S 56 KR 3411/18 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
56
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 56 KR 3411/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 240 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V finden auf Sachverhalte Anwendung, die sich nach Inkrafttreten der Vorschrift am 15.12.2018 verwirklicht haben.
2. Für einen Anspruch auf Beitragsreduzierung nach § 240 Abs. 1 Satz 3 SGB V bedarf es der Vorlage von Einkommensnachweisen ab dem 15.12.2018 und einer Festsetzung der Höchstbeiträge wegen fehlender Mitwirkung vor nicht mehr als 12 Monaten. Erfasst sind auch Beitragsänderungsbescheide, selbst wenn die erstmalige Festsetzung der Höchstbeträge länger zurückliegt.
3. Der Anspruch auf Beitragsreduzierung nach § 240 Abs. 1 Satz 4 SGB V ist nicht zeitlich rückwirkend beschränkt. Es bedarf hinreichender Anhaltspunkte ab dem 15.12.2018, auch wenn die Krankenkasse schon zuvor Kenntnis hatte. Erfasst werden jedoch nur Fälle von Einkommen unterhalb der Mindestbemessungsgrenze. Eine Beschränkung des Anspruchs auf die Fälle noch offener Beitragsforderungen ergibt sich aus dem Gesetz nicht.
Den Antragsgegnerinnen wird – bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Neubescheidungsanspruch der Antragstellerin – im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, aus dem Beitragsbescheid vom 14. August 2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22. Dezember 2017 einen höheren Betrag zu vollstrecken, als er sich aus der Summe der von der Antragstellerin geschuldeten Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessung für die Monate Juni 2017 bis März 2018 und der darauf entfallenden Säumniszuschläge und Mahnkosten ergibt. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Die Antragsgegnerinnen hat der Antragstellerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens erstatten.

Gründe:

I. Die Antragstellerin wendet sie sich gegen Beitragsforderungen der Antragsgegnerinnen. Der Antragstellerin ist bei den Antragsgegnerinnen kranken- und pflegeversichert. Sie stand bis zum 31. Mai 2017 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma W. GmbH, aus welchem die Arbeitgeberin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abführte. Zum 1. Juni 2017 änderte sich das Beschäftigungsverhältnis, ab diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin bei ihrer Arbeitgeberin lediglich in geringfügigem Umfang tätig und erzielte ein monatliches Einkommen von 450,00 EUR. Die Arbeitgeberin meldete die Antragstellerin bei den Antragsgegnerinnen zum 1. Juni 2017 ab. Mit Schreiben vom 19. Juni 2017 fragte die Antragsgegnerin zu 1) bei der Antragstellerin nach, ob eine mehr als geringfügige Beschäftigung ausgeübt oder Lohnersatzleistungen bezogen werden. Zudem bot sie Beratungsleistungen an und informierte die Antragstellerin über die freiwillige Weiterversicherung. Mit weiterem Schreiben vom 30. Juli 2017 fragte die Antragsgegnerin zu 1) erneut nach und kündigte die Beitragsfestsetzung bei fehlender Rückantwort nach Maßgabe der Beitragsbemessungsgrenze an. Die Antragstellerin äußerte sich gegenüber der Antragsgegnerin nicht. Mit Beitragsbescheid vom 14. August 2017 setzte die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – Höchstbeiträge ab dem 1. Juni 2017 in Höhe von monatlich 774,30 EUR fest. Der Bescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung. Er wurde bestandskräftig, die Antragstellerin äußerte sich nicht. Mit Bescheid vom 22. Dezember 2017 änderte die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – die Höhe der monatlichen Beiträge ab Januar 2018 auf monatlich 783,23 EUR. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, er wurde bestandskräftig. Zum 31. Dezember 2017 endete die geringfügige Beschäftigung der Antragstellerin. Sie nahm zum 1. Januar 2018 eine geringfügige Beschäftigung mit einem monatlichen Einkommen von 390,00 EUR bei der Firma L. auf. Im April 2018 reichte die Antragstellerin den Beschäftigungsnachweis und Einkommensunterlagen für Januar 2018 bei der Antragsgegnerin zu 1) ein. Mit Bescheid vom 18. April 2018 verminderte die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antraggegnerin zu 2) – den monatlichen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab 1. Mai 2018 auf monatlich 179,66 EUR. Zur Begründung verwies sie auf die eingereichten Einkommensunterlagen und teilte mit, dass die festgesetzten Beiträge erst ab dem Ersten des Folgemonats nach Eingang der Unterlagen auf den Mindestbeitrag korrigiert werden könnten. Mit Schreiben vom 20. April 2018 übersandte die Antragsgegnerin zu 1) der Antragstellerin eine Aufstellung der offenen Beiträge für den Monat März 2018. Zugleich setzte sie Säumniszuschläge und Mahnkosten fest und forderte für März 2018 die Zahlung eines Gesamtbetrages von 795,73 EUR. Eine Rechtsmittelbelehrung war nicht beigefügt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen. Im April 2018 erlangte die Antragsgegnerin zu 1) Kenntnis vom Leistungsbezug der Antragstellerin nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1. April 2018. Mit Schreiben vom 14. Mai 2018 übersandte die Antragsgegnerin zu 1) der Antragstellerin ein Schreiben und erklärte darin: "Heute informieren wir Sie über eine wichtige Änderung: Die Beiträge für Ihre Versicherung zahlen Sie nur für die Zeit bis zum 31. März 2018 direkt an uns. Die Forderungen in Höhe von 8.206,79 EUR, die wir bereits zur Vollstreckung gegeben haben, sind hier nicht berücksichtigt" Eine Aufhebung der Beitragsfestsetzung aus der freiwilligen Versicherung für die Zeit ab April 2018 erklärte die Antragsgegnerin zu 1) nicht. Sie betreibt die Vollstreckung rückständiger Beiträge gegen die Antragstellerin. Mit Schreiben vom 14. Mai 2018 erhob die Antragstellerin – anwaltlich vertreten – Widerspruch gegen den "Bescheid vom 20.04.2018". Sie vertrat die Ansicht, dass ein Anspruch auf Zahlung des Beitrages in monatlicher Höhe von 795,73 EUR und ein Anspruch auf Zahlung rückständiger Beiträge nicht bestehe. Die Antragstellerin sei aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit durchgehend versichert gewesen, auch eine Beitragsschuld i.H.v. 8.207,69 EUR bestehe nicht. Die Beitragslast berücksichtige die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragstellerin nicht. Nachdem die Antragsgegnerin Hinweise zur Rechtslage erteilt hatte, nahm die Antragstellerin zum Widerspruchbegehren unter Vertiefung der vertretenen Rechtsansicht erneut Stellung und beantragte, die Beitragsforderung ruhend zu stellen, da sie rechtswidrig sei. Einen Antrag auf Überprüfung der Beitragsbescheide stellte die Antragstellerin nicht. Das Hauptzollamt Berlin vollstreckt die offenen Beiträge im Auftrag der Antragsgegnerinnen. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2018 wurde die Antragstellerin erneut zur Abgabe der Drittschuldnererklärung aufgefordert. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2018 wies die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – den Widerspruch vom 14. Mai 2018 gegen den Bescheid vom 20. April 2018 zurück. Zugleich lehnte sie die rückwirkende Änderung der Beitragseinstufung für die Zeit vom 1. Juni 2017 bis 31. März 2018 ab. Zur Begründung verwies sie auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Regelungen der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" sowie die fehlende Mitwirkung der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren. Ausführlich setzte sich die Antragsgegnerin zu 1) mit der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung für die Zeit vom 1. Juni 2017 bis 31. März 2018 auseinander. Am 10. Dezember 2018 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage gegen den Bescheid vom 20. April 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. November 2018 erhoben und die Aufhebung dieses Bescheides beantragt. Das