L 4 SO 193/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 20 SO 203/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 193/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 2/19 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Kostenersatzpflicht des Betreuers, wenn der Sozialhilfeträger auf Grund eines Unterlassens des Betreuers (hier: unzureichende Sorge für eine ausreichende Kontodeckung mit der Folge, dass auf Grund der Nichtzahlung von Beiträgen die freiwillige Mitgliedschaft der Betreuten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung endete) Sozialhilfeleistungen an die Betreute erbringen muss.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2017 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 103 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe heranziehen darf, die ihm entstanden sind, weil der Kläger als Betreuer nicht verhindert hat, dass die freiwillige Versicherung der von ihm Betreuten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund von Zahlungsrückständen endete, und der Beklagte deswegen Leistungen an die Betreute zu erbringen hat.

Der Kläger ist Berufsbetreuer und wurde im Jahr 2002 zum Betreuer der chronisch alkoholkranken und an einem hirnorganischen Abbau leidenden Frau C. C., geboren 1952, bestellt; sein Aufgabenkreis erstreckte sich unter anderem auf die Sorge für die Gesundheit und die Vermögenssorge (vgl. den Betreuerausweis vom 11. November 2002, Bl. 25 der zur Betreuten geführten Leistungsakte des Beklagten – im Folgenden: LA –).

Die Betreute erhielt auf Grund eines Vermächtnisses ihres verstorbenen Lebensgefährten monatliche Zahlungen in Höhe von 1.512,65 Euro; konkret handelte es sich um die hälftigen Pachteinnahmen aus einem Grundstück, das dem Lebensgefährten gehört hatte. Zahlungsverpflichtete war Frau D. D., eine Nichte des Lebensgefährten der Betreuten, auf die das Grundstück übergegangen war. Wegen der Einzelheiten wird auf das notarielle Testament des verstorbenen Lebensgefährten vom 17. März 2000 (LA Bl. 28 ff.) Bezug genommen.

Die Betreute, die bei der AOK Hessen (AOK) freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert war, wurde im Februar 2003 in das Alten- und Pflegeheim E. in E-Stadt aufgenommen. In diesem Zusammenhang erhielt die Betreute auf Antrag des Klägers – wenn auch erst im Rahmen einer Abhilfeentscheidung im Widerspruchsverfahren – durch Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2005 Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Heimkosten für die Zeit vom 10. Februar bis 31. August 2003. Ab 1. September 2003 war sie – nach Auflösung der zuvor von ihr bewohnten Wohnung – in der Lage, ihren Lebensunterhalt einschließlich der Unterbringung im Pflegeheim aus eigenen Mitteln zu finanzieren, so dass der Kläger den Antrag auf Sozialhilfe entsprechend beschränkte.

Im Frühjahr 2005 unterbrach Frau D. die Weiterleitung der hälftigen Pachtzahlungen, so dass das Konto der Betreuten ab März keine ausreichende Deckung für die per Lastschrift eingezogenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mehr aufwies. Die AOK mahnte die rückständigen Beträge für März 2005 mit Schreiben an die Betreute vom 22. April 2005 (vgl. LA Bl. 80 f.) an und teilte mit, dass sie das Lastschriftverfahren vorsorglich einstelle. Dem Kläger übersandte die AOK am gleichen Tag ein Duplikat. Mit Schreiben an den Kläger vom 20. Mai 2005 (vgl. Gerichtsakte – im Folgenden: GA Bl. 19) und ähnlich nochmals mit Schreiben an die Betreute vom 25. Mai 2005 (vgl. LA Bl. 84 f.) – ebenfalls als Duplikat am gleichen Tage an den Kläger übermittelt – meldete sich die AOK erneut, wies auf die durch die Nichtzahlung der Beiträge für April weiter angewachsenen Rückstände sowie das drohende Ende der freiwilligen Mitgliedschaft bei Nichtzahlung der Beiträge für zwei Monate hin und räumte eine Nachfrist für die Zahlung bis zum 15. Juni 2005 ein. Nachdem auch bis dahin keine Zahlung erfolgt war, endete die Mitgliedschaft der Betreuten in der AOK.

