L 10 SF 3/17 EK

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 SF 3/17 EK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 2/19 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 8.400,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als ehemals Beigeladene eine Entschädigung wegen einer überlangen Verfahrensdauer eines Klageverfahrens (bestehend aus zwei verbundenen Verfahren) vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG).

In dem führenden Verfahren (zunächst S 22 SO 29/11 später S 19 SO 29/11) erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers K. T., dieser vertreten durch seine Betreuerin, am 23. Februar 2011 Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch die Sozialagentur Sachsen-Anhalt. Klagebegehren war die Aufhebung eines in Kopie beigefügten Bescheides vom 20. August Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24. Januar 2011. Gegenstand der angefochtenen Entscheidung war die Ablehnung eines Antrags vom 15. August 2008 des im Wohnheim für Suchtkranke der Therapiegemeinschaft W. e.V. in W. untergebrachten Klägers auf Gewährung von Fahrkosten für eine medizinisch angeordnete Fahrt zur ambulanten fachärztlichen Behandlung. Zur Begründung der Ablehnung war ausführt, die Gewährung von Fahrkosten sei keine Leistung der Eingliederungshilfe. Verbunden mit der zunächst ohne Begründung erfolgten Klageerhebung war der Antrag auf Einsicht in die Verwaltungsvorgänge.

Das SG übersandte dem Beklagten die Klageschrift mit einem Schriftsatz vom 2. März 2011.

Am 16. März 2011 erfolgte der Eingang der vom Beklagen übersandten Verwaltungsvorgänge. Diese übersandte das SG mit Schreiben vom 17. März 2011 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Mit einem am 1. April 2011 bei Gericht eingegangenem Schreiben reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Verwaltungsvorgänge wieder zurück.

In dem Verfahren S 22 SO 29/11 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dieser vertreten durch seine Betreuerin, am 23. Februar 2011 Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch die Sozialagentur Sachsen-Anhalt. Er wandte sich gegen eine Ablehnung von vier im Juni und Juli gestellten Anträgen auf Gewährung von Fahrkosten für medizinisch angeordnete Fahrten zur ambulanten fachärztlichen Behandlung mit einem Bescheid vom 18. Juli 2008 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2011.

Das SG verband die zwei Verfahren mit Beschluss vom 10. Mai 2011 unter dem führenden Aktenzeichen S 22 SO 29/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Die Übersendung des Beschlusses an die Beteiligten erfolgte mit Schreiben vom 26. Mai 2011.

Mit einem am 28. Juni 2011 eingegangenen Schriftsatz erfolgte durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem verbundenen Verfahren eine ausführliche Klagebegründung (acht Seiten).

Der Beklagte nahm mit einem am 8. Juli 2011 beim SG eingegangenen Schriftsatz mit dem Umfang von sieben Seiten zur Klage Stellung.

Das SG fragte beim Prozessbevollmächtigten des Klägers mit einem Schreiben vom 30. November 2011 an, ob noch auf die Klageerwiderung geantwortet werde. Dieser reagierte mit einer am 2. Januar 2012 eingegangenen Stellungnahme, auf die wiederum der Beklagte mit einem am 15. Februar 2012 eingegangenem Schriftsatz erwiderte. Hierzu nahm dann der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem am 4. April 2012 eingegangenem Schreiben Stellung, worauf der Beklagte mit einem Schriftsatz vom 24. April 2012 antwortete, auf den dann der Prozessbevollmächtige des Klägers mit einem Schriftsatz vom 13. Juni 2012 erwiderte. Am 19. Juli 2012 ging ein weiterer Schriftsatz des Beklagten ein.

Der Prozessbevollmächtige des Klägers wandte sich mit einem Schreiben vom 2. August 2012 an das SG und führte aus: Die Angelegenheit werde als "ausgeschrieben" betrachtet und es werde um Anberaumung eines Termins gebeten.

