L 1 U 858/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 18 U 87/15
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 858/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beigeladenen werden das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 29. Mai 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 1. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2014 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 19. Oktober 2012 ein Arbeitsunfall ist. Die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen für die erste Instanz ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Hinsichtlich des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen notwendigen Kosten der Beigeladenen und der Klägerin zu tragen. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines von der Klägerin am 19. Oktober 2012 erlittenen Unfalls. An diesem Tag bemerkte die Klägerin nach Rückkehr von einer Wande-rung, dass der bei der Beigeladenen versicherte Führer eines PKW auf einem Parkplatz Probleme hatte. Sie vernahm laute Motorgeräusche und durchdrehende Reifen. Sie begab sich anschließend mit drei weiteren Personen, darunter ihrem Ehemann und der Zeugin I. (früher G.), zu dem PKW. Zu einem Anschieben des PKW kam es nicht. Stattdessen gelang es dem PKW-Fahrer doch noch den Rückwärtsgang einzulegen und zurückzufahren. Dabei erfasste der PKW die Klägerin und überrollte diese. Die Klägerin erlitt dadurch unter anderem Verletzungen am rechten Arm und rechtem Ober- und Unterschenkel. Mit Schreiben vom 22. November 2012 begehrte sie gegenüber der Beklagten die Feststellung des Ereignisses vom 19. Oktober 2012 als Arbeitsunfall.

Nach Einholung schriftlicher Unfallschilderungen durch die Klägerin und den PKW-Fahrer lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2013 die Feststellung des Ereignisses vom 19. Oktober 2012 als Arbeitsunfall ab. Eine versicherte Pannenhilfe im Sinne von § 2 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) liege nicht vor. Der PKW sei verkehrstüchtig gewesen. Eine Panne habe nicht vorgelegen. Es sei nicht zu erkennen, dass die Klägerin und die sie begleitenden Personen mit der Absicht tätig geworden seien, beim Ausparken oder Zurücksetzen zu helfen. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII seien ebenfalls nicht erfüllt. Eine erhebliche gegenwärtige Gefahrensituation sei nicht erkennbar. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurde eine schriftliche Erklärung der Zeugin I. (früher G.) beigezogen. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2014 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 8. Januar 2015 vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht Gotha hat mit Beschluss vom 28. Juli 2015 die Beigeladene als Kfz-Haftpflichtversicherung des PKW-Fahrers beigeladen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Wie-Beschäftigung im Sinne der Pannenhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VII erfüllt seien. Der Fahrer des PKW sei geistig und körperlich nicht in der Lage gewesen, sich aus der Situation zu befreien.

Mit Urteil vom 29. Mai 2017 hat das Sozialgericht Gotha die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei an einem einmaligen Schiebeversuch und danach ohne weitere körperliche Aktivität an der Abgabe verbaler Hinweise an den Fahrzeugführer zur Bedienung seines PKW beteiligt gewesen. Dies rechtfertige weder die Annahme einer sogenannten Wie-Beschäftigung unter dem Gesichtspunkt der Pannenhilfe noch eine Nothilfesituation. Das Anschieben des PKW sei bereits zum Unfallzeitpunkt beendet gewesen. Die anschließende Verrichtung des Hinweisgebens an den Fahrzeugführer sei nicht mehr versichert gewesen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei auf die kleinste beobachtbare Handlungssequenz abzustellen. Die Handlungssequenz "Anschieben des PKW" sei zum Unfallzeitpunkt bereits beendet gewesen. Die Verrichtung "Bedienungshinweise an den Fahrzeughalter" könne eine Wie-Beschäftigung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht begründen. Ein Hinweisgeben falle nicht unter diesen Tatbestand. Objektiv habe auch keine Autopanne vorgelegen. Der PKW des Fahrzeugführers sei offensichtlich in einem ordnungsgemäßen technischen Zustand gewesen. Ein Festfahren, beispielsweise im Untergrund, sei nicht festzustellen. Die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII seien mangels Gefahrensituation ebenfalls nicht erfüllt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beigeladenen. Das Sozialgericht trenne den einheitlichen Hilfeleistungsvorgang zu Unrecht und spalte ihn in zwei verschiedene Vorgänge künstlich auf. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach auf die kleinste beobachtbare Handlungstendenz abzustellen sei, solle gerade nicht dazu dienen, ein einheitliches Lebensgeschehen in kleinste Anteile aufzuspalten. Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses sei die Hilfeleistung noch nicht beendet gewesen. Eine Pannenhilfe sei geleistet worden. Entscheidend für die Annahme einer Pannenhilfe im Rechtssinne sei nicht, ob das Fahrzeug versagt habe oder der Fahrzeughalter. Entscheidend sei eine Gesamtbetrachtung aller Handlungsschritte und der gesamten Situation. Abzustellen sei nach der Rechtsprechung auch auf das beabsichtigte Gesamtvorhaben in seiner Einheit.