Anfang September 2005 wandten sich sowohl der Kläger als auch das Pflegeheim wegen der auf Grund der ausbleibenden Leistungen der Pflegeversicherung aufgelaufenen Rückstände und des fehlenden Krankenversicherungsschutzes an den Beklagten. Der Kläger erläuterte das Geschehen mit Schreiben vom 23. September 2005 aus seiner Sicht: Danach habe Frau D. aus ihm nicht nachvollziehbaren Gründen die Zahlungen des hälftigen Pachtanteils im März 2005 plötzlich eingestellt, was er zunächst nicht erfahren habe. Ende Mai 2005 habe er ein Schreiben der &1040;&1054;K erhalten, dass noch offene Rechnungen existierten und die Mitgliedschaft gefährdet sei. Frau D. habe ihm dazu, als er sie Anfang Juni erreicht habe, erklärt, dass sie die Gelder zurückgehalten habe, weil sie von ihm in regelmäßigen Abständen über den Gesundheitszustand der Betreuten habe informiert werden wollen. Erst nach Hinweis auf seine Schweigepflicht habe sie sich bereiterklärt, die zurückbehaltenen Gelder zu überweisen. Von diesem Gespräch habe er das Pflegeheim und die Krankenkasse informiert. Danach habe er einen 14-tägigen Urlaub angetreten. Letztendlich habe Frau D. erst am 6. Juli 2005 6.050,60 Euro überwiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 87 Bezug genommen.

In der Folge übersandte der Beklagte erstmals mit Schreiben vom 14. September 2005 und später regelmäßig Kostengarantiescheine zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Betreuten an das Pflegeheim und übernahm entsprechende Rechnungen. Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 (vgl. LA Bl. 111 ff.) bewilligte er Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, Hilfe zur Pflege und Hilfen zur Gesundheit und übernahm konkret die Heimkosten für die Zeit vom 6. September 2005 bis 31. Dezember 2006. Die Betreute verpflichtete er dabei zum Einsatz ihres Einkommens in Höhe von 1.512,65 Euro monatlich, wobei er den gegenüber Fr. D. bestehenden Anspruch mit Schreiben vom gleichen Tage auf sich überleitete. Die Kostenzusage wurde später – im Ergebnis offenbar fortlaufend bis heute – regelmäßig verlängert.

Im Frühjahr 2006 wurde Herr Rechtsanwalt F. F. zum neuen Betreuer von Frau C. bestellt (vgl. den Betreuerausweis vom 17. Mai 2006, LA Bl. 134 f.); der Kläger wurde aus dem Betreueramt entlassen. Nachdem sich der neue Betreuer erfolglos um die Wiederaufnahme der Betreuten in die Kranken- und Pflegeversicherung bemüht hatte, hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2008 zu einer Kostenersatzpflicht bei schuldhaftem Verhalten nach § 103 SGB XII für die seit dem 6. September 2005 und in der Zukunft entstehenden Krankenhilfeleistungen sowie die nicht vereinnahmten Leistungen der Pflegeversicherung an. Der Kläger äußerte sich hierzu mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 26. März 2008 (LA Bl. 337). Er machte nunmehr geltend, mit Schreiben vom 22. April 2005 habe der Krankenversicherer lediglich darauf hingewiesen, dass das Geldinstitut die Beiträge für den Monat März 2005 nicht habe einlösen können und das Lastschriftverfahren vorsorglich gelöscht habe. Bis zu seinem Urlaubsantritt Ende April sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass der Ausschluss der Betreuten aus der freiwilligen Krankenversicherung gedroht habe. Üblicherweise würden zwei bis drei Versuche unternommen, bevor das Lastschriftverfahren eingestellt werde. Demzufolge habe für ihn auch keine Notwendigkeit bestanden, vor Urlaubsantritt weitere Maßnahmen zu ergreifen. Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub habe er festgestellt, dass Frau D. die Überweisung des hälftigen Pachtzinses eigenmächtig eingestellt gehabt habe. Erst durch das weitere Schreiben der AOK vom 20. Mai 2005 – bei dessen Zugang er sich noch im Jahresurlaub befunden habe – habe er erfahren, dass der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Betreuten gefährdet gewesen sei. Er sei daher darum bemüht gewesen, umgehend Kontakt zu Frau D. aufzunehmen, und habe auch zeitnah einen Termin beim zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten, Herrn G., wahrgenommen und einen Antrag auf Leistungen für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gestellt. Als es ihm endlich gelungen sei, Kontakt zu Frau D. aufzunehmen, habe diese, allerdings erst nachdem er sie hinsichtlich ihres Wunsches nach Informationen über den Gesundheitszustand der Betreuten auf seine Schweigepflicht hingewiesen habe, die offenen Beträge überwiesen. An der Einstellung der Überweisung des hälftigen Pachtzinses und damit an der mangelnden Deckung des Kontos treffe ihn kein Verschulden

