S 76 KR 1425/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
76
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 KR 1425/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine deutsche Krankenkasse hat die Kosten für eine Lebendspende (hier: Nierentransplantation) nur dann zu übernehmen, wenn diese nach dem Transplantationsgesetz (TPG) zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn der ärztliche Eingriff nicht in Deutschland, sondern im EU-Ausland (hier: Niederlande) stattfinden soll.

Eine Lebendorganspende ist nur dann zulässig, wenn der potentielle Empfänger dem potentiellen Spender „in besonderer persönlicher Verbundenheit“ offenkundig nahesteht (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG). Die Vorschrift begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Klage wird abgewiesen, Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Lebendspende-Nierentransplantation.

Der 1961 geborene Kläger leidet seit vielen Jahren an einer Niereninsuffizienz und ist seit Ende 2013 dialysepflichtig. Er ist als Empfänger bei der Organvermittlungsstelle nach dem Transplantationsgesetz vermerkt.

Der in Sierra Leone lebende T. M. (nachfolgend als "Spender" bezeichnet) ist bereit, dem Kläger eine Niere zu spenden. Zuvor hatte zunächst der Bruder des Spenders, der seit 1999 in Deutschland lebt und den Kläger über ein gemeinsames Engagement für den Verein K. kennt, seine Bereitschaft zur Nierenspende erklärt. Er scheidet aber aus medizinischen Gründen als Spender aus. Der Bruder des Spenders schilderte daraufhin seiner Familie in Sierra Leone den Fall mit der Frage, ob evtl. "einer seiner Geschwister" für den Kläger spenden wolle. Es folgten mehrere große Familientreffen, bei denen das Thema besprochen wurde und als deren Ergebnis der Spender seine Spendebereitschaft erklärte. Medizinische Untersuchungen des potentiellen Spenders wurden bislang noch nicht durchgeführt.

Am 04.11.2016 fand ein Gespräch des Klägers und des Spenders mit den Mitgliedern der internen Transplantationskonferenz der C. statt. Die Mitglieder der Transplantationskonferenz kamen im Ergebnis einstimmig zu der Meinung, dass die in § 8 Abs. 1 Satz 2 Transplantationsgesetz (TPG) vorausgesetzte besondere persönliche Verbundenheit zwischen Spender und Empfänger nicht gegeben sei und dass sie eine Lebendspende nicht durchführen wollten. Eine Vorlage an die Lebendspendekommission gemäß § 4d des Berliner Gesetzes über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Berliner Kammergesetz) erfolgte nicht. Die Interdisziplinäre Transplantationskonferenz des Universitätsklinikum H. fasste am 30.11.2016 ebenfalls den Beschluss, dass die angebotene Lebendspende des Spenders nicht möglich sei, da die gesetzlichen Grundlagen (persönliche Beziehung zwischen Spender und Empfänger) nicht erfüllt seien. Grundlage des Beschlusses war das von der Uniklinik beigezogene Gesprächsprotokoll der C.

Mit E-Mail vom 22.12.2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er mit dem E. Krankenhaus in Rotterdam im Gespräch über die Vornahme einer Nierentransplantation dort sei, und bat er um Bestätigung der Kostenübernahme für seine Behandlung und die Behandlung seines Freundes dort.

Mit Bescheid vom 09.01.2017 lehnte die Beklagte eine Beteiligung an den Kosten der "beantragten Behandlung (Nierentransplantation in den Niederlanden)" ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass eine Kostenübernahme für eine Nierentransplantation in einem deutschen Krankenhaus erst nach Vorliegen einer Befürwortung durch die sogenannte "Ethik-Kommission" (Kommission Lebendspende) erfolgen könne. Es sei nicht gewährleistet, dass das ausländische Krankenhaus dieser Regelung nachkommen könne, da die Krankenhäuser im Ausland nicht an die deutsche Gesetzgebung gebunden seien.