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtgerichts Gotha vom 29. Mai 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. De-zember 2014 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 19. Oktober 2012 ein Arbeitsunfall war.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat durch den Berichterstatter in den Erörterungsterminen vom 26. Februar und 24. September 2018 die Klägerin persönlich und ihren Ehemann, den Zeugen B. und die Zeugin I. (früher G.) gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften in der Gerichtsakte verwiesen.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme sieht die Beigeladene die Voraussetzungen einer versicherten Pannenhilfe als erfüllt an. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass sowohl die Klägerin als auch die weiteren anwesenden Personen mit zumindest konkludentem Einverständnis des Fahrzeughalters gehandelt hätten. Ihre Absicht sei es gewesen, Pannenhilfe zu leisten. Auch das Herausschieben, zum Beispiel aus einer Lücke, gehöre zur Pannenhilfe.

Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass eine versicherte Pannenhilfe nicht vorliege. Aus den Einvernahmen der Klägerin und der Zeugen ergebe sich, dass eine Panne zu verneinen sei. Das Fahrzeug sei verkehrstüchtig gewesen. Nach Einlegen des Rückwärtsganges und Lösen der Handbremse sei das Auto sofort nach hinten losgefahren. Zum Unfallzeitpunkt habe die Klägerin neben dem Fahrzeug gestanden. Dies stelle keine bestimmte Tätigkeit von einem wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen "Fahrzeughaltung" dar. Die Handlungstendenz der Klägerin sei nicht darauf gerichtet gewesen, eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit zu verrichten.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des im Erörterungstermin vom 24. September 2018 erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter durch Urteil entscheiden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3,4 SGG).

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beigeladenen hat in der Sache Erfolg. Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erhobene Klage ist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG statthaft und begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 1. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2014 ist insofern rechtswidrig, als die Klägerin einen Anspruch auf Anerken-nung des Ereignisses vom 19. Oktober 2012 als Arbeitsunfall hat.

Die erforderliche materielle Beschwer der Berufungsklägerin, also ein Eingriff in eine eigene Rechtsposition dieser oder eine Beeinträchtigung ihrer subjektiven Rechte, ergibt sich aus der Regelung des § 109 SGB VII. Die Beigeladene als alleinige Berufungsklägerin hat an der Feststellung eines Arbeitsunfalls und damit am Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen der Beklagten und der Klägerin ein berechtigtes und schützenswertes Interesse. Nach §§ 109 Satz 1, 108 SGB VII können Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist und gegen die Versicherte Schadensersatzforderungen erheben, statt der Berechtigten – u.a. – die Feststellung beantragen, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, oder das entsprechende Verfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz betreiben. Die Berufungsklägerin kann als KFZ-Haftpflichtversicherung nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 27.03.2012 - B 2 U 5/11 R, Juris Rn. 13) in analoger Anwendung des § 109 Satz 1 SGB VII die Rechte des Verletzten gegen den Unfallversicherungsträger, die jener nicht selbst verfolgt hat, im eigenen Namen geltend machen. Danach ist – obwohl die Berufungsklägerin als KFZ-Haftpflichtversicherungsgesellschaft kein Rechtssubjekt ist, deren Haftung nach §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt sein kann, wie dies jedoch in § 109 Satz 1 SGB VII vorausgesetzt wird – aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke und vergleichbarer Interessenlage eine analoge Anwendung des § 109 SGB VII geboten. Auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 109 SGB VII liegen vor. Die Klägerin nimmt die Beigeladene/Berufungsklägerin vor dem Landgericht Meiningen auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Ereignis vom 19. Oktober 2012, bei dem die Klägerin unter anderem Verletzungen am rechten Arm und Ober- und Unterschenkel erlitten hat, stellt einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII dar. Zum Unfallzeitpunkt stand die Klägerin als sogenannte Wie-Beschäftigte nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversi-cherung.

