhen des Leistungsanspruchs ein Grundgesetzverstoß gegeben sein soll. Der Versicherte war zunächst einmal durch die Regelung nicht gehindert, seinen Wohnort frei zu wählen. Sofern auf eine mittelbare Beeinträchtigung abgestellt wird, erweist sich die gesetzliche Einschränkung als verhältnismäßig (s. (1) b).

b Eine Verletzung des Gleichheitssatzes im Sinne von Art. 3 GG liegt nicht vor. Die Unterscheidung nach dem Aufenthalt im Inland oder im Ausland ist nicht sachwidrig und es handelt sich nicht um gleich zu behandelnde Tatbestände. Die vom Gesetzgeber angeführten Gründe einer umfassenden Qualitätskontrolle (s. BT-Drs 12/5262 S 110), die in dem gebotenen Ausmaß nur im Inland möglich ist bzw. mit unverhältnismäßigem Aufwand im Ausland betrieben werden kann, rechtfertigen die unterschiedliche Behandlung beider Vergleichsgruppen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf eine möglicherweise individuell gute Versorgungssituation am Wohnort in S. verweist, verfängt diese Argumentation verfassungsrechtlich nicht. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt (BVerfGE 78, 214, 226 f mit weiteren Nachweisen; 82, 126,151 f; 99, 280, 290; 105, 73, 127; vgl. auch BVerfGE 96, 1, 6). Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfGE 84, 348, 359 mwN; 99, 280, 290; 105, 73, 127). Auch bei der Ausgestaltung der Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung darf der Gesetzgeber Sachverhalte typisieren oder pauschalieren, ohne dabei für jeden Einzelfall Ausnahmen schaffen zu müssen (BSG, Urteil vom 03. März 2009 – B 1 KR 12/08 R –, SozR 4-2500 § 27a Nr 7, Rn. 15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die grundsätzliche Annahme, dass – auch bezogen auf das EU-Ausland – eine Qualitätssicherung für Sachleistungsansprüche nur im Inland möglich ist bzw. im Ausland mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre, ist zutreffend und rechtfertigt die generalisierende Regelung, ungeachtet der Frage, ob sich die Situation im konkreten Ausnahmefall anders darstellt. So hat auch das BSG dargelegt, dass der grundsätzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 SGB XI vor allem den mangelnden Umsetzungs- und Kontrollmöglichkeiten der Leistungsträger im Ausland geschuldet sei (BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 P 4/14 R –, BSGE 121, 108-119, SozR 4-3300 § 34 Nr. 3, Rn. 27). Im Unterschied zu der Gewährung von Pflegegeld hat die Pflegekasse bei der Gewährung von Pflegesachleistungen die geschuldete Pflegeleistung in eigener Verantwortung und Zuständigkeit sicherzustellen, was durch den Abschluss von Versorgungsverträgen mit ambulanten Pflegediensten geschieht bzw. gemäß § 77 Abs. 1 SGB XI durch Einzelverträge mit geeigneten Pflegekräften. Die Pflegekasse hat nach der Vorstellung des Gesetzgebers — gerade bei der Gewährung von Pflegeleistungen als Sachleistung gemäß § 36 SGB XI — dem Aspekt der Qualitätssicherung in besonderem Ausmaß Rechnung zu tragen. Das ergibt sich aus der Verweisung auf § 112 SGB XI in § 77 Abs. 1 S. 2, zweiter Halbsatz SGB XI. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/9369, S. 45) geht hervor, dass die Qualität der Pflege und Betreuung nicht nur im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu prüfen ist, sondern auch gewährleistet werden muss, dass sie auf Dauer und auch im Verhinderungsfall sichergestellt wird. Hierbei sind insbesondere auch Qualitätsprüfungen durchzuführen (s. Udsching in Udsching/Schütze, SGB XI, 5. Auflage, § 77 Rn. 6). Eine solche Kontrolle dürfte – bezogen auf das gesamte (EU-) Ausland bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung – nahezu unmöglich sein und die Kapazitäten des mit der Prüfung beauftragt MDK bei Weitem übersteigen. Ob sich im konkreten Einzelfall die erforderliche Qualitätssicherung ausnahmsweise als durchführbar erweist, ist bei der generalisierenden Betrachtung nicht von Belang. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob eine Qualitätssicherung im Wohnort des Versicherten in S. aufgrund der dortigen Pflegesituation im Einzelfall möglich gewesen wäre. Abzustellen ist auf eine generalisierende Betrachtung unter Einbeziehung sämtlicher EU-Länder.

c Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt nicht vor. Es wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid, welches im Wesentlichen auf die Argumentation des BSG (Urteil v. 25.02.2015 – B 3 P 6/13 R) und des BVerfG (BVerfG NJW 2014, 3634 - 3639) verwiesen hat (§ 153 Abs. 2 SGG).

Bei dieser Sachlage besteht kein Anlass, das Verfahren einer konkreten Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG zuzuführen.

(2) Die Regelung des § 34 Abs. 1 SGB XI verstößt auch nicht gegen europarechtliche Bestimmungen. Einschlägig sind die VO (EG) Nr. 883/2004 sowie ihre Durchführungsverordnung VO (EG) Nr. 987/2009, die die VO (EWG) Nr. 1408/71 und ihre Durchführungsverordnung VO (EWG) 574/72 abgelöst haben, sowie die in Art. 56 f AUEV geregelte Dienstleistungsfreiheit.

a Die von der Klägerin beanstandete Unterscheidung zwischen einer Geldleistung und einem Sachleistungsanspruch entspricht gerade dem einschlägigen EU-Recht. Das BSG hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass das Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit die Aufgabe habe, die unterschiedlichen nationalen Gesundheitssysteme zu koordinieren. Unionsbürger sollen bei Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte keine Nachteile aufgrund der unterschiedlichen nationalen Systeme der sozialen Sicherheit erleiden, die sie von der Geltendmachung der Freizügigkeit abhalten könnten (BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 P 4/14 R –, BSGE 121, 108-119, SozR 4-3300 § 34 Nr 3, Rn. 34 - 35). Es hat weiter unter Verweis auf das EuGH Urteil vom 16.7.2009 - Rs C-208/07 - von Chamier-Glisczinski - SozR 4-6050 Art 19 Nr 3 Rn 84 dargelegt, dass die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit jedoch formelle und materielle Unterschiede aufweisen dürften, da Art 42 EG als Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung (EWG) 1408/71 lediglich eine Koordinierung, nicht eine Harmonisierung der nationalen Sozialsysteme vorsehe. Die Exportfähigkeit einer Leistung der sozialen Sicherheit nach Art. 19 und 22 VO (EWG) 1408/71 (nunmehr Art. 17 VO (EG) 883/2004 sowie Art. 22 ff. VO (EG) 987/2009) hängt, so das BSG weiter, deshalb von der Unterscheidung zwischen Sach- und Geldleistungen ab. Sachleistungen können nur in solchen Ländern erbracht werden, deren nationales Recht der sozialen Sicherheit ebenfalls Sachleistungen vorsieht, weil der zuständige Versicherungsträger dann auf die so genannte Sachleistungsaushilfe zurückgreifen kann. Ohne diese Sachleistungsaushilfe können lediglich Geldleistungen exportiert werden. Mit diesem System werde der Mitgliedstaat, in dem sich der Versicherte aufhält, davor geschützt, Sachleistungen erbringen zu müssen, obwohl er kein entsprechendes (aufwendiges) Sachleistungssystem für seine eigenen Bürger geschaffen hat. Bei Geldleistungen bestehe kein derartiges Schutzbedürfnis. Ein Geldtransfer vom zuständigen Träger an den bei ihm Versicherten in den Mitgliedstaat, in dem sich der Versicherte aufhält, berührt die Interessen dieses Mitgliedstaates nicht (BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 P 4/14 R –, BSGE 121, 108-119, SozR 4-3300 § 34 Nr 3, Rn. 34 - 35).