Mit dem streitigen Bescheid vom 3. Dezember 2008 forderte der Beklagte vom Kläger Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten gemäß § 103 SGB XII für die seit dem 6. September 2005 und in der Zukunft entstehenden Krankenhilfeleistungen sowie die nicht vereinnahmten Leistungen der Pflegeversicherung. Nach § 103 SGB XII könne auch ein Betreuer zum Kostenersatz verpflichtet sein, wenn er durch sozialwidriges Verhalten die Voraussetzungen für Leistungen der Sozialhilfe an den Betreuten herbeigeführt habe. Indem er trotz mehrfacher Erinnerungsschreiben und der Ausschlussandrohung der AOK nicht sichergestellt habe, dass die Kranken- und Pflegeversicherungsb&1077;iträge rechtzeitig und in der erforderlichen Höhe geleistet würden, habe der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt besonders schwer verletzt. Als Betreuer hätte es ihm oblegen, die Zahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sicherzustellen, notfalls durch kurzfristige und rechtzeitige Beantragung beim Träger der Sozialhilfe. Er hätte sich zumindest im April unverzüglich mit der Krankenkasse in Verbindung setzen und eine eindeutige Klärung herbeiführen müssen, damit diese den angedrohten Ausschluss nicht vollziehe. Stattdessen habe er seinen Urlaub angetreten, ohne ausreichende Maßnahmen zu ergreifen. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 389 ff. verwiesen.

Zur Begründung seines durch Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 23. Dezember 2008 eingelegten Widerspruchs wiederholte der Kläger im Kern sein Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 483 ff. Bezug genommen.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2009 zurück. Dabei führte er unter Vertiefung seiner Argumentation aus dem Ausgangsbescheid insbesondere aus, ein Betreuer habe die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dem Wohl des Betreuten entspreche (§ 1901 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –). Der Kläger habe bereits durch das Schreiben der AOK vom 22. April 2005 erkennen müssen, dass der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Betreuten durch das Ausbleiben der Beitragszahlungen zumindest gefährdet sei. Zudem habe die AOK ausgeführt, dass bis auf Weiteres keine monatlichen Zahlungen mehr abgebucht würden. Der Kläger habe dennoch Ende April 2005 seinen Urlaub angetreten, ohne auf das Schreiben der AOK reagiert zu haben. Er habe es auch versäumt, seinen Verhinderungsbetreuer für die Zeit seines Urlaubs mit der Klärung dieser erkennbar wichtigen Angelegenheit zu beauftragen. Seine Behauptung, dass er die relevanten Kontoauszüge zum damaligen Zeitpunkt nicht regelmäßig genug erhalten habe, sei für die Beurteilung zweitrangig. Überdies sei es seine Aufgabe, sich jeweils möglichst aktuelle Kenntnis vom Stand des Vermögens zu verschaffen. Ferner habe der Kläger nach Zugang des Schreibens der AOK vom 22. April 2005 mit dem Beklagten keine Rücksprache gehalten. Auch habe er nach Eingang des Schreibens der AOK vom 25. Mai 2005 offenbar keinen Kontakt mit dieser zwecks Aufschub der Frist beziehungsweise Klärung des Sachverhaltes aufgenommen, obwohl er, wie er selbst argumentiere, mit Frau D. nach seinem Urlaub offensichtlich erst keinerlei Kontakt habe herstellen können. Insgesamt sei festzustellen, dass er grob fahrlässig gehandelt habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf LA Bl. 501 ff. Bezug genommen.

Nachdem der Beklagte den Widerspruchsbescheid zunächst an die Adresse der früheren Kanzlei der Bevollmächtigten des Klägers übermittelt hatte, erließ er den Widerspruchsbescheid inhaltlich unverändert – nunmehr unter dem Datum des 6. Juli 2009 – erneut (vgl. LA Bl. 531 ff.). Nach dessen Zustellung am 9. Juli 2009 hat der Kläger mit Eingang noch am gleichen Tag Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen vertieft und dabei unter anderem ausgeführt, erst mit Schreiben vom 25. Mai 2005 habe die AOK auf die Möglichkeit der Übernahme der Beiträge durch den Sozialhilfeträger hingewiesen. Wegen der langen Bearbeitungsdauer von Sozialhilfeanträgen habe er alles daran gesetzt, Frau D. zu einer schnellen Zahlung zu veranlassen. Die Auffassung des Beklagten, er habe bei der Bank der Betreuten einen Überbrückungskredit beantragen müssen, sei lebensfremd. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger dann geltend gemacht, er habe sich ab dem 21. Mai 2005 für drei Wochen im Urlaub befunden.