Bei § 2 Abs. 2 SGB VII handelt es sich nicht um eine Billigkeitsvorschrift, die immer dann eingreift, wenn einzelne Merkmale des Absatzes 1 Nr. 1 wie zum Beispiel die persönliche Abhängigkeit zum Arbeitgeber oder dessen Weisungsrecht, fehlen. Es müssen nach der stän-digen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vielmehr bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die die Zurechnung des Haftungsrisikos zum nutznießenden Unternehmen rechtfertigen. Dabei sind folgende Anforderungen an die Tätigkeit zu stellen (vgl. u. a. BSG, Urteile vom 20. März 2018 – B 2 U 16/16 R –, vom 20. April 1993 - 2 RU 38/92 -, vom 8. Mai 1980 - 8a RU 38/79 -, vom 5. Juli 2005 - B 2 U 22/04 R, - vom 31. Mai 2005 - B 2 U 35/04 R - und vom 27. März 2012 - B 2 U 5/11 R - ; Urteil Senat vom 22. Juni 2017 – L 1 U 118/17 –, jeweils Juris):

- Es muss sich um eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende (Handlungstendenz) Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handeln.
- Die Tätigkeit muss dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen.
- Die Tätigkeit muss ihrer Art nach von Arbeitnehmern verrichtet werden können und regelmäßig verrichtet werden.
- Die Tätigkeit muss konkret unter arbeitnehmerähnlichen Umständen vorgenommen worden sein.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass nach diesen Grundsätzen auch eine Tätigkeit als Pannenhelfer zu einer Versicherung als "Wie-Beschäftigter" führen kann (vgl. BSG, Urteile vom 25.01.73, 2 RU 55/71; vom 30.10.74, 2/8 RU 100/73; vom 13.12.84, 2 RU 79/83, vom 27.11.85, 2 RU 37/84; LSG, Baden-Württemberg, Urteil vom 04.08.2010, L 2 U 2211/09). Dies findet auch in § 128 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII seinen Niederschlag, der bei der Pannenhilfe für nicht gewerbsmäßige Fahrzeughalter die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger im Landesbereich vorsieht.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin hat mit ihrer am 19. Oktober 2012 ausgeübten Handlung eine Tätigkeit erbracht, die einen wirtschaftlichen Wert hatte und diese Tätigkeit hat auch einem fremden Unternehmen, nämlich der Fahrzeughaltung des Versicherungsnehmers der Beigeladenen, gedient.

Nach Auswertung des Akteninhalts und der durchgeführten Beweisaufnahme in den beiden Terminen am 26. Februar und 24. September 2018 steht für den Senat folgender Geschehensablauf am 19. Oktober 2012 fest:

Am 19. Oktober 2012 unternahm die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann und der Zeugin I. (früher G.) gemeinsam eine Wanderung und gelangten am Ende der Wanderung in die Nähe eines Wanderparkplatzes. Dort hörten sie ungewöhnliche Motorgeräusche und sind zu dem betreffenden PKW gegangen. Sie stellten fest, dass der bei der Beigeladenen versicherte Fahrzeughalter, der der Klägerin bis dahin unbekannt war, mit dem Auto zurückfahren wollte, dies aber nicht schaffte. Sie standen zu viert um das Auto, um Hilfe zu leisten. Dabei war noch ein weiterer Wanderer, dessen Namen nicht bekannt ist. Die Scheiben an dem Auto waren heruntergekurbelt. Die vier Personen einschließlich der Klägerin haben überlegt, was sie unternehmen sollten. Der PKW-Fahrer äußerte sinngemäß, dass "er da nicht rauskommt". Die Klägerin und die weiteren Anwesenden stellten vor einem beabsichtigten Anschiebeversuch fest, dass der Autofahrer bei dem Fahrzeug, bei welchem es sich um ein Automatikfahrzeug handelte, den falschen Gang eingelegt hatte. Danach ging alles ganz schnell. Das Auto ist plötzlich zurückgesetzt und hat die Klägerin erfasst und zu Boden geworfen. Der Ehemann der Klägerin hat diese unter dem Auto "befreit" und ins Krankenhaus gebracht.

Der festgestellte Sachverhalt beruht im Wesentlichen auf den im Kern widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Angaben der Klägerin, des Zeugen B. (ihres Ehemannes) und der Zeugin I. (früher G.). Sie haben den festgestellten Sachverhalt plausibel dargelegt. Aus den früher gemachten Angaben insbesondere im Verwaltungsverfahren ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel an dem jetzt festgestellten Sachverhalt. Eine eingehende Ermittlung des Geschehens ist erst in der Beweisaufnahme vor dem Senat erfolgt.

Der festgestellte Sachverhalt erfüllt die Voraussetzungen für eine Wie-Beschäftigung im Sinne einer sogenannten Pannenhilfe. Es handelt sich um eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert. Die Tätigkeit entsprach auch dem wirklichen oder zumindest mutmaßlichen Willen des Unternehmers. Als die Klägerin neben dem PKW stand, waren die Scheiben heruntergekurbelt. Aus den Angaben der Zeugen lässt sich nichts dafür entnehmen, dass der Fahrzeugführer mit der beabsichtigten Hilfeleistung nicht einverstanden war. Zumindest sein konkludentes Einverständnis lag vor. Nach den Angaben der Zeugin I. äußerte der PKW-Fahrer sinngemäß, dass "er da nicht rauskommt". Es bestehen keine Zweifel dahingehend, dass die Ausübung von Pannenhilfe einen wirtschaftlichen Wert darstellt. Denn wie gerichtsbekannt ist, gibt es eine professionell organisierte Pannenhilfe und nahezu alle Tätigkeiten können faktisch auch im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses verrichtet werden.

