L 16 AS 346/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 548/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 346/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei Nutzung zweier Unterkünfte durch den Leistungsberechtigten werden Kosten der Unterkunft und Heizung nur für die Wohnung gewährt, die der Leistungsberechtigte nachweislich vorrangig zu Wohnzwecken nutzt.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. April 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung höherer Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum 11.01.2010 bis 31.12.2010.

Der 1960 geborene Kläger und Berufungskläger ist ausgebildeter Maurer. Im streitigen Zeitraum betrieb er auf selbstständiger Basis u.a. die Fahrzeugwartung, den Verkauf und die Vermittlung von Fahrrädern und Mopeds (Gewerbeummeldung vom 26.06.2008). Von der Bundesagentur für Arbeit hatte er in der Zeit vom 30.06.2008 bis zum 29.09.2009 einen Gründungszuschuss zuletzt in Höhe von 300 EUR monatlich erhalten. In der Zeit von 09.07.2009 bis 07.01.2010 hatte er Arbeitslosengeld I bezogen.

Der Kläger war seit 1992 Alleineigentümer einer Immobilie in der W-Straße 18 in A-Stadt, nachdem er seinen Brüdern deren Anteile abgekauft hatte. Er erzielte Mieteinnahmen und hatte Finanzierungskosten. Auf dem Grundstück mit einer Fläche von 440 qm stehen ein Wohnhaus mit einer Wohnfläche von 136 qm (Baujahr 1883), vier Garagen und ein Schuppen.

Am 02.04.2009 stellte der Kläger Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II; die Antragsformulare legte er dem Beklagten am 27.07.2009 und am 04.12.2009 vor. Er wohnte in einer Drei-Zimmer-Wohnung (mit Küche und Bad) in der A-Straße in A-Stadt, die er 1985 angemietet hatte. Die 74 qm große Wohnung hatte den Angaben des Klägers zufolge einen "Wohnflächenanteil" von 62 qm. Er leistete eine monatliche Mietzahlung in Höhe von 240,84 EUR (157,84 EUR zzgl. 83 EUR).

In der beim Beklagten am 27.07.2009 eingegangenen Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit im Zeitraum April bis Oktober 2009 (Anlage EKS) gab er als Betriebssitze für seine selbstständige Tätigkeit die T-Straße und die W-Straße an und machte für "Miete Büro + Werkstatt" Kosten in Höhe von 528,12 EUR geltend. In der Anlage EKS vom 01.12.2010 (Eingang beim Beklagten am 06.12.2010) für den Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2010 gab er als Betriebsstätte die W-Straße an und erklärte, dass er drei Räume mit insgesamt 27,68 qm als Büro nutze "+ Werkstattnutzung und Lager". In der Anlage EKS vom 17.02.2011 gab er für den Bewilligungszeitraum Januar bis Juni 2011 erneut die W-Straße als Betriebsstätte an und beantwortete die Frage, wieviele Quadratmeter auf die gewerblich genutzten Räume entfallen würden, damit, dass wegen der notwendigen Renovierungen eine genaue Aufteilung noch nicht möglich sei. Die Raumkosten veranschlagte er auf monatlich 450 EUR (März 2010), 500 EUR (April 2010), 540 EUR (Mai 2010), 600 EUR (Juni 2010) und auf monatlich 500 EUR im Zeitraum Juli 2010 bis Juni 2011.

Im Dezember 2009 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er zum Jahreswechsel in sein Haus in der W-Straße ziehen würde, und fügte die entsprechende Meldebescheinigung vom 18.12.2009 bei. Am 27.01.2010 bezifferte er die Fläche der eigenen Wohnung in der W-Straße mit 111 qm (von 136 qm), mit Hinweis darauf, dass 25 qm vermietet seien und er Mieteinnahmen in Höhe von 110 EUR habe. Die Kosten für den Hausbesitz beliefen sich, so der Kläger im Januar 2010, auf 1158,73 EUR monatlich zzgl. Heizung und Strom.