Mit einem am 9. September 2014 beim SG eingegangenen Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtige des Klägers darauf hin, dass in dem Verfahren, in dem es um die Entscheidung einer Rechtsfrage gehe, nicht erkennbar sei, wann eine Verhandlung stattfinden werde. Weiter erfolgte der Hinweis, dass das Verfahren für den Kläger aufgrund seines desolaten Gesundheitszustands sowie seiner schwierigen wirtschaftlichen Situation besonders dringlich sei.

Mit Schreiben vom 18. September 2014 teilte das SG mit, dass das Verfahren nunmehr unter geändertem Aktenzeichen in einer anderen Kammer geführt werde.

Die neue Kammervorsitzende teilte mit einem Schreiben vom 2. Oktober 2014 mit, dass der Rechtsstreit zur Erörterung vorgesehen sei. Ein konkreter Termin könne noch nicht genannt werden.

Mit am 15. Oktober 2014 beim SG eingegangenem Schriftsatz beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Beiladung der Klägerin des hier zu entscheidenden Entschädigungsverfahrens und führte aus, diese sei Träger des Wohnheims, in dem der Kläger untergebracht sei.

Der Beklagte teilte mit einem Schriftsatz vom 3. November 2014 mit, er erhebe keine Einwände gegen die Beiladung.

Mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 erfolgte eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Mit einem am 8. Januar 2015 beim SG eingegangenen Schriftsatz zeigte der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen an, diese zu vertreten, und beantragte Akteneinsicht. Nach Anfrage beim Prozessbevollmächtigen des Klägers, ob Bedenken gegen die Akteneinsicht bestünden, was dieser am 25. Februar 2015 verneinend beantwortete, übersandte das SG mit Schreiben vom 3. März 2015 die Gerichts- und Verwaltungsakten. Diese sandte der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen mit einem am 20. April 2015 eingegangenem Schreiben dem SG zurück.

Am 4. Mai 2015 erfolgte noch eine Berichtigung des Beiladungsbeschlusses, in der die Bezeichnung der Beigeladenen geänderte angegeben wurde.

Am 7. Juli 2015 ging dann eine vierseitige Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen mit einer Anlage beim SG ein, die den anderen Beteiligten vom SG mit Schreiben vom 23. Juli 2015 zur Stellungnahme übersandt wurde.

Der Beklagte nahm dazu mit einem am 25. August 2015 eingegangenen zweiseitigen Schriftsatz Stellung.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte mit einem Schreiben vom 25. September 2015 mit, die Argumente seien hinreichend ausgetauscht worden, und beantragte, einen Termin anzuberaumen.

Mit Schreiben vom 18. Januar 2016 erfolgte die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2016.

Am 12. Februar 2016 ging noch ein Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen mit rechtlichen Ausführungen ein. Mit einem Schreiben des SG vom 15. Februar 2016 erfolgte die Aufhebung des anberaumten Termins wegen einer Erkrankung der Kammervorsitzenden und mit Schreiben vom 24. Februar 2016 eine neue Ladung zur mündlichen Verhandlung für den 14. März 2016. Daraufhin teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem Schreiben vom 1. März 2016 mit, er könne diesen Termin nicht wahrnehmen, weil schon früher eine Ladung für einen anderen Termin am selben Tage zugegangen sei. Auch der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen teilte mit, den Termin nicht wahrnehmen zu können. Die Kammervorsitzende beim SG hob die Terminbestimmung daraufhin mit Schreiben vom 8. März 2016 auf.

Der Beklagte fragte mit Schriftsatz vom 10. März 2016 an, ob eine Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung erfolgen könne. Dieses Schreiben übersandte das SG den übrigen Beteiligten zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte sich hiermit mit einem Schreiben vom 18. April 2016 einverstanden. Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen führte in einem am 4. Mai 2016 eingegangenen Schreiben rechtlich aus und erklärte sich ebenfalls mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Das SG übersandte das Schreiben des Prozessbevollmächtigens der Beigeladenen mit Schreiben vom 12. August 2016 an den Beklagten und fragte an, ob hierzu noch eine Stellungnahme beabsichtigt sei.