Der Kläger legte gegen den Bescheid Widerspruch ein und trug u.a. vor, dass ihm in der C. geraten worden sei, sich für die Nierentransplantation nach Holland zu begeben. Die Klinik "E.", die eine ausgewiesene und anerkannte Transplantationsklinik in Rotterdam sei, sei bereit, diese Operation durchzuführen, und sei nach dem dortigen nationalen System der Krankenversorgung berechtigt, eine solche Nierentransplantation im Rahmen des niederländischen Versorgungssystems durchzuführen. Es gehe ihm um eine Zustimmung nach § 13 Abs. 5 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Lebendspende lägen vor. Er kenne den Spender über dessen seit ca. 18 Jahren in Berlin lebenden Bruder, mit dem er sich gemeinsam ehrenamtlich für das Projekt S. e.V. in P., wo der Spender wohne, engagiere. In diesem Zusammenhang begleite er den Spender schon seit Jahren. Da es ihm aufgrund seiner Erkrankung und der Abhängigkeit von regelmäßigen Dialysen nicht möglich gewesen sei und auch aktuell nicht möglich sei, den Spender in Afrika zu besuchen, verliefen direkte Kontakte nur telefonisch und über das Internet. Der Spender hätte sich spontan aus tiefer Freundschaft dazu bereit erklärt, eine Niere zu spenden. Im Oktober 2016 sei es ihm (dem Kläger) gelungen, den Spender wieder persönlich zu treffen. Seitdem verbrächten sie sehr viel Zeit miteinander.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Bei Leistungen, die nach deutschem Recht nur unter bestimmten Bedingungen oder in bestimmter Form erbracht werden dürften, seien diese Rechtsvorschriften auch bei einer Inanspruchnahme in den Niederlanden zu beachten. Hierzu zählten u.a. die Organtransplantationen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits ausgeführt, dass die Krankenkasse grundsätzlich nicht für die Kosten einer im Ausland vorgenommenen Organtransplantation aufzukommen habe, wenn sich der Versicherte das Spenderorgan unter Umgehung des in Deutschland nach dem TPG maßgeblichen Vergabesystems beschafft hätte (Urteil vom 17.02.2004, Az.: B 1 KR 5/02 R).

Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Lebendnierentransplantation in Deutschland als Sachleistung und hilfsweise eine Kostenzusage der Beklagten für eine Lebendnierentransplantation in einem europäischen Land. Er vertritt u.a. die Auffassung, die Angelegenheit habe auch eine verfassungsrechtliche Dimension, weil durch die Einschränkung des Kreises der Spender nicht nur in die grundrechtliche Handlungsfreiheit des Organbedürftigen eingegriffen werde, der durch diese Einschränkung gehindert sei, eine ihm angebotene Spende anzunehmen, sondern auch in die grundrechtliche Handlungsfreiheit der Spender, die ihrerseits gehindert würden, eine freiwillige Spende eines Organs zu leisten. Die Entscheidung darüber, ob eine andere Person im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG dem Spender so nahe stehe, wie es der Gesetzgeber fordere, könne nicht von Ärzten getroffen werden. Die Beklagte verhalte sich daher ermessensfehlerhaft, wenn sie sich hinter den ablehnenden Ärzten der C. verstecke. Die Vorschriften des Berliner Kammergesetzes seien teilweise verfassungswidrig, weil sie forderten, dass die beantragende Einrichtung alle Voraussetzungen des § 8 TPG bestätige, so dass es vorher nicht zu einer gutachterlichen Stellungnahme nach § 8 Abs. 3 Satz 2 TPG kommen könne. Da es hier um den Schutz von Leben und Gesundheit gehe, bedürfe der Eingriff in die zentralen Grundrechte des potentiellen Spenders und des potentiellen Empfängers einer eindeutigen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Eine solche stelle § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG nicht dar. Es komme zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Diskriminierung von Menschen, die nicht über einen formalen Verwandtschaftsgrad zu den Organbedürftigen verfügten. Das sei ersichtlich verfassungswidrig, weil die formale Verwandtschaftsbeziehung eine persönliche Verbundenheit keineswegs voraussetze. Der rechtliche Pfeffer der Auseinandersetzung liege klar darin, dass ein Gesetz, das den ärztlichen Transplantationseinrichtungen einfach durch die pure Weigerung, einen bestimmten Antrag zu stellen, die Entscheidungsgewalt darüber einräume, ob es überhaupt zu einer nach dem TPG erforderlichen Stellungnahme der Kommission kommen könne, verfassungswidrig sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte dazu zu verpflichten, ihm eine Nierentransplantation in der Form der Lebendspende als Sachleistung in Deutschland zur Verfügung zu stellen, hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 09.01.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2017 dazu zu verurteilen, die Kostenübernahme einer Lebendtransplantation einer Niere in den Niederlanden oder in einem anderen europäischen Land zuzusagen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt u.a. aus, es sei ihr nach den gesetzlich geltenden Regeln nicht möglich, das Geforderte zu erfüllen. Der Gesetzgeber habe den Rahmen für Organtransplantationen klar definiert. Ausnahmen seien nicht vorgesehen.