Der Beklagte hat seinen Bescheid verteidigt. Eine Kontaktaufnahme des Klägers mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten sei aus der Akte nicht ersichtlich.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. August 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe sei nach § 103 SGB XII verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt habe. Der volljährige Kläger habe als Betreuer von Frau C. durch sein Verhalten gegenüber Frau D. als Schuldnerin seiner Betreuten und gegenüber der AOK die Voraussetzungen dafür herbeigeführt, dass seine Betreute sozialhilfebedürftig geworden sei. Er sei in den Monaten April, Mai und Juni 2005 untätig gewesen, obwohl sich, wie das Sozialgericht im Einzelnen ausgeführt hat, ein Tätigwerden gegenüber Frau D., der AOK und dem Beklagten aufgedrängt hätte. Wegen der Einzelheiten wird auf GA Bl. 60 ff. Bezug genommen.

Der Kläger hat – nach Zustellung des Urteils am 25. September 2017 – mit Eingang am 20. Oktober 2017 Berufung eingelegt. Sein Verhalten sei nicht sozialwidrig. Der Verlust des Krankenversicherungsschutzes sei vorliegend dadurch herbeigeführt worden, dass Frau D. ohne Vorankündigung und Angabe von Gründen die Zahlungen an die Betreute eingestellt habe. Er habe sich darum bemüht, Frau D. zur Wiederaufnahme der Zahlungen zu bewegen, und sei nach entsprechender Zusage in Urlaub gefahren. Erst nach dem Urlaub habe er feststellen können, dass sich Frau D. nicht an die Zusage gehalten habe. Er habe auch telefonisch Kontakt zur AOK gehabt und die Situation dort geschildert.

Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt seinen Bescheid und die Entscheidung des Sozialgerichts. Insbesondere sei die Angelegenheit durch den vom Kläger zwischenzeitlich geltend gemachten zeitlichen Ablauf nicht anders zu bewerten. Die Sozialwidrigkeit des Verhaltens des Klägers sei zu bejahen. So sei anerkannt, dass die Kündigung einer Krankenversicherung ein sozialwidriges Verhalten darstelle (Hinweis auf SG Gotha, Urteil vom 2. Juni 2008 S 14 SO 3481/06 –, juris, Rn. 36). Die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung einer Kündigung durch die Gegenseite sei dabei mit einer eigenen Kündigung vergleichbar. Dem Kläger sei überdies die Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst, zumindest aber auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht bewusst gewesen, da das Bestehen von Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ein geradezu unabdingbarer Bestandteil einer verantwortungsbewussten Lebensgestaltung eines jeden sei. Das gelte insbesondere, wenn – wie hier bei der Betreuten – fortlaufend in erheblichem Umfang medizinische und pflegerische Betreuung benötigt werde. So habe sich der Kostenaufwand im vorliegenden Fall zwischen 2005 und 2017 auf 231.969,10 Euro belaufen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Gerichtsakte und die die Betreute betreffende Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Beklagten verhandeln und entscheiden, nachdem dieser ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 19. Februar 2019 rechtzeitig unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens im Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden war.

Die zulässige, insbesondere nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Gesetzes wegen statthafte sowie form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2017 kann nicht aufrechterhalten werden. Die als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässige Klage ist auch begründet. Der den Kläger beschwerende Bescheid vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht erfüllt sind.

1. Nach der genannten Vorschrift ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat.

Das Verhalten, das den Ersatzanspruch begründen soll, muss sich anerkanntermaßen (zudem) als sozialwidrig darstellen, wobei offenbleiben kann, ob es sich dabei um eine Konkretisierung des qualifizierten Verschuldens handelt, das die Vorschrift tatbestandlich verlangt, oder um eine teleologische Begrenzung der ansonsten sehr weiten Vorschrift. Das Verhalten, das den Ersatzanspruch auslöst, muss demnach zwar nicht rechtswidrig sein, es muss aber einem "Unwerturteil" unterworfen werden können. Diese Beschränkung des Ersatzanspruchs, wie er sich heute in § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und für die Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) findet, geht bereits auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift in § 92a Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurück; in seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1976 (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1976 – V C 41.74 –, BVerwGE 51, 61 = juris, Rn. 7 ff.) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