Mit einem am 17. August 2016 eingegangenen Schriftsatz rügte der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen eine überlange Verfahrensdauer.

Mit einem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil vom 20. September 2016 wies das SG die Klage ab. Dieses Urteil wurde den Beteiligten jeweils am 13. Februar 2017 zugestellt.

Die Beigeladene im Ausgangsverfahren (im Folgenden nunmehr als Klägerin bezeichnet) hat am 20. März 2017 beim hiesigen Landessozialgericht eine Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) erhoben und ausgeführt: Gegenstand der Entschädigungsklage sei nicht ein Klageverfahren, sondern die ursprünglichen zwei Klagen. Zwischen dem Eingang der Klagen und dem Urteil seien mehr als sechs Jahre und ein Monat vergangen. Die Verfahren seien als rechtlich durchschnittlich anzusehen und auch in tatsächlicher Hinsicht seien keine Besonderheiten erkennbar. Eine ausführliche Klagebegründung habe bereits seit dem 26. Mai 2011 vorgelegen und der Prozessbevollmächtigte des damaligen Klägers habe die Sache mit Schriftsatz vom 2. August 2012 als ausgeschrieben bezeichnet. Abzüglich der für jedes Verfahren abzusetzenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten verblieben entschädigungsrelevante Verzögerungen von jeweils 31 Monaten. Die verspätet erfolgte Beiladung dürfe die Entschädigungszeit nicht vermindern. Sofern man aber für den Beginn des entschädigungsrelevanten Zeitraums auf den Beiladungsbeschluss abstelle, sei von einer Zeit der gerichtlichen Untätigkeit von jeweils 24 Monaten in jedem der zwei Verfahren auszugehen. Die Beigeladene habe auch einen Nachteil nicht vermögensrechtlicher Art erlitten. Das SG habe selbst in dem Beiladungsbeschluss ausgeführt, dass durch die Entscheidung in den Verfahren die rechtlichen Interessen der Beigeladenen berührt seien. Diese wäre nach Auffassung des beklagten Lands als subsidiäre Kostenschuldnerin in Betracht gekommen. Aus dem gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgegebenen Richtwert ergebe sich eine Entschädigung von 100,00 EUR pro Monat.

Die Klägerin beantragt,

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Verfahrensdauer der vor dem Sozialgericht Magdeburg unter den Az.: S 22 SO 29/11 und S 22 SO 31/11 registrierten, durch Beschluss vom 10. Mai 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 22 SO 29/11 verbundenen und unter dem Aktenzeichen S 19 SO 29/11 erledigten Verfahren eine Entschädigung in Höhe von mindestens 8.400 EUR nebst Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach der Vorschrift des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches auf diese Entschädigung seit dem 31. März 2017 zu zahlen.

hilfsweise

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Verfahrensdauer der vor dem Sozialgericht Magdeburg unter den Az.: S 22 SO 29/11 und S 22 SO 31/11 registrierten, durch Beschluss vom 10. Mai 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 22 SO 29/11 verbundenen und unter dem Aktenzeichen S 19 SO 29/11 erledigten Verfahren eine Entschädigung in Höhe von mindestens 4.800 EUR nebst Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach der Vorschrift des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches auf diese Entschädigung seit dem 31. März 2017 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint: Eine Entschädigung der Klägerin für Zeiten vor deren Beiladung im Ausgangsverfahren scheide aus. Dem Gericht sei nach dem Erlass des Urteils eine Zeit von mindestens zwei Monaten für die Beratung und die Abfassung der Gründe zuzubilligen. Insgesamt sei von der Beiladung bis zum Abschluss des Verfahrens ein Zeitraum ohne Förderung des Verfahrens durch das Gericht von zwölf Monaten erkennbar. Dies entspreche dem auch insoweit zu beachtenden Zeitraum von zwölf Monaten, der dem Gericht als Vorbereitungs- und Bedenkzeit einzuräumen sei.

Wenn man dies anders sähe, bliebe allenfalls eine Verzögerungszeit von ein bis zwei Monaten, für die keine Geldentschädigung gerechtfertigt sei. Die geforderte Entschädigung stehe auch in keinem Verhältnis zum Ausgangsverfahren.

Vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass sich die Entschädigung nicht auf jedes der verbundenen Verfahren beziehen könne. Das Verfahren habe sich nicht von einem Verfahren unterschieden, in dem der Kläger eine objektive Klagehäufung vorgenommen habe.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten (Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens und die Verwaltungsakten der Sozialagentur Sachsen-Anhalt) Bezug genommen. Diese haben bei der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Zahlung einer Entschädigung aufgrund einer unangemessenen Verfahrensdauer gerichtete Klage ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Maßgebend für das Entschädigungsklageverfahren sind die §§ 198 ff. GVG sowie die §§ 183, 197a, 202 SGG, jeweils in der Fassung vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) und des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554). Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren im ersten Rechtszug heranzuziehen. Nach § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Klägerin stützt die begehrte Entschädigungszahlung auf § 198 GVG, wonach angemessen entschädigt wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (Satz 1 der Vorschrift). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.

An der Einhaltung der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normierten Frist für eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer bestehen im Ergebnis keine Zweifel.

Nach Beendigung des Ausgangsverfahrens durch die Zustellung des ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteils mit dem Schriftsatz vom 13. Februar 2017 musste die Klage gem. § 197 Abs. 5 Satz 2 GVG spätestens sechs Monate nach der Erledigung erhoben werden (also bis zum 13. August 2017). Diese Frist wurde mit der Klageerhebung am 20. März 2017 gewahrt. Die Klage wurde auch nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach der Erhebung der Verzögerungsrüge vom 17. August 2016 erhoben (s. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG).

Die Klage ist nicht begründet, weil die Klägerin keinen eine Entschädigungspflicht rechtfertigenden Nachteil erlitten hat. Dies betrifft sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag, die sich nur in der Höhe des geltend gemachten Betrags unterscheiden.

Der allein für die Begründung des Anspruchs in Betracht kommende § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG setzt voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Aufgrund des Fehlens eines Nachteils sieht der Senat von einer Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ab.

Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin infolge der langen Dauer des Ausgangsverfahrens einen materiellen Schaden erlitten hat. Sie hat weder die Kosten für die Krankenfahrten des damaligen Klägers endgültig getragen noch bis zu einer Klärung einer rechtlichen Verpflichtung, ob diese vom Beklagten des Ausgangsverfahrens zu tragen waren, vorgestreckt. Sie hat auch nicht vorgetragen, insofern Rückstellungen gebildet oder in sonstiger Weise einen materiellen Schaden erlitten zu haben.

Auch ein immaterieller Schaden der Klägerin ist nicht feststellbar. Nach § 198 Abs. 2 GVG wird zwar ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist aber schon nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift widerleglich (s hierzu: BSG, Beschluss vom 8. Januar 2018, B 10 ÜG 14/17 B, Rn. 8, juris; BSG, Urteil vom 21. Februar.2013, B 10 ÜG 1/12 KL, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1; BSG, Urteil vom 5. Mai 2015, B 10 ÜG 5/14 R, SozR 4-1720 § 198 Nr. 12 Rn. 31 m.w.N.; Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 20. November 2013, X K 2/12, BFHE 243, 151, Rn. 26; Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 13. April 2017, III ZR 277/16, Rn. 21, juris; siehe auch Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks 17/3802, S. 19).

Die Vermutung greift die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf, der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass ein überlanges Gerichtsverfahren in aller Regel einen immateriellen Nachteil zur Folge hat (vgl. Beschluss vom 29. März 2006, 36813/97). Widerlegt ist die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung bzw. Gesamtabwägung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 29. Februar 2016, 5 C 31/15 D, DÖV 2016, 619; Röhl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 198 GVG, Rn. 115). Es handelt sich um eine widerlegliche Tatsachenvermutung im Sinne des § 292 Satz 1 Zivilprozessordnung (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015, III ZR 141/14, juris, Rn. 40, 41).

Hier liegt eine besondere Verfahrenskonstellation vor, die immaterielle Ersatzansprüche nach § 198 GVG ausschließt. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Beteiligung an dem Verfahren und damit auch keinen Anspruch auf eine zügige Entscheidung des Verfahrens.

Zu keinem Zeitpunkt hat die Klägerin die Verletzung eigener Rechte geltend gemacht; solche sind auch nicht erkennbar (tatsächlich anders lag der vom Schleswig-Holsteinisches LSG mit Urteil vom 16. August 2013, L 12 SF 4/12 EK, juris, entschiedene Fall). Das Sozialgericht hatte lediglich auf Drängen des Klägers des Ausgangsverfahrens - zutreffend - gemäß § 75 Abs. 1 SGG einfach beigeladen. Eine solche Beiladung ist nicht zwingend, sondern fakultativ. Beigeladen werden kann jeder, der ein berechtigtes Interesse an dem Rechtsstreit hat. Das Gericht hat einen sehr großen Ermessensspielraum (Gall in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 75 SGG, Rn. 34 m.w.N.). Ein solches Interesse besteht, wenn der Ausgang des Rechtsstreits für den Dritten in rechtlicher, wirtschaftlicher, tatsächlicher, kultureller, sozialer oder ideeller Hinsicht von Bedeutung sein kann (BSG, 19. Februar 1996, 6 RKa 40/93, SozR 3-1930 § 8 Nr. 2; Benkel NZS 1997, 256). Ein Anspruch auf einfache Beiladung besteht nicht und ihr Unterlassen ist regelmäßig kein Verfahrensfehler (so Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 75 Rn. 8b; Ulmer in Hennig, SGG, § 75 Rn. 35; Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, § 75 Rn. 307; Gall in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 75 SGG, Rn. 176; enger BSG, Urteil vom 28. September 2005, B 6 KA 71/04 R, SozR 4-2500 § 83 Nr. 2; zustimmend Fock in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 75 Rn. 14).

Eine solche Beiladung, die im Unterschied zu §§ 65, 66 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und zu § 60 Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht einmal eine rechtliche Betroffenheit erfordert, ist von dem Justizgewährleistungsanspruch und nachfolgend von dem Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht erfasst. Denn dieser sieht (nur) bei Verletzung des Gebots auf einen effektiven Rechtschutz auf der Rechtsfolgenseite eine angemessene Entschädigung vor (vgl. Urteil des Senats vom 29. November 2012, L 10 SF 5/12 ÜG, Rn. 191, juris). Wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und ihr Sinn und Zweck (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 1, 15, 18) bestätigen, dient sie dem Ausgleich einer Verletzung von Justizgewährleistungsvorschriften. Sie wurzelt in Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. EGMR, Beschlüsse vom 2. September 2010, Nr. 46344/06, juris; 24. Juni 2010, Nr. 21423/07, juris, Rn. 32), aber auch in Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. August 2012, 1 BvR 1098/11, juris, m. w. N.). Diese Vorschriften verlangen auch eine rechtskräftige Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist (Urteil des Senats a.a.O., juris; Esser in Löwe / Rosenberg, Kommentar StPO, 26. Aufl., § 6 EMRK/Art. 14. IPBPR, Rn. 314; Althammer / Schäuble, NJW 2012, 1 ff., Schenke, NVwZ 2012, 257 ff.; Guckelberger, DÖV 2012, 279 ff.; Wehrhahn, SGb 2013, 63; Ulmer, SGb 2013, 527, 532).

Die Sachentscheidung in dem Ausgangsverfahren konnte die dort Beigeladene auch nicht mit Rechtsmitteln angreifen. Im Verhältnis zu einem einfach Beigeladenen entfaltet ein Urteil in der Regel - und so war es auch im vorliegenden Fall - keine materielle Beschwer; er wird nicht in seinen Rechten verletzt (Ulmer in Henning, SGG, § 75 Rn. 21, Stand: Juni 2015). Der einfach Beigeladene hat somit lediglich eine fast zuschauerähnliche Stellung.