Der Beklagte lehnte im Februar 2010 den "Antrag vom 11.01.2010" für die Zeit vom 11.01.2010 bis 30.06.2010 ab. Im nachfolgenden Gerichtsverfahren am Sozialgericht Augsburg (S 6 AS 816/10) schlossen die Beteiligten am 09.11.2010 einen Vergleich, in dem sich der Beklagte bereit erklärte, dem Kläger für die Zeit ab 11.01.2010 Arbeitslosengeld II dem Grunde nach vorläufig zu gewähren. Mit Bescheiden vom 04.01.2011 und vom 05.05.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Grundsicherungsleistungen in Höhe des Regelbedarfs für die Zeiträume 11.01.2010 bis 30.06.2010, 01.07.2010 bis 31.11.2010 und 01.12.2010 bis 31.12.2010 (monatlich 359 EUR, für Januar 251,30 EUR) und wies darauf hin, dass der Vergleich nur hinsichtlich der Regelleistung habe umgesetzt werden können und der Kläger Nachweise über Kosten der Unterkunft nachreichen wolle. Im Februar/ März 2011 legte der Kläger Aufstellungen zu seinen Wohnkosten in der W-Straße 18 vor. Er machte monatliche Finanzierungskosten ("Schulden, Schuldzinsen, Tilgung") in Höhe von 894,89 EUR (incl. Abzahlung bei seinem Bruder, monatlich 383,47 EUR, und Gebäudeabschreibung, 2.418 EUR in 2010), monatliche Betriebskosten in Höhe von 108,42 EUR (zum Teil geschätzt) und jährliche Heizkosten in Höhe von 2.093,33 EUR geltend.

Nachdem beim Beklagten am 10.01.2011 ein anonymes Schreiben eingegangen war, wonach der Kläger zwar behaupte, in seiner Wohnanlage in der W-Straße zu wohnen, tatsächlich aber weiterhin unter seiner alten Adresse in der T-Straße wohne, beauftragte der Beklagte seinen Außendienst damit, die tatsächlichen Aufenthaltsverhältnisse zu ermitteln. Bei sechs Versuchen an den Tagen 09.02.2011 (11.20 Uhr, 11.50 Uhr), 10.02.2011 (11.30 Uhr, 11.50 Uhr) und 15.02.2011 (8.30 Uhr; 8.45 Uhr) war der Kläger weder in der W-Straße noch in der T-Straße anzutreffen. In einem Telefonat am 15.02.2011 sei der Kläger nicht bereit gewesen zu sagen, wo er sich aufhält, habe es abgelehnt, einen Besuchstermin zu vereinbaren, und habe erklärt, dass er keine Auskunft geben müsse. Er habe erklärt, dass er auf dem Postweg erreichbar sei und dass das auch reichen müsse. Am 03.03.2011 traf der Außendienst den Kläger erneut nicht an.

Bei einem persönlichen Gespräch mit einem Sachbearbeiter des Beklagten am 24.02.2011 erklärte der Kläger ausweislich eines von ihm unterschriebenen Vermerks über den Gesprächsinhalt, dass er vor ca. einem Jahr aus der Wohnung in der T-Straße ausgezogen sei und seitdem in der W-Straße lebe. Da die Wohnung in der W-Straße sehr renovierungsbedürftig sei, stünde ein Großteil der Möbel noch in der A-Straße. Auch das Arbeitszimmer befinde sich in der A-Straße. Die Werkstatt sei allerdings in der W-Straße. Er habe aus gesundheitlichen Gründen Arbeits- und Wohnbereich räumlich trennen müsse; nur so sei es ihm möglich, sich auf seine Arbeit besser zu konzentrieren und nachts schlafen zu können. Er zahle Mietkosten für die Wohnung in der A-Straße. Es würden auch Kosten der Unterkunft für die Wohnung in der W-Straße anfallen (Heizkosten, Strom, Betriebskosten, Zinsen). Die Ausgaben für beide "Wohnungen" habe er bisher durch Darlehen finanziert. In einem weiteren vom Kläger unterschriebenen Gesprächsvermerk vom 24.02.2011 ist festgehalten, dass er sich bezüglich der Rechtsgrundlage eines Hausbesuchs erst mit seinem Anwalt in Verbindung setzen wolle, bevor der Besuch des Außendienstes durchgeführt wird.

Ende April erklärte sich der Kläger unter der Bedingung, dass er vom Beklagten im Anschluss an den Besuch in seiner Wohnung die Wohnkosten erhalten würde, bereit, mit dem Außendienst des Beklagten einen Termin zu vereinbaren, verlangte aber die vorherige Mitteilung, was der genaue Auftrag des Außendienstmitarbeiters sei. Der Beklagte stellte Anfang Mai gegenüber dem Kläger fest, dass eine Überprüfung der Frage, ob der Kläger tatsächlich in der W-Straße lebe, bisher nicht habe erfolgen könne, weil dieser bei unangekündigten Terminen nicht erreichbar gewesen sei und keinem Terminvorschlag zugestimmt habe.