Verfahren wurde zum Aktenzeichen S 56 KR 3412/18 registriert. Am 10. Dezember 2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin zudem einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie hat vorgetragen, dass die Antragstellerin davon ausgegangen sei, aufgrund ihrer geringfügigen Beschäftigung keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu schulden, da der Arbeitgeber diese zahle. Der Beitragsfestsetzung sei rechtswidrig, da die Beiträge höher lägen, als das von der Antragstellerin erzielte Einkommen. Die Antragstellerin habe im Erhebungszeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen, sie habe einen Anspruch auf Neuberechnung der Beiträge ab Juni 2017. Der Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung des Bescheides vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018 anzuordnen. Der Antragsgegnerin zu 1) beantragt, den Antrag abzuweisen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes über die Beitragsfestsetzung bestünden nicht, auch liege keine durch eine vollziehungsbedingte unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte vor. Der Antragstellerin sei ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen. Nach den rechtlichen Vorgaben habe die Beitragsfestsetzung erst ab Mai 2018 geändert werden können. Entsprechend dem Tenor des Widerspruchsbescheides gehe auch die Antragstellerin zu 1) davon aus, nicht nur über die Mahnung entschieden zu haben, sondern ebenfalls über die Ablehnung der rückwirkenden Änderung der Beitragseinstufung. Sie vertritt die Ansicht, dass die Erweiterung des § 240 Abs. 1 SGB V um die Sätze 3 bis 5 mit Wirkung zum 15. Dezember 2018 erst auf Sachverhalte angewendet werden könne, bei denen Unterlagen erst nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens eingereicht werden und der Zeitpunkt der ursprünglichen Zwangseinstufung noch keine zwölf Monate zurückliegt. Daher komme keine Reduzierung der Beitragslast, auch nicht für die Zeit von Januar bis März 2018, in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die von der Antragsgegnerin zu 1) vorgelegten, die Antragstellerin betreffende Verwaltungsakte verwiesen.

II. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat keinen Erfolg (dazu 1.). Der Antrag hat jedoch Erfolg, soweit die Antragstellerin – nach Auslegung des Begehrens – vorläufigen Rechtsschutz gegen die Vollziehung der bestandskräftigen Beitragsbescheide sucht (dazu 2.). 1. Der konkret formulierte Antrag ist zunächst auszulegen als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vor dem Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 56 KR 3412/18 erhobenen Klage gegen die Entscheidung vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018. Der so verstandene Antrag ist zulässig, bleibt jedoch ohne Erfolg. Gemäß § 86 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, diese entfällt jedoch nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG, bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten, so dass die Klage der Antragstellerin vom 10. Dezember 2018 gegen die Entscheidung vom 20. April 2018 keine aufschiebende Wirkung hat. Die Antragstellerin ist daher der Zahlungspflicht trotz des laufenden Klageverfahrens ausgesetzt. Das Sozialgericht kann in diesen Fällen auf Antrag gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung anordnen, um die Zahlungspflicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufzuschieben. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu entscheiden. An der Rechtmäßigkeit der im Hauptsacheverfahren streitgegenständlichen Entscheidung vom 20. April 2018 bestehen – soweit ihr die Qualität eines Verwaltungsaktes zukommt – keine Zweifel. a. Nach summarischer Prüfung handelt sich bei der angegriffenen Entscheidung um eine bloße Zahlungsaufforderung. Darin wird allein die Beitragslast der Antragstellerin für den Monat März 2018 beziffert und werden Säumniszuschlag und Mahngebühren festgesetzt. Die Benennung der Beitragsschuld für März 2018 im Schreiben vom 20. April 2018 stellt lediglich eine wiederholende Verfügung dar und trifft keine eigenständige Regelung mit Außenwirkung. Es handelt sich insoweit nicht um einen Verwaltungsakt, § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X; dazu BSG, Beschluss vom 29. Dezember 2016 – B 4 AS 319/16 B –, mwN). Gegen die lediglich informatorisch wiederholte Beitragsschuld kann kein zulässiger Widerspruch erhoben und keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung durchgesetzt werden. Eine eigene, durch Widerspruch angreifbare Regelung ist nur hinsichtlich des Säumniszuschlags und der Mahngebühr ergangen. Die Festsetzung des Säumniszuschlags sowie der Mahngebühr ist rechtmäßig, da Antragstellerin auf die bestandkräftig festgestellte Beitragsschuld für März keine Zahlungen geleistet hat. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. b. Ein Erfolg des Antrages ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin zu 1) es versäumt hat, den Beitragsbescheid vom 18. April 2018 für den Monat April 2018 aufzuheben. Die an die Antragstellerin versandte Information, dass nur für die Zeit bis März die Beiträge "direkt" zu zahlen seien, stellt keine Aufhebung des Beitragsbescheides dar. Eine solche wäre jedoch nötig gewesen, da die Antragstellerin aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II ab dem 1. April 2018 nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V pflichtversichert ist. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat jedoch keinen Erfolg, da der Monat April nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidung vom 20. April 2018 ist und auch nicht Gegenstand der Entscheidung im Widerspruchsbescheid ist. Darüber hinaus machen die Antragsgegnerinnen die – mangels förmlicher Aufhebung oder Änderung des Beitragsbescheides formell noch bestehende – Beitragsforderung für April 2018 derzeit nicht geltend. 2. Der Antrag der Antragstellerin ist jedoch auch auszulegen als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, darauf gerichtet den Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, bis zur (bestandskräftigen) Entscheidung über den Antrag auf Änderung des Beitragsbescheides vom 14. August 2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22. Dezember 2017, diesen Bescheid zu vollstrecken. Zwar hat die anwaltlich vertretene Klägerin den Antrag nicht so formuliert. Aus dem Antragsbegehren wird jedoch deutlich, dass sie sich gegen die Beitragsfestsetzung nach den Höchstbeiträgen für die Zeit von Juni 2017 bis März 2018 sowie die Vollstreckung daraus wendet. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn nach der Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein wird. Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Hauptverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Ungeachtet der Frage des richtigen Prüfungsstandorts (Rechtsschutzbedürfnis oder Anordnungsanspruch) steht der Zulässigkeit des Antrags insbesondere nicht entgegen, dass der Beitragsbescheid der Antragsgegnerinnen bestandskräftig geworden ist. Auch wenn damit derzeit zwischen den Beteiligten nach § 77 SGG bindend feststeht, dass die Antragstellerin zur Zahlung der geforderten Beiträge verpflichtet ist, bedeutet dies jedoch nicht, dass der Antragstellerin kein der vorläufigen Regelung fähiges Recht zur Seite stünde, eine Vollstreckung des bindenden Bescheides vorläufig zu unterbinden (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13. November 2013 – L 9 KR 254/13 B ER, Rn. 3; auch LSG Berlin-Brandenburg, 25. Senat, Beschluss vom 12. Februar 2009, L 25 AS 70/09 B ER). Aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes folgt, vorläufigen Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines bestandskräftigen Bescheides zuzulassen, um verhindern zu können, dass ein Beitragsbescheid von der Krankenkasse mit möglicherweise erheblichen, irreversiblen Folgen für den Versicherten vollzogen wird, obwohl schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eindeutig zu erkennen ist, dass der belastende Bescheid offensichtlich rechtswidrig oder aus anderen Gründen abzuändern ist und dem betroffenen Versicherten im Hauptsacheverfahren ein Aufhebungsanspruch zusteht. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darf allerdings nicht so weit gehen, dass dadurch die Bestandskraft des Beitragsbescheides beseitigt würde; er ist deshalb – wie hier geschehen – auf die vorläufige Einstellung der Vollstreckung zu richten, um die Hauptsache nicht vorwegzunehmen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. November 2013 – L 9 KR 254/13 B ER –, Rn. 3, juris). Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Teilaufhebung der Beitragsbescheide für den Zeitraum von Juni 2017 bis März 2018. a. Der Anspruch auf Abänderung der Beitragsbescheide ergibt sich nicht aus § 44 SGB X. Nach § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die Antragsgegnerinnen haben von Amts wegen – und erstmals im Widerspruchsbescheid – die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide vom 14. August 2017 und 22. Dezember 2017 überprüft. Die mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2017 abgeschlossene Überprüfungsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Die Beitragsfestsetzung für Juni 2017 bis März 2018 ist rechtmäßig. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Aufhebung oder Änderung der Beitragsbescheide. Rechtsgrundlage der Beitragsfestsetzung ist § 240 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm. § 54 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die Antragstellerin war nach Beendigung ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung ab 1. Juni 2017 geringfügig beschäftigt. Die geringfügige Beschäftigung vermittelte keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, die Antragstellerin war gemäß § 7 Abs. 1 SGB V versicherungsfrei. Eine Versicherungspflicht bei geringfügiger Beschäftigung würde in der gesetzlichen Krankenversicherung zu vollen Leistungsansprüchen bei niedrigen Beiträgen führen, weswegen sich der Gesetzgeber entschieden hat, insoweit keine Versicherungspflicht zu begründen (KassKomm/Peters, 101. EL September 2018, SGB V § 7 Rn. 2). Die Antragstellerin war somit nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ab 1. Juni 2017 kraft Gesetzes nach § 188 Abs. 4 SGB V iVm. § 20 Abs. 3 SGB XI als freiwillig Versicherte Mitglied der Antragsgegnerinnen. Gründe, die einer Fortführung der Mitgliedschaft entgegenstehen könnten, sind nicht glaubhaft gemacht und nicht ersichtlich. Die Beitragserhebung für freiwillig Versicherte regelt § 240 Abs. 1 SGB V iVm. § 57 Abs. 4 SGB XI. Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei gilt, sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Die Antragstellerin hat trotz vielfacher Aufforderungen bis April 2018 gegenüber der Antragsgegnerin zu 1) keine Angaben zu ihrem Einkommen gemacht, was unstreitig ist. Es ist für die Beitragserhebung unerheblich, was sie sich bei einer geringfügigen Beschäftigung zum Versicherungsschutz dachte. Die Antragsgegnerin hat sie wiederholt und zutreffend über die Folgen der fehlenden Mitwirkung belehrt. Die Beträge sind daher in der beschiedenen Höhe zu Recht festgesetzt worden. Da die Antragstellerin geringere Einkünfte erst im April 2018 nachgewiesen hat, war die Betragsfestsetzung erst zu Mai 2018 zu ändern (§ 6 Abs. 5 Satz 2 und 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung). Eine rückwirkende Neufestsetzung der Beiträge war im bisherigen Recht nicht vorgesehen. Erst zum Ersten des Folgemonats nach Mitteilung der Einkommenssituation konnte von den Antragsgegnerinnen die Beitragslast neu festgesetzt werden. b. Die Antragstellerin hat jedoch einen Anspruch auf Reduzierung der Beiträge nach der mit Wirkung zum 15. Dezember 2018 – und damit nach Antrags- und Klageerhebung – eingeführten Erlassregelung in § 240 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB V. Danach gilt: 3Weist ein Mitglied innerhalb einer Frist von zwölf Monaten, nachdem die Beiträge nach Satz 2 auf Grund nicht vorgelegter Einkommensnachweise unter Zugrundelegung der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt wurden, geringere Einnahmen nach, sind die Beiträge für die nachgewiesenen Zeiträume neu festzusetzen. 