L 6 AS 1923/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 2684/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1923/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.11.2018 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 01.10.2018 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis 31.03.2019, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II durch Gewährung des Regelbedarfes und der Kosten der Unterkunft und Heizung unter Anrechnung des Kindergeldes in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen. Den Antragstellern wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt U L aus I bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Beschwerdeverfahren zusätzlich zu den bereits vom Sozialgericht zugesprochenen Leistungen in Höhe des Regelbedarfs nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Wege vorläufigen Rechtsschutzes auch Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Der am 00.00.1989 geborene Antragsteller zu 1) und die am 00.00.1991 geborene Antragstellerin zu 2) sind italienische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind miteinander verheiratet und haben zwei minderjährige Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 4), die ebenfalls italienische Staatsangehörige sind. Die Antragsteller wohnen in einer Mietwohnung in I. Der Antragsteller zu 3) besucht seit dem Schuljahr 2017/2018 die Ischule in I.

Der Antragsteller zu 1) arbeitete zunächst in der Zeit ab September 2017 bis 13.02.2018 als Paketsortierer/ -entlader für die Firma I GmbH bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden zu einer Vergütung von 8,84 EUR pro Stunde. Zum 19.04.2018 nahm der Antragsteller zu 1) bei der E GmbH eine Beschäftigung als Lageraushilfe auf. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31.08.2018.

Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum ab Oktober 2017, zuletzt mit Bescheid vom 21.03.2018 vorläufig für den Zeitraum Oktober 2017 bis September 2018.

Mit Schreiben vom 22.03.2018 teilte der Antragsgegner den Antragstellern mit, dass er die Leistungen an sie vorläufig einstelle. Als Begründung gab er an, dass der Antragsteller zu 1) fristlos entlassen worden sei und überprüft werden müsse, ob für ihn noch ein Arbeitnehmerstatus bestehe.

Unter dem 25.06.2018 erließ der Antragsgegner einen Aufhebungsbescheid und hob die Leistungsbewilligung für die Antragsteller vom 09.01.2018, 28.02.2018 und 21.03.2018 zum 01.04.2018 ganz auf.

Die Antragsteller legten gegen diesen Bescheid am 03.09.2018 Widerspruch ein und gaben an, dass ihnen der Bescheid vom 25.06.2018 erst am 24.08.2018 persönlich ausgehändigt wurde. Zuvor sei ihnen dieser Bescheid nicht zugegangen.

Über den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 19.10.2018 und den Widerspruch vom 03.09.2018 ist aus den Akten des Antragsgegners keine Entscheidung ersichtlich.

Am 21.09.2018 haben die Antragsteller bei dem SG Gelsenkirchen den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Die Antragsteller haben beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.06.2018 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Nach Auffassung des Antragsgegners sei ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Die Antragsteller hätten drei Monate zugewartet, bis ein Antrag im einstweiligen Rechtsschutz gestellt wurde. Die Hilfebedürftigkeit sei daher schon fraglich. Der Antragsteller zu 1) sei darüber hinaus auch keiner ernsthaften am ersten Arbeitsmarkt orientierten Beschäftigung nachgegangen. Da das Arbeitsverhältnis bei der Firma E aber bereits gekündigt sei, sei ein diesbezüglicher Vortrag entbehrlich. Darüber hinaus sei auch nicht nachgewiesen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes des Antragstellers zu 1) unfreiwillig erfolgt sei.

Das SG hat durch Beschluss vom 12.11.2018 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.08.2018 gegen den Bescheid vom 25.08.2018 angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 01.10.2018 bis zum 31.03.2019 längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II - Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und auszuzahlen. Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt.

Das Sozialgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.08.2018 gegen den Bescheid vom 25.06.2018 sei anzuordnen. Für den Zeitraum ab dem 01.10.2018 bis zum 31.03.2019 hätten die Antragsteller einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund für die vorläufige Gewährung von Regelleistungen glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund für Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung sei nicht glaubhaft gemacht worden.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG könne das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher Antrag sei begründet, wenn eine Interessenabwägung ergebe, dass dem privaten Interesse des Antragstellers an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem (durch den Antragsgegner vertretenen) Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung der Vorrang zu geben sei.