"Mit Recht haben beide Vorinstanzen für ein "Verhalten" im Sinne des § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG als Tatbestandsvoraussetzung eines Anspruchs auf Kostenersatz nicht das Handeln des Klägers als solches genügen lassen, wenn es auch darauf hinauslief, daß er seinen Angehörigen Unterhaltszahlungen nicht mehr geleistet hat; vielmehr haben die Vorinstanzen gefordert, daß dieses Handeln einem Unwerturteil muß unterworfen werden können, für dessen Charakterisierung sie die Bezeichnungen "rechtswidrig" und "pflichtwidrig" verwenden. In dieser Anforderung drückt sich der Wesensunterschied der Regelung des Kostenersatzanspruchs im Bundessozialhilfegesetz gegenüber dem Rechtszustand aus, der früher bestanden hat. In § 25 Abs. 1 der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV) war als Grundsatz normiert, daß der Unterstützte aufgewendete Kosten zu ersetzen hat. Nach § 25a Abs. 1 RFV richtete sich der Ersatzanspruch in gleicher Weise gegen den Ehegatten des Unterstützten. Ferner hatten Eltern die ihren Kindern vor Vollendung des 18. Lebensjahres gewährten Leistungen zu ersetzen. Die Ausnahmen von der Erstattungspflicht waren abschließend aufgezählt (§ 25 Abs. 4 und § 25a Abs. 2 RFV). Mangel an hinreichendem Einkommen/Vermögen begründete ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 25 Abs. 2 RFV).

Mit diesem Grundsatz ist mit dem Erlaß des Bundessozialhilfegesetzes gebrochen worden. Zwar ist die Verpflichtung zum Kostenersatz nicht gänzlich entfallen. Jedoch ist sie im Grundsatz beseitigt worden. Mit der neuen gesetzlichen Regelung (§ 92 Abs. 2 BSHG F. 1961, § 92a Abs. 1 BSHG F. 1969) ist die Kostenersatzpflicht auf einen "engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand" beschränkt worden, um gewisse Unbilligkeiten auszuschließen, die sich aus ihrer uneingeschränkten Beseitigung ergeben würden (dazu Wehlitz, NDV 1964, 152 [154]). Das Bundesverwaltungsgericht hat von einem quasi-deliktischen Anspruch gesprochen, weil der Ersatzanspruch von einem schuldhaften Verhalten des Ersatzpflichtigen abhängt (BVerwGE 27, 319 (321) = FEVS 14, 448 = NDV 1967, 407).

Die Bezeichnung des Anspruchs als "quasi-deliktisch" besagt aber auch, daß das einen Anspruch auf Kostenersatz auslösende Verhalten nicht notwendig ein "rechtswidriges" im Sinn des Rechts der unerlaubten Handlung (§§ 823 ff. BGB) oder des Strafrechts sein muß. Diese Eingrenzung wäre zu eng; denn hiermit würde der Nachrang der Sozialhilfe, dessen Wiederherstellung auch § 92a BSHG dient, nicht in dem gebotenen Umfange verwirklicht werden können. Der Nachrang-Grundsatz gebietet die Heranziehung zum Kostenersatz auch in Fällen, in denen die Hilfeleistung zugunsten von unterhaltsberechtigten Angehörigen etwa wegen Arbeitsscheu oder Verschwendungssucht des Unterhaltspflichtigen notwendig wird. Für Verhaltensweisen dieser Art erscheint die Bezeichnung "sozialwidrig" geeignet. Mit dieser Maßgabe ist das in § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG normierte Erfordernis "vorsätzlichen oder grobfahrlässigen" Verhaltens zu lesen."

An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht in der Folgezeit durchgängig festgehalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1982 – 5 C 70/80 –, BVerwGE 64, 318 = juris, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 22/99 –, BVerwGE 109, 331 = juris, Rn. 12; BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 – 5 C 4/02 –, BVerwGE 118, 109 = juris, Rn. 16).

Eine entsprechende Eingrenzung muss auch für § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gelten, nachdem der Gesetzgeber diesen angesichts der etablierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Nachfolgevorschrift zu § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG ohne wesentliche Änderungen des Wortlauts geschaffen hat. Dies wird auch durch den Entwurf des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bestätigt, wo zur Begründung der Regelung aus § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (im Entwurf noch als § 98 Abs. 1 Satz 1) darauf verwiesen wird, die Vorschrift übertrage im Wesentlichen inhaltsgleich § 92a des Bundessozialhilfegesetzes (BT-Drucks. 15/1514 S. 68). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die etablierte Begrenzung des Kostenersatzes durch die Notwendigkeit eines sozialwidrigen Verhaltens hätte ändern wollen, bestehen somit nicht. Zusätzliche Unterstützung erhält ein entsprechendes Verständnis durch die Parallelregelung in § 34 SGB II: Auch dort ist die Sozialwidrigkeit zwar weiterhin nicht in den Wortlaut der Vorschrift aufgenommen worden, wohl aber in die amtliche Überschrift, die "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" lautet (vgl. hierzu Grote-Seifert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 34 Rn. 25). Nachdem Gründe für ein diesbezüglich unterschiedliches Verständnis der Ersatzansprüche in den unterschiedlichen Existenzsicherungssystemen nicht ersichtlich sind, kann als gesichert gelten, dass auch der Ersatzanspruch aus § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein sozialwidriges Verhalten voraussetzt.