Am 23.05.2011 führte der Außendienst des Beklagten einen Hausbesuch in der W-Straße durch. Im Auftragsprotokoll ist im Wesentlichen Folgendes dokumentiert:

- Der Kläger wohne im 1. Stock des Hauses.

- Im Wohnzimmer würden sich ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch sowie ein Stuhl befinden, wobei der Schrank nur aufgebaut, aber leer gewesen sei, da man durch die leicht geöffnete Schranktür die dahinter befindliche Zimmerwand habe sehen können. Auf dem Schreibtisch hätten sich verschiedene Unterlagen des Klägers befunden. Auf einem Stuhl hätte etwas Kleidung gelegen, in einer Plastiktüte sei ebenfalls ein wenig Kleidung vorhanden gewesen, von der der Kläger behauptet habe, dass sie ihm gehöre. Er habe erklärt, dass ein Teil seiner Kleidung beim Waschen bzw. beim Nähen sei und deshalb zur Zeit nicht mehr Kleidung da sei.

- In der Küche sei neben einigen Küchenmöbelstücken eine Duschkabine installiert. Auf dem Boden vor der Dusche befänden sich eine Matratze und Bettzeug. Der Kläger behaupte, dass er dort schlafen würde. Auf die Frage, ob er Nahrungsmittel vorrätig habe, habe er Honig, Ketchup, Marmelade und eine Packung Fertigsalat gezeigt.

- Der Kläger habe erklärt, dass er das Bad zur Zeit nicht nutze.

- Die anderen beiden Räume nutze der Kläger als Lagerräume. Dort seien größtenteils Kartons untergebracht, in denen sich Kleidung, Umzugsgut und eine große Anzahl weiterer Besitztümer (auch weitere Küchenmöbel) des Klägers befinden würden. Im Gang und im Bad würden außerdem Autoteile gelagert.

- Im Erdgeschoss befinde sich ein WC, das der Kläger nutze.

- Alle vorgefundenen Räume, bis auf die Toilette, seien in einem sehr baufälligen Zustand. Der Kläger habe behauptet, dass er über keine Mittel verfüge, um die Renovierung des Hauses fortzuführen.

- Nach der Besichtigung des Hauses sei der Kläger gebeten worden, jetzt noch die Räume in der T-Straße zu zeigen. Dies habe er abgelehnt und erklärt, dass dies erst nach Absprache mit seiner Rechtsanwältin möglich sei. Außerdem bitte er um einen schriftlich zu vereinbarenden Besichtigungstermin in der T-Straße; es sei niemals von einer Besichtigung der Räumlichkeiten in der T-Straße die Rede gewesen.

Der Beklagte lehnte daraufhin die Übernahme von Unterkunftskosten ab, weil die Zweifel, dass der Kläger nicht wie angegeben in der W-Straße wohne, nicht hätten ausgeräumt werden können, nachdem er einer Besichtigung der Wohnung in der T-Straße nicht zugestimmt habe (Bescheid vom 10.06.2011). Den Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er einen Anspruch auf die Kosten der Unterkunft habe, weil die W-Straße seine Wohnung sei. In der T-Straße seien zur Zeit sein Büro und nur noch Möbel und Hausrat, bis er dies umziehen könne. Eine Besichtigung der T-Straße sei kein Problem, die Kontrolleure seien jedoch zum Termin nicht erschienen. Am 23.05.2011 habe er aufgrund von Terminen keine Zeit gehabt, mit den Kontrolleuren zur T-Straße zu gehen. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte blieb bei seiner Auffassung, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zu übernehmen seien, weil die tatsächlichen Aufenthaltsverhältnisse nicht hätten geklärt werden können (Widerspruchsbescheid vom 10.10.2011).

Die Leistungen für den Zeitraum 01.07.2010 bis 31.12.2010 wollte der Beklagte mit Bescheid vom 01.08.2011 in Höhe von 358,04 EUR monatlich endgültig festsetzen und hierbei als Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit einen Betrag von monatlich 0,96 EUR berücksichtigen, der wegen Geringfügigkeit nicht zurückgefordert werden sollte. Wie der Beklagte vor dem Sozialgericht Augsburg am 29.04.2013 anerkannte, wurde dieser Bescheid mangels Bekanntgabe gegenüber dem Kläger nicht wirksam.

