S 46 AS 998/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
46
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 998/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bayerisches Betreuungsgeld ist im SGB II als Einkommen anzurechnen. Betreuungsgeld ist kein zweckgebundenes Einkommen i.S. v. § 11a Abs. 3 S. 1 SGB II. Die Anrechenbarkeit ergibt sich auch aus § 10 BEEG.
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 10. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. März 2018 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren mithilfe eines Überprüfungsantrags höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II für die Zeit von Januar 2018 bis einschließlich August 2018. Streitig ist die Anrechnung von Bayerischem Betreuungsgeld als Einkommen.

Bei den Klägern handelt es sich um ein Ehepaar (Klägerin zu 1 und Kläger zu 4) sowie deren Tochter (geboren 2013, Klägerin zu 2) und Sohn (geboren 2014, Kläger zu 3). Die Kläger bezogen laufend Leistungen nach SGB II. Weil sie lediglich die Betriebskosten der Wohnung zu zahlen hatten, fielen in der strittigen Zeit nur Unterkunftskosten in Höhe von insgesamt 97,84 Euro monatlich an. Die Klägerin zu 1 bezog in der strittigen Zeit Elterngeld für den Sohn von monatlich 187,50 Euro (375,- Euro halbiert bei doppelter Auszahlungszeit, vgl. § 4 Abs. 3 BEEG).

Mit Bescheid des ZBFS vom 23.06.2015 wurde der Klägerin zu 1 für ihre Tochter Bayerisches Betreuungsgeld für die Zeit von 17.03.2015 bis 16.12.2016 in Höhe von monatlich 150,- Euro bewilligt.

Mit Bewilligungsbescheid vom 23.11.2015 wurde den Klägern Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld für die Kinder in Höhe von insgesamt 610,34 Euro monatlich für die Zeit von Dezember 2015 bis einschließlich Mai 2016 bewilligt. Dabei wurden die Regelbedarfe und die tatsächlichen Kosten der Unterkunft als Bedarf berücksichtigt. Als Einkommen wurde Kindergeld in Höhe von zwei mal 184,- Euro jeweils bei den Kindern berücksichtigt sowie das Elterngeld und das Betreuungsgeld nach Abzug der Versicherungspauschale mit 307,50 Euro (187,50 Euro plus 150,- Euro minus 30,- Euro) horizontal verteilt. Mit Änderungsbescheid vom 29.11.2015 wurde die Leistung ab 01.01.2016 bis 31.05.2016 insgesamt um 2,- Euro monatlich erhöht wegen der Anhebung der Regelbedarfe bei gleichzeitiger Anhebung des Kindergelds auf zwei mal 190,- Euro. Mit Bescheid vom 11.02.2016 wurde die Bewilligung für den Kläger zu 4 ab 01.03.2016 wegen mangelnder Mitwirkung entzogen; gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt.

Auf den Weiterbewilligungsantrag hin wurden mit Bescheid vom 30.05.2016 Leistungen für die Klägerin zu 1, die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 für die Monate Juni 2016 bis einschließlich Oktober 2016 bewilligt. Dabei wurden die Regelbedarfe von 364,- Euro und zwei mal 237,- Euro sowie die Unterkunftskosten je Person zu einem Viertel berücksichtigt. Als Einkommen wurden wiederum Kindergeld, Elterngeld und Betreuungsgeld angerechnet. Für den Kläger zu 4 wurden keine Leistungen bewilligt. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.

Der Kläger zu 4 nahm im August 2016 eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit auf mit erster Lohnzahlung im September 2016. Die Bewilligung wurde deshalb mit Aufhebungsbescheid vom 18.10.2016 für die Zeit ab 01.09.2016 wegen Wegfall der Hilfebedürftigkeit vollständig aufgehoben. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.

Am 21.12.2017 beantragten die Kläger die Überprüfung der Bewilligungen für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.09.2016. Betreuungsgeld dürfe nicht als Einkommen angerechnet werden. Es seien pro Monat 150,- Euro nachzuzahlen. Der Überprüfungsantrag wurde mit Bescheid vom 10.01.2018 abgelehnt. Die Bescheide für die Überprüfungszeit seien nicht zu beanstanden. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2018 zurückgewiesen. Betreuungsgeld sei anrechenbares Einkommen. Eine abweichende Zweckbestimmung gemäß § 11a Abs. 3 SGB III liege nicht vor. Das Bayerische Betreuungsgeldgesetz (BayBtGG) enthalte in Art. 1 zwar Anspruchsvoraussetzungen, aber keine bestimmte konkrete Zweckbestimmung.