Das Bundessozialgericht hat den Begriff der Sozialwidrigkeit, der in der Literatur durchaus nachvollziehbar – wegen seiner geringen Konturiertheit kritisiert worden ist (vgl. Conradis, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 103 Rn. 6), in zwei Entscheidungen zum Zweiten Buch Sozialgesetzbuch näher bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 39/12 R –, BSGE 112, 135 und BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R –, SozR 4-4200 § 34 Nr. 2 [beide zu Fällen der Inhaftierung, die zum Verlust des Arbeitsplatzes und daran anschließend zur Hilfebedürftigkeit der Angehörigen des Inhaftierten führten]). Danach ist ein Verhalten (nur) dann sozialwidrig, wenn es (1.) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung beziehungsweise den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2.) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit beziehungsweise der Leistungserbringung gerichtet war beziehungsweise hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3.) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand (BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R –, SozR 4-4200 § 34 Nr. 2 = juris, Rn. 20). Die Vorschriften über den Kostenersatzanspruch bekommt auf diese Weise, wie wiederholt formuliert worden ist, "quasi-deliktischen" Charakter (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1967 – V C 192.66 –, BVerwGE 27, 319 = juris, Rn. 15; daran anschließend z.B. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 22/99 –, BVerwGE 109, 331 = juris, Rn. 12; Stotz, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 34 SGB II Rn. 35; Conradis, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 103 Rn. 5; Klinge, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 02/12, § 103 Rn. 7).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Verhalten des Klägers trotz seiner deutlichen Pflichtwidrigkeit im Verhältnis zur Betreuten nicht als sozialwidrig im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII einzuordnen.

Zwar lässt der Wortlaut des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – anders als der des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II, demzufolge nur der Leistungsempfänger selbst oder ein Mitglied seiner Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 SGB II als Ersatzverpflichtete in Frage kommen – durchaus zu, dass ein Ersatzanspruch gegen außerhalb des Sozialleistungsverhältnisses stehende Dritte entstehen kann. Ein auf der Grundlage von § 1896 Abs. 1 BGB bestellter Betreuer des Leistungsberechtigten kommt daher durchaus als Schuldner entsprechender Ansprüche grundsätzlich in Betracht (vgl. so auch Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 103 Rn. 39).

Auch findet sich in der Rechtsprechung als Fallgruppe, in der sozialwidriges Verhalten angenommen worden ist, durchaus die Kündigung eines Krankenversicherungsvertrags (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 22/99 –, BVerwGE 109, 331 und SG Gotha, Urteil vom 2. Juni 2008 – S 14 SO 3481/06 –, juris; dem folgend z.B. Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 103 Rn. 24). Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 22/99 –, BVerwGE 109, 331 = juris, Rn. 13) hat dies im Wesentlichen damit begründet, Krankheit sei bekanntermaßen eines der Hauptrisiken des Lebens, das jeden jederzeit unvorbereitet und mit beträchtlichen finanziellen Folgen treffen könne. Deswegen müsse, soweit keine Pflichtversicherung bestehe, von dem nicht anderweit gesicherten Bürger erwartet werden, Vorsorge für den Krankheitsfall durch Krankenversicherungsschutz zu treffen oder diesen aufrechtzuerhalten. Wer sich nicht krankenversichere, obwohl er finanziell dazu in der Lage sei, habe die Folgen dieses Verhaltens selbst zu tragen. Nehme er die von der Allgemeinheit für den Notfall zur Verfügung gestellten Mittel in Anspruch, so treffe ihn eine Ersatzverpflichtung. Auch wenn jemand für den Krankheitsfall etwa durch finanzielle Rücklagen eigenständig Vorsorge treffe, sei es gerechtfertigt, dass er, sollte diese Vorsorge im Krankheitsfall nicht ausreichen und er auf Sozialhilfe in Form von Krankenhilfe angewiesen sein, diese nach § 92a BSHG im Wege der finanziellen Nachsorge zu ersetzen habe.