Am 20.09.2011 meldete sich der Kläger beim Beklagten schriftlich "mit Wirkung ab 18.07.2011" vom Leistungsbezug ab und teilte mit, dass er ab 18.07.2011 eine Arbeit mit 15 Stunden/ Woche aufgenommen habe.

In einem gerichtlichen Vergleich vor dem Sozialgericht Augsburg im Verfahren S 16 AS 1240/11 vereinbarten die Beteiligten am 29.04.2013 für das erste Halbjahr 2011 die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 374,50 EUR (Umsetzung mit Bescheiden vom 21.05.2013 und 21.05.2013). In diesem Vergleich vereinbarten die Beteiligten unter I. außerdem Folgendes: Der Kläger beantragt die endgültige Entscheidung über seinen Leistungsanspruch im Jahr 2010. Der Beklagte sagt dies zu und erkennt an, dass über diesen Zeitraum bisher nur eine vorläufige Leistung vorliegt. Der Beklagte wird die hierzu erforderlichen Unterlagen vom Kläger anfordern.

Nach Beanstandung durch den Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 04.09.2013, dass die im Vergleich vom 29.04.2013 zugesagte endgültige Entscheidung über den Leistungsanspruch des Klägers im Jahr 2010 noch nicht erfolgt sei, übersandte der Beklagte dem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 17.10.2013 den Bewilligungsbescheid vom 04.01.2011 betreffend den Zeitraum 11.01.2010 bis 30.06.2010, den Änderungsbescheid vom 01.08.2011 betreffend den Zeitraum 01.07.2010 bis 31.12.2010 und einen die Leistungen im Jahr 2011 betreffenden Bescheid. Dazu teilte er mit, dass der Bescheid vom 04.01.2011 für den Zeitraum 11.01.2010 bis 30.06.2010 als endgültig erklärt werde, Einkommen nicht angerechnet worden sei und laut Vergleich vom 29.04.2013 Kosten der Unterkunft nicht anerkannt worden seien. Weiter teilte er mit, dass nach dem Änderungsbescheid vom 01.08.2011 für den Zeitraum 01.07.2010 bis 31.12.2010 ein endgültiges Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 101,20 EUR angerechnet worden sei, die hieraus entstehende Überzahlung von 5,76 EUR vom Kläger nicht zurückgefordert worden sei und Kosten der Unterkunft nicht gewährt würden. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2014 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Änderungsbescheiden vom 19.05.2014 übernahm der Beklagte für die Zeiträume 11.01.2010 bis 30.06.2010 und 01.07.2010 bis 31.12.2010 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 374 EUR monatlich (für Januar 261,80 EUR) und erläuterte dazu, dass die Bescheide in Ausführung der Vergleiche vom 09.11.2010 (S 6 AS 816/10) und vom 29.04.2013 (S 16 AS 1240/11) ergehen würden.

Mit Schreiben vom 10.02.2014 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er aus wirtschaftlichen Gründen trotz seiner Krankheit am 03.02.2014 ein Vollzeit-Arbeitsverhältnis aufgenommen habe, seine selbstständige Tätigkeit seit dem 03.02.2014 ruhe und er in die A-Straße umgezogen sei.

Am 10.06.2014 hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 17.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und beantragt, dem Kläger Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 10.01.2010 bis 31.12.2010 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Streitgegenständlich sei die Frage, inwieweit dem Kläger Kosten der Unterkunft und Heizung zustehen würden. Der Kläger beanspruche Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß den von ihm vorgelegten Unterlagen. Der Beklagte hat im Rahmen der Klageerwiderung darauf hingewiesen, dass die Klage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung am 06.06.2014 teilweise prozessual überholt gewesen sei, nachdem dem Kläger mit Bescheiden vom 19.05.2014 für den Zeitraum 10.01.2010 bis 31.12.2010 Kosten der Unterkunft bewilligt und über 4000 EUR nachbezahlt worden seien. Es lägen keine Gründe vor, dem Kläger im Bewilligungszeitraum 2010 höhere Kosten der Unterkunft zu bewilligen als im Folgezeitraum.