Dabei ist es irrelevant, dass es tatsächlich nicht zu einem Anschieben gekommen ist, weil für die Gesamtbetrachtung auch die beabsichtigten Handlungsschritte zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1991 – 2 RU 44/90 –, SozR 3-2200 § 539 Nr. 8; LSG Hamburg, Urteil vom 13. Januar 2015 – L 3 U 2/14 –, nach Juris Rn. 25). Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles können nicht nur isoliert die am Unfalltag konkret ausgeführten Handlungselemente, sondern müssen auch die vorgesehenen Tätigkeiten - hier das Anschieben - berücksichtigt werden. Auch die Erkundung des notwendigen Hilfebedarfs unterliegt bereits dem Versicherungsschutz (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2012, Az.: B 2 U 20/11 R, zitiert nach Juris Rn. 37). Es kann ferner dahinstehen, ob im vorliegenden Fall am 19. Oktober 2012 wirklich eine Panne im Sinne der für die Annahme einer Pannenhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VII zu verlangenden Voraussetzungen gegeben war. Hieran könnten insbesondere deshalb Zweifel bestehen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vieles dafür spricht, dass ein technischer Fehler des PKW oder ein Festfahren ausscheidet, denn ansonsten hätte der PKW nicht plötzlich zurückfahren können. Inwieweit eine dem Fahrzeugführer anzulastende Verwechselung der Gänge bzw. eine Überforderungssituation als Panne in diesem Sinne anzusehen ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn selbst wenn objektiv eine Panne in diesem Sinne nicht vorlag, so reicht es aus, dass die Klägerin berechtigter Weise bis zum Zeitpunkt des Unfallereignisses davon ausgehen durfte, dass hier eine Panne im Rechtssinne vorliegt. Insoweit geht der Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII, wo es für die Annahme einer Gefahrensituation im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII ausreicht, dass der Hilfeleistende berechtigter Weise eine solche Situation annehmen durfte (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2015 – L 1 U 778/13 –, Juris), davon aus, dass es für die Bejahung einer Pannenhilfe ausreicht, wenn der Hilfeleistende berechtigter Weise von einer Pannensituation im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB VII ausgehen durfte. Zwar kann allein die subjektive Vorstellung des Handelnden, es bestehe eine Pannensituation und er wolle insoweit Hilfe leisten, den Versicherungsschutz nicht begründen. Die Handlungstendenz muss vielmehr durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt sein. Es müssen objektive Umstände feststellbar sein, nach denen die Einschätzung des Handelnden bei lebensnaher Betrachtung nachvollziehbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 13. September 2005, B 2 U 6/05 R, zitiert nach Juris, Rn. 23). Abzustellen ist hierbei maßgeblich auf eine ex ante Perspektive, also auf die abwägende Sicht vor dem Handeln. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Schutzzweck der Vorschrift verwirklicht wird und die gesetzliche Unfallversicherung nur einzutreten hat, wenn die Annahme einer Pannensituation nachvollziehbar ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nach der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt werden, dass die Klägerin aus den Gesamtumständen berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, es habe eine Autopanne vorgelegen. Aus den Angaben der Klägerin und den gehörten Zeugen ergibt sich, dass diese bei der Ankunft auf dem Parkplatz laute Motorgeräusche hörten und beim anschließenden Herangehen an den PKW feststellten, dass dieser nicht in der Lage war, zurückzufahren. Bis zu der Feststellung, dass offensichtlich nur eine Gangverwechselung vorlag, durften aber die Umstehenden einschließlich der Klägerin davon ausgehen, dass eine Panne in diesem Sinne vorlag und nach Feststellung der Gangverwechselung geschah bereits unmittelbar der Unfall, sodass die Klägerin objektiv keine Zeit hatte, hierauf in irgendeiner Weise zu reagieren.

Der Auffassung des Sozialgerichts Gotha, dass zum Zeitpunkt des Unfallereignisses die Pannenhilfesituation bereits beendet war, ist nicht zu folgen. Soweit das Sozialgericht Gotha sich insoweit auf die Rechtsprechung beruft, dass auf die kleinste beobachtbare Handlungssequenz abzustellen ist, wird nicht berücksichtigt, dass diese Rechtsprechung zwar grundsätzlich auch im Rahmen der Pannenhilfe zur Anwendung kommt (so kann Versicherungsschutz bei einer grundsätzlich versicherten Pannenhilfe zum Beispiel mit der Erwägung verneint werden, dass während der Ausübung der Pannenhilfe zum Ereignis/Unfallzeitpunkt eine ausschließlich eigenwirtschaftlich bedingte Verrichtung vorgenommen wurde), nicht jedoch dazu dient, den einheitlichen Lebensvorgang Pannenhilfe weiter aufzuspalten. Ob eine Wie-Beschäftigung vorliegt, ist nicht allein nach der unmittelbar zum Unfall führenden einzelnen Verrichtung (hier dem Stehen neben dem PKW), sondern nach dem Gesamtbild des ausgeführten und beabsichtigten Vorhabens zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1991 – 2 RU 44/90 –, SozR 3-2200 § 539 Nr. 8). Als die Klägerin neben dem PKW stand, war die Pannenhilfe aus ihrer Sicht noch nicht beendet. Vielmehr war sie bereit, beim Zurückschieben des PKW zu helfen. Dazu kam es durch das plötzliche Zurücksetzen des PKW nicht mehr.