Die Klägerin erhob am 18.04.2018 Klage zum Sozialgericht München. Betreuungsgeld sei kein anrechenbares Einkommen. Zweck des Gesetzes sei, einen Schonraum für Familien mit Kleinkindern zu schaffen. Dies ergebe sich so aus der amtlichen Begründung des BayBtGG. Die Kläger stellten klar, dass streitiger Zeitraum die Zeit von 01.01.2016 bis 31.08.2016 ist.

Die Kläger beantragen sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 10.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2018 zu verurteilen, die Bescheide vom 29.11.2015 und 30.05.2016 abzuändern und den Klägern in der Zeit von Januar 2016 bis einschließlich August 2016 Leistungen ohne Anrechnung von Betreuungsgeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist jedoch unbegründet, weil Bayerisches Betreuungsgeld bei den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II zu Recht als Einkommen angerechnet wurde.

1. Streitgegenstand ist nach der ausdrücklichen Erklärung der Kläger der Zeitraum von Januar bis einschließlich August 2016 und die Frage der Anrechnung von Betreuungsgeld als Einkommen. Nicht Streitgegenstand ist die Leistungsaufhebung infolge der Arbeitsaufnahme ab 01.09.2016 und auch nicht der Leistungsausschluss für den Kläger zu 4 ab März 2016. Bei einem ausreichend substantiierten Überprüfungsantrag erfolgt zwar eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung, jedoch nicht "ins Blaue hinein" (BSG, Urteil vom 24.05,2017, B 14 AS 32/16 R, Rn. 17 und 18).

Streitbefangen sind damit der Überprüfungsbescheid vom 10.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2018 und die ursprünglichen Bewilligungsbescheide, mithin der Änderungsbescheid vom 29.11.2015, der den Bewilligungsbescheid vom 23.11.2015 ab Januar 2016 vollständig ersetzte, und der Bewilligungsbescheid vom 30.05.2016. Statthaft ist die kombinierte Anfechtungs- Verpflichtungs- und Leistungsklage (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2017, § 54 Rn. 20c).

2. Die Klage ist unbegründet, weil die Bedarfe zutreffend ermittelt wurden, das Einkommen richtig erfasst und bereinigt sowie zutreffend auf die Personen der Bedarfsgemeinschaft verteilt wurde.

a) Für die Eltern wurde als Regelbedarf jeweils 364,- Euro angesetzt, für die beiden Kinder jeweils 237,- Euro. Ferner wurden die tatsächlichen Unterkunftskosten mit 97,84 Euro monatlich kopfteilig auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt, auch auf dem Kläger zu 4, auch in der Zeit, in der dieser von Leistungen ausgeschlossen war.

b) Die Anrechnung des Elterngelds in Höhe von 187,50 Euro monatlich ist unstrittig und auch richtig (BSG, Urteil vom 26.07.2016, B 4 KG 2/14 R, DSG, Urteil vom 01.12.2016, B 14 AS 28/15 R). Gleiches gilt für die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen der Kinder nach § 11 Abs. 1 S. 5 SGB II, weil die Kinder dieses für ihre Bedarfsdeckung benötigten.

c) Auch das Bayerische Betreuungsgeld ist anrechenbares Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II. Es fällt nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 11a Abs. 3 SGB II mangels einer verbindlichen Regelung für den Verwendungszweck dieser Leistung. Außerdem legt § 10 BEEG als Spezialvorschrift fest, dass das Betreuungsgeld auf Leistungen nach dem SGB II anzurechnen ist.

aa) Nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen. Die Privilegierung derartiger Leistungen setzt also voraus, dass der Verwendungszweck der Leistung ausdrücklich genannt ist. Diese kann sich direkt aus dem Gesetzeswortlaut ergeben oder die Zweckbestimmung lässt sich eindeutig aus den Voraussetzungen der Leistungsgewährung und dem Gesamtzusammenhang der Regelung ableiten (Eicher, SGB II, 4. Auflage 2017, § 11a Rn. 20). Das BayBtGG enthält in Art. 1 verschiedene Leistungsvoraussetzungen wie das gemeinsame Leben mit dem Kind im Haushalt und die eigene Betreuung und Erziehung des Kindes. Diese Voraussetzungen gleichen den Voraussetzungen des ebenfalls anrechenbaren Elterngeldes in § 1 Abs. 1 BEEG. Ein ausdrücklicher Verwendungszweck lässt sich aus diesen Vorschriften nicht ablesen (ebenso für das Elterngeld BSG, Urteil vom 26.07.2016, B 4 KG 2/14 R, Rn. 19 ff).

Soweit die Gesetzesbegründung ( Drucksache 17/9114 des Bayerischen Landtags vom 24.11.2015, insbesondere auf S. 5) ausführt, dass das Betreuungsgeld die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen ermöglichen und fördern will, der Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung der Eltern mit Kleinkindern dient und durch die finanzielle Leistung die Wahlfreiheit von Vätern und Müttern verbessern will, ergibt sich daraus kein konkreter Verwendungszweck des Betreuungsgeldes. Es handelt sich lediglich um Motive für die Schaffung der finanziellen Leistung, nicht um einen konkreten Verwendungszweck. Im Übrigen deuten diese Motive eher auf eine Anrechenbarkeit hin: Wenn die Wahlfreiheit von Eltern gefördert werden soll, zeigt dies, dass das Betreuungsgeld einen Beitrag zum Lebensunterhalt bei Verringerung des Erwerbseinkommens wegen eigener Betreuung des Kindes leisten soll. Damit dient es nicht ausdrücklich anderen Zwecken als die Leistungen nach SGB II. Betreuungsgeld ist nicht anrechnungsfrei nach § 11a Abs. 3 SGB II.

bb) § 10 BEEG ist eine Spezialvorschrift für die Frage der Anrechenbarkeit von Elterngeld, Betreuungsgeld und jeweils vergleichbaren Leistungen der Länder auf andere Sozialleistungen. Daraus ergibt sich, dass Betreuungsgeld grundsätzlich in voller Höhe anrechenbares Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II ist. Insbesondere nimmt Betreuungsgeld nicht an der Rückausnahme nach § 10 Abs. 5 S. 2 BEEG teil (ebenso Lentz in Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit/Betreuungsgeld, 4. Auflage 2015, § 10 BEEG Rn. 7). Das ergibt sich aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 10 BEEG.

Nach § 10 Abs. 1 BEEG bleiben Elterngeld, Betreuungsgeld und jeweils vergleichbare Leistungen der Länder bei einkommensabhängigen Sozialleistungen bis zu 300,- Euro im Monat unberücksichtigt. Diese Regelung geht von einer grundsätzlichen Anrechenbarkeit aus und formuliert dafür eine begrenzte Ausnahme. Bayerisches Betreuungsgeld ist eine dem Bundesbetreuungsgeld vergleichbare Landesleistung und wäre demzufolge bis zu 300,- Euro pro Monat anrechnungsfrei. Nach § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG gilt § 10 Abs. 1 BEEG aber nicht bei Leistungen nach dem SGB II. Damit kommt es zu einer vollen Einkommensanrechnung der vorgenannten Leistungen im SGB II. In einem dritten Schritt macht § 10 Abs. 5 S. 2 BEEG eine Rückausnahme für Elterngeld und vergleichbare Leistungen der Länder: Bis zu 300,- Euro pro Monat bleiben bei diesen Leistungen auch im SGB II anrechnungsfrei, soweit es vor der Geburt des Kindes zu berücksichtigendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach § 2 BEEG gab. Diese Rückausnahme bezieht sich aber nicht auf Betreuungsgeld. Während § 10 Abs. 1 und Abs. 5 S. 1 BEEG auch Betreuungsgeld und damit vergleichbare Leistungen der Länder einbeziehen, stellt § 10 Abs. 5 S. 2 BEEG nur auf Elterngeld und damit vergleichbare Leistungen ab. Dann soll Betreuungsgeld schon nach dem Wortlaut von § 10 Abs. 5 S. 2 BEEG nicht erfasst werden. Dann bleibt es aber bei der vollständigen Anrechnung nach § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG.

Es ist auch nachvollziehbar, Betreuungsgeld von der Rückausnahme des § 10 Abs. 5 S. 2 BEEG auszunehmen, weil das Betreuungsgeld, im Gegensatz zu Elterngeld vgl. § 2 BEEG, nicht von Erwerbseinkommen abhängig ist.

cc) Diese Anrechnung von Betreuungsgeld ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch Kindergeld und Elterngeld, das nicht von § 10 Abs. 5 S. 2 BEEG begünstigt wird, werden im Rahmen des SGB II grundsätzlich in voller Höhe als Einkommen angerechnet (zur Verfassungsmäßigkeit der vollständigen Anrechnung von Elterngeld vgl. BSG, Urteil vom 26.07.2016, B 4 KG 2/14 R, Rn. 23 ff). Das Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums ist schon deswegen nicht betroffen, weil der existentielle Bedarf nach SGB II ermittelt wird und die Leistungen des SGB II zusammen mit dem anzurechnenden Betreuungsgeld dieses Existenzminimum vollständig abdecken.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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