Das Gericht hat die den vorliegenden Fall betreffenden Unterlagen der C. und des Universitätsklinikum H. beigezogen. Hinsichtlich der Einzelheiten, insbesondere des Gesprächsprotokolls der C. vom 04.11.2016, wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die genannten Akten haben der Kammer vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht erhobene Klage ist im Hauptantrag unzulässig, da zu der Frage, ob der Kläger gegen die Beklagte einen (Sachleistungs-)Anspruch auf Versorgung mit einer Lebendnierentransplantation in Deutschland hat, noch kein Vorverfahren durchgeführt worden ist. Die unechte Leistungsklage i.S.d. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist vor dem Erlass eines ablehnenden Verwaltungsakts (und eines Widerspruchsbescheides bei Erfordernis eines solchen gemäß § 78 SGG) unzulässig. Sie ist außerdem unzulässig, soweit im angefochtenen Bescheid nicht über den im Klageverfahren geltend gemachten Anspruch entschieden wurde (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 54, Rn 39b).

Bei der im Hauptantrag erhobenen Klage handelt es sich nicht um eine "echte" Leistungsklage i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG. Diese Klageart setzt voraus, dass ein Rechtsanspruch auf eine Leistung geltend gemacht wird und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen braucht. Die Klage geht nur auf Leistung und ist nicht mit einer Anfechtungsklage verbunden. Deswegen findet auch kein förmliches Verwaltungs- und Vorverfahren statt, und es gibt keine Klagefrist. Hauptanwendungsfall der echten Leistungsklage ist der sogenannte Parteistreit im Gleichordnungsverhältnis, wo eine Leistung nicht durch Verwaltungsakt einseitig festgesetzt werden darf, z.B. Klagen wegen Erstattungsansprüchen zwischen verschiedenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Klagen von Krankenhäusern oder sonstigen Leistungserbringern gegen Krankenkassen oder Klagen nach § 118 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) wegen Rückforderungs- und Auskunftsansprüchen gegen Geldinstitute. Die "echte" Leistungsklage findet auch bei Klagen gegen private Pflegekassen statt, da diese nicht befugt sind, Verwaltungsakte zu erlassen. Die "echte" Leistungsklage gibt es in seltenen Fällen auch im Verhältnis Bürger-Staat, z.B. hinsichtlich Ansprüchen auf Auskunft und Beratung oder Akteneinsicht oder auf Abgabe einer Willenserklärung, z.B. eines Vertragsangebots (Keller, a.a.O., Rn 41). Der Kläger begehrt der Sache nach aber die Übernahme der Kosten für eine Lebendnierentransplantation und damit eine (Sach-)Leistung, über die die Beklagte mit Verwaltungsakt entscheiden muss (jedenfalls dann, wenn – wie hier - der Versicherte nicht einen Leistungserbringer findet, der die Sachleistung ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse "auf Karte" erbringt).

Der Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Genehmigung einer stationären Krankenhausbehandlung im europäischen Ausland zur Durchführung einer Nierentransplantation nach Lebendspende durch den Spender.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind Versicherte grundsätzlich auch berechtigt, Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Gemäß § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB V können aber Krankenhausleistungen nach § 39 SGB V abweichend von Absatz 4 in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden.

Die Beklagte ist jedoch nicht verpflichtet, die begehrte Zustimmung zu erteilen, da die Nierenspende des Spenders an den Kläger in Deutschland nicht zulässig ist und damit auch die Nierentransplantation in Rotterdam nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt werden darf. Denn Versicherte dürfen sich nur die im System der deutschen Krankenversicherung vorgesehenen Sach- und Dienstleistungen in anderen EU- und EWR-Staaten selbst beschaffen. Die Leistung muss insbesondere notwendig, wirtschaftlich und wirksam sein (vgl. §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V). Die inländischen Leistungsvoraussetzungen gelten uneingeschränkt fort, soweit sie nicht diskriminierend wirken. Sind Ansprüche etwa von der Einhaltung eines besonderen Verfahrens oder einer besonderen vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängig, so gelten diese Voraussetzungen grundsätzlich auch bei einer Verschaffung der Leistung im EU-Ausland (Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 102. EL Dezember 2018, § 13 SGB V, Rn 174 f.). Die Bestimmung des Umfangs des Leistungskatalogs liegt in der nationalen Verantwortung, und diese soll durch die europäische Rechtsprechung genauso wenig ausgehebelt werden wie durch die Umsetzung dieser Rechtsprechung in § 13 Abs. 4 SGB V (Joussen, in: BeckOK Sozialrecht, 51. Edition, § 13 SGB V, Rn 23). Die Kostenerstattungsansprüche nach § 13 Abs. 4 und 5 SGB V hängen – ebenso wie diejenigen nach § 13 Abs. 2 und 3 SGB V – davon ab, dass der Versicherte einen Primäranspruch auf die entsprechende Dienst- oder Sachleistung im Inland hat. Sie können die Grenzen des Leistungssystems nicht erweitern, sondern setzen einen Leistungsanspruch voraus (Schifferdecker, a.a.O., Rn 173).

Leistungen für eine Behandlung, die im Inland aus rechtlichen oder ethisch-moralischen Erwägungen verboten sind, dürfen im Ausland nicht zu Lasten der GKV erbracht werden (BSG, Urteile vom 10.12.2003, Az.: B 9 VS 1/01 R, und vom 17.02.2004, Az.: B 1 KR 5/02 R, beide zitiert nach juris). Die Entnahme einer Niere ist in Deutschland gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG jedoch nur zulässig zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen. Ein solches Näheverhältnis zwischen dem Kläger und dem Spender besteht jedoch nach Auffassung der Kammer nicht.

Im Rahmen der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen", ist zunächst der Gesetzentwurf zum TPG in den Blick zu nehmen (vgl. BTDrucks 13/4355 S. 20 f. sowie BTDrucks 13/8017 S. 42 zu § 7 Abs. 1). Danach setzt die "besondere persönliche Verbundenheit" sowohl innere als auch regelmäßig äußere Merkmale, wie eine gemeinsame Wohnung oder häufige Kontakte, voraus. Auch eine systematische und teleologische Auslegung legt es nahe, dass zwischen den Personen, die sich in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen, ein Assoziationsgrad in äußerer und innerer Hinsicht bestehen muss, bei dem sich - wie etwa bei Verwandten - typischerweise die Vermutung aufstellen lässt, dass der Entschluss zur Organspende ohne äußeren Zwang und frei von finanziellen Erwägungen getroffen wurde (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 11.08.1999, Az.: 1 BvR 2181/98 u.a., zitiert nach juris).