Anhaltspukte dafür, dass aus sonstigen Gründen die Voraussetzungen einer Wie-Beschäftigung zu verneinen sind, liegen nicht vor. Die Beweisaufnahme hat keine Anhalts-punkte dafür ergeben, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Ausübung der Pannenhilfe oder der beabsichtigten Pannenhilfe in Wirklichkeit wesentlich allein eigene Angelegenheiten verfolgte und daher nicht mit der erforderlichen fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung handelte. Von der erforderlichen Eingliederung in das Unternehmen des Fahrzeughalters ist auch auszugehen. Hieran dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, denn der Vorgang der Pannenhilfe kann auch sehr kurze Zeiträume umfassen. Unschädlich ist, wenn es sich um eine geringfügige Tätigkeit handelt oder dass der unterstützte Unternehmer eine solche Arbeitskraft nicht tatsächlich beschäftigt hätte. Eine Sonderbeziehung zum Fahrzeugführer, die gegebenenfalls den Versicherungsschutz entfallen lassen könnte, liegt nicht vor.

Aus den Gesamtumständen ergibt sich daher, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt eine Pannenhilfe im Sinne einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ausgeübt hat. Der für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles erforderliche Gesundheitserstschaden liegt vor. Nach dem Arztbericht hat die Klägerin jedenfalls Verletzungen am rechten Arm und Ober- und Unterschenkel erlitten.

Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB VII scheidet aus. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 a SGB VII sind kraft Gesetzes Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder ge-meiner Gefahr oder gemeiner Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtigen Gefahr für seine Gesundheit retten. Dabei sind Unfälle nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn unabhängig davon, ob der Hang die erforderliche Neigung aufwies, hätte der PKW-Führer zu jedem Zeitpunkt den PKW gefahrlos verlassen können. Nach den Zeugenaussagen ist nichts dafür ersichtlich, dass ein Abrutschen des PKW unmittelbar bevorstand. Das wesentliche Motiv der in Frage stehenden Tätigkeit der Klägerin war es, Pannenhilfe im Sinne des § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII zu leisten.

Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren folgt aus § 193 SGG. Dort hat die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Versicherte im Sinne des § 183 SGG einen Anspruch geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung für das zweitinstanzliche Verfahren folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen, werden Kosten nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) erhoben. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Weder der beklagte Unfallversicherungsträger noch die Berufungsklägerin gehören zu den in dieser Vorschrift genannten Personen. Insbesondere ist die Berufungsklägerin nicht als Versicherter im Sinne des § 183 SGG am Verfahren beteiligt. Zwar verschafft § 109 SGB VII haftungsprivilegierten Personen die verfahrensrechtliche Position, statt des Versicherten das Verfahren zur Feststellung des Versicherungsfalls zu betreiben und damit im eigenen Namen einen fremden materiell-rechtlichen Anspruch eines Versicherten als Prozessstandschafter zu verfolgen, um die ihnen durch §§ 104 bis 106 SGB VII eingeräumte Haftungsbeschränkung geltend machen zu können. Die verfahrensrechtliche Position im Sinne des § 109 SGB VII beruht allerdings nicht auf ihrer eigenen Eigenschaft als Versicherte (vgl. BSG, Beschluss vom 30.08.2016 - B 2 U 40/16 B, Juris, Rn. 12), so dass eine Kostenprivilegierung nicht in Betracht kommt.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 160 SGG nicht bestehen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 47 GKG. Zwar ist bei einer Feststellungsklage grundsätzlich der Streitwert niedriger anzusetzen als der Streitwert einer Leistungsklage. Die Beigeladene wendet sich hier jedoch im Ergebnis gegen die vor dem Landgericht geltend gemachten Ansprüche der Klägerin, die dort mit 10.000 EUR bewertet wurden. Voraussetzung zur Abwehr dieser Forderung ist die Feststellung, dass es sich bei dem Unfall der Klägerin um einen Arbeitsunfall handelt mit der Folge des Haftungsprivilegs nach § 104 Abs. 1 SGB VII. Daher war hier der Streitwert in Anlehnung an das zivilgerichtliche Verfahren festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
Saved