Ein wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung sei die nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Habe die Hauptsache offensichtlich Aussicht auf Erfolg, sei die aufschiebende Wirkung in der Regel anzuordnen, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse bestehe (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 12. Aufl 2017, § 86b Rdnr 12f). Bei einem als rechtmäßig zu beurteilenden Bescheid hingegen sei das öffentliche Interesse am Vollzug regelmäßig vorrangig. Seien die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, d.h. sei der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so sei jedenfalls in Fällen, in denen - wie vorliegend - existenzsichernde Leistungen in Frage stünden und damit die Wahrung der Würde des Menschen berührt werde, eine Folgenabwägung vorzunehmen, die auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehe (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - juris; LSG NRW Beschluss vom 13.08.2010 - L 6 AS 999/10 B ER - juris).

Ausgehend von diesen Maßstäben sei die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25.06.2018 anzuordnen. Der Bescheid erweise sich nach summarischer Prüfung nicht als offensichtlich rechtmäßig, mit der Folge, dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners überwiege.

Insbesondere sei der Widerspruch der Antragsteller auch innerhalb der Frist des § 84 SGG bei dem Antragsgegner eingegangen. Die Antragsteller hätten angegeben den Bescheid vom 25.06.2018 erst durch persönliche Aushändigung am 24.08.2018 erhalten zu haben. Für einen früheren Zeitpunkt sei der Antragsgegner beweisbelastet (vgl. Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 37 Rdnr 13). Der Antragsgegner habe hierzu nichts vorgetragen. Der Bescheid vom 25.06.2018 in der Leistungsakte des Antragsgegners trage darüber hinaus keinen "Ab-Vermerk" und sei den Antragstellern auch nicht mittels Postzustellungsurkunde übermittelt worden, sodass sich ein Zugang bei den Antragstellern vor dem 24.08.2018 nicht mehr feststellen lasse. Die Antragsteller hätten innerhalb von zehn Tagen nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes vom 25.06.2018 Widerspruch erhoben.

Der Leistungsanspruch der Antragsteller entfalle nicht aufgrund des seit dem 29.12.2016 geltenden Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, und ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.

Dahingestellt bleiben könne im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, ob der Antragsteller zu 1) derzeit über ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer iSd § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU wegen einer Tätigkeit bei der Firma DPD Deutschland GmbH verfüge. Den von dem Antragsgegner ohne Begründung geäußerten Zweifeln am Bestehen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit sei ggf. im Rahmen des Hauptsachverfahrens nachzugehen.

Den Antragstellern seien im Wege der Folgenabwägung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einstweilen zuzusprechen.

Der Antragsteller zu 3) verfüge über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11. Danach könnten die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen sei, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Art. 10 VO (EU) 492/11 verleihe den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule und damit ein autonomes, dh nicht vom Aufenthaltsrecht ihrer Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht gelte für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO (EU) 492/11 verlange nur, dass das Kind mit seinen Eltern oder einem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (vgl. EuGH Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15, vom 13.06.2013 - C-45/12 - Hadj Ahmed, vom 08.05.2013 - C-529/11 - Alarape und Tijani, vom 14.06.2012 - C-542/09, vom 06.09.2012 - C- 147/11 und 148/11 - Czop und Punakova und vom 23.02.2010 - C-310/08 und 480/08 - Ibrahim und Teixeira). Dem Antragsteller zu 3) stehe dieses Aufenthaltsrecht zu. Die im Zeitraum von September 2017 bis 13.02.2018 als Paketsortierer/ -entlader für die Firma I GmbH durch den Antragsteller zu 1) ausgeübte Tätigkeit sei als gelebte und echte Arbeitnehmertätigkeit anzusehen. Hiervon sei auch die Antragsgegnerin ausgegangen, als sie den Antragstellern nach Prüfung des Arbeitsverhältnisses vorläufig Leistungen nach dem SGB II bewilligt habe. Im diesem Zeitraum sei der Antragsteller zu 3) auch zur Schulausbildung in der Ischule in I gewesen.