In der mündlichen Verhandlung am 10.04.2015 hat der Kläger erklärt, dass er 2010 in der W-Straße gewohnt habe und dort auch sein Gewerbe angemeldet habe. Das Büro habe sich allerdings in der T-Straße befunden. Seit 01.02.2014 habe er ein Anstellungsverhältnis mit 39 Wochenstunden und wohne seitdem in der T-Straße.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.04.2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf höhere Leistungen habe. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass die vom Beklagten zuletzt mit Bescheiden vom 19.05.2014 bewilligten Leistungen zu niedrig seien. Der vom Beklagten in Anlehnung an den gerichtlichen Vergleich vom 29.04.2014 angesetzte Betrag von 374 EUR für die Unterkunftskosten sei zwar mit Unsicherheiten behaftet. Allerdings seien auch keine höheren tatsächlichen Unterkunftskosten belegt. Die Aufstellung des Klägers bleibe nämlich ohne weitere Nachweise. Im Übrigen setze der Kläger die gesamten, für sein Haus in der W-Straße angefallenen Kosten an. Er habe aber nach seinem Vortrag nicht das gesamte Haus bewohnt, sondern nur etwa die Hälfte (ca. 75 qm). Angemessen seien allerdings allenfalls 60 qm, also nur 40 % der reinen Wohnfläche ohne Berücksichtigung der weiteren Nebengebäude auf dem Grundstück. Hinzu komme, dass die steuerrechtliche Abschreibung keine Relevanz für das SGB II habe und der Posten Instandhaltung, Werbungskosten, Verwaltung nicht für den Bereich des Wohnens anfalle. Selbst wenn man im Übrigen die aufgeführten Kosten unterstellen würde, würde bei einem Ansatz mit 40 % kein höherer Betrag als die bewilligten 374 EUR resultieren. Dass der Kläger neben dem Haus auch noch die Wohnung in der T-Straße angemietet habe, sei ebenfalls unbehelflich. Denn diese habe er nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung damals nicht bewohnt. Unter dem Aspekt, dass die Immobilie des Klägers für seine Erwerbstätigkeit benutzt worden sei, ergebe sich ebenfalls keine andere Beurteilung. Etwaige Verluste seien nicht auszugleichen, sondern könnten allenfalls zu einem Null-Einkommen führen.

Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 27.04.2015 zugestellte Urteil vom 10.04.2015 hat der Kläger, nunmehr ohne Beteiligung eines Bevollmächtigten, am 15.05.2015 Berufung eingelegt und den Antrag gestellt, für das Jahr 2010 Arbeitslosengeld zu gewähren. Zur Begründung hat er lediglich um Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung gebeten.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.04.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 17.10.2013 und vom 01.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2014 und der Bescheide vom 19.05.2014 zu verurteilen, höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung in der W-Straße 18 im Zeitraum 11.01.2010 bis 31.12.2010 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist mit Beschluss des Senats vom 16.10.2018 mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Der Kläger ist mit Schreiben des Senats vom 16.10.2018 zur mündlichen Verhandlung am 15.11.2018 geladen worden und darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass es ihm frei stehe, zur Verhandlung zu erscheinen, und auch im Fall seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne. Die Ladung ist ihm am 18.10.2018 zugegangen. Auf sein Schreiben vom 08.11.2018, eingegangen bei Gericht am 13.11.2018, mit der Mitteilung, dass er aus gesundheitlichen Gründen und wegen Arbeitsüberlastung an der Verhandlung am 15.11.2018 nicht teilnehmen könne und um Verschiebung der Verhandlung bitte, hat der Senat ihn mit Schreiben vom 13.11.2018 darüber informiert, dass ausreichende Verlegungsgründe nicht glaubhaft gemacht worden seien und bei Erkrankungen die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung mit Angabe der Art, Schwere und voraussichtlichen Dauer der Erkrankung erforderlich sei. Daraufhin hat der Kläger mit Schreiben vom 14.11.2018, eingegangen bei Gericht am 16.11.2018, mitgeteilt, dass es ihm vor der Verhandlung nicht mehr möglich sei, eine ärztliche Bescheinigung beizubringen, und "vorbeugend um Fristverlängerung bis 10.12.2018" gebeten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Instanzen, die Akten des Sozialgerichts Augsburg S 6 AS 816/10 sowie S 16 AS 1240/11 und die Verwaltungsakten (drei Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden können, da dieser über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Es hat keine Notwendigkeit bestanden, auf den Antrag des Klägers vom 13.11.2018 den Verhandlungstermin aufzuheben, weil der Kläger trotz Aufklärung durch den Senat mit Schreiben vom 13.11.2018 erhebliche Gründe für eine Verlegung der Gerichtsverhandlung nicht glaubhaft gemacht hat (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 110 Rn. 4b ff.)