Das BSG, dem die Kammer nach eigener Überprüfung folgt, geht davon aus, dass zwischen Spender und Empfänger eine Beziehung vorliegen muss, die über ein bloßes "Kennen" hinausgeht. "Es müssen persönliche Elemente, im Gegensatz zu rein ökonomischen, in der Beziehung enthalten sein, die eine Verbundenheit geschaffen haben. Weiter kann aus der Aufzählung in § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG geschlossen werden, dass die in der letzten Alternative angesprochene persönliche Verbundenheit ihrer Art nach den konkret benannten Beziehungen (Verwandtschaft ersten und zweiten Grades, Ehe, Verlöbnis) in etwa entsprechen sollte. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die erste Gruppe der Beziehungen nicht homogen ist. So gibt es, was die Intensität der Verbundenheit anbelangt, z.B. zwischen einer Verwandtschaft zweiten Grades und einer Ehe erhebliche Unterschiede. Dementsprechend erscheint es nicht sachgerecht, für die letzte Alternative eine gemeinsame Lebensplanung zu verlangen, wie sie in erster Linie bei Ehegatten üblich ist. Sicher ist eine gemeinsame Lebensplanung ein Indiz für das Bestehen einer besonderen persönlichen Verbundenheit (vgl BT-Drucks 13/4355 S 20 f), andererseits handelt es sich nicht um ein Kriterium, an dessen Fehlen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG scheitern müssten. ( ) Ziel der Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG ist es, der Gefahr des Organhandels zu begegnen. Zudem soll die Freiwilligkeit der Organspende sichergestellt werden. Der Spender und seine Gesundheit sollen vor einer vorschnellen und ggf. unter Druck getroffenen Entscheidung geschützt werden, die bei eventuellen Komplikationen bereut werden könnte (Holznagel, DVBl 2001, 1629, 1633; s auch Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, 2001, Erl § 8 TPG RdNr 16; Seidenath, MedR 1998, 253, 255). Um dieses zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber den Kreis der für einen konkreten Kranken in Betracht kommenden Lebendspender eingeschränkt (BT-Drucks 13/4355, S 20). Dahinter steht die Vorstellung - die sich im Übrigen bereits in der Zusammensetzung der als Spender in Betracht kommenden Personengruppen der Alt. 1 - 3 des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG widerspiegelt -, der Entschluss zur Organspende werde am ehesten dann ohne äußeren Zwang und vor allem frei von finanziellen Erwägungen getroffen, wenn eine enge zwischenmenschliche Beziehung zwischen dem Spender und dem Empfänger vorhanden ist (vgl. hierzu auch Holznagel, DVBl 2001, 1629, 1634; kritisch Schroth in Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2000, S 245 ff, 257 ff; König in Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2000, S 265 ff, 275). ( ) Der Gesetzgeber geht, wie sich aus dem interfraktionellen Entwurf (BT-Drucks 13/4355, S 20) entnehmen lässt, für den Regelfall davon aus, dass zwischen Spender und Empfänger "häufige enge persönliche Kontakte über einen längeren Zeitraum" sowie eine "über einen längeren Zeitraum" gewachsene "Bindung" vorhanden sind. ( ) Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG ist die Lebendspende nur dann zulässig, wenn das sich persönlich Nahestehen auch offenkundig ist. ( ) Besondere persönliche Verbundenheit als Garant der Freiwilligkeit und Uneigennützigkeit der Spenderentscheidung außerhalb enger Verwandtschaft, Ehe oder Verlöbnis geht nicht zwangsläufig mit einer plakativen Außenwirkung einher, sodass sie ohne nähere Betrachtung jedem einleuchtet oder für jeden ersichtlich oder erkennbar ist (Sengler in Kirste, Nieren-Lebendspende, 2000, S 100 ff, 106; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, 2001, Erl § 8 RdNr 24; Koch, Zentralbl Chir 124 (1999) 8, 718, 720; Rittner/Besold/Wandel, MedR 2001, 118, 122). Zentrales Merkmal ist hier die innere Verbundenheit und nicht deren "Vermarktung" anderen gegenüber (vgl Schreiber, in Deutscher Bundestag, Ausschuss für Gesundheit, Ausschuss-Drs 603/13, S 17, 20). Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er darauf hinweist, das nach außen sichtbare Kriterium des Zusammenlebens sei keine verlässliche Größe, um daraus eine persönliche Bindung zwischen zwei Menschen ableiten zu können. Freiwilligkeit als Ausdruck des Respekts vor der Autonomie der Entscheidung des Spenders und dessen Schutz vor Schäden durch Fremdbestimmung können nicht ausschließlich durch äußere Umstände gewährleistet werden, sondern bedürfen der Feststellung der inneren Bindung sowie der Reife der Entscheidung (Frage der authentischen und stimmigen Entscheidung, Reiter-Theil, Zeitschrift für medizinische Ethik 45 (1999), 139, 146, 147; vgl auch Reiter-Theil in Dierks, ua, Die Allokation von Spenderorganen, 1999, S 23 ff; Schroth in Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2000, S 245 ff, 258). Diese Merkmale müssen für den Arzt, der an dem Prozess der Entscheidung bis zur Transplantation beteiligt ist, im beruflichen Kontakt eindeutig erkennbar sein (s auch Schroth JZ 1997, 1149, 1153 und derselbe in Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht 2000, S 263: "für den Arzt erkennbar"; so wohl auch Höfling, Kommentar zum TPG, 2003, § 8 RdNr 80), zumal er bei einem Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen hat (§ 19 Abs. 2 TPG)" (BSG, Urteil vom 10.12.2003, a.a.O.).