Hieraus leite sich ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 1) und 2) als sorgeberechtigte Elternteile des Antragstellers zu 3) ab. Soweit und solange die minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art. 10 VO (EU) 492/11 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können, bestehe in gleicher Weise für die Eltern bzw. den Elternteil, die bzw. der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnehme, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art. 10 VO (EU) 492/11. Dies habe der EuGH damit begründet, dass die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, geeignet sein könne, den Kindern ein - ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkanntes - Recht zu nehmen. Ohne Belang sei, ob der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil - wie hier die Antragstellerin zu 1) - nicht mehr Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat sei (vgl. EuGH Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15 und vom 08.05.2013 - C-529/11 Alarape und Tijani). Das Aufenthaltsrecht für den tatsächlich die elterliche Sorge ausübenden Elternteil, dessen Kind sich auf Art. 10 VO (EU) 492/11 berufen könne, bestehe auch dann, wenn dieser Elternteil nicht über ausreichende Existenzmittel oder einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfüge (EuGH Urteile vom 23.02.2010 - C-310/08 und C-480/08 - Ibrahim und Teixeira). Zusammen mit dem in Ausbildung befindlichen Kind habe der sorgeberechtigte Elternteil daher ein von diesem abgeleitetes Aufenthaltsrecht (so auch LSG NRW Beschluss vom 21.12.2017 - L 7 AS 2044/17 B ER - und Beschluss vom 21.08.2017 - L 19 AS 1577/17 B ER).

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II stehe einer zusprechenden Entscheidung im Wege der Folgenabwägung nicht entgegen. Zwar seien vorliegend die Voraussetzungen dieser Ausschlussnorm ihrem Wortlaut nach gegeben. Danach seien Ausländer und Ausländerinnen vom Leistungsbezug ausgeschlossen, die ihr Aufenthaltsrecht (wie hier) allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art. 10 VO (EU) 492/11 ableiten.

Allerdings werde mit gewichtiger Argumentation geltend gemacht, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II gegen das europäische Gemeinschaftsrecht verstoße (LSG NRW Beschlüsse vom 21.08.2017 - L 19 AS 1577/17 B ER, vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER - und vom 01.08.2017 - L 6 AS 860/17 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; Derksen, info also 2016, 257; Devetzi/Janda, ZESAR 2017, 197). Greife der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II gegenüber dem Antragsteller zu 1) nicht, sei er als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen und folge der Leistungsanspruch der übrigen Antragsteller als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr.3 a, 4 SGB II) - wie ausgeführt - aus § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II.

Da die Rechtsfrage, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den EuGH erfordere, sei unter Beachtung des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvR 2013/16 mwN), in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange der Antragsteller einzustellen seien. Aus dem Gebot effektiven Rechtschutzes könne sich die Verpflichtung ergeben, entgegen einer gesetzlichen Norm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, also eine Gesetzesvorschrift nicht anzuwenden (so im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 21.12.2017 - L 7 AS 2044/17 B ER -, vom 14.09.2017 - L 21 AS 782/17 B ER -, vom 21.08.2017 - L 19 AS 1577/17 B ER -, vom 16.08.2017 - L 19 AS 1429/17 B ER - und vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER). Hier überwiege das Interesse der Antragsteller am Erhalt von existenzsichernden Leistungen. Den Antragstellern drohe eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung ihres Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG), die durch ein Urteil in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könne. Denn es bestehe ein aktueller Bedarf an existenzsichernden Leistungen für eine vierköpfige Familie mit zwei minderjährigen Kindern. Deren Bedarfsunterdeckung könne nicht, auch nicht vorübergehend, hingenommen werden.

Die Antragsteller hätten hinsichtlich der von ihnen begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs für die Monate Oktober 2018 bis einschließlich März 2019 einen Anordnungsanspruch und -grund iSd § 86b Abs. 2 SGG glaubhaft gemacht.

Die Antragsteller zu 1) und 2) hätten das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II für September 2018 glaubhaft gemacht. Sie hätten das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II) und seien erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II. Anhaltspunkte für eine gesundheitliche Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit lägen nicht vor. Die Antragsteller zu 1) und 2) hätten ferner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I.

Auch die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II sei glaubhaft gemacht. Hilfebedürftig sei, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte (§ 9 Abs. 1 SGB II). Vorliegend seien die Angaben der Antragsteller zur Hilfebedürftigkeit nachvollziehbar und glaubhaft. In ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sie angegeben, weder über Einkommen noch über Vermögen zu verfügen. Auch im Übrigen lägen nach Aktenlage keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsteller ab Antragstellung bei Gericht über unbekanntes Einkommen oder Vermögen verfügt haben könnte.

Ggfs. bestehende Leistungsausschlüsse seien zu Ungunsten der Antragsteller aufgrund der gebotenen Interessenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu berücksichtigen. Das Gericht nehme hierzu Bezug auf die oben gemachten Ausführungen.