4Für Zeiträume, für die der Krankenkasse hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die nach Absatz 4 Satz 1 oder Satz 2 jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten, hat sie die Beiträge des Mitglieds neu festzusetzen. 5Wird der Beitrag nach den Sätzen 3 oder 4 festgesetzt, gilt § 24 des Vierten Buches nur im Umfang der veränderten Beitragsfestsetzung. Die Neuregelung gilt ab dem 15. Dezember 2018, Übergangsregelungen bestehen nicht. Fehlt es an einer ausdrücklichen Übergangsregelung, ist eine Neuregelung nach dem intertemporalen Sozialrecht nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (BSG, Beschluss vom 13. November 2018 – B 12 KR 31/18 B –, Rn. 7, juris, BSG Urteil vom 22.6.2010 - B 1 KR 29/09 R). Diese Voraussetzungen sind – mindestens durch den Sachvortrag im Eil- und Hauptsacheverfahren – erfüllt. Mit der Neuregelung in § 240 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB V wollte der Gesetzgeber neue, flexiblere Anpassungsmöglichkeiten für die Einstufung zum Höchstbeitrag wegen Nichtmitwirkung bei der Beitragsfeststellung schaffen (BT-Drs. 19/4454, S. 27 zu Art. 1 Nr. 6). Dieser Anspruch ist nicht mit der Regelung in § 44 SGB X vergleichbar, da Maßstab nicht die Rechtmäßigkeit der früheren Beitragsentscheidungen ist, sondern allein die Abweichung des – durch die fehlende Mitwirkung – fiktiv festgesetzten vom tatsächlichen Einkommen. Es handelt es sich um einen eigenständigen Änderungsanspruch, durch welchen rückwirkend die finanziellen Folgen einer unterlassenen Mitwirkung trotz rechtmäßiger Beitragsfestsetzung vermindert werden sollen. aa. Nach summarischer Prüfung besteht ein Neufestsetzungsanspruch nach § 240 Absatz 1 Satz 3 SGB V für die Beitragsmonate Januar bis März 2018. Die Neuregelung in Satz 3 SGB V ermöglicht es dem freiwilligen Mitglied durch Nachweis geringerer Einnahmen die Festsetzung zum Höchstbeitrag für vergangene Zeiträume zu ändern. Durch die Neuregelung erhält das Mitglied nunmehr die gesetzlich vorgesehene Option, innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach Zwangsfestsetzung von Höchstbeiträgen geringere Einnahmen nachzuweisen und eine rückwirkende Reduzierung der Beitragslast für diese nachgewiesenen Zeiträume zu erreichen. Die letzte Festsetzung der Beiträge erfolgte vorliegend mit Änderungsbescheid vom 22. Dezember 2017 für die Zeit ab Januar 2018. Im April 2018 legte die Antragstellerin Unterlagen vor. Bei Inkrafttreten der Vorschrift am 15. Dezember 2018 waren jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides vom 22. Dezember 2017 noch keine 12 Monate vergangen. Die Antragstellerin hatte vor Inkrafttreten der Norm Einkommensnachweise für die Tätigkeit ab 1. Januar 2018 vorgelegt. Diese belegen geringere Einnahmen als in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Eine erneute Vorlage der Nachweise mit/nach Inkrafttreten der Vorschrift war nicht erforderlich. Die geringeren Einnahmen gelten mit Wirkung zum Inkrafttreten der Vorschrift als nachgewiesen. bb. Nach summarischer Prüfung besteht darüber hinaus ein Neufestsetzungsanspruch nach § 240 Absatz 1 Satz 4 SGB V für die Beitragsmonate Juni 2017 bis (ebenfalls) März 2018. Denn diese Regelung gilt unabhängig von der Mitwirkungserfüllung und verpflichtet die Kranken- und Pflegekasse (sogar) von Amts wegen zur unbegrenzt rückwirkenden Neufestsetzung der Beiträge. Im Gegensatz zur Regelung in Satz 3 muss der Anspruch nach Satz 4 nicht