Es ist auch tatsächlich kein Nachteil erkennbar. Die Klägerin hat weder in ihren vorbereitenden Schriftätzen noch in der mündlichen Verhandlung einen materiellen bzw. immateriellen Nachteil oder auch nur Beeinträchtigungen benannt. Sie hat lediglich vorgetragen, dass das Sozialgericht in dem Ausgangsverfahren die Beiladung damit begründet habe, dass ihre rechtlichen bzw. berechtigten Interessen berührt seien. Diese Formulierung gibt aber lediglich die im § 75 Abs. 1 SGG formulierte Voraussetzung für eine sogenannte einfache Beiladung wieder. Welche Interessen berührt sein könnten, hat das Sozialgericht nicht bezeichnet. Als berechtigtes Interesse der damaligen Beigeladenen kam lediglich das Interesse auf Klärung in Betracht, ob der damalige Beklagte (oder eine Krankenkasse) als Kostenträger für die notwendigen Krankenfahrten des damaligen Klägers in Betracht kam oder ob dieser die Fahrtkosten selbst tragen musste. Dies mag zwar für die Klägerin des vorliegenden Verfahrens eine praktische Bedeutung haben, berührt aber keine rechtlich geschützten Interessen. Es ist keine Rechtsgrundlage erkennbar oder jemals von dem Kläger des Ausgangsverfahrens oder der Klägerin des vorliegenden Verfahrens behauptet worden, nach der die Beigeladene des Ausgangsverfahrens die Fahrtkosten tragen sollte (tatsächlich anders in dem vom BSG mit Urteil vom 2. Februar 2010, B 8 SO 20/08 R, juris, entschiedenen Fall). Die stets bestehende theoretische Möglichkeit, dass zukünftig vielleicht einmal Klage erhoben werden könnte, kann niemals ausgeschlossen werden und begründet keine entschädigungspflichtige Ungewissheit. Hier hätte die Klägerin ggf. selbst eine Klage zur Feststellung der Pflicht zur Kostentragung erheben müssen. Die Klägerin hat auch weder vorgetragen noch ist es ersichtlich, dass sie Fahrtkosten tatsächlich (z.B. aus einer moralischen Verpflichtung) übernehmen wollte.

Das fehlende tatsächliche Interesse der Klägerin zeigt auch das Ausgangsverfahren. Zu keinem Zeitpunkt hat sich die Klägerin des anhängigen Verfahrens vor der Beiladung um eine Verfahrensbeteiligung bemüht oder sich im Verfahren geäußert. Die Beiladung erfolgte aufgrund eines Antrages des Klägers des Ausgangsverfahrens. Dies indiziert eine fehlende Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin.

Allein die Beteiligung an dem Verfahren genügt nicht. Denn der der überlangen Verfahrensdauer immanente Nachteil einer langen Ungewissheit unter der Voraussetzung überlanger Verfahrensdauer liegt naturgemäß ausnahmslos vor. Damit würde mit einer derartigen Schlussfolgerung die widerlegliche Nachteilsvermutung tatsächlich zu einer unwiderleglichen Vermutung, was der Konzeption des Gesetzes nicht entspricht (BFH, Urteil vom 20. November 2013, X K 2/12, BFHE 243, 151, Rn. 28).

Im Übrigen würde es auch an der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen überlangem Verfahren und Nachteil fehlen (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 16. August 2013, L 12 SF 4/12 EK, Rn. 33, juris; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 63). Denn das Gerichtsverfahren konnte unabhängig von seiner Dauer nichts für die Klägerin klären und war dafür auch nicht bestimmt. Die Ungewissheit bestand damit unabhängig von dem geführten Gerichtsverfahren und dessen Dauer, wie nicht zuletzt der konkrete Verlauf zeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und folgt der Sachentscheidung.

Die Revision ist zuzulassen. Es bedarf der Klärung der Frage, ob ein im Ausgangsverfahren einfach Beigeladener regelmäßig keine Entschädigung wegen einer überlangen Verfahrensdauer geltend machen kann.

Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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