L 2 AL 5/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 401/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 5/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Gründungszuschusses.

Mit Änderungsbescheid vom 8. Oktober 2014 stellte die Beklagte fest, dass der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld ab dem 20. September 2014 noch 353 Tage betrage. Der Kläger beantragte am 10. April 2015 einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nach § 93 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III). Er werde am 20. April 2015 eine selbstständige hauptberufliche Tätigkeit als Online Art Director aufnehmen. Das Finanzamt Hamburg N. bestätigte am 16. April 2015, dass der Kläger Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit angezeigt habe. Am 17. April 2015 nahm die fachkundige Stelle zur Tragfähigkeit der Selbständigkeit Stellung.

Mit Bescheid vom 28. Mai 2015 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Gründungszuschusses ab. Nach § 93 SGB III könne ein Gründungszuschuss geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer u.a. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe, dessen Dauer bei der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage betrage und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruhe. Der Kläger habe keinen ausreichenden Restanspruch auf Arbeitslosengeld mehr.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 29. Mai 2015 Widerspruch ein. Der Antrag auf Bewilligung eines Gründungszuschusses sei von ihm persönlich am 20. April 2015 eingereicht worden. Im vorausgegangenen Beratungsgespräch bei Herrn R. am Freitag, den 10. April 2015, sei ihm das Datum 21. April 2015 als letztmöglicher Termin zur Abgabe des Antrags auf Bewilligung eines Gründungszuschusses genannt worden. Im Servicecenter sei ihm ebenfalls eine Restanspruchsdauer von 161 Tagen auf Arbeitslosengeld mitgeteilt worden. Nach Auskunft des Verwaltungssystems sei die Sperrzeit von einer Woche vom 1. bis 7. Juni 2014 bei der Ermittlung der verbleibenden Zeit nicht berücksichtigt worden. Somit hätte der Antrag genau eine Woche vorher abgegeben werden müssen.

Als Antwort auf eine schriftliche Anfrage teilte Herr R. dem Kläger mit Schreiben vom 29. Mai 2015 mit, dass der Kläger seinen Antrag auf Gründungszuschuss am 20. April 2015 persönlich in der Agentur für Arbeit abgegeben habe. Er sei bei der Ausgabe der Antragsunterlagen auf den notwendigen Restanspruch auf Arbeitslosengeld von 150 Tagen hingewiesen worden. Die Bewilligung des Gründungszuschusses sei nicht im Vorwege erteilt worden. Die Bewilligung eines Gründungszuschusses könne erst nach Eingang der für den Antrag notwendigen Unterlagen erfolgen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Einwand des Klägers, dass er über seinen Restanspruch falsch beraten worden sei, rechtfertige keine andere Entscheidung, denn die Entscheidung, zu welchem Datum die Selbstständigkeit beginnen solle, fälle allein der Kläger.

Der Kläger hat hiergegen am 13. Juli 2015 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Am Freitag, dem 10. April 2015, sei der Kläger bei der Beklagten erschienen, da er sich zum 20. April 2015 als Online Art Director habe selbstständig machen wollen. Dem Kläger sei das Antragsformular übergeben und von Herrn R. sowie am Empfang mitgeteilt worden, dass er zur Einhaltung des notwendigen Restanspruchs seinen Antrag nebst vollständigen Unterlagen bis spätestens zum 21. April 2015 abzugeben habe. Die Bescheinigung des Finanzamtes sowie die Stellungnahme der fachkundigen Stelle nach § 93 SGB III hätte der Kläger auch am 13. April 2015 noch einholen und bei der Beklagten abgeben können. Am 20. April 2015 habe der Kläger seine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Im Verbis Vermerk vom 28. Mai 2015 stehe unter dem Betreff "Korrektur GZ Bewilligung" "bei erneuter Prüfung" festgestellt, dass keine 150 Tage Restanspruch bestünden. Nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sei die Einreichung der Unterlagen rechtzeitig erfolgt. Der Kläger wäre auch in der Lage gewesen, zwischen Freitag und Montag seine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. November 2017 abgewiesen. Der Kläger habe bei Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit am 20. April 2015 nicht die erforderliche Restanspruchsdauer auf Arbeitslosengeld von 150 Tagen gehabt. Auf eine etwaige Falschberatung komme es nicht an, weil eine Vorverlegung der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht möglich sei. Begebenheiten tatsächlicher Art wie die Aufnahme einer Tätigkeit könnten durch den Herstellungsanspruch nicht ersetzt bzw. zeitlich verschoben werden.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihm am 8. Januar 2018 zugestellte Urteil am 5. Februar 2018 Berufung eingelegt. Das Bundessozialgericht habe bislang keinen Fall entschieden, der mit dem vorliegenden vergleichbar sei. Die Beklagte sei an ihre falsche Entscheidung, dass zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufnahme der Selbstständigkeit am 20. April 2015 noch 150 Tage Restanspruch auf Arbeitslosengeld bestanden habe, gebunden. Es liege also nicht, wie das Gericht begründet habe, der Fall einer Ersetzung von Begebenheiten tatsächlicher Art vor, denn das Datum 20. April 2015 könne tatsächlich nicht ersetzt werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch führe aber dazu, dass es wieder bei der früheren rechtlichen Bewertung der Beklagten verbleibe, wonach am 20. April 2015 noch ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld von mehr als 150 Tage bestanden habe. Es komme wesentlich auf die Frage an, ob die Sperrzeit mitgerechnet werde. Es sei also nicht die selbstständige Tätigkeit auf einen anderen Termin umzudeuten, was unzulässig wäre, sondern die Sperrzeit sei bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen, so wie es bei der Beratung durch die Mitarbeiter angenommen worden sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. November 2017 und den Bescheid vom 28. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass es dem Kläger selbst möglich gewesen sei, mit Hilfe des Bewilligungsbescheids vom 8. Oktober 2014 die Restanspruchsdauer zu berechnen. Eine rechtlich wirksame Zusicherung sei mangels Schriftform in den angeblich anderslautenden Auskünften nicht zu sehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 7. November 2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG), aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Neubescheidung seines Antrags auf Gewährung eines Gründungszuschusses.

Nach § 93 Abs. 1 SGB III können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Ein Gründungszuschuss kann nach § 93 Abs. 2 SGB III geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht, der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit, die nach seinen eigenen Angaben am 20. April 2015 erfolgte, keinen Restanspruch mehr auf mindestens 150 Tage Arbeitslosengeld. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass er bereits zuvor Vorbereitungshandlungen im Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich verrichtet hat.

Für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bleibt kein Raum, weil der eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 2008 – B 11 AL 52/07 R, juris). Eine Amtshandlung kann vorliegend nicht die zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich unterbliebene Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit zu einem früheren Zeitpunkt ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 28/08 R –, juris). Es ist auch nicht möglich, bei der Entscheidung über den Gründungszuschuss noch von einem verbliebenen Restanspruch von 150 Tagen am 20. April 2015 auszugehen, weil es sich dabei ebenfalls nicht um eine zulässige Amtshandlung handeln würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved