S 64 AS 7585/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
64
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 64 AS 7585/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Aus § 15 Abs 3 SGB II a.F. folgt kein Schadensersatzanspruch des Jobcenters gegen den Leistungsempfänger wegen Abbruchs einer Maßnahme aus der Eingliederungsvereinbarung, wenn die darin getroffenen Schadensersatzregelungen in sich widersprüchlich sind.
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu tragen. Die Beigeladene hat ihre Kosten selbst zu tragen. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II über die Pflicht des beklagten Leistungsempfängers, dem klagenden Leistungsträger wegen des Abbruchs einer Weiterbildungsmaßnahme Schadensersatz zu leisten.

Der Kläger erteilte dem 1977 geborenen Beklagten, der bei ihm Leistungen nach dem SGB II bezog, am 22. August 2014 einen Bildungsgutschein für eine Maßnahme zur Erlangung der Fähigkeiten für die Ausübung des Hausmeisterberufs. Taggleich schlossen der Kläger und der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung (im Folgenden: EGV) für die Zeit bis 21. Februar 2015, in der der Kläger dem Beklagten die Förderung der Maßnahme "berufliche Weiterbildung/Qualifizierung zur Fachkraft Hausmeisterdienste (34102-101)" bei der Beigeladenen zusagte. Der Beklagte verpflichtete sich im Wesentlichen zur Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme. Weiter hieß es hinsichtlich seiner Pflichten in der EGV u.a.:

"Sie verpflichten sich, bei Abbruch der Maßnahme aus einem von Ihnen zu vertretenden Grund an den Träger der Grundsicherung Schadensersatz zu leisten.

Der Schadensersatz umfasst den tatsächlich durch das Nichtbeenden der Bildungsmaßnahme eingetretenen Schaden, maximal jedoch einen Betrag von 30 Prozent der Lehrgangskosten. Da sich die Lehrgangskosten auf insgesamt 2435,02 Euro belaufen, beträgt die maximale Schadensersatzforderung 730,56 Euro.

Der tatsächliche Schaden wird unter Ausübung von pflichtgemäßem Ermessen durch das Jobcenter (der jeweiligen Vermittlungsfachkraft) ermittelt. Grundsätzlich stellen die Kosten des Jobcenters einen Schaden dar, die nach Abbruch der Maßnahme entstehen. Der Maßnahmeträger hat im Zusammenhang mit dem Abbruch Anspruch auf Zahlung zwei zusätzlicher Raten (je 811,67 Euro) der Lehrgangskosten. Die Höhe der monatlichen Raten können Sie zusätzlich dem Berechnungsbogen Ihres Bewilligungsbescheides entnehmen. Der Berechnungsbogen wird insofern Teil dieser Eingliederungsvereinbarung.

In besonderen Einzelfällen können die gesamten Lehrgangskosten als Schaden festgelegt werden, so dass die Schadenshöhe gegebenenfalls den Betrag der zwei nach Abbruch der Maßnahme fälligen Raten übersteigt. Ein solcher Einzelfall ist in der Regel anzunehmen, wenn Sie weniger als 30 % des Zeitraums bis zum Abbruch der Maßnahme anwesend waren oder Ihr Verhalten in der Maßnahme die Annahme zulässt, dass es Ihnen lediglich um den Erhalt einer Teilqualifikation innerhalb der Maßnahme ankam (z. Bsp. Erwerb des Führerscheins) oder Sie eine Maßnahme zum wiederholten Male abgebrochen haben oder ein gleichwertiger Grund vorliegt, der die Annahme eines derartigen Einzelfalls rechtfertigt.

Die Höhe der Schadensersatzpflicht kann bei Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalls um bis zu 30 von Hundert gesenkt werden. Ein begründeter Ausnahmefall wird in der Regel nicht angenommen und muss von Ihnen ausführlich begründet und nachgewiesen werden. Gründe für die Annahme einer solchen Ausnahme können unter anderem die finanzielle Situation (Überschuldung, Privatinsolvenz, Höhe des Einkommens) oder persönliche Verhältnisse (Größe der Bedarfsgemeinschaft, Alter des Kindes) sein. Soweit anzunehmen ist, dass solche Umstände den Verschuldensgrad mindern, kann die Höhe der Schadensersatzpflicht um bis zu 30 von Hundert der ursprünglichen Forderung gesenkt werden. Das Beenden einer Maßnahme aufgrund unentschuldigter Fehlzeiten schließt eine Verringerung der Höhe der Schadensersatzpflicht regelmäßig aus."

Der Beklagte meldete sich unter Vorlage des Bildungsgutscheins am 25. August 2014 für die Maßnahme "Modulare Qualifikation zur Fachkraft für Hausmeisterdienste", Maßnahmenummer 962-475-14, im Zeitraum 1. September bis 26. November 2014 bei der Beigeladenen, eines zertifizierten Bildungsträgers, an. Ebenfalls am 25. August 2014 schlossen der Beklagte und die Beigeladene einen "Qualifizierungsvertrag", auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 18 d.VV). Unter Ziffer 5 hieß es dort: "Die Lehrgangskosten betragen 2.435,20 EUR. Bei einer Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit/Deutsche Rentenversicherung werden die Kosten durch die jeweiligen Dienststellen getragen."

Mit Bescheid vom 12. September 2014 bewilligte der Kläger dem Beklagten für die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme nach § 16 SGB II in Verbindung mit (i.V.m.) §§ 81 ff. SGB III Lehrgangsgebühren in Höhe von 2.435,20 EUR und Fahrkosten in Höhe von 108 EUR. Die Lehrgangsgebühren sollten in drei Monatsraten zu je 811,71 EUR ("ab 1. Oktober 2014 zwei Raten monatlich nachträglich" sowie "am 1. Dezember 2014 einmalig") an die Beigeladene überwiesen werden.

Der Beklagte nahm im Oktober 2014 zum letzten Mal an der Maßnahme teil, was die Beigeladene dem Kläger Mitte November 2014, mithin nach Zahlung der ersten beiden Raten mitteilte. Am 1. Dezember 2014 überwies der Kläger der Beigeladenen die letzte Rate à 811,71 EUR.

Nach Prüfung der Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht bei Abbruch einer Bildungsmaßnahme anhand eines gleichlautenden Formulars machte der Kläger gegenüber dem Beklagten mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 Schadensersatz in Höhe von 730,56 EUR geltend. Der Beklagte habe ab dem 10. September 2014 mehrfach unentschuldigt gefehlt. Da das Maßnahmeziel nicht mehr erreichbar gewesen sei, habe die Maßnahme am 6. Oktober 2014, dem letzten Anwesenheitstag, abgebrochen werden müssen. Ein wichtiger Grund, der einen unverschuldeten Abbruch darstelle und eine Schadensersatzpflicht ausschließen könne, liege nicht vor. Eine Nachbesetzung sei nicht möglich gewesen. Ein zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Abbruchs im November 2014 zugewiesener Teilnehmer hätte das Maßnahmeziel ebenfalls nicht erreichen können, weil bereits ein Großteil des Unterrichtsstoffs zu diesem Zeitpunkt vermittelt gewesen sei. Der tatsächlich entstandene Schaden belaufe sich auf 811,74 EUR, weil dieser Betrag an die Beigeladene aufgrund des Abbruchs gezahlt worden sei. Da laut EGV vom 22. August 2014 die Schadensersatzhöhe 30 % der Lehrgangskosten nicht überschreiten dürfe, werde ein Betrag von 730,56 EUR verlangt.

Nachdem der Beklagte die geltend gemachte Forderung laut einer Auskunft des Inkasso-Services des Klägers vom 10. Februar 2016 bis dahin nicht beglichen hatte, hat dieser am 26. Mai 2016 Klage zum Sozialgericht erhoben. Er hat zur Erläuterung seiner Rechtsauffassung vorgetragen:

Vertragliche Grundlage für Zahlungsverpflichtungen des Klägers gegenüber der Beigeladenen seien die Regelungen im "Kurzfragebogen für eine Weiterbildungsmaßnahme, die von einer fachkundigen Stelle zugelassen wurde" (im Folgenden: Kurzfragebogen), welcher am 18. Juli 2014 anlässlich der Vorlage eines Bildungsgutscheins durch Herrn T. W. für die Maßnahme "modulare Qualifikation zur Fachkraft für Hausmeisterdienste", Veranstaltungs-ID 2968773, und für den Zulassungszeitraum 4. April 2014 bis 3. April 2017 ausgefüllt worden sei. Ein solcher Kurzfragebogen werde im Zuge des auf die jeweilige Maßnahme gerichteten Zulassungsverfahrens nach erfolgter Anerkennung des Bildungsträgers und der fraglichen Maßnahme durch eine externe Zertifizierungsstelle vom Operativen Service der Bundesagentur für Arbeit erstellt und je Maßnahme stets nur einmal, und zwar mit den Angaben des zuerst angemeldeten Teilnehmers, ausgefüllt. Es liege in der Natur der Sache des gesetzlich vorgesehenen Zulassungsverfahrens und dem Grundsatz der freien Bildungsträgerwahl bei ausgestelltem Bildungsgutschein, dass es keine weiteren Verträge zwischen der Agentur für Arbeit und dem Bildungsträger hinsichtlich jedes einzelnen Maßnahmeteilnehmers gebe.

In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2018, zu der der Beklagte trotz ihm zugegangener Ladung nicht erschienen ist, hat der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 730,56 EUR zu zahlen.

Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Klägers. Die genannten Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und lagen der Kammer bei ihrer Beratung und Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe:

Da der Beklagte unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Entscheidung in seiner Abwesenheit per Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten am 18. August 2018 zur mündlichen Verhandlung am 21. September 2018 geladen worden ist und ein Grund für sein Ausbleiben weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, konnte die Kammer aufgrund mündlicher Verhandlung ohne seine Beteiligung durch Urteil entscheiden.

Die als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthafte (vgl. SG Berlin, Urteil v. 27. November 2012 - S 172 AS 7624/12 - juris Rn. 35 ff. m.w.N.) und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 730,56 EUR gegen den Beklagten.

Als Anspruchsgrundlage für die geforderte Zahlung kommt allein die EGV vom 22. August 2014 in Betracht. Nach § 15 Abs. 3 SGB II in der bis 31. Juli 2016 gültigen Fassung (a.F.) soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). § 15 Abs. 3 SGB II a.F. bestimmt: Wird in der Eingliederungsvereinbarung eine Bildungsmaßnahme vereinbart, ist auch zu regeln, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen die oder der erwerbsfähige Hilfebedürftige schadenersatzpflichtig ist, wenn sie oder er die Maßnahme aus einem von ihr oder ihm zu vertretenden Grund nicht zu Ende führt. Da diese Vorschrift nur den äußeren Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen eine – von ihr gleichsam vorausgesetzte – Schadensersatzpflicht bestehen kann (vgl. Gagel/Fuchsloch, SGB II / SGB III, 70. EL Juni 2018, SGB II § 15 Rn. 107), kann sie nicht als Rechtsgrundlage dienen. Anspruchsgrundlage kann demnach, wie ausgeführt, nur die EGV selbst sein.

Vorliegend haben der Kläger und der Beklagte in der – von beiden unterschriebenen, schriftlich getroffenen – EGV vom 22. August 2014 eine konkrete Bildungsmaßnahme vereinbart. Es waren daher zwingend (vgl. Fuchsloch, a.a.O., Rn. 106 m.w.N.) die nach § 15 Abs. 3 SGB II a.F. vorgesehenen Regelungen zur Schadensersatzpflicht in die EGV aufzunehmen. Auf diese kann der Kläger einen Zahlungsanspruch indes nicht mit Erfolg stützen.

Der Maßstab für die Prüfung der in einer Eingliederungsvereinbarung bestimmten Obliegenheiten oder Pflichten folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. dem Recht der öffentlich-rechtlichen Verträge nach §§ 53 ff. SGB X; denn Eingliederungsvereinbarungen sind ihrer Rechtsqualität nach öffentlich-rechtliche Verträge in der Form des subordinationsrechtlichen Austauschvertrags nach §§ 53 Abs. 1 Satz 2, 55 SGB X (vgl. BSG, Urteil v. 23. Juni 2016 - B 14 AS 30/15 R - juris Rn. 16 m.w.N.). Danach ist eine EGV wirksam, wenn sie nicht nichtig ist; sie ist über die Prüfung, ob Nichtigkeitsgründe vorliegen, hinaus allerdings nicht auch darauf hin zu prüfen, ob sie rechtswidrig ist.

Gemessen an diesem Maßstab ist die EGV vom 22. August 2014 zwar wirksam zustande gekommen. Sie ist jedoch – jedenfalls soweit (vgl. § 58 Abs. 3 SGB X) sie Regelungen zu einer Schadensersatzpflicht des Beklagten enthält – gemäß §§ 58 Abs. 2 Nr. 4, 55 SGB X nichtig. Damit fehlt es an einer Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Zahlungsanspruch.

Gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 4 SGB X ist ein Vertrag nach § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X nichtig, wenn sich die Behörde eine nach § 55 SGB X unzulässige Gegenleistung versprechen lässt. Insofern bestimmt § 55 Abs. 1 SGB X, dass die Gegenleistung für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart werden und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienen muss (Satz 1). Die Gegenleistung muss ferner den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (Satz 2). Die Voraussetzung der Angemessenheit konkretisiert das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes. Sinn und Zweck der besonderen Anforderungen des § 55 SGB X ist insbesondere der Schutz des Bürgers als Vertragspartner der Behörde (Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 55 Rn. 56 ff. m.N.).

Die eine Schadensersatzpflicht des Beklagten betreffenden Regelungen in der EGV vom 22. August 2014 sind unabhängig von der Frage der wirtschaftlichen Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung nicht angemessen, weil sie in sich widersprüchlich sind. Eine in sich widersprüchliche Regelung einer Schadensersatzpflicht im Fall eines zu vertretenden Maßnahmeabbruchs ist freilich weder geeignet noch erforderlich, den Zweck der einschlägigen gesetzlichen Vorgaben, den Anreiz für den Betroffenen zu erhöhen, die Bildungsmaßnahme planmäßig zu beenden (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 54), zu erfüllen.

Der EGV vom 22. August 2014 lässt sich bereits nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob der Schadensersatz im Fall des Abbruchs der Maßnahme auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens, des sog. positiven Interesses, oder des Vertrauensschadens, des sog. negativen Interesses, gerichtet ist. Diese grundlegende Unterteilung der Schadensarten findet vorliegend allerdings Anwendung. § 15 Abs. 3 SGB II a.F. bietet weder seinem Wortlaut oder der Binnensystematik noch der Gesetzgebungshistorie (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 53) nach Anhaltspunkte für die Annahme, der dort vorausgesetzte Schadensersatzanspruch bestimme sich losgelöst von § 61 Satz 2 SGB X und den Grundsätzen des bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzrechts der §§ 249 ff. BGB nach abweichenden, sozialrechtsspezifischen Maßstäben.

Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung des Schadens ist demnach die Differenzhypothese (zum Folgenden vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, Vorb. v. § 249 Rn. 9 ff.). Nach dieser besteht der Schaden in der Differenz zwischen zwei Güterlagen: der tatsächlich durch das Schadensereignis geschaffenen und der unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachten. Ein Vermögensschaden ist gegeben, wenn der jetzige tatsächliche Wert des Vermögens des Geschädigten geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis haben würde. Für den – vor allem bei Nichteinhaltung einer Leistungspflicht aus Rechtsgeschäft vorgesehenen – Ausgleich des positiven Interesses (Nichterfüllungsschaden; "Schadensersatz statt der Leistung") ist der Gläubiger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt hätte. Ist hingegen wegen Nichtzustandekommens eines wirksamen Rechtsgeschäfts Schadensersatz zu leisten, wird für das negative Interesse gehaftet (Vertrauensschaden): Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte.

In der EGV vom 22. August 2014 haben der Kläger und der Beklagte festgehalten, der Schadensersatz umfasse "den tatsächlich durch das Nichtbeenden der Bildungsmaßnahme eingetretenen Schaden". Diese Formulierung lässt nicht erkennen, ob im Haftungsfall Schadensersatz in Form des positiven oder des negativen Interesses zu leisten ist.

Für das Nichterfüllungsinteresse (positives Interesse) spricht, dass die Schadenersatzpflicht an das Nichtbeenden der Bildungsmaßnahme, mithin an eine Pflichtverletzung in einer laufenden Leistungsbeziehung anknüpft. Der bei der Prüfung des positiven Interesses vorzunehmende Vergleich der tatsächlichen mit der hypothetischen Vermögenssituation des Klägers ergibt jedoch keinen Schaden. In dem hypothetischen Fall, dass der Beklagte die Maßnahme ordnungsgemäß beendet hätte, hätte der Kläger die Lehrgangskosten vollständig an die Beigeladene zu zahlen gehabt und wäre vermögensmäßig nicht besser gestellt. Insofern ist das positive Interesse "durch das Nichtbeenden der Bildungsmaßnahme" nicht berührt.

Hieran ändert sich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sog. Mindestschaden (vgl. BGH, Urteil v. 22. Oktober 1999 - V ZR 401/98 - juris Rn. 17) nichts. Danach besteht im Rahmen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung eine Vermutung dafür, dass die zur Erlangung der Gegenleistung erbrachten Aufwendungen und Leistungen durch den erwarteten Vorteil aufgewogen worden wären ("Rentabilitätsvermutung"), so dass der Ersatz dieser Aufwendungen und Leistungen als Mindestschaden verlangt werden kann. Hierbei handelt es sich indes lediglich um eine Beweiserleichterung, nicht um eine Erweiterung des Schadensbegriffs (Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 249 Rn. 60). Im vorliegenden Streitverhältnis, in dem Eingliederungsleistungen und Eingliederungsbemühungen – anders als beim bürgerlich-rechtlichen rechtsgeschäftlichen Austausch von Leistung und Gegenleistung – nicht in einem strikten, synallagmatischen Gegenseitigkeits-, sondern in einem "hinkenden" Austauschverhältnis standen (vgl. Berlit in: Münder, SGB II, 6. Aufl. 2017, § 15 Rn. 17 m.w.N.), vermag die Kammer bereits keine Grundlage für die Annahme einer Rentabilitätsvermutung zu erkennen. Der vom Kläger erwartete Vorteil bestand zudem lediglich in einer besseren Qualifikation des Leistungsempfängers und folglich einer höheren Erfolgsaussicht seiner Arbeitsvermittlungsbemühungen. Mangels entsprechenden belegten Vortrags des Klägers oder anderweitiger, ansatzweise hinreichend gesicherter Erkenntnisse hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer Vermittlung von Leistungsempfängern in der Situation des Beklagten, welche die fragliche Qualifikation aufweisen können, ist die Annahme, die Investition des Klägers in die Fortbildung des Beklagten hätte sich rentiert, nicht gerechtfertigt. Die vom Kläger getätigten Aufwendungen liegen außerhalb der Rentabilitätsvermutung.

Soweit der "tatsächlich durch das Nichtbeenden der Bildungsmaßnahme" eingetretene Schaden somit nur unabhängig von der Rentabilitätsvermutung als Ersatz vergeblicher Aufwendungen in Betracht kommt, steht dies strukturell einem Schadensersatzverlangen nach § 284 BGB nahe. Nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, der Zweck wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden. Damit hat der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsreform das als unangemessen empfundene Ergebnis korrigiert, dass der Gläubiger, der einen Vertrag z.B. zu ideellen Zwecken geschlossen hat, nach der alten Rechtslage keinen Ersatzanspruch hatte, wenn seine Aufwendungen wegen eines Vertragsbruchs des Schuldners fehlschlugen und er sich nicht auf die Rentabilitätsvermutung berufen konnte. Das den in der EGV vom 22. August 2014 getroffenen Regelungen zugrundeliegende Verständnis der Schadensersatzpflicht des Beklagten lässt sich jedoch hiermit ebenfalls nicht in Einklang bringen. Insbesondere die Aussagen zum Umfang des Schadensersatzes stehen der Annahme entgegen, es solle sich um einen Ersatz vergeblicher Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Erwerb der Qualifikation des Beklagten billigerweise getätigt worden seien, handeln. Denn die "Kosten , die nach Abbruch der Maßnahme entstehen", bzw. die dem Maßnahmeträger "im Zusammenhang mit dem Abbruch" geschuldeten "zwei zusätzliche[n] Raten (je 811,67 Euro) der Lehrgangskosten" stellen keine Aufwendungen dar, die im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung, nämlich die erfolgreiche Qualifizierung des Beklagten getätigt werden konnten. Im Zeitpunkt, in dem sich der Kläger zur Zahlung der sog. Abbruchraten verpflichtet sah, musste er vielmehr mit dem Nichterhalt der Leistung rechnen. Dahinstehen kann daher, ob die Zahlung von Abbruchraten – auch unter Einbeziehung des Rechtsgedankens des § 254 BGB – billigerweise erfolgen durfte. Insoweit bestehen vorliegend allerdings Zweifel, da der Kläger das Bestehen einer vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtung gegenüber der Beigeladenen zur Zahlung zusätzlicher Raten nach Beendigung der Maßnahme nicht im Einzelnen belegen konnte (vgl. auch SG Berlin, Urteil v. 11. September 2017 - S 135 AS 26993/14 - juris Rn. 39 ff.). Dies folgt nach Auffassung der Kammer neben den von der 135. Kammer a.a.O. angeführten Gründen hier auch aus dem Umstand, dass sich die in der EGV, im ausgefüllten Bildungsgutschein und im eingereichten Kurzfragebogen genannten Maßnahmenummern nicht decken.

Unter Berücksichtigung des vorstehend Ausgeführten spricht einiges dafür, dass die Ersteller der EGV vom 22. August 2014 eine auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtete Schadensersatzpflicht des Beklagten vor Augen hatten (vgl. auch Fuchsloch, a.a.O., Rn. 104). Insoweit könnten die gesamten Maßnahmekosten als Vertrauensschaden angesetzt werden, wenn sie als nutzlos gewordene Aufwendungen verstanden würden, die der Kläger in Erwartung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Vertragspflicht, hier der eigenverantwortlichen Durchführung der Maßnahme durch den Beklagten, erbracht hat. Dem entspricht, dass sich der Kläger in der EGV vorbehalten hat, "[i]n besonderen Einzelfällen" die gesamten Lehrgangskosten als Schaden zu verlangen.

Im Ergebnis trägt diese Begründung indes ebenfalls nicht. Da es sich auch insoweit um den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen handelt, könnte nach den bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen ein ersatzfähiger Schaden erneut nur unter Heranziehung der Rentabilitätsvermutung angenommen werden. Deren Anwendung scheidet freilich, wie ausgeführt, aus. Der Ersatz des negativen Interesses wird zudem im Zivilrecht grundsätzlich nur dann erwogen, wenn das Rechtsgeschäft nicht zustande gekommen ist (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorb. v. § 249 Rn. 17); ein wirksam zustande gekommener Vertrag lässt hingegen regelmäßig keinen Raum für die Geltendmachung des Vertrauensschadens. Vorliegend ist jedoch unstreitig, dass die EGV vom 22. August 2014 wirksam zustande gekommen ist. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Kläger, wäre die EGV nicht abgeschlossen worden, gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II a.F. dieselben Leistungen zur Eingliederung in Form eines Verwaltungsakts zu erbringen gehabt hätte. Auch ohne EGV wären damit die Maßnahmekosten entstanden (vgl. Fuchsloch, ebd.).

Eine Gesamtschau der Regelungen der EGV vom 22. August 2014 führt mithin zu dem Ergebnis, dass eine in sich schlüssige, widerspruchsfreie Schadensersatzpflicht des Beklagten nicht begründet wurde. Unter Berücksichtigung der ratio legis des § 15 Abs. 3 SGB II a.F. sowie unter Einbeziehung des Umstands, dass der Kläger nach der EGV berechtigt war, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens die Höhe des tatsächlichen Schadens nachträglich festzulegen, drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die fraglichen Regelungen in der EGV stehen einer Vertragsstrafe (vgl. §§ 309 Nr. 6, 340 ff. BGB) näher als der Bestimmung von Umfang und Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht. Im Verhältnis des Klägers zum – jedenfalls damals – existenzsichernde Leistungen beziehenden Beklagten stellt eine Vertragsstrafe indes mangels Angemessenheit keine zulässige Gegenleistung des Leistungsempfängers im Sinne von §§ 58 Abs. 2 Nr. 4, 55 SGB X dar, mit der die Leistungen des Grundsicherungsträgers im Rahmen einer EGV gekoppelt werden können (vgl. auch SG Berlin, Urteil v. 27. November 2012, a.a.O., juris Rn. 59).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache. § 197a SGG findet keine Anwendung, da der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Anlass, dem Kläger die Verfahrenskosten der Beigeladenen aufzuerlegen, bestand nicht.

Die – nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulassungsbedürftige – Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Gestaltung der EGV vom 22. August 2014 entspricht den Fachlichen Weisungen zu § 15 SGB II a.F. sowie der von der Bundesagentur für Arbeit im maßgeblichen Zeitpunkt herausgegebenen Muster-EGV. Die vorliegende Klageabweisung beruht auf der Annahme, die dort getroffenen Regelungen zur Schadensersatzpflicht sind nichtig. Allein beim Sozialgericht Berlin ist eine erhebliche Anzahl von offenen, rechtlich gleichgelagerten Fällen anhängig. Daher besteht ungeachtet des Umstands, dass die streitentscheidende Rechtsfrage ausgelaufenes Recht betrifft, Klärungsbedarf.
Rechtskraft
Aus
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