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 151 SGG). Sie ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Gegenstand des Verfahrens ist die endgültige Entscheidung des Beklagten über den Leistungsanspruch des Klägers für die Zeiten von 11.01.2010 bis 30.06.2010 und von 01.07.2010 bis 31.12.2010 mit den Bescheiden vom 17.10.2013 und vom 01.08.2011 (Bekanntgabe erst im Oktober 2013) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2014, ergänzt durch die nach § 96 Abs. 1 SGG einbezogenen Bescheide vom 19.05.2014, mit denen nunmehr für 2010 Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 374 EUR gewährt wurden, wobei der Streitgegenstand auf die Unterkunftskosten beschränkt ist. Bei Klageerhebung am 06.06.2015 ist die Beschränkung auf die Unterkunftskosten sowohl im Klageantrag als auch in der Klagebegründung klar und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht worden. Der Senat wertet den in der mündlichen Verhandlung am Sozialgericht gestellten Antrag - "höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" - nicht als ohnehin nicht zulässige Klageerweiterung, da das gesamte Vorbringen des Klägers in beiden Instanzen auf die Gewährung höherer Unterkunftskosten für die W-Straße beschränkt war.

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt. Dies wurde vom Beklagten im gerichtlichen Vergleich vom 09.11.2010 anerkannt und im gerichtlichen Vergleich vom 29.04.2013 erneut bestätigt, indem sich der Beklagte zur endgültigen Entscheidung über den Leistungsanspruch im Jahr 2010 verpflichtete.

Der Kläger hat für den Leistungszeitraum 11.01.2010 bis 31.12.2010 keinen Anspruch auf die Gewährung weiterer Unterkunftskosten als er bereits erhalten hat. Anders als das Sozialgericht sieht der Senat die Begründung für das Nichtbestehen des streitigen Anspruchs gemäß § 22 Abs. 1 SGB II auf Gewährung höherer Unterkunftskosten als 374 EUR monatlich darin, dass der Beweis dafür nicht erbracht ist, dass der Kläger, der in der streitgegenständlichen Zeit zwei Unterkünfte in der T-Straße und in der W-Straße zu Wohnzwecken nutzen konnte, vorrangig die Wohnung in der W-Straße zu Wohnzwecken nutzte. Das ist allerdings eine wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung von Unterkunftskosten bezogen auf die W-Straße. Ein Anspruch des Klägers auf (weitere) Unterkunftskosten kann nur bestehen, wenn er die Wohnung in der W-Straße tatsächlich vorrangig zu Wohnzwecken nutzte (vgl. Luik in Eicher, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22 Rn. 38 m.w.N., Rn. 44). Dafür trägt der Kläger als Anspruchsteller die Beweislast.

Der Senat hält es für nicht erwiesen, dass der Kläger die Unterkunft in der W-Straße vorrangig zu Wohnzwecken nutzte. Auch wenn der Kläger einen Umzug von der T-Straße in die W-Straße Ende 2009 ernstlich geplant haben sollte, spricht nach dem bekannten Sachverhalt außer der wiederholten Behauptung des Klägers, er habe ab 2010 in der W-Straße gelebt, nichts dafür, dass er zum Jahreswechsel 2009/ 2010 oder Anfang 2010 Veränderungen herbeiführte, die eine vorrangige Nutzung der W-Straße zu Wohnzwecken belegen würden. Die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt am 18.12.2009 reicht insoweit nicht aus. Bei Nutzung zweier Unterkünfte zu Wohnzwecken und bei gleichzeitiger Nutzung dieser zwei Unterkünfte zu Erwerbszwecken setzt eine Entscheidung des Senats zugunsten des klägerischen Begehrens voraus, dass die Angaben des Klägers zu seinen Lebensverhältnissen im Jahr 2010 klar und widerspruchsfrei sind und mit objektiven äußeren Umständen im Einklang stehen. Es fehlt allerdings schon an klaren und widerspruchsfreien Angaben des Klägers zur Nutzung der Unterkünfte. Während er 2009 die T-Straße und die W-Straße als Betriebssitze für seine selbstständige Tätigkeit bezeichnete (Anlage EKS vom Juli 2009), nutzte er nach seinen Angaben im Dezember 2010 und im Februar 2011 nur noch das Grundstück in der W-Straße als Büro, Werkstatt und Lager, wobei er sich wegen der Notwendigkeit von Renovierungen zu einer genauen flächenmäßigen Aufteilung nicht in der Lage sah (Anlagen EKS vom 01.12.2010 und 17.02.2011). Im Widerspruch dazu teilte er dem Beklagten wenige Tage später, am 24.02.2011, mit, dass sich das Arbeitszimmer in der T-Straße befinde und (nur) die Werkstatt in der W-Straße sei. Hinzu kommt, dass seine Erläuterung, er habe aus gesundheitlichen Gründen den Arbeits- und Wohnbereich räumlich trennen müssen, nicht stimmig ist und kein schlüssiges Argument dafür sein kann, dass er in der W-Straße lebte.