Diese Annahme von Sozialwidrigkeit beim Verlust des Schutzes der gesetzlichen Sozialversicherung begegnet allerdings Bedenken, geht es doch – anders als in Fällen, in denen der Betroffene unmittelbar eigene Selbsthilfemöglichkeiten beseitigt – "nur" darum, dass der Sozialhilfeträger statt eines anderen Sozialleistungsträgers, nämlich der Kranken- und der Pflegeversicherung, Aufwendungen zu tragen hat. Die Sozialwidrigkeit müsste sich also letztlich daraus herleiten lassen, dass die Aufwendungen für die medizinische und pflegerische Versorgung statt (in erster Linie) aus Versicherungsbeiträgen aus Steuermitteln zu finanzieren sind; angesichts der weitgehenden, wenn auch nicht vollständigen Deckungsgleichheit der damit zur Finanzierung herangezogenen Bevölkerungsgruppen erscheint die Annahme einer daraus folgenden Sozialwidrigkeit als keineswegs selbstverständlich.

Der Senat kann dies im hiesigen Verfahren offenlassen, denn selbst wenn man dies zu Lasten des Klägers annimmt, muss die Klage Erfolg haben: Bei der Frage, ob ein Betreuerverhalten, das im Ergebnis zu (höherer) Sozialhilfebedürftigkeit des Betreuten führt, als sozialwidrig eingeordnet werden kann, ist nämlich zunächst in den Blick zu nehmen, dass die Betreuerpflichten in aller Regel nur im Verhältnis zum Betreuten bestehen und aus dem Betreuerverhältnis nur ausnahmsweise Pflichten gegenüber Dritten erwachsen (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1987 – III ZR 149/85 –, BGHZ 100, 313 = juris, Rn. 15 ff.; Veit, in: Staudinger, BGB, 2014, § 1833 Rn. 53); dementsprechend sieht das Bürgerliche Gesetzbuch eine spezifische Haftungsregelung des Betreuers nur zu Gunsten des Betreuten vor (§ 1908i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1833 Abs. 1 Satz 1 BGB). Schon dies wird es zumeist ausschließen, ein Verhalten des Betreuers – und sei es auch im Verhältnis zum Betreuten deutlich pflichtwidrig – als sozialwidrig im Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anzusehen: Mit diesem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal geht, wie gesehen, eine quasi-deliktische Struktur einher; diese macht es notwendig, danach zu fragen, wem gegenüber der Betroffene zur Meidung des Vorwurfs der Sozialwidrigkeit zu einem bestimmten Verhalten gehalten ist. Die Verletzung von Verhaltenserwartungen, die (nur) im Verhältnis zum Betreuten bestehen, können daher regelmäßig einen Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nicht tragen.

Umso mehr muss dies gelten, wenn – wie hier – nicht ein aktives Verhalten des Betreuers in Frage steht, sondern ihm ein Unterlassen, vorliegend das deutlich unzureichende Bemühen den Krankenversicherungsschutz der Betreuten sicherzustellen, vorgehalten wird: Insoweit kommen im vorliegenden Fall zwar durchaus mehrere Gesichtspunkte in Betracht, unter denen dem Kläger die nicht ausreichende Sorge für die Angelegenheiten der Betreuten im Sinne von § 1901 Abs. 1 und Abs. 2 BGB vorzuhalten sein dürfte – etwa die unzureichende Aufklärung der tatsächlichen und rechtlichen Situation unmittelbar nach dem ersten Schreiben der AOK vom 22. April 2005; die fehlende Überwachung des Zahlungseingangs, wenn man sein Vorbringen zu den Zusagen von Frau D. als zutreffend unterstellt; das fehlende oder jedenfalls unzureichende Bemühen mit der Krankenversicherung eine Stundung zu erreichen; der nicht belegte und jedenfalls nicht nachhaltig verfolgte Kontakt zum Beklagten –; durchgängig handelt es sich aber um dem Kläger vorzuwerfendes Unterlassen.