Der Anordnungsgrund hinsichtlich des Regelbedarfs sei ebenfalls glaubhaft gemacht. Die Antragsteller könnten ihren Lebensunterhalt weder aus eigenem Einkommen noch aus Vermögen sicherstellen.

Hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung sei kein Anordnungsgrund ersichtlich. Ein solcher liege nur vor, wenn schwere und unzumutbare Nachteile drohten, die nicht anders als durch Erlass der einstweiligen Anordnung abgewendet und durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden könnten (BVerfG Beschluss vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236 m.w.N.). Es fehle an einem nachvollziehbaren und substantiierten Vortrag betreffend die Gefährdung der konkreten Wohnung.

Der Umstand, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung betroffen seien, ersetze nicht die Glaubhaftmachung, dass ein nicht anders als durch Erlass der begehrten Regelungsanordnung abwendbarer Nachteil drohe. Ein solcher sei nur gegeben, wenn bei einer Verweisung auf das Hauptsacheverfahren nicht mehr korrigierbare, irreparable Schäden drohten (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.09 2017 - 1 BvR 1719/17 zu den Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 90 Abs.2 S.2 BVerfGG).

Hierzu sei in Bezug auf Bedarfe der Unterkunft und Heizung nichts vorgetragen und aus den vorgelegten Unterlagen auch nichts zu erkennen.

Nach Zustellung des Beschlusses am 13.11.2018 haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es seien auch Kosten der Unterkunft und Heizung vorläufig zu gewähren. Die Vermieterin habe mit Schreiben vom 07.11.2018 zur Begleichung sämtlicher Mietrückstände eine Frist zum 30.11.2018 gesetzt und mit der fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gedroht. Zudem habe der Antragsgegner den Beschluss des Sozialgerichts falsch umgesetzt und rechne bedarfsmindernd Einkommen des Antragstellers zu 1) an. Im Oktober 2018 sei ein weiteres Kind der Antragsteller zu 1) und 2) geboren worden.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.11.2018 zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern für die Zeit vom 01.10.2018 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis 31.03.2019, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II durch Gewährung des Regelbedarfes und der Kosten der Unterkunft und Heizung unter Anrechnung des Kindergeldes in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner vertritt weiter die Auffassung, dass sich aus dem Schulbesuch des Antragstellers zu 3) kein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 1) und 2) ableiten lasse.

Im Beschwerdeverfahren haben die Antragsteller ein Schreiben ihrer Vermieterin vorgelegt in dem diese eine letzte Frist bis zum 31.01.2019 zur Begleichung der Mietschulden setzt. Ab dem 01.02.2019 werde sie einen Rechtsanwalt beauftragen, Räumungsklage bei Gericht einzureichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 5) ist unzulässig. Sie ist nicht statthaft, weil die Beschwerdeführerin zu 5) nicht durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist. Sie ist dem Antragsverfahren vor dem Sozialgericht nicht beigetreten und daher vom Beschluss des SG vom 12.11.2018 nicht betroffen.

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller und Beschwerdeführer zu 1) - 4) ist begründet. Die Antragsteller haben auch in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Bezüglich des Anordnungsanspruchs verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts vom 12.11.2018 (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Lediglich klarstellend weist der Senat aus gegebenem Anlass darauf hin, dass der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung selbstverständlich so zu verstehen ist, dass Einkommen - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen - nur dann anzurechnen ist, wenn es auch tatsächlich erzielt wird.

In der Gesamtwürdigung hält der Senat hier den Anordnungsgrund auch bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung für gegeben (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 30.04.2015 - L 6 AS 296/15 B ER - juris). Angesichts der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller sowie der gegenüber dem Vermieter aufgelaufenen Schulden und unter Berücksichtigung des im Beschwerdeverfahren vorgelegten Schreibens der Vermieterin der Antragsteller ist es glaubhaft, dass die Wohnung als Lebensmittelpunkt der Familie konkret gefährdet ist. Ein solcher Verlust der Wohnung stellt für die Antragssteller, insbesondere für die minderjährigen Kinder (darunter ein Säugling) eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Weitere Umstände, die neben der Ablehnung jeglicher Leistung durch den Antragsgegner zum Zahlungsverzug der Antragsteller geführt haben könnten, sind nicht ersichtlich.

Den Antragstellern war gem. § 73 a SGG iVm § 114 ZPO für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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