b Wie vom Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt, hat auch der EuGH die nationale Regelung des § 34 Abs. 1 SGB XI im Hinblick auf Sachleistungsansprüche nicht beanstandet. Es wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts. Auch wenn die in Rede stehende Entscheidung des EuGH (Urteil vom 12.07.2012 – C 562/10 in juris) darauf basiert, dass die Europäische Kommission der ihr obliegenden Nachweisplicht einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht nachgekommen ist, ergibt sich aus den inhaltlichen Ausführungen in der weiteren Begründung, dass die Regelung in Bezug auf Sachleistungen vom EuGH nicht beanstandet wird (so auch Behrend, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 12.07.2012 – C- 562/10 in jurisPR-SozR 2/2014 Anm. 1). Denn der EuGH hat auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sachleistungen von dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers zur Beurteilung der Frage, ob der deutsche Pflegebedürftige im EU-Ausland bei der der Inanspruchnahme der dortigen Dienstleistungen behindert wird, abgestellt. Er hat dabei auf die Möglichkeit hingewiesen, dass sich Pflegebedürftige gerade vor dem Hintergrund einer womöglich großzügigeren Ausgestaltung der Sozialversicherungsleistungen im Ausland in einer besseren Lage befinden könnte als in D ... Weiter hat der EuGH betont, die Vorschriften des freien Dienstleistungsverkehrs könnten einem Versicherten nicht garantieren, dass ein örtlicher Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit neutral sei (s. EuGH v. 12.07.2012 – C 562/10 in juris, Rn 57). Wie vom Sozialgericht zutreffend angemerkt, korrespondiert hiermit auch die Entscheidung des EuGH vom 16.07.2009 (C-208/07), aus welcher sich ergibt, dass auch für den Fall, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der betreffende Sozialversicherte wohnt, keine entsprechenden Sachleistungen vorgesehen sind, nicht verlangt werden könne, dass diese Leistungen von dem zuständigen Träger oder zu dessen Lasten außerhalb des zuständigen Staates erbracht werden müssen.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Unterscheidung zwischen einer Geldleistung und einem Sachleistungsanspruch gerade den einschlägigen EU-Vorschriften entspricht und aus den Entscheidungen des EuGH abgeleitet werden kann, dass die Regelung des § 34 Abs. 1 SGB XI europarechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Senat hat daher keine Veranlassung für eine Vorabentscheidung durch den EuGH gesehen.

c Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin argumentiert, dass zwischen der Pflegegeldzahlung und der Pflegesachleistung kein Unterschied bestehe und entsprechend der Entscheidung des EuGH vom 05.03.1998 – C -160/96 ein Anspruch abzuleiten sei, ist diese Auffassung unzutreffend. Wie im Bereich der Krankenversicherung unterscheidet der Gesetzgeber für die gesetzliche und private Pflegeversicherung zwischen Geldleistungen (§ 37 SGB XI) und Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI). Darüber hinaus gibt es gemäß § 38 SGB XI Kombinationsleistungen. Im Unterschied zu der Gewährung von Pflegegeld beschafft sich der Versicherte die erforderlichen Leistungen nicht in eigener Zuständigkeit, vielmehr obliegt es der Pflegekasse, die erforderlichen Pflegeleistungen bereitzustellen und es erfolgt eine direkte Vergütung des Leistungserbringers. Es handelt sich somit um völlig unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen und einer erhöhten Verantwortlichkeit des Leistungsträgers für die Qualität der Pflegeleistungen. Dies wiederum rechtfertigt die Regelung des § 34 Abs. 1 SGB XI zum Leistungsexport.

Die Kostenentscheidung folgt aus 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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