Die Mitglieder der internen Transplantationskonferenz der C. (die Anästhesistin Dr. K., der Chirurg Dr. Ö. und die Nephrologin Prof. Dr. R.) haben nach einem persönlichen Gespräch mit dem Kläger und dem Spender am 04.11.2016 die Voraussetzung "in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehend" als nicht gegeben gesehen. Die Interdisziplinäre Transplantationskonferenz des Universitätsklinikum H. hat diese Einschätzung nach Durchsicht des in der C. gefertigten Gesprächsprotokolls geteilt. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung ebenfalls an. Ein "offenkundiges Näheverhältnis" im Sinne der zitierten Entscheidung kann nicht festgestellt werden.

Aus dem Umstand, dass nicht der Spender von sich aus dem Kläger die Nierenspende angeboten hat, ergeben sich bereits große Zweifel hinsichtlich der erforderlichen "offenkundigen" Nähe. Hinzu kommt, dass auch nicht etwa der Kläger den Kontakt zum Spender aufgenommen hat, sondern die Initiative vom Bruder des Spenders ausging, der aber ebenfalls noch nicht einmal den Spender direkt angesprochen hat, sondern eine allgemeine Frage an "die Familie" gerichtet hat, ob "einer seiner Geschwister" zur Spende bereit wäre. Das Gesprächsprotokoll vom 04.11.2016 bestätigt, dass der Spender seine Bereitschaft zur Spende zu einem Zeitpunkt erklärt hat, zu dem er den Kläger noch gar nicht persönlich kannte. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erneut angegeben, dass er den Spender erstmals im Oktober 2016 persönlich kennengelernt habe, als dieser im Zuge der Vorbereitung der Transplantation (erstmals) nach Deutschland gekommen sei. Vorher (seit 6-7 Jahren) hätten sie nur "virtuell" Kontakt gehabt, also über Internet oder Telefon. Verständigt hätten sie sich auf Englisch oder mit Hilfe des Bruders des Spenders als Dolmetscher. Die Beziehung sei seit Oktober 2016 aber immer intensiver geworden.

Dies alles lässt darauf schließen, dass zwischen dem Kläger und dem Spender weder "häufige enge persönliche Kontakte über einen längeren Zeitraum" stattgefunden haben noch eine "über einen längeren Zeitraum" gewachsene "Bindung" vorhanden ist.

Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, a.a.O.). Sie greift zwar in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des potentiellen Empfängers ein, denn Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) schützt auch als Abwehrrecht den Einzelnen gegen mittelbar hervorgerufene Verletzungen und die von der Vorschrift ausgehenden Beeinträchtigungen der Therapiemöglichkeiten von Patienten, die auf Ersatzorgane angewiesen sind, erreichen in Anbetracht der Bedeutung der Schutzverbürgungen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Eingriffsqualität. Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Mit der restriktiven Regelung des § 8 Abs. 1 S. 2 TPG soll der Vorrang der postmortalen Organentnahme gegenüber der Entnahme eines Organs einer lebenden Person zum Ausdruck gebracht werden. Außerdem verfolgt der Gesetzgeber damit das Ziel, die Freiwilligkeit der Organspende sicherzustellen und jeder Form des Organhandels vorzubeugen. Die Regelung dient außerdem dem "Schutz des Spenders vor sich selbst". Auch wenn selbstgefährdendes Verhalten Ausübung grundrechtlicher Freiheit ist, ändert dies nichts daran, dass es ein legitimes Gemeinwohlanliegen ist, Menschen davor zu bewahren, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen. Die Regelung ist zur Zweckerreichung auch geeignet und erforderlich. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Freiwilligkeit der Organspende grundsätzlich nur bei einem verwandtschaftlichen oder sonstigen Näheverhältnis vermutet werden kann. Mit dieser Einschätzung hat er seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Die Regelung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Dafür spricht, dass die Lebendspende für den potentiellen Organempfänger in aller Regel nicht das einzige Mittel der Lebenserhaltung oder Gesundheitsverbesserung ist. Ferner durfte der Gesetzgeber Aspekte des Gesundheitsschutzes auch auf Seiten des potentiellen Organspenders berücksichtigen. Weitere Grundrechte (Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 GG) sind nicht verletzt. Faktische Beeinträchtigungen sind durch legitime Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und zur Erreichung der gesetzgeberisch verfolgten Ziele legitim (zu allem ausführlich und instruktiv BVerfG, a.a.O.).

Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 TPG ist die gutachtliche Stellungnahme der Lebendspendekommission nach § 4d Berliner Kammergesetz (die nicht zum Vorliegen eines offenkundigen Näheverhältnisses ergehen soll, sondern zu der Frage, ob – trotz Vorliegens eines Verwandtschafts- oder sonstigen Näheverhältnisses – ausnahmsweise "begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist"; siehe hierzu auch BVerfG, a.a.O., Rn 75) lediglich eine "weitere" Voraussetzung für die Entnahme von Organen bei einem Lebenden. Sie muss also zusätzlich zum tatsächlich bestehenden Näheverhältnis (immer, d.h. auch bei Verwandten und den weiteren in § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG konkret aufgeführten Personen) eingeholt werden und kann ein Näheverhältnis weder begründen noch verneinen noch ersetzen. Da es im vorliegenden Fall aber schon an einem offenkundigen Näheverhältnis i.S.d § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG zwischen dem Kläger und dem potentiellen Spender fehlt, kann die Frage, ob § 4d Berliner Kammergesetz über die Vorschriften des § 8 TPG hinausgeht und/oder verfassungswidrig ist, offen bleiben.

Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt kein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen. Der grundrechtliche Anspruch ist im Hinblick auf die den zuständigen staatlichen Stellen eingeräumte weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflicht nur darauf gerichtet, dass überhaupt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechtes getroffen werden, die nicht völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Das gilt auch für die Versorgung mit Spendernieren. Die Zuteilungskriterien des TPG spiegeln den krankenversicherungsrechtlich abzudeckenden Bedarf an Organtransplantationen zutreffend wider. Die Kriterien beinhalten eine objektive Gewichtung der maßgeblichen medizinisch-ethischen Gründe für die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Transplantation und ermöglichen nur so eine sachgerechte und für alle Beteiligten hinnehmbare Bewältigung des Mangels an Spenderorganen (BSG, Urteil vom 17.02.2004, Az.: B 1 KR 5/02 R, zitiert nach juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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