Zwar lässt § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII durchaus zu, ein Unterlassen als haftungsbegründend einzustufen. Angesichts der Notwendigkeit, den sehr offenen Tatbestand der Norm und den eher vagen Begriff der Sozialwidrigkeit näher zu konturieren, ist dies jedoch nur gerechtfertigt, wenn die Erwartung aktiven Handelns gerade (auch) im Verhältnis zum Sozialhilfeträger begründbar ist. Der als Kostenschuldner Herangezogene muss insofern – nicht notwendig im rechtlichen Sinne, wohl aber mit Blick auf die Bewertung seines Verhaltens als sozialwidrig – als Garant für die Vermögensinteressen des Sozialhilfeträgers angesehen werden können. Das aber ist bei einem Betreuer wegen seiner Aufgabe, die Interessen des Betreuten zu sichern, grundsätzlich nicht der Fall. Fehlt es aber an einer "Garantenstellung" für das Vermögen des Sozialhilfeträgers in diesem Sinne, lassen sich selbst grobe Nachlässigkeiten im Verhältnis zum Betreuten nicht als sozialwidrig im Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII qualifizieren (vgl. in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Mai 2012 – L 9 SO 281/11 –, juris, Rn. 46 ff.). Anderes dürfte für vorsätzliches Handeln wegen der dann vorliegenden Nähe zu einer sittenwidrigen Schädigung gelten; dafür ist vorliegend aber nichts erkennbar.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass dieses Ergebnis nicht deswegen als unbillig erscheinen muss, weil es zur rechtlich zwingenden Konsequenz hätte, dass ein Betreuer, bei dem – wie hier – eine erhebliche Pflichtverletzung im Verhältnis zum Betreuten im Raume steht, die daraus resultierenden Konsequenzen auf den Sozialhilfeträger abwälzen könnte: Denkbar erscheint vielmehr, dass der Schadensersatzanspruch des Betreuten – und im Verhältnis zu diesem liegt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung unter Umständen wie den hiesigen zumindest nahe – über § 116 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf den Sozialhilfeträger übergeht. Ob dem unter Umständen wie den hiesigen entgegengehalten werden kann, dass der Betreuten wegen des Einspringens des Sozialhilfeträgers kein Schaden entstehe, oder ob der Schadensbegriffs insoweit normativ zu korrigieren ist (vgl. dazu Breitkreuz, Die Haftung des Betreuers nach gescheiterter Krankenversicherung – wie normativ darf ein Schaden sein?, SGb 2015, S. 316 m. Nw. aus der zivilrechtlichen Rspr.), muss allerdings der Entscheidung der für den übergegangenen Schadensersatzanspruch zuständigen ordentlichen Gerichten vorbehalten bleiben.

Sofern eine Inpflichtnahme des Betreuers geboten erscheint, wäre diese Lösung jedenfalls deswegen überzeugender, weil sie – abgesehen von der normativen Korrektur des Schadens – die unmittelbar bestehenden Rechtsbeziehungen im Dreieck aus Sozialhilfeträger, Sozialhilfeberechtigtem und Betreuer aufnimmt und einen unmittelbaren Durchgriff vom Sozialhilfeträger auf den Betreuer vermeidet, da, wie gesehen, eine (soziale) Pflichtenstellung in diesem Verhältnis kaum begründbar ist. Dementsprechend bleiben dem Betreuer bei einer Lösung über die Regressvorschrift des § 116 SGB X – in sachgerechter Weise – die aus seinem Verhältnis zum Betreuten herrührenden Einwendungen und Einreden gegenüber der im Wege der Legalzession auf den Leistungsträger übergegangenen Schadensersatzforderung erhalten.

Allerdings können auch diese Überlegungen nicht zu einem Erfolg des Beklagten im hiesigen Verfahren führen: Bei einem auf den übergegangenen Anspruch der Betreuten gestützten Klagebegehren handelt es sich um einen anderen Streitgegenstand – für den im Übrigen die Zivilgerichte zuständig sind –, weil rechtlich und tatsächlich andere Gesichtspunkte maßgeblich sind als bei dem auf § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gestützten Anspruch unmittelbar gegen den Betreuer, was sich schon daran zeigt, dass der Beklagte nur diesen durch Verwaltungsakt durchsetzen kann. Der angegriffene Bescheid lässt sich daher auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 3 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Weder der Kläger noch der Beklagte gehören im hiesigen Verfahren zu den nach § 183 SGG hinsichtlich der Kosten privilegierten Personen. Daher handelt es sich um ein gerichtskostenpflichtiges Verfahren (§ 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGG); für die Kostenverteilung sind über § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 3 SGG die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung maßgeblich. Angesichts des vollständigen Obsiegens des Klägers ergibt sich die Kostenfolge zwingend aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dabei kann der Senat auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung, die offenbar auf der Annahme beruht, es handele sich um ein Verfahren nach § 183 SGG, korrigieren.

IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen: Die Auslegung des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII war bislang, soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung. Überdies erscheint auch dessen Anwendung (und ihre Grenzen) auf außerhalb des Sozialhilfeverhältnisses stehende Dritte wie Betreuer bislang nicht abschließend geklärt, aber von durchaus grundsätzlicher Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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