binnen einer Frist von 12 Monaten geltend gemacht werden. Er gilt jedoch ausschließlich für die Fälle, in denen das Einkommen des Versicherten die Mindestbemessungsgrenze nicht überschreitet. Der Gesetzgeber begründet dies wie folgt (BT-Drs. 19/4454, S. 27 zu Art. 1 Nr. 6): "Die Neuregelung in § 240 Absatz 1 Satz 4 sieht darüber hinaus eine rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung auf den Höchstbeitrag in den Fällen vor, in denen das Mitglied zwar nach wie vor nicht den Nachweis geringerer Einnahmen erbringt, jedoch aufgrund hinreichender Anhaltspunkte klar ist, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils einschlägige Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten. Entsprechende Anhaltspunkte dafür können z. B. das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit im Sinne der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II oder der Sozialhilfe nach SGB XII sein. Die "hinreichenden Anhaltspunkte" stellen einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der grundsätzlich von der zuständigen Krankenkasse eigenverantwortlich ausgelegt und angewandt werden muss. Dabei ist davon auszugehen, dass die Krankenkassen hierzu einheitliche Vorgaben abstimmen werden. Die Regelung gilt zeitlich unbeschränkt und bezieht sich auf alle vergangenen Zeiträume der Zwangseinstufung. Die rückwirkende Anpassung der Beiträge auf den Mindestbeitrag dient dem Abbau "fiktiver" Beitragsschulden und setzt für die Betroffenen Anreize, den korrigierten Beitragsforderungen nachzukommen. " Die Antragstellerin erfüllt nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen für die Beitragsreduzierung. Die Beiträge sind nunmehr rückwirkend auf die Mindestbemessungsgrenze zu reduzieren. Die Antragstellerin erzielte von Juni bis Dezember 2017 ein monatliches Einkommen von 450,00 EUR und ab Januar 2018 von 390,00 EUR. Ab April 2018 – insoweit nicht mehr streitig – bezieht sie Leistungen nach dem SGB II. Die Einnahmen der Antragstellerin überschreiten die Höhe der Mindestbetragsbemessungsgrenze in keinem der Monate, was unstreitig ist. Die Antragsgegnerinnen haben aus den vorgelegten Einkommensunterlagen hinreichende Anhaltspunkte, dass höchstens Beiträge nach der Mindestbemessungsgrenze festzusetzen sind. Die nach Satz 4 erforderlichen Anhaltspunkte bestehen erst recht, wenn Einkommensnachweise vorgelegt wurden. Der Anspruch nach Satz 4 besteht neben dem aus Satz 3, was die Gesetzesbegründung ("darüber hinaus") verdeutlicht. Den Antragsgegnerinnen steht insoweit kein Ermessen zu. Es kommt auch nicht darauf an, ob und in welcher Höhe die Antragsgegnerinnen aus den Betragsbescheiden schon erfolgreich vollstreckt haben oder die Antragstellerin auf die Beitragsschuld gezahlt hat. Insoweit gilt die Vorschrift auch, wenn ein Versicherter die Beitragsforderung erfüllt hat. cc. Aus § 240 Abs.1 Satz 5 SGB V folgt darüber hinaus der Anspruch auf Reduzierung der Säumniszuschläge. c. Der Antrag der Antragstellerin hat jedoch nur insoweit Erfolg, als sie nach der Neuregelung eine Neufestsetzung der Beitragsansprüche beanspruchen kann. Soweit die Antragsgegnerinnen die Beitragszahlung bis zur Höhe der Mindestbetragsbemessung geltend machen und einschließlich darauf entfallender Säumniszuschläge und Mahnkosten vollstrecken, ist dies nicht zu beanstanden. Insoweit war der Antrag zurückzuweisen. d. Das Eilbedürfnis für die gerichtliche Entscheidung folgt aus der gegen die Antragstellerin derzeit laufenden Vollstreckung. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Antragstellerin zwar im Ergebnis mit einem Anteil von etwa von drei Vierteln obsiegte. Die Entscheidung berücksichtigt jedoch auch, dass die Antragsgegnerinnen vor Erhebung des Eilantrages keine Veranlassung für diesen gegeben haben und erst die Auslegung des Antrages im Eilverfahren der Antragstellerin zum Erfolg verhalf.
Rechtskraft
Aus
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