Nicht plausibel ist weiter, dass der Kläger zum Jahreswechsel 2009/ 2010 umgezogen sein will, die bisherige Mietwohnung in der T-Straße aber trotz seiner finanziellen Schwierigkeiten nicht aufgab. Nachdem er dort noch einen Großteil seiner Möbel hatte, wie er am 24.02.2011 bekundete, und sich nach seinen Angaben im Sommer 2011 dort auch noch Hausrat befand, spricht Einiges dafür, dass er in der W-Straße eine bloße Meldeadresse begründet hatte.

Gegen eine vorrangige Nutzung der Unterkunft in der W-Straße zu Wohnzwecken spricht auch der Zustand der Wohnung im ersten Stock beim Hausbesuch des Beklagten am 23.05.2011. Die vom Beklagten angetroffenen und im Besuchsprotokoll dokumentierten Verhältnisse lassen nicht darauf schließen, dass der Kläger ein bis eineinhalb Jahre vorher diese Wohnung bezogen hatte. Alle Räume waren in einem baufälligen Zustand, das Bad war nicht benutzbar, wobei sich im Erdgeschoss ein funktionstüchtiges WC befand, in der Küche war neben Küchenmöbelstücken eine Duschkabine installiert, davor befanden sich eine Matratze und Bettzeug. Ein Kleiderschrank im "Wohnzimmer" war leer, auf einem Stuhl und in einer Plastiktüte lag etwas Kleidung. Auf dem Schreibtisch waren verschiedene Unterlagen. Nahrungsmittel und Kleidung waren kaum vorhanden. Zwei Räume wurden als Lagerräume genutzt. Diese Verhältnisse mögen ausgereicht haben, um dort gelegentlich zu übernachten, eine überwiegende Nutzung dieser Unterkunft zu Wohnzwecken ergibt sich aus diesen Umständen nicht.

Auffällig ist schließlich, dass der Kläger das Bemühen des Beklagten nach dem anonymen Hinweis vom 10.01.2011, die Wohnverhältnisse zu überprüfen, nicht unterstützte und offenbar sogar fürchtete. Letztlich duldete er nach intensiven Bemühungen des Beklagten die Besichtigung der Wohnung in der W-Straße, nicht aber die Besichtigung der Wohnung in der T-Straße. Ausgehend von seiner Version, dass er in der T-Straße nur sein Büro habe, ist nicht verständlich, warum er dem Beklagten die Besichtigung dieser Räumlichkeiten nicht ermöglichte. Bei seinen Erklärungsversuchen verstrickte er sich zudem in Widersprüche. Während er am Tag der Besichtigung (23.05.2011) seine fehlende Bereitschaft, nun auch die Räume in der T-Straße zu zeigen, mit der Notwendigkeit erklärte, mit seiner Rechtsanwältin zu sprechen, und um einen schriftlich zu vereinbarenden Besichtigungstermin bat, behauptete er später, dass eine Besichtigung der T-Straße kein Problem sei und die Kontrolleure zum Termin nicht erschienen seien. Er bestritt, einen schriftlichen Besichtigungstermin für die Räumlichkeiten in der T-Straße gewünscht zu haben. Am 23.05.2011 habe er aufgrund von Terminen keine Zeit gehabt, mit den Kontrolleuren zur T-